Berufungsentscheidung - Zoll (Referent), UFSZ3K vom 04.01.2012, ZRV/0197-Z3K/10

Abweisung eines nach einem Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung gestellten Erstattungsantrages nach Art 239 ZK

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Stammrechtssätze
ZRV/0197-Z3K/10-RS1
Damit sich ein Beteiligter in der Lage befindet, die gegenüber derjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist und in der Folge als besonderer Umstand iSd Art 239 ZK angesehen werden kann, muss zum üblichen Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung zumindest ein zusätzlicher Faktor hinzukommen, auf den der Betroffene keinen Einfluss hatte, wie etwa das Fehlverhalten einer nationalen Zollbehörde oder der Kommission.

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Beschwerde der A-GmbH, Anschrift, vertreten durch Prof. Dr. Walter Strigl, Dr. Gerhard Horak, Mag. Andreas Stolz, Rechtsanwälte-Partnerschaft, 1010 Wien, Tuchlauben 8, vom gegen die Berufungsvorentscheidung des Zollamtes X vom , Zl. 000000/00000/15/2008, betreffend Abweisung eines Antrages auf Erlass der Einfuhrzollschuld nach Art 239 Zollkodex (ZK) entschieden:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Entscheidungsgründe

Mit Bescheid vom schrieb das Zollamt X der Beschwerdeführerin (Bf), der A-GmbH, einen Gesamtbetrag an Zoll, Einfuhrumsatzsteuer und Abgabenerhöhung in Höhe von 15.542,25 EUR zur Entrichtung vor. Die Behörde führte dazu begründend aus, durch die Nichtgestellung des Versandscheins T1, MRN: Y des Zollamtes Z vom , sei für die im Bescheid näher genannten einfuhrabgabepflichtigen Waren die Einfuhrzollschuld nach Art 203 Zollkodex (ZK) durch Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung entstanden.

Die Bf legte dagegen kein Rechtsmittel ein, sondern stellte mit Schreiben vom durch ihren Rechtsvertreter einen Antrag auf Erlass der vorgeschriebenen Einfuhrzollschuld. Darin wird zunächst einmal betont, die A-GmbH sei in der verfahrensgegenständlichen Angelegenheit als Subfrächter der B & Co AG tätig gewesen. Die Bf habe am bei der Firma C den Container Nr CCLU 000000-1 übernommen; dem Fahrer seien gleichzeitig die aus einem CMR-Frachtbrief, Lieferscheinen und einem T1-Formular bestehenden Frachtpapiere übergeben worden. Der Fahrer habe dann den Container bei der D-GmbH (D) abgeliefert. Wie üblich habe er sodann den Laufzettel ausgefüllt, die darin enthaltenen Daten in die EDV eingegeben und sich am Terminalschalter gemeldet. Dort wären die Daten durch den zuständigen Terminalmitarbeiter kontrolliert worden, der auch sämtliche Frachtpapiere übernommen habe.
Der D sei die Zollguteigenschaft des Containerinhalts bekannt gewesen. Die Stellung der im T1-Formblatt genannten Waren würde immer durch Mitarbeiter der D vorgenommen, da diese auch die Bahnfrachtbriefe erstellen und die Container zur Weiterbeförderung übernehmen. Für die Bf sei es unerklärlich, warum die Mitarbeiter der D den gegenständlichen Versandschein der Bestimmungszollstelle nicht übergeben hätten. Im Hinblick darauf, dass die Gestellung der in Rede stehenden Sendung bei der Bestimmungszollstelle aus Gründen unterblieben sei, die nicht in den Einflussbereich der A-GmbH stünden, jedenfalls aber höchstens auf offensichtliche Fahrlässigkeit zurückzuführen seien, beantragt die Bf unter anderem den Erlass der vorgeschriebenen Einfuhrzollschuld nach Art 239 ZK.

Nach einem umfangreichen Ermittlungsverfahren wies das Zollamt X den Antrag mit Bescheid vom ab. Die belangte Behörde ging in freier Beweiswürdigung davon aus, dass die Bf den Container mit der in Rede stehenden Ware am der D übergeben hatte, ohne die Zollguteigenschaft zu deklarieren und die entsprechenden Dokumente zu übergeben. Nach Darlegung der gesetzlichen Grundlagen meinte die Behörde einerseits, es würden verfahrensgegenständlich keine besonderen Umstände im Sinne des Art 239 ZK vorliegen, und andererseits habe der Fahrer der Bf offensichtlich fahrlässig gehandelt.

Gegen diese Entscheidung brachte die anwaltlich vertretene Bf mit Schreiben vom form- und fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung ein. Sie wertet darin die Aussage der D, der Fahrer der Bf habe die Frachtbriefe und den Versandschein T1 dort nicht vorgelegt, als bloße Schutzbehauptung; das Gegenteil wäre der Fall. Hätte der Fahrer aber tatsächlich vergessen, die Dokumente der D auszuhändigen, würde ein einmaliger geringfügiger Fehler vorliegen, der den Verschuldensgrad der offensichtlichen Fahrlässigkeit wohl kaum verwirklichen könne. Abschließend wird beantragt, den angefochtenen Bescheid antragsgemäß abzuändern, in eventu ihn aufzuheben.

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Sie wurde mit Bescheid vom als unbegründet abgewiesen, worauf die Bf, wiederum anwaltlich vertreten, mit einem am der Post übergebenen Schriftstück (in dem wohl irrtümlich als Datum der angeführt ist) beim Zollamt X form- und fristgerecht eine Beschwerde einbrachte. Mit einer nicht nachvollziehbaren Begründung, so die Bf, folge die erstinstanzliche Behörde den Angaben der D. Hätte aber die D vom Fahrer keine Begleitdokumente ausgehändigt erhalten, hätte sie gar nicht wissen können, wer der bestimmungsgemäße Empfänger in den USA sei. Der Fahrer habe es zwar verabsäumt, auf dem Laufzettel einen Hinweis auf die Zollguteigenschaft der gegenständlichen Containersendung anzubringen, hingegen habe er jedoch die Frachtbriefe plus einen Versandschein T1 dem damaligen Mitarbeiter der D übergeben.
Abschließend wird in der Beschwerdeschrift erneut die Meinung vertreten, dass keine offensichtliche Fahrlässigkeit vorliege und es sich entgegen der Ansicht der belangten Behörde sehr wohl um einen besonderen Fall handle. Daher werde beantragt, der Berufung der A-GmbH Folge zu geben und den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben.

Noch im April 2010 legte das Zollamt X die Beschwerde mitsamt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Unabhängigen Finanzsenat (UFS) zur Entscheidung vor.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Im verfahrensgegenständlichen Fall hat die Bf als Subfrächterin und Warenführerin mit dem Versandschein T1, MRN: Y des Zollamtes Z vom , Nichtgemeinschaftswaren, und zwar acht Packstücke Aluminiumbleche der Warennummer 7606 12 9990 mit einer Rohmasse von 13.566 kg, von der C zur D-GmbH transportiert. Da der Versandschein bei der Bestimmungszollstelle offensichtlich nicht erledigt wurde, leitete das Zollamt X ein entsprechendes Suchverfahren ein. Daraufhin teilte der Versender und Hauptverpflichtete der anfragenden Behörde mit, dass der Versandschein dem LKW-Fahrer ordnungsgemäß übergeben worden sei. Die übermittelten Frachtbriefe (Blätter 43 und 44 des Verwaltungsaktes) tragen jeweils den Stempelabdruck "Achtung Zollgut" sowie den handschriftlichen Vermerk "T1 Gestellung Zollamt X".
Mit E-Mail vom bestätigte die Bf dem Zollamt X, dass im Rahmen einer Verladung bei der C dem Fahrer üblicherweise ein Versandschein T1 ausgehändigt wird, der in weiterer Folge bei der D-GmbH abzugeben ist. Abschließend stellte die Bf die Vermutung an, der Versandschein könnte bei der D abhandengekommen sein. Im Gegensatz dazu behauptete ein leitender Angestellter der D gegenüber der belangten Behörde, der in Rede stehende Versandschein wäre der D nicht übergeben worden. Eine von der Bf daraufhin dem Zollamt X per Telefax übermittelte elektronische Übernahmebestätigung für den Container (Blatt 58 des VA) weist den Vermerk "Customs: no" auf.
Im Berufungsverfahren richtete die belangte Behörde ein offizielles Mitwirkungsersuchen an die D mit detaillierten Fragen zu dem in Rede stehenden Versandschein, das von dieser auch prompt beantwortet wurde. Im Schreiben vom schildert die D den Verfahrensablauf bei der Anlieferung eines Containers und weist im Besonderen darauf hin, dass die Fahrer dabei einen so genannten Laufzettel zur Eintragung aller relevanten Daten, unter anderem mit Angaben zur Zollguteigenschaft und zu einem allfälligen Begleitpapier, auszufüllen haben. Im konkreten Fall habe der Fahrer der Bf keinen diesbezüglichen Vermerk angebracht. Der den Container mit der Nummer CCLU 000000-1 betreffende Laufzettel ist dem Schreiben in Kopie beigefügt.
Der Fahrer des verfahrensgegenständlichen Transportes meinte anlässlich einer schriftlichen Zeugenaussage (Blatt 135 des VA), er habe beim Ausfüllen des Laufzettels tatsächlich keinen Hinweis auf die Zollguteigenschaft der Sendung gegeben und [keine] Begleitpapiere vermerkt. Er bewertet dies als Versehen seinerseits und behauptet, die Begleitpapiere mitgenommen und vorgelegt zu haben. Als Beweis dafür führt er an, dass er im Laufzettel dasselbe Gewicht, nämlich 10.077 kg, vermerkt habe, das im Frachtbrief mit der Nummer 0000000 angeführt ist.

Somit ist im verfahrensgegenständlichen Fall hinsichtlich des Sachverhaltes strittig, wer die Nichterledigung des Versandscheins T1, MRN: Y des Zollamtes Z vom , zu verantworten hat - die D-GmbH oder die A-GmbH. Da diesbezüglich Aussage gegen Aussage steht, hat der UFS diese Frage im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu beantworten. Dabei hat die Abgabenbehörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs 2 BAO). Nach ständiger Rechtsprechung genügt es, von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewissheit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt (Ritz, BAO4, § 167 Tz 8, mit entsprechenden Judikaturhinweisen).

Die Aussagen der beteiligten Personen können die Fragestellung nicht hinreichend beantworten. Dabei ist zu bedenken, dass sich der Vorfall am ereignete. Die A-GmbH wurde laut Aktenlage erstmals am diesbezüglich befasst, die D-GmbH am . Da es sich für beide Beteiligte bei der Anlieferung bzw Übernahme von Containersendungen um oftmalige Routinevorgänge handelt, darf bezweifelt werden, ob sie sich nach mehreren Wochen wirklich noch genau an den konkreten Vorgang erinnern konnten. Auch der vom Fahrer genannte Beweis, die Übereinstimmung des im Laufzettel eingetragenen Gewichts mit einem der beiden Frachtbriefe, ist nicht schlüssig, weil dies lediglich ein Hinweis darauf ist, dass er beim Ausfüllen des Laufzettels im Besitz des konkreten Frachtbriefes war. Ein Hinweis darauf, dass er ein anderes Dokument, nämlich den in Rede stehenden Versandschein, einem Mitarbeiter der D zur Vorlage an die Zollbehörde übergeben hat, ergibt sich daraus nicht. Der Vermutung der Bf, die D hätte ohne Vorlage der Unterlagen die weiteren Schritte (Erstellung des Eisenbahnfrachtbriefes, Versendung in das Drittland) nicht setzen können, entgegnete diese, sie habe vor der Warenanlieferung bereits die erforderlichen Daten von der Versenderin der Waren erhalten.

Faktum ist, dass der die verfahrensgegenständliche Container-Sendung betreffende Laufzettel - der vom Fahrer der Bf bei der Anlieferung am ausgefüllt wurde - weder Angaben zur Zollguteigenschaft noch zu einem allfälligen Begleitpapier enthält. Und in der elektronischen Übernahmebestätigung der D für den betreffenden Container (Blatt 58 des VA) scheint unter "Customs:" der Vermerk "no" auf. Überdies ist in diesem Schriftstück zu lesen, dass die Daten auf Grund der vom Fahrer vorgelegten Transportpapiere bzw Angaben des Fahrers erstellt werden. Der Vermerk "Customs: no" in der Übernahmebestätigung ist in Verbindung mit den fehlenden Angaben im Laufzettel ein starkes Indiz dafür, dass der Fahrer der A-GmbH den Versandschein dem Mitarbeiter der D nicht übergeben hat. Die andere Möglichkeit, dass der Fahrer der Bf vergessen hat, im Laufzettel Angaben zum Versandschein T1 zu tätigen, diesen in der Folge einem Mitarbeiter der D ausgehändigt hat und dieser wiederum - trotz des Vorliegens eines Versandscheins T1 - irrtümlich die Zollguteigenschaft nicht erkannt hätte, erscheint unwahrscheinlich, zumal selbst die Bf die Kompetenz und Verlässlichkeit der Mitarbeiter der D-GmbH in ihrem Antrag vom lobend erwähnt. Aus den genannten Gründen hat für den UFS im Rahmen der freien Beweiswürdigung die Möglichkeit, dass der Fahrer der Bf die streitgegenständlichen Waren durch Nichtvorlage des Versandscheins T1, MRN: Y des Zollamtes Z vom , der zollamtlichen Überwachung entzogen hat, gegenüber der Möglichkeit, dass dieser Tatbestand durch Mitarbeiter der D erfüllt worden ist, eine überragende Wahrscheinlichkeit. Die Abgabenvorschreibung an die A-GmbH als Warenführerin erfolgte im Sinne des Art 203 Abs 3 erster Anstrich ZK in Verbindung mit Art 96 Abs 2 leg cit somit zu Recht.

Nach Artikel 239 ZK können Einfuhrabgaben in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen erstattet oder erlassen werden; diese Fälle werden entweder nach dem Ausschussverfahren festgelegt oder ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind.

Die für den vorliegenden Antrag auf Erstattung vorgebrachten Gründe erfüllen keinen der in den Artikeln 900 bis 903 ZK-DVO beschriebenen Tatbestände; eine Erstattung aufgrund eines so genannten Katalogfalles scheidet daher aus. Die nationalen Verwaltungen werden jedoch gemäß Artikel 899 Absatz 2 ZK-DVO ermächtigt, über alle in den Artikeln 236 bis 238 ZK und Artikel 900 ZK-DVO genannten Fälle hinaus in besonderen Einzelfällen eine Erstattung zu gewähren, wenn Umstände vorliegen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind (Huchatz in Witte, Zollkodex5 Rz 1 zu Artikel 239). Bei dem Terminus "besondere Fälle" in Artikel 899 Absatz 2 erster Satz ZK-DVO handelt es sich um einen unbestimmten Gesetzesbegriff. Für gemeinschaftsrechtlich geschuldete Abgabenbeträge ergibt sich dessen Auslegung aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) sowie aus der Entscheidungspraxis der Kommission zu Artikel 239 ZK. Für die Erstattung oder den Erlass von sonstigen Eingangs- und Ausgangsabgaben hingegen, worunter die Einfuhrumsatzsteuer fällt und gemäß § 98 Absatz 3 ZollR-DG hinsichtlich des Verfahrens auch die Abgabenerhöhung zu subsumieren ist, hat Österreich diesen Gesetzesbegriff in § 83 ZollR-DG legal definiert (vgl Erläuternde Bemerkungen zu Regierungsvorlage Nr. 916, XX. GP). Demnach liegt ein besonderer Fall dann vor, wenn sich die Abgabenbelastung als unbillig nach Lage der Sache erweist oder wenn die Existenz des Abgabenschuldners durch die Abgabenbelastung ernsthaft gefährdet ist. Eine Existenzgefährdung wurde im gesamten Verfahren nicht geltend gemacht, daher erübrigt sich eine diesbezügliche Prüfung. Das Vorbringen der Bf zielt insgesamt betrachtet auf das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit ab.

Der Gerichtshof der Europäischen Union verlangt bezüglich des Vorliegens besonderer Umstände im Sinne des Art 239 ZK grundsätzlich, dass sich der betroffene Wirtschaftsteilnehmer im Vergleich zu anderen, die gleiche Tätigkeit ausübenden Wirtschaftsteilnehmern in einer außergewöhnlichen Situation befindet (Huchatz in Witte, Zollkodex5 Rz 30 zu Artikel 239). Nach einem Urteil des EuGH ist das Vorliegen besonderer Umstände zu bejahen, wenn die Entziehung der Waren aus der zollamtlichen Überwachung auf das Verhalten eines als verdeckter Ermittler tätig gewordenen Zollfahndungsbeamten zurückzuführen ist und dieser somit die Zuwiderhandlung gegen das gemeinschaftliche Zollverfahren selbst provoziert hat (Hampel, "Die Billigkeitsregelung des Art 239 Abs 1 2. Anstrich ZK unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung", ZfZ 6/2006, 188). Damit sich also ein Beteiligter in einer Lage befindet, die gegenüber derjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist und in der Folge als besonderer Umstand angesehen werden kann, muss zum üblichen Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung zumindest ein zusätzlicher Faktor hinzukommen, auf den der Betroffene keinen Einfluss hatte, wie etwa das Fehlverhalten einer nationalen Zollbehörde oder der Kommission. Ein solcher liegt im Streitfall aber nicht vor.

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist eine sachliche Unbilligkeit anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit anderen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (). Die Auswirkungen genereller Normen oder auch die Folgen des allgemeinen Unternehmerwagnisses stellen keine sachliche Unbilligkeit dar (vgl. Ritz, BAO4, § 236 Tz 13, mwN).

Eine sachliche Unbilligkeit durch die Abgabenbelastung liegt nach Ansicht des UFS im verfahrensgegenständlichen Fall nicht vor, weil die Entrichtung der vorgeschriebenen Abgaben eine Auswirkung der geltenden Rechtslage ist; vielmehr tritt genau das vom Gesetzgeber beabsichtigte Ergebnis ein. Es entsteht dadurch auch keine anormale Belastungswirkung, weil sowohl der Zollbetrag als auch die Einfuhrumsatzsteuer und die Abgabenerhöhung in der gesetzlich vorgeschriebenen Höhe berechnet und buchmäßig erfasst wurden. Auch handelt es sich nicht um einen atypischen Vermögenseingriff, weil ein derartiger Vermögenseingriff, verglichen mit anderen Fällen, alle Normunterworfenen mit den gleichen Auswirkungen trifft.
Ein Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen ist unter den gegebenen Umständen nicht erkennbar. Tatsächlich ist für die finanzielle Belastung der Bf nicht die gesetzeskonforme Abgabeneinhebung ursächlich, sondern das Fehlverhalten ihres Fahrers. Dieser Sachverhalt ist dem Bereich des allgemeinen Unternehmerwagnisses zuzuordnen, das, wie oben bereits erwähnt, keine Unbilligkeit darstellt.

Da es der Bf. nicht gelungen ist, das Vorliegen eines besonderen Falles im Sinne der Bestimmung des Artikels 239 ZK iVm Artikel 899 Absatz 2 ZK-DVO und § 83 ZollR-DG darzulegen, war die Beschwerde als unbegründet anzuweisen.

Die Beschwerde wäre aber auch bei Vorliegen eines besonderen Falles abzuweisen gewesen, weil im Hinblick auf den verfahrensgegenständlichen Sachverhalt und die Rechtsprechung des EuGH eine offensichtliche Fahrlässigkeit zweifelsfrei erkennbar ist. Der EuGH befasste sich im Urteil vom zur Rechtssache C-48/98 mit dem Begriff der offensichtlichen Fahrlässigkeit im Sinne des Artikels 239 ZK und legte Kriterien für deren Prüfung fest. Demnach muss bei der Beantwortung der Frage, ob offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet, sowie die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers berücksichtigt werden (EuGH-Urteil, Rz 56). Hinsichtlich der Erfahrung des Wirtschaftsteilnehmers ist zu untersuchen, ob er im Wesentlichen im Einfuhr- und Ausfuhrgeschäft tätig ist und ob er bereits über eine gewisse Erfahrung mit der Durchführung dieser Geschäfte verfügt (Rz 57). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () erfolgt die Abgrenzung zwischen einem Fehler, der "nicht hätte passieren dürfen" und einem Fehler, der "passieren kann" (Arbeitsfehler).

Bei der A-GmbH handelt es sich um einen erfahrenen Wirtschaftsteilnehmer, der im Wesentlichen im Güterbeförderungsgeschäft, auch international für verschiedene Speditionen (lt www.firmenabc.at), tätig ist. Die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Abgabenschuld begründet, ist nicht gegeben. Im Gegenteil, beim Versandverfahren bzw der ordnungsgemäßen Gestellung von Versandwaren handelt es sich um eine relativ einfache Materie, deren richtige Anwendung ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen wäre. Insgesamt betrachtet ist die nicht ordnungsgemäße Stellung der mit dem Versandschein T1, MRN: Y des Zollamtes Z vom , transportierten Ware als Arbeitsfehler zu qualifizieren, der nicht hätte passieren dürfen. Die Fahrlässigkeit des Fahrers der Bf ist damit offensichtlich.

Da verfahrensgegenständlich kein besonderer Fall im Sinne des Art 239 ZK vorliegt und der Fahrer der Warenführerin offensichtlich fahrlässig gehandelt hat, war spruchgemäß zu entscheiden.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Zoll
betroffene Normen
§ 167 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 98 Abs. 3 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994
§ 83 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994
Art. 239 ZK, VO 2913/92, ABl. Nr. L 302 vom S. 1
Art. 899 Abs. 2 ZK-DVO, VO 2454/93, ABl. Nr. L 253 vom S. 1
Verweise
ZK, Zollkodex Art. 239
ZK, Zollkodex Art. 203
ZK, Zollkodex Art. 203 Abs. 3 erster Anstrich
ZK-DVO, Zollkodex-Durchführungsverordnung Art. 899 Abs. 2
ZK-DVO, Zollkodex-Durchführungsverordnung Art. 900
ZK-DVO, Zollkodex-Durchführungsverordnung Art. 899 Abs. 2 erster Satz

Zitiert/besprochen in
UFS Newsletter 2012/01
Summersberger in SWI 2014, 278

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at