(vollinhaltliche) Stattgabe und Aufhebung mit zweiter BVE und danach neuerliche Erlassung von Festsetzungsbescheiden zum selben Gegenstand
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/0309-G/08-RS1 | Die neuerliche Erlassung von Festsetzungsbescheiden nach der (vollinhaltlichen) Stattgabe und Aufhebung der Festsetzungsbescheide mit zweiter BVE zum selben Gegenstand verstößt gegen den Grundsatz "ne bis in idem", wonach eine Abgabenbehörde in ein und derselben Sache nicht zweimal entscheiden darf. |
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufungen der Bw, vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Lilienfeld St. Pölten vom betreffend Festsetzung von Selbstbemessungsabgaben gemäß § 201 BAO hinsichtlich Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfe und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für den Zeitraum 2002 bis 2006 entschieden:
Den Berufungen wird Folge gegeben.
Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Über das Vermögen der Berufungswerberin, einer Veranstaltungsagentur, wurde am der Konkurs eröffnet. In der daraufhin durchgeführten Lohnsteuerprüfung wurde festgestellt, dass es sich bei den Aufwendungen für freie Dienstnehmer um Personalaufwand für Arbeitnehmer gemäß § 47 EStG 1988 handeln würde. Begründend wurde ausgeführt, dass im freien Dienstvertrag ein Konkurrenzverbot angeführt sei, dass eine Vertretungsbefugnis zwar im freien Dienstvertrag niedergeschrieben, aber nicht gestattet sei und dass die Erhöhung des festgelegten Entgeltes um 50 % für geleistete Sonntagsstunden für ein Dienstverhältnis sprechen würde.
Das Finanzamt folgte diesen Feststellungen und setzte daraufhin den Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfe und den Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag samt Säumniszuschlägen für die Jahre 2002, 2003, 2004, 2005 und 2006 mit Bescheiden vom fest. Begründend wird ausgeführt, dass die Festsetzung aufgrund der Feststellungen der durchgeführten Lohnsteuerprüfung erfolgt sei.
In den gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen vom wurde bezüglich der Feststellungen des Prüfers die Sichtweise der Berufungswerberin dargelegt und zusammenfassend beantragt, auf Grund der Darstellung des tatsächlichen Sachverhaltes die ergangenen Bescheide aufzuheben und die vorgeschriebenen Lohnabgaben zu stornieren.
Mit der daraufhin erlassenen ersten Berufungsvorentscheidung vom wird das Berufungsbegehren der Berufungswerberin abgewiesen. Begründend wird zusammenfassend darauf hingewiesen, dass das Gesamtbild der zu beurteilenden Beschäftigung mit der persönlichen Arbeitspflicht, der Bindung an die Arbeitszeit und den Arbeitsort, die Weisungsgebundenheit und die Kontrollbefugnisse, die wirtschaftliche Abhängigkeit und vor allem die Integration in die betriebliche Organisation der Berufungswerberin steuerrechtlich zu Dienstverhältnissen zwischen der Berufungswerberin und der von ihr beschäftigten Bediensteten führen würde.
Mit Schriftsatz vom wurde dagegen der Antrag auf Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde 2. Instanz und Aussetzung gestellt. Es wurde nochmals die Aufhebung der ergangenen Bescheide und Stornierung der vorgeschriebenen Abgaben beantragt. Bei positiver Erledigung werde die Zustimmung zum Abschluss des Verfahrens mittels zweiter Berufungsvorentscheidung erteilt. Begründend wird unter anderem ausgeführt, dass die Finanzverwaltung nur auf einen Teil der Ausführungen in der Berufung eingegangen wäre und die anderen Angaben, soweit sie nicht im Sinne der Finanzverwaltung gewesen wären, einfach ignoriert habe. Wiederholt wurde der Sachverhalt aus der Sicht der Berufungswerberin dargestellt.
Am erließ das Finanzamt eine 2. Berufungsvorentscheidung und führte im Spruch aus, dass über die Berufung auf Grund des § 276 BAO entschieden werde. Der Berufung werde stattgegeben. Der Bescheid werde aufgehoben. Begründend wird darin ausgeführt, dass der Berufung deshalb stattgegeben werde, da sich die oben angeführten Bescheide in formeller Hinsicht als mangelhaft erweisen würden.
Am setzte das Finanzamt erneut den Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfe und den Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag samt Säumniszuschlagen für die Jahre 2002, 2003, 2004, 2005 und 2006 bescheidmäßig fest. Die Begründung möge bitte dem beiliegenden Bericht vom entnommen werden.
Dagegen wurden wiederum fristgerecht Berufungen erhoben.
Das Finanzamt legte die Berufungen ohne Erlassung von Berufungsvorentscheidung dem UFS zur Entscheidung vor.
Über die Berufung wurde erwogen:
Das Finanzamt hat in der oben zitierten zweiten Berufungsvorentscheidung ausgesprochen: "Der Berufung wird stattgegeben. Der Bescheid wird aufgehoben." Wie aus der Bescheidbezeichnung ersichtlich, waren damit alle im Zuge der Lohnsteuerprüfung ergangenen Bescheide vom betreffend Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfe, Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag und Säumniszuschläge für die Jahre 2002 bis 2006 gemeint.
Gemäß § 276 Abs 5 BAO darf eine zweite Berufungsvorentscheidung - außer wenn sie dem Berufungsbegehren vollinhaltlich Rechnung trägt - nur erlassen werden, wenn alle Parteien, die einen Vorlageantrag gestellt haben, zustimmen und die Antragsfrist für alle Antragsberechtigten abgelaufen ist. Die Zustimmung ist schriftlich oder zur Niederschrift (§ 87) zu erklären.
Nachdem das Finanzamt eindeutig eine zweite stattgebende Berufungsvorentscheidung erlassen hat, ist anzunehmen, dass es entsprechend dem oben zitierten § 276 Abs. 5 BAO dem Berufungsbegehren vollinhaltlich Rechnung tragen wollte. Eine Zustimmung der Berufungswerberin zu einer anderen, als einer vollinhaltlichen Stattgabe, kann dem Berufungsbegehren nicht entnommen werden. Wenngleich das Berufungsbegehren auch darauf gerichtet war, die angefochtenen Bescheide des Erstverfahrens aufzuheben und das Finanzamt diesem Aufhebungswunsch der Berufungswerberin mit Erlassung der zweiten Berufungsvorentscheidung nachgekommen ist, kann darin keine vollinhaltliche Rechnungstragung des Berufungsbegehrens erblickt werden, wenn das Finanzamt ca. 2 Monate später die gleichen Abgaben für die gleichen Jahre wiederum festgesetzt und nachfordert, wenngleich das Berufungsbegehren daraufhin gerichtet war, die Beschäftigten der Berufungswerberin als freie Dienstnehmer und nicht als echte nichtselbständige Arbeitnehmer gemäß § 47 EStG 1988 anzuerkennen.
Die Literatur vertritt in diesem Zusammenhang die Ansicht (vgl. Ellinger-Iro-Kramer-Sutter-Urtz, BAO, § 276 Anm 8), dass die Aufhebung eines angefochtenen Bescheides durch Berufungsvorentscheidung, weil immer in der Sache selbst (meritorisch) zu entscheiden ist, nur dann in Betracht kommt, wenn sie ersatzlos zu erfolgen hat, wenn also zB in der betreffenden Angelegenheit kein Bescheid zu ergehen gehabt hätte. Das ergibt sich vor allem aus dem von Ritz, Kommentar zur BAO, § 276 Tz 9, wiedergegebenen Normzweck des § 276 Abs 1 BAO, nämlich die Verwaltungsvereinfachung und die Entlastung der Berufungsinstanz (vgl zB Gassner, ÖStZ 1985, 2). Eine Berufungsvorentscheidung wird demnach grundsätzlich nur dann zu erlassen sein, wenn damit zu rechnen ist, dass hiedurch das Berufungsverfahren beendet ist (vgl zB BMF, AÖF 1990/178, Abschn 3), somit insbesondere bei voller Stattgabe der Berufung. Für zweite Berufungsvorentscheidungen gelten alle im § 276 für Berufungsvorentscheidungen getroffenen Regelungen (Ellinger-Iro-Kramer-Sutter-Urtz, BAO, § 276 Anm 30; Stoll, BAO, 2725).
Auch die Verwaltungsübung geht davon aus, dass die Entscheidungsbefugnis bei Berufungsvorentscheidungen neben der Abweisung der Berufung und der Abänderung des angefochtenen Bescheides, die (ersatzlose) Aufhebung des angefochtenen Bescheides umfasst (vgl. Erlass des BMF, GZ BMF-010103/0081-VI/2006). Demnach hat eine Aufhebung dann zu erfolgen, wenn kein Bescheid zu erlassen gewesen wäre (vgl. -0475), - 0121).
Mit der Erlassung der gegenständlich angefochtenen Bescheide hat das Finanzamt in weiterer Folge in unzulässiger Weise in den Bestand von rechtskräftigen Bescheiden eingegriffen, ohne dass vorher ein geeigneter Akt zur Durchbrechung der Rechtskraft gesetzt worden wäre.
Das Gebot, "in der Sache selbst zu entscheiden" setzt voraus, dass die Sache, also die, die den Inhalt des Spruches erster Instanz gebildet hat (Ritz, BAO, 3. Auflage, § 289, Tz 38), mit der Sache identisch ist, die in die Sachentscheidung der Berufungsbehörde einbezogen wird (vgl. ). Dass die durch das Finanzamt mit zweiter Berufungsvorentscheidung aufgehobenen Bescheide des Erstverfahrens identisch mit den danach erlassenen Bescheiden sind, ergibt sich daraus, dass Gegenstand in beiden Bescheidausfertigungen der Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfe, der Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag und die Säumniszuschläge zu diesen Beträgen über die Jahre 2002 bis 2006 waren. Der Umstand, dass im Erstverfahren in den festgesetzten Bescheiden die Bemessungsgrundlage nicht angeführt wurde, hat keinen Einfluss darauf, dass der Gegenstand in beiden Bescheidausfertigungen ident war. Damit hat das Finanzamt "in ein und derselben Sache" zweimal entschieden, was gegen den Grundsatz "ne bis in idem" verstößt, wonach eine Abgabenbehörde in ein und derselben Sache nicht zweimal entscheiden darf (Unwiederholbarkeit, Einmaligkeitswirkung). Dieser in der Bundesabgabenordnung nicht ausdrücklich verankerte Grundsatz gehört zu den grundlegenden Pfeilern der Verfahrensordnung (siehe , ) und ist mit dem Begriff "Rechtskraftwirkung von Bescheiden" untrennbar verbunden.
Das Finanzamt hat aus den oben dargelegten Gründen die gegenständlich angefochtenen Bescheide in rechtswidriger Weise erlassen, weswegen spruchgemäß zu entscheiden war.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 276 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | zweite Berufungsvorentscheidung vollinhaltliche Rechnungstragung Stattgabe Sache Gegenstand ne bis in idem |
Verweise | |
Zitiert/besprochen in | UFS Newsletter 2010/03 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at