Verjährung des Rechts zur endgültigen Festsetzung der Umsatzsteuer 1995 bis 1999 bei Vermietung iSd § 1 Abs 2 LVO
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw. gegen die Bescheide des Finanzamtes A vom betreffend Umsatzsteuer 1995 bis 1999 entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide bleiben unverändert.
Entscheidungsgründe
Die Berufungswerberin (Bw.) erklärte seit dem Jahr 1991 Einkünfte aus Privatzimmervermietung (Vermietung von acht Betten) in ihrem Haus in B. Die Veranlagung zur Umsatz- und Einkommensteuer der Jahre 1994 bis 2003 erfolgte zunächst vorläufig (Anerkennung einer Einkunftsquelle). Mit Bescheiden vom wurden die Umsatzsteuer 1995 bis 2003 und die Einkommensteuer 1995 bis 2002 gemäß § 200 Abs. 2 BAO endgültig festgesetzt. Dabei wurde die Vermietung (unter Hinweis auf einen Gesamtverlust von 9.937,55 € in 13 Jahren) nicht mehr als Einkunftsquelle anerkannt bzw. in umsatzsteuerlicher Hinsicht vom Vorliegen von Liebhaberei (§ 2 Abs. 5 Z 2 UStG 1994) ausgegangen.
Gegen die Umsatzsteuerbescheide 1995 bis 1999 mit Ausfertigungsdatum wurde in der am eingebrachten Berufung eingewendet, dass die Beurteilung der Frage, ob Liebhaberei vorliege, eine Rechtsfrage bilde, die für jeden Bemessungszeitraum zu lösen sei. Das Vorliegen einer Lieferung oder sonstigen Leistung sei für die Umsatzsteuer - anders als für die Einkommensteuer - unmittelbar im Veranlagungszeitraum zu beurteilen und nicht erst aus der Sicht eines längeren Beobachtungszeitraums. Die Erlassung von vorläufigen Bescheiden sei unzulässig, die Festsetzung der Umsatzsteuer 1995 bis 1999 verjährt (§ 207 BAO).
Die abweisenden Berufungsvorentscheidungen des Finanzamts wurden damit begründet, dass eine vorläufige Abgabenfestsetzung zum Zwecke der Beobachtung der Entwicklung der Tätigkeit zwar bei einer typisch erwerbswirtschaftlichen Betätigung unter Umständen unzulässig sei, nicht aber im vorliegenden Fall, da es sich um eine Betätigung gemäß § 1 Abs. 2 der Liebhabereiverordnung handle. Die Berufung richte sich tatsächlich auch nicht gegen vorläufige, sondern gegen endgültige Bescheide. Das gegenständliche Verfahren (gemeint wohl: das Berufungsvorbringen) hätte sich mit der vorliegenden Begründung gegen die ehemals vorläufig erlassenen Bescheide richten müssen. Hinsichtlich der endgültigen Bescheide gehe die Begründung ins Leere.
Im Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz wurde erwidert, dass sich die Berufung selbstredend gegen die endgültigen Bescheide zu richten habe. Da die "unzulässigen vorläufigen Umsatzsteuerbescheide" nicht dem Rechtsbestand angehörten, sei aus diesem Grund hinsichtlich der endgültigen Bescheide Verjährung eingetreten.
Über die Berufung wurde erwogen:
a.) Unbestritten ist, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Betätigung im Sinne des § 1 Abs. 2 der Liebhabereiverordnung, BGBl Nr. 33/1993 (kurz: LVO), handelt, bei der gemäß § 6 derselben Verordnung Liebhaberei auch im umsatzsteuerlichen Sinn vorliegen kann. Bei Betätigungen im Sinne des § 1 Abs. 2 der LVO liegt Liebhaberei (nur) dann nicht vor, wenn die Art der Bewirtschaftung oder der Tätigkeit in einem absehbaren Zeitraum einen Gesamtgewinn oder Gesamtüberschuss der Einnahmen über die Werbungskosten erwarten lässt (§ 2 Abs. 4 LVO). Hiefür ist die Kenntnis der wirtschaftlichen Entwicklung künftiger Jahre von Bedeutung, weshalb - in ertragsteuerlicher Hinsicht - Bescheide vorläufig erlassen werden dürfen ().
b.) Der Ansicht der Bw., die für die Jahre 1995 bis 1999 ergangenen vorläufigen Bescheide betreffend Umsatzsteuer gehörten nicht dem Rechtsbestand an, weil sie nicht zulässig waren, kann nicht gefolgt werden: Selbst wenn es zutreffen sollte, dass die Bescheide rechtswidrig ergangen sind, wären sie dennoch in Rechtskraft erwachsen. Sie gehörten solange dem Rechtsbestand an, als sie nicht durch andere Bescheide, die an deren Stelle treten (dazu zählen endgültige Bescheide), ersetzt wurden.
c.) Die Abgabe kann vorläufig festgesetzt werden, wenn die Abgabepflicht zwar noch ungewiss, aber wahrscheinlich ist, oder wenn der Umfang der Abgabepflicht noch ungewiss ist (§ 200 Abs. 1 BAO).
Es trifft zwar zu, dass der VwGH in seiner Rechtsprechung die Ansicht vertreten hat, dass das Erfordernis eines längeren Beobachtungszeitraums, wie er im Ertragsteuerrecht herangezogen wird, im Umsatzsteuerrecht keine Berechtigung habe, weil die Entscheidung, ob Liebhaberei vorliege, sofort getroffen werden müsse. Nach der jüngeren Rechtsprechung bedeutet die Tatsache, dass die Entscheidung im Leistungszeitpunkt getroffen werden muss, aber nicht, dass ein anderes Kriterium der objektiven Ertragsfähigkeit heranzuziehen ist als die Prognose eines Gesamterfolgs in einem überschaubaren Zeitraum (Ruppe, UStG, 3. Aufl., § 2 Tz 259 mwN; vgl. auch Rauscher/Grübler, Vorläufige Veranlagung oder Sofortbeurteilung bei umsatzsteuerlicher Liebhaberei?, SWK 2002, S 468).
d.) Die Bw. wurde mit Schreiben des Finanzamts vom um die Vorlage einer "Vorausschau" über das zu erwartende Ergebnis der Folgejahre sowie um die Beantwortung der Fragen ersucht, ob die Tätigkeit geeignet sei, Gewinne bzw. Einnahmenüberschüsse zu erzielen, sowie, ob in naher Zukunft mit einer Erhöhung der Einnahmen bzw. einer Verminderung der Ausgaben zu rechnen sei. Dazu wurde mit Schreiben vom mitgeteilt, dass die Vermietung sehr wohl geeignet sei, Einnahmenüberschüsse zu erwirtschaften. Das Haus sei im Jahr 1995 generalsaniert worden. Es seien auch im Bereich der Appartements sowie der beiden Zimmer erforderliche Investitionen durchgeführt worden. Auf Grund der Bautätigkeit sei die Vermietung im Jahr 1995 nur eingeschränkt möglich gewesen. Mit einer "gewissen Trendwende" sei auf Grund der vorliegenden Anfragen und Reservierungen bereits für das heurige Jahr (1996) zu rechnen. Unter Berücksichtigung der näher dargestellten Parameter wäre für die Jahre 1996 bis 2002 von jährlichen Nettoerlösen von 78.600 S, von einem Jahresüberschuss von 26.000 S und in einem Zeitraum von zwölf Jahren von einem Totalerfolg von 114.000 S auszugehen.
e.) Auf der Grundlage dieser Angaben der Bw. wurde über die Abgabenerklärungen der Jahre ab 1994 mit Bescheiden abgesprochen, in denen die Abgaben (Umsatz- und Einkommensteuer) gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig festgesetzt wurden. Eine solche Vorgangsweise war in Anbetracht des Umstands, dass es sich um eine Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 LVO gehandelt hat, gerechtfertigt: Ob die Maßnahmen des Jahres 1995 zu einer Erhöhung der Einnahmen im prognostizierten Umfang führen konnten, vermochte nur die Entwicklung zu zeigen. Damit lag aber eine Gewissheit hinsichtlich der Ertragsfähigkeit der entfalteten Tätigkeit vor dem Jahr 2000 noch nicht vor: Für das Jahr 1995 war schon nach der Vorschaurechnung ein Verlust von 18.717 S zu erwarten. Für das Jahr 1996 war zwar mit einer steigenden Auslastung zu rechnen. In den am eingereichten Erklärungen wurde aber wiederum ein Verlust in annähernd derselben Höhe ausgewiesen. Es musste daher jedenfalls noch das Ergebnis des Jahres 1997 abgewartet werden. Gerade dieses Jahr (das erste Jahr, in dem es nach der Vorschaurechnung möglich sein musste, den prognostizierten Umsatz von 78.600 S zu erwirtschaften), führte aber lediglich zu Nettoeinnahmen von rd. 46.000 S (ca. 59 % des angenommenen Betrages) sowie zu einem Einnahmenüberschuss von rd. 6.600 S (ca. 25 % des prognostizierten Gewinnes von 26.000 S). Es bedurfte daher (bei einem Überhang der Werbungskosten 1991 bis 1996 von 84.200 S) jedenfalls noch der Beobachtung eines weiteren Jahres, um - selbst unter Berücksichtigung der Änderung der Rechtsprechung des VwGH zum absehbaren Zeitraum (vgl. ) - beurteilen zu können, ob es sich um eine Tätigkeit handelt, die auf Dauer gesehen Gewinne oder Einnahmenüberschüsse (§ 2 Abs. 5 Z 2 UStG 1994) erwarten ließ. Die Abgabenerklärungen des Jahres 1998 (mit Nettoeinnahmen von rd. 39.000 S und einem Einnahmenüberschuss von rd. 1.500 S) wurden aber erst im Jänner 2000 eingereicht (jene des Folgejahres mit Nettoeinnahmen von wiederum rd. 39.000 S und einem Überschuss der Werbungskosten von rd. 6.000 S Ende Oktober 2000).
f.) Die Verjährung des Rechts, nach einer vorläufigen Abgabenfestsetzung eine endgültige Abgabenfestsetzung vorzunehmen, beginnt gemäß § 208 Abs. 1 lit. d BAO mit Ablauf des Jahres, in dem die Ungewissheit beseitigt wurde. Wurde die Ungewissheit hinsichtlich der Abgabepflicht der Jahre 1995 bis 1999 vor Ablauf des Jahres 1999 aber nicht beseitigt, konnte das Recht zur Festsetzung der Umsatzsteuer 1995 bis 1999 zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide im November 2005 noch nicht verjährt gewesen sein. Die Berufung war daher als unbegründet abzuweisen.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 208 Abs. 1 lit. d BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 6 Liebhabereiverordnung, BGBl. Nr. 33/1993 |
Schlagworte | vorläufige Festsetzung Liebhaberei Vermietung |
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