Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSW vom 20.11.2012, RV/0800-W/12

Anspruch auf Familienbeihilfe von Kindern, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des AIW, vertreten durch Herman Schuster, VertretungsNetz - Sachwalterschaft, 1010 Wien, Teinfaltstraße 1/2. Stock, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom betreffend Abweisung eines Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe ab Februar 2012 entschieden:

Der Berufung wird Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

Entscheidungsgründe

Der mit Beschluss des Bezirksgerichts X bestellte Sachwalter beantragte am für den Berufungswerber (Bw) - Herrn AI - Familienbeihilfe. Aus dem "Beilageblatt zum Selbstantrag eines Kindes § 6 FLAG" geht hervor, dass der Bw in der Wohngemeinschaft des Österreichischen Hilfswerks für Taubblinde und hochgradig Hör- und Sehbehinderte (ÖHTB), X wohnt, einen Haushaltsbeitrag von 204,50 € pro Monat an das ÖHTB entrichtet und der Rest durch den Fonds Soziales Wien in Höhe von 112,94 € finanziert wird.

Mit Abweisungsbescheid vom wurde der Antrag auf Familienbeihilfe im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass der Bw selbst nicht zu seinem Unterhalt beitrage und deshalb keinen Anspruch auf Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für sich selbst habe.

Mit Schreiben vom erhob der Sachwalter des Bw Berufung gegen den Abweisungsbescheid vom und wies daraufhin, dass er als Sachwalter des Bw den Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe gestellt habe. Der Bw lebe seit in der Wohngemeinschaft des ÖHTB in X. Davor habe der Bw bei seinem Vater, Herrn WI, gewohnt. Dieser zahle keine Unterhaltskosten an seinen Sohn, beziehe aber die erhöhte Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag für seinen Sohn. Die Finanzierung der Unterbringungskosten beim ÖHTB erfolge durch den Fonds Soziales Wien (FSW). Der Bw erhalte vom FSW ein sogenanntes Ergänzungsgeld in Höhe von 112,94 € monatlich; dies sei auch sein einziges Einkommen. Dem Bw werde vom ÖHTB ein monatlicher Haushaltsbeitrag (für Zusatzleistungen, wie private Zimmereinrichtungen, Kleidung, Wäsche etc) von 205,50 € in Rechnung gestellt, da die Kostentragung des FSW nur für die reine Unterbringung und Betreuung erfolge. Der Bw besuche laufend eine Beschäftigungstherapie von Jugend am Werk, wo er tagsüber versorgt werde.

Mit Schreiben vom teilte der Sachwalter mit, dass der Bw seit Pflegegeld beziehe und übermittelte in diesem Zusammenhang den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien (Magistratsabteilung 12 - Sozialamt) vom , demzufolge dem Bw ab Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 von monatlich 2.675 S gewährt wird und die folgende Verständigung über die Leistungshöhe zum der Pensionsversicherungsanstalt - Landesstelle Wien:


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Pflegegeld
382,90 €
abzüglich Pflegegeldruhen
32,30 €
abzüglich Verpflegungskostenanteil (davon Pflegegeldanteil: 306,30 €)
306,30 €
Auszahlungsbetrag insgesamt
44,30 €

Der Sachwalter wies auch daraufhin, dass der Vater des Bw seit den monatlichen Haushaltsbeitrag an das ÖHTB von 204,50 € nicht mehr bezahlt habe und übermittelte zum Beweis, ein Mahnschreiben des ÖHTB vom aus dem hervorgeht, dass die noch nicht entrichteten Haushaltsbeiträge aus Vormonaten bereits eine Höhe von 2.881 € erreicht hätten.

Die Berufung wurde - ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung - der Abgabenbehörde zweiter Instanz vorgelegt.

Über die Berufung wurde erwogen:

Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zu Grunde gelegt:

Der Bw bezieht seit Pflegegeld. Vom Pflegegeld in Höhe von 382,90 € (Stand: ) wird ein Verpflegungskostenanteil von 306,30 € für die Finanzierung der Unterbringung des Bw in der Wohngemeinschaft des Österreichischen Hilfswerks für Taubblinde und hochgradig Hör- und Sehbehinderte (ÖHTB) einbehalten. Der Vater des Bw - Herr WI - bezog bis einschließlich Jänner 2012 erhöhte Familienbeihilfe für seinen Sohn A. Seit bezahlte der Vater des Bw keinen Haushaltsbeitrag für die Unterbringung seines Sohnes in der Wohngemeinschaft des ÖHTB.

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Bescheid des Magistrats der Stadt Wien (Magistratsabteilung 12 - Sozialamt) vom , der Verständigung über die Leistungshöhe zum der Pensionsversicherungsanstalt - Landesstelle Wien, einer Abfrage des Beihilfenverfahrens, einem Mahnschreiben des ÖHTB vom , einem Schreiben des Sachwalters des Bw vom und den Unterlagen des Finanzamtes.

Der festgestellte Sachverhalt ist in folgender Weise rechtlich zu würdigen:

Gemäß § 140 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen.

Gemäß § 6 Abs 5 FLAG 1967 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat.

§ 6 Abs 5 bezweckt die Gleichstellung von Kindern, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten, mit Vollwaisen, für die niemand unterhaltspflichtig ist und die deshalb einen eigenen Anspruch auf Familienbeihilfe haben. Der Gesetzgeber will mit dieser Bestimmung in jenen Fällen Härten vermeiden, in denen Kinder sich weitgehend selbst erhalten müssen ().

Nach Ansicht des Gesetzgebers soll in Fällen, in denen der Unterhalt der behinderten Person durch die Unterbringung in Anstaltspflege oder einem Heim durch die öffentliche Hand sichergestellt ist, kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehen. Es kommt dabei nicht auf die Art der Unterbringung (Bezeichnung als Anstalt oder Heim), sondern ausschließlich auf die Kostentragung durch die öffentliche Hand zur Gänze an (vgl zB ). Trägt also die behinderte Person durch eigene Mittel, wie zB durch Pflegegeld nach dem BundespflegegeldG (BPGG) zu den Unterbringungskosten bei, trifft es nicht zu, dass sie sich zur Gänze auf Kosten der öffentlichen Hand in Anstaltspflege befunden hat (vgl ; Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8, Rz 27).

Im Hinblick darauf, dass der Bw mit einem Teil seines Pflegegeldes - nämlich mit 306,30 € von 382,90 € - einen sogenannten "Verpflegungskostenanteil" leistet und somit durch eigene Mittel zu den Kosten seiner Unterbringung in der Wohngemeinschaft des Österreichischen Hilfswerks für Taubblinde und hochgradig Hör- und Sehbehinderte (ÖHTB) beiträgt und sein Vater keinen Beitrag zu seinem Unterhalt leistet, ist dem Bw antragsgemäß Familienbeihilfe ab Februar 2012 zu gewähren.

§ 13 FLAG 1967 zweiter Satz lautet: Insoweit einem Antrag nicht oder nicht vollinhaltlich stattzugeben ist, ist ein Bescheid zu erlassen.

Da der Berufung gegen den Abweisungsbescheid vom Folge zu geben ist, wird der angefochtene Bescheid iSd § 13 FLAG 1967 zweiter Satz ersatzlos aufgehoben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
Schlagworte
Familienbeihilfe
Unterhalt
Unterbringung
Anstalt
Heim
Kostentragung
eigene Mittel
Verweise

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at