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Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSW vom 22.11.2012, RV/0821-W/12

Pflegekind iSd § 2 Abs.3 lit.d FLAG (Bezug von Pflegeelterngeld nach § 21 JWG)

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung vom der Bw., gegen den Bescheid des Finanzamtes X. vom betreffend Abweisung eines Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe ab August 2010 (Differenzzahlung) für die Kinder C. und D. E. entschieden:

Der Berufung wird Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Entscheidungsgründe

Die Berufungswerberin (im folgenden Bw.) beantragte im Oktober 2011 die Gewährung der Differenzahlung/Ausgleichszahlung für 2010 für die Pflegekinder C. und D. E. (beide geboren am ttmmjj).

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag der Bw. auf Gewährung der Differenzzahlung ab August 2010 wie folgt ab:

"Ihr Antrag auf Differenzzahlung für die Kinder C. und D.E. für das Jahr 2010 wird abgewiesen.

Begründung: Laut vorgelegten Unterlagen erhalten Sie vom Arbeitsamt der Tschechischen Republik monatlich CZK 3680.- pro Kind als eine Beihilfe für die Deckung des Bedarfs des Kindes. Somit werden die Kosten für die Unterbringung und Verpflegung der Kinder von der Tschechischen Republik in Form der üblichen Tagsätze abgegolten.

Durch diesen Umstand fällt die Kindeseigenschaft im Sinne des § 2 Abs. 3 FLAG weg, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag nicht vorliegen."

In der gegen den Abweisungsbescheid eingebrachten Berufung brachte die Bw. nur vor, der vom Arbeitsamt der Tschechischen Republik bezogene Betrag sei ein Pflegegeld (und keine Familienleistung).

Das Finanzamt legte die Berufung der Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vor.

Über die Berufung wurde erwogen:

Im gegenständlichen Berufungsfall ist aufgrund der Aktenlage (aufgrund der z.T. mit Übersetzung vorgelegte Unterlagen) von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Die Bw. ist tschechische Staatsbürgerin und

- ist laut eigenen Angaben auf dem Antragsformular geschieden und hat zwei Töchter,

- wohnt mit ihren Töchtern (A. und B.) in Tschechien, der Vater der Kinder arbeitet in Tschechien,

- arbeitet seit Mai 2008 im Gastgewerbe in Österreich (Entfernung vom Wohnort in Tschechien zum Arbeitsort L. laut Routenplaner M. 18 Straßenkilometer),

- bezog für ihre leiblichen Kinder ab Juni 2008 Familienbeihilfe (Differenzzahlung) in Österreich.

- Laut Beschluss des Gemeindeamtes P. vom (AZ: xx) wurden aufgrund einer durch das Bezirksgericht erlassenen vorläufigen Maßnahme mit Wirksamkeit ab die beiden minderjährigen Kinder C. und D. in die Pflege der väterlichen Tante (= Bw.) anvertraut.

- Laut Rechtsspruch des Bezirksgerichtes P. vom , AZ xxx, wurden die Kinder C. und D. - mit Zustimmung der Kindeseltern - auf Dauer in Pflege der Bw. gegeben; der Bw. wurde aufgetragen dem Gericht über die Fürsorgeleistungen zweimal jährlich zu berichten.

- Die beiden Pflegekinder wohnen im Haushalt der Bw. und besuchen laut Aktenlage den Kindergarten im Wohnort der Bw.

- Laut Bestätigung des Arbeitsamtes der Tschechischen Republik vom wurde der Bw. eine staatliche Sozialaushilfe ("Unterhaltsbeitrag" bzw. laut Übersetzung "Beihilfe für die Deckung eines Bedarfes" der Kinder) ab in Höhe von CZK 3.680 je Kind zuerkannt (entspricht € 144,68 - Stand ); die Zuerkennung der Sozialleistung erfolgte nach den tschechischen Bestimmungen des § 117/1995 über die staatliche Sozialaushilfe.

- Laut Bestätigung des Arbeitsamtes der Tschechischen Republik vom wurden die Kindeseltern gerichtlich verpflichtet, an das tschechische Arbeitsamt Unterhaltsgeld für die Kinder zu leisten, diese Verpflichtung wurde laut Urteil des Gerichtes (AZ 9P 98/2011-260) rückwirkend mit aufgehoben; Begründung: aufgrund der finanziellen Möglichkeiten und Fähigkeiten der Kindeseltern sei die Leistung des Unterhaltsgeldes an die Tschechische Republik zurzeit nicht realistisch - die Kindeseltern seien bereits lange arbeitslos und ohne finanzielle Unterstützung (Unterstützungsfrist bereits abgelaufen).

- Laut Formular E9 (ausgestellt am von der tschechischen Steuerbehörde) hatte die Bw. im Jahr 2010 ihren Wohnsitz in Tschechien, jedoch keine Einkünfte, die im Ansässigkeitsstaat der Besteuerung unterliegen.

- Laut dem von der tschechischen Behörde XY ausgestellten Formular E 001 (nachgereicht am ) wurde für die Kinder C. und D. seit keine Familienbeihilfe ausbezahlt.

Bei vorliegendem grenzüberschreitendem Sachverhalt ist für den Streitzeitraum die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (im Folgenden: VO 883/2004) anzuwenden.

Nach Art. 2 Abs. 1 der VO 883/2004 gilt diese Verordnung für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.

Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen nach Art. 11 der genannten VO den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Nach Art. 11 Abs.3 lit.a der VO unterliegt eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats.

Die Bw. übt ausschließlich in Österreich eine nichtselbständige Beschäftigung aus, die Kindeseltern der Pflegekinder sind in Tschechien laut Aktenlage nicht beschäftigt, sodass die Bw. hinsichtlich der Pflegekinder den österreichischen Rechtsvorschriften unterliegt.

Für die Zeit der vorläufigen (Pflege)Maßnahme (Wirksamkeit ab ) wurde in Tschechien noch Kindergeld ausbezahlt, seit jedoch laut tschechischer Behörde XY keine Familienbeihilfe für die Pflegekinder geleistet (laut Übersetzung der bereits erwähnten Bestätigung E001: "Seit sind wir kein zur Auszahlung zuständiger Staat (gem. der Anordnung VO 883/2004)" ). (Anmerkung: Für die leiblichen Kinder wurde der Bw. ab Juni 2008 jährlich die Differenzzahlung nach der VO 883/2004 gewährt, da der Kindesvater der leiblichen Kinder, der laut Aktenlage an die Bw. auch Alimente leistet, in Tschechien eine Beschäftigung ausübt.)

Strittig ist nur die Kindeseigenschaft der Pflegekinder, da nach Ansicht des Finanzamtes durch den Unterhaltsbeitrag der Kindeseltern die Kindeseigenschaft iSd § 2 Abs3 FLAG für die Pflegekinder nicht gegeben sei.

Den Ausdruck "Familienangehöriger" bezeichnet Art. 1 Buchstabe i der VO 883/2004 für die Zwecke dieser Verordnung" wie folgt: jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird. Die unionsrechtliche Verordnung stellt somit vorrangig auf die die betreffende Leistung gewährenden nationalen Rechtsvorschriften (hinsichtlich Familienbeihilfe auf das Familienlastenausgleichsgesetz) ab.

Nach § 2 Abs. 3 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 sind Kinder im Sinne des Abs. 1 dieses Paragraphen unter anderem deren Pflegekinder (§§ 186 und 186 a des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches).

Nach § 186 ABGB sind Pflegeeltern Personen, die die Pflege und Erziehung des Kindes ganz oder teilweise besorgen und zu denen eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahe kommende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll. Sie haben das Recht, in den die Person des Kindes betreffenden Verfahren Anträge zu stellen.

Nach § 186a Abs.1 ABGB hat das Gericht einem Pflegeelternpaar (Pflegeelternteil) auf seinen Antrag die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise zu übertragen, wenn das Pflegeverhältnis nicht nur für kurze Zeit beabsichtigt ist und die Übertragung dem Wohl des Kindes entspricht. Die Regelungen über die Obsorge gelten dann für dieses Pflegeelternpaar (diesen Pflegeelternteil).

Laut Rechtsprechung () ist ein Pflegeverhältnis iSd § 2 Abs 3 lit d FLAG dann anzunehmen, wenn den Pflegeeltern (Pflegepersonen) tatsächlich die Pflege der Kinder übertragen ist und sie diese Aufgabe in überwiegendem Ausmaß selber erfüllen. Auch das Pflegekindschaftsverhältnis iSd ABGB weist als Wesensmerkmal die eindeutige Lebensschwerpunktverlagerung des Kindes zu den Pflegeeltern auf, wobei sich diese Verlagerung im Wechsel des Kindes in den Haushalt der Pflegeeltern auf nicht bloß vorübergehende Dauer ausdrückt (Hinweis Schwimann, ABGB I/2, § 186 ABGB Rz 3). Ein solches Verständnis liegt auch dem Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) zugrunde, welches in § 14 Pflegekinder definiert als Minderjährige, die von anderen als bis zum dritten Grad Verwandten oder Verschwägerten, von Wahleltern oder vom Vormund gepflegt und erzogen werden.

Gemäß § 14 (JWG) 1989 (BGBl. Nr. 161/1989) gelten als Pflegekinder im Sinn dieses Bundesgesetzes Minderjährige, die von anderen als bis zum dritten Grad Verwandten oder Verschwägerten, von Wahleltern oder vom Vormund gepflegt und erzogen werden.

Gemäß § 21 Abs.1 JWG hat die Landesgesetzgebung das Pflegegeld zu regeln, das Pflegeeltern (Pflegepersonen) auf ihren Antrag zur Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Lasten erhalten. Dabei sind die örtlichen Verhältnisse und die Unterhaltskosten zu berücksichtigen. Nach Abs.2 leg cit. kann die Landesgesetzgebung vorsehen, dass auch Personen, die mit dem betreuten Kind bis zum dritten Grad verwandt oder verschwägert sind, oder Vormündern, in deren Pflege und Erziehung sich das Kind befindet, eine Entschädigung bis zur Höhe des Pflegegeldes gewährt werden kann.

Beispiele zur Landesgesetzgebung in Österreich (mit jeweils unterschiedlichen Bezeichnungen: Pflegebeitrag, Pflegeelterngeld):

Niederösterreich (Quelle http://www.noe.gv.at/Gesellschaft-Soziales/Familien/Pflegekind-Pflegeeltern, Stand )

"NÖ - Finanzieller Lastenausgleich

Den Pflegeeltern gebührt über Antrag bei Ihrer Bezirksverwaltungsbehörde ein Pflegebeitrag, um Ihnen die mit der Pflege und Erziehung verbundenen Lasten zu erleichtern. Die Höhe des Pflegebeitrages beträgt laut NÖ Pflegebeitragsverordnung der NÖ Landesregierung mit in Niederösterreich: für ein Kind unter 10 Jahren: € 431, für ein Kind über 10 Jahren: € 457.

Darüber hinaus besteht Anspruch auf den Bezug der Familienbeihilfe durch das Finanzamt. Weiters kann das Pflegekind bei einem Pflegeelternteil krankenversichert werden."

Wien:

§ 27 des Wiener Jugendwohlfahrtsgesetzes lautet:

"(1) Pflegeeltern (Pflegepersonen) gebührt zur Durchführung der vollen Erziehung (§ 34) auf Antrag zur Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Lasten Pflegeelterngeld.

(2) Die Richtsätze für das Pflegeelterngeld ergehen mit Verordnung der Wiener Landesregierung.

(3) Der Richtsatz ist nach Alter gestaffelt und so angesetzt, dass er den monatlichen Bedarf an Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Schulartikel, anteilige Wohnungs- und Energiekosten sowie den Aufwand für eine altersgemäß gestaltete Freizeit deckt."

Verordnung der Wiener Landesregierung auf Grund des § 27 des Wiener Jugendwohlfahrtsgesetzes 1990, LGBl. für Wien Nr. 36 in der Fassung des Gesetzes LGBl. für Wien Nr. 35/2001:

"Pflegeelterngeld

§ 1. (1) Das Pflegeelterngeld besteht aus Richtsätzen und Zuschlägen. Die Richtsätze betragen im Monat für ein Kind:

bis zum 6. Lebensjahr: EUR 460,- (Richtsatz 1)

vom 6. bis zum 10. Lebensjahr: EUR 480,- (Richtsatz 2)

vom 10. bis zum 15. Lebensjahr: EUR 495,- (Richtsatz 3)

ab dem 15. Lebensjahr: EUR 535,- (Richtsatz 4)

bei Krisenpflegeeltern: EUR 960,- (Richtsatz 5).

(2) Zusätzlich werden folgende Zuschläge gewährt:

Eine Sonderzahlung jeweils im Mai und im November in der Höhe des jeweiligen Richtsatzes; im Richtsatz 5 ist die Sonderzahlung bereits inkludiert.

Ein Bekleidungsbeitrag jeweils im März und im September in der Höhe des jeweiligen Richtsatzes; im Richtsatz 5 ist der Bekleidungsbeitrag bereits inkludiert.

Ein Zuschlag für besondere Bedürfnisse des Pflegekindes in der Höhe von bis zu 50% des monatlichen Richtsatzes."

Das österreichische Pflegeelterngeld sollen Pflegeeltern (Pflegepersonen) nach § 21 JWG zur Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Lasten erhalten. Die Eigenschaft als Pflegekind iSd § 2 Abs.3 FLAG wird somit nach innerstaatlichem Recht mit dem Bezug des jeweils landesgesetzlich geregelten Pflegebeitrages/Pflegeelterngeldes (Pflegegeld iSd § 21 JWG) durch einen Pflegeelternteil nicht beeinträchtigt.

Die Bw. als väterliche Tante und gleichzeitig vom tschechischen Gericht anerkannter Pflegeelternteil der Kinder C. und D. hat den "Unterhaltsbeitrag" (laut den vorgelegten Bestätigungen: Zuerkennung einer Sozialleistung nach den tschechischen Bestimmungen des § 117/1995 über die staatliche Sozialaushilfe) nicht von den Kindeseltern, sondern von der zuständigen tschechischen Behörde (Arbeitsamt) zugesprochen bekommen und unabhängig von einer Beitragsleistung der Kindeseltern bezogen. Dieser "Unterhaltsbeitrag" ist eine Sozial(hilfe)leistung für Pflegekinder und entspricht somit dem Pflegebeitrag iSd § 21 JWG. Dieser Zuschuss für Pflegekinder ist auch keine Familienleistung iSd VO 883/2004. (Dies entspricht auch den Ermittlungsergebnissen des Finanzamtes: laut einer im Akt des Finanzamtes befindlichen Auskunft des BM für Wirtschaft, Jugend und Familien, Abt. C1/2, SOLVIT Center Österreich vom zu dem von der Bw. bezogenen Unterhaltsbeitrag ist "die cz. Beihilfe ein Pflegekindzuschuss und nicht cz. Äquivalent zur österr. Familienbeihilfe").

Analog zur Beurteilung, dass der Bezug des eigens für Pflegeeltern(teile) geschaffenen österreichischen Pflege(eltern) geldes dem Kind nicht die Eigenschaft als Pflegekind iSd § 186 ABGB nimmt, kann auch der von der Bw. für die Kinder C. und D. bezogene Pflegekindzuschuss den vom tschechischen Gericht anerkannten Status als Pflegekinder der Bw. daher nicht einschränken.

Da die Bw. als Pflegeelternteil iSd § 186 ABGB die Pflege und Erziehung der Kinder unbestritten besorgt und zwischen der Bw. und den Pflegekindern eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahe kommende Beziehung hergestellt wurde, steht außer Zweifel, dass die Kinder C. und D. Pflegekinder der Bw. iSd § 2 Abs 3 lit d FLAG 1967 sind.

Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
Art. 1 Buchstabe i VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
§ 186 ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811
§ 14 JWG, Jugendwohlfahrtsgesetz 1989, BGBl. Nr. 161/1989
§ 21 JWG, Jugendwohlfahrtsgesetz 1989, BGBl. Nr. 161/1989
§ 2 Abs. 3 lit. d FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Schlagworte
Pflegekind
Pflegebeitrag
Pflegeelterngeld
Kindeseigenschaft
Pflegeelternteil
Verweise

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at