Vorliegen eines haftungsbegründenden Sachverhaltes
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RV/2473-W/08-RS1 | Wurde bei einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung die geltend gemachte Vorsteuer auf Grundlage der vorgelegten Belege anerkannt, so darf der Vertreter wegen der erfolgten Überprüfung der Rechnungen auf die Zulässigkeit des Vorsteuerabzuges vertrauen, sofern er von der Einbeziehung des Lieferanten in einen in der Folge zur Aberkennung des Vorsteuerabzuges führenden Umsatzsteuerbetrug nicht wusste oder wissen konnte. |
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw, vertreten durch H-KEG, gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom betreffend Haftung gemäß § 9 BAO entschieden:
Der Berufung wird hinsichtlich der Körperschaftsteuer 2003 in Höhe von € 1.092,00 stattgegeben und der angefochtene Bescheid diesbezüglich aufgehoben.
Hinsichtlich der Umsatzsteuer 2003 in Höhe von € 115.367,73 werden der angefochtene Bescheid und die Berufungsvorentscheidung vom gemäß § 289 Abs. 1 BAO unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Mit Haftungsbescheid vom nahm das Finanzamt die Berufungswerberin (Bw) als Haftungspflichtige gemäß § 9 Abs. 1 BAO für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der M-GmbH im Ausmaß von € 116.459,73 in Anspruch.
In der dagegen eingebrachten Berufung führte die Bw im Wesentlichen aus, dass der Haftungsbescheid zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten werde.
Die Bw sei vom bis selbstständig vertretungsbefugte handelsrechtliche Geschäftsführerin der mittlerweile gelöschten M-GmbH gewesen. Daneben sei Herr YM vom bis selbstständig vertretungsbefugter handelsrechtlicher Geschäftsführer der Gesellschaft gewesen. Gleichzeitig mit dem Ausscheiden als Geschäftsführer hätten die Bw und YM sämtliche Anteile der M-GmbH an Herrn BY verkauft. Die M-GmbH sei am im Firmenbuch amtswegig gelöscht worden.
Der angefochtene Haftungsbescheid sei mangels Bekanntgabe und Rechtmäßigkeit der Grundlagenbescheide formell und inhaltlich rechtswidrig.
Gemäß Niederschrift des Finanzamtes vom habe die Umsatzsteuer-Sonderprüfung, welche sich teilweise auf das Jahr 2003 bezogen habe, keine Feststellungen getroffen, die zu einer Änderung der bisher erklärten Bemessungsgrundlagen geführt hätten.
Die Umsatzsteuer 3/2003 sei am mit einer Gutschrift von € 64.789,27 und die Umsatzsteuer 9/2003 am im Rahmen der damals laufenden Umsatzsteuer-Sonderprüfung mit einer Gutschrift von € 72.459,21 verbucht worden. In Summe ergäben diese beiden Gutschriften einen Betrag von € 137.248,48. Erst am seien die haftungsgegenständliche Umsatzsteuer 2003 mit € 115.367,73 verbucht worden, also zu einem Zeitpunkt, wo weder die Bw noch YM Geschäftsführer bzw. Gesellschafter der M-GmbH mehr gewesen seien.
Zufolge der Bestimmungen der §§ 160 Abs. 3 BAO und 40 Abs. 1 FBG sei davon auszugehen, dass das Finanzamt dem G mitgeteilt bzw. konkludent zugestimmt habe, dass gegen die Löschung der M-GmbH im Firmenbuch keine steuerlichen Bedenken bestünden. Hätte es zum Zeitpunkt der Ausstellung der Unbedenklichkeitsbescheinigung noch Abgabenschuldigkeiten der M-GmbH gegeben, so hätte das Finanzamt wohl keine Unbedenklichkeitsbestätigung ausgestellt. Auf Grund der Ausstellung der Unbedenklichkeitsbescheinigung durch das Finanzamt hinsichtlich der Löschung der Firma M-GmbH sei eindeutig dokumentiert, dass keine Abgabenschuldigkeiten mehr bestünden. Der angefochtene Haftungsbescheid sei somit mangels zugrunde liegender Abgabenschuldigkeiten formell und inhaltlich rechtswidrig.
Mangels ausreichender Liquidität der M-GmbH hätten die gegenständlichen Abgabenschulden, sofern diese überhaupt bestanden hätten, nicht mehr bezahlt werden können. Die Bw habe somit auch keine abgabenrechtliche Pflicht schuldhaft verletzen können, zumal sie zum Zeitpunkt der Festsetzung der Abgaben nicht mehr Vertreter der Gesellschaft gewesen sei. Die in der Bescheidbegründung angeführte Aussage hinsichtlich der Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes sei als Pauschalaussage zu werten und sei vom Finanzamt überhaupt nicht begründet worden.
Da die Abgabenschulden, sofern diese überhaupt bestanden hätten, im gegenständlichen Fall auch ohne einer allfälligen schuldhaften Pflichtverletzung des Vertreters uneinbringlich geworden wären, zumal sie zum Zeitpunkt der Festsetzung der Abgaben nicht mehr Vertreter der Gesellschaft gewesen sei, bestehe mangels Kausalität keine Haftung der Bw.
Die Bw verfüge weder über ein ausreichendes Einkommen noch über ein ausreichendes Vermögen. Die eingeforderten Abgabenschulden seien demnach aufgrund der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Bw bei dieser selbst uneinbringlich. Im Hinblick auf die Länge der verstrichenen Zeit zwischen Entstehen des Abgabenanspruches und Haftungsinanspruchnahme trage die Behörde ein (Mit)Verschulden an der Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Einbringung beim Hauptschuldner und sei die Geltendmachung der Ausfallshaftung unbillig. Die Ermessensübung des Finanzamtes sei somit nicht im Rahmen der Ermessenrichtlinie erfolgt und habe das Finanzamt die Ermessensübung überhaupt nicht begründet.
Auch habe das Finanzamt den Untersuchungsgrundsatz verletzt.
Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom als unbegründet ab.
Mit Eingabe vom beantragte die Bw die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Ist die Berufung weder zurückzuweisen (§ 273) noch als zurückgenommen (§ 85 Abs. 2, § 86a Abs. 1, § 275) oder als gegenstandslos (§ 256 Abs. 3, § 274) zu erklären, so kann die Abgabenbehörde zweiter Instanz gemäß § 289 Abs. 1 BAO die Berufung durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Berufungsvorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können. Im weiteren Verfahren sind die Behörden an die für die Aufhebung maßgebliche, im Aufhebungsbescheid dargelegte Rechtsanschauung gebunden. Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat. Soweit die Verjährung der Festsetzung einer Abgabe in einer Berufungsentscheidung (Abs. 2) nicht entgegenstehen würde, steht sie auch nicht der Abgabenfestsetzung im den aufgehobenen Bescheid ersetzenden Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz entgegen; § 209a gilt sinngemäß.
Unbestritten ist, dass der Bw als selbstständig vertretungsbefugter Geschäftsführerin der Abgabepflichtigen laut Eintragung im Firmenbuch von bis neben einem weiteren Geschäftsführer die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft oblag. Dass eine Vereinbarung getroffen worden wäre, wonach der andere Geschäftsführer und nicht die Bw mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut gewesen wäre, wurde von der Bw nicht behauptet und ist auch aus der Aktenlage nicht ersichtlich. Auf Grund des Umstandes, dass die gänzliche Einbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben bei dem ebenfalls als Haftungspflichtiger in Anspruch genommenen YM laut Feststellungen über seine wirtschaftlichen Verhältnisse vom infolge Einkünfte in Höhe von € 1.500,00 (netto) und mangels Vermögens zumindest derzeit nicht gegeben ist, bedurfte es in Hinblick auf die Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin im Rahmen der Ermessensübung auch der Inanspruchnahme der Bw für die gesamte Haftungsschuld.
Die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben bei der Primärschuldnerin steht entsprechend der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () spätestens mit der Eintragung der amtswegigen Löschung ihrer Firma im Firmenbuch am fest.
Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom , 97/15/0115) ist es im Falle der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Gesellschaft Sache des Geschäftsführers darzutun, weshalb er nicht Sorge getragen hat, dass die Gesellschaft die anfallenden Abgaben rechtzeitig entrichtet hat, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung annehmen darf. In der Regel wird nämlich nur der Geschäftsführer jenen ausreichenden Einblick in die Gebarung der GmbH haben, der ihm entsprechende Behauptungen und Nachweise ermöglicht.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () bestimmt sich der Zeitpunkt, ab dem zu beurteilen ist, ob der Geschäftsführer seinen abgabenrechtlichen Pflichten zu ihrer Abstattung nachkam und ob die Gesellschaft die für die Abgabenentrichtung erforderlichen Mittel hatte, danach, wann die Abgaben bei Beachtung der abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wären. Bei Selbstbemessungsabgaben ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () somit maßgebend, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären. Bei bescheidmäßig festzusetzenden Abgaben ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () grundsätzlich die erstmalige Abgabenfestsetzung entscheidend.
Die erstmalige Festsetzung der Körperschaftsteuer 2003 erfolgte am . Entgegen den Ausführungen in der Begründung der Berufungsvorentscheidung entstand wohl der Abgabenanspruch bei der zu veranlagenden Körperschaftsteuer gemäß § 4 Abs. 2 BAO mit Ablauf des Kalenderjahres, für das die Veranlagung vorgenommen wird, die Fälligkeit trat jedoch gemäß § 210 Abs. 1 BAO mit Ablauf eines Monates nach Bekanntgabe des Abgabenbescheides ein. Die Fälligkeit der Nachforderung an Körperschaftsteuer 2003 trat daher laut Abgabenbescheid vom mit ein. Aufgrund des Ausscheidens der Bw als Geschäftsführerin mit kann ihr die Nichtentrichtung der Körperschaftsteuer 2003 in Höhe von € 1.092,00 somit nicht als schuldhafte Pflichtverletzung zum Vorwurf gemacht werden.
Bezüglich der Umsatzsteuer 2003 in Höhe von € 115.367,73 brachte die Bw vor, dass die Umsatzsteuer-Sonderprüfung, welche sich teilweise auf das Jahr 2003 bezogen habe, gemäß Niederschrift des Finanzamtes vom keine Feststellungen getroffen habe, die zu einer Änderung der bisher erklärten Bemessungsgrundlagen geführt hätten. Die Umsatzsteuer 3/2003 sei am mit einer Gutschrift von € 64.789,27 und die Umsatzsteuer 9/2003 am im Rahmen der damals laufenden Umsatzsteuer-Sonderprüfung mit einer Gutschrift von € 72.459,21 verbucht worden. In Summe ergäben diese beiden Gutschriften einen Betrag von € 137.248,48. Erst am seien die haftungsgegenständliche Umsatzsteuer 2003 mit € 115.367,73 verbucht worden, also zu einem Zeitpunkt, wo die Bw nicht mehr Geschäftsführerin gewesen sei.
Zwar geht dem angefochtenen Haftungsbescheid ein Abgabenbescheid (Umsatzsteuerbescheid 2003 vom ) voran, sodass die Behörde daran gebunden ist und sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung grundsätzlich an diesen Abgabenbescheid zu halten hat (vgl. ), doch hat die Bw mit dem Vorbringen, dass die Umsatzsteuer-Sonderprüfung gemäß Niederschrift des Finanzamtes vom keine Feststellungen getroffen habe, die zu einer Änderung der bisher erklärten Bemessungsgrundlagen geführt hätten, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () Einwendungen gegen ihr Verschulden an einer Pflichtverletzung hinsichtlich der haftungsgegenständlichen Umsatzsteuer erhoben.
Aus dem Vergleich der von der Bw eingereichten Umsatzsteuererklärung 2003 und dem Umsatzsteuerbescheid 2003 vom geht hervor, dass die Nachforderung im Wesentlichen aus der Nichtanerkennung der in den Rechnungen über die Verkäufe der Filialen SS und GS vom 17. März und ausgewiesenen Vorsteuern in Höhe von € 66.000,00 und € 50.000,00 resultiert. Laut Kontrollmitteilung anlässlich einer Betriebsprüfung bei der T-GmbH ist aufgrund der festgestellten Mängel eine Überprüfung der Nämlichkeit der tatsächlich gelieferten Waren nicht möglich und besteht daher für die Filialabnehmer im Zusammenhang mit den erläuterten Scheinlieferungen keine Berechtigung zum Vorsteuerabzug für die gesamte in Rechung gestellte Umsatzsteuer.
Laut Aktenlage fand bei der M-GmbH bereits von bis eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung statt, wobei sich entsprechend dem Vorbringen der Bw für den Zeitraum 6/2003 bis 11/2003 keine Feststellungen ergaben, die zu einer Änderung der bisher erklärten Bemessungsgrundlagen geführt hätten.
Laut einen diese Prüfung betreffenden Aktenvermerk vom stellte sich hinsichtlich der mittels Umsatzsteuervoranmeldung 9/2003 geltend gemachten Umsatzsteuergutschrift in Höhe von € 72.459,21 heraus, dass der Hauptanteil in Höhe von € 50.000,00 der geltend gemachten Vorsteuer aus der Faktura vom der T-GmbH mit detaillierter Inventurliste für das Lokal GS resultiert. Die Umsatzsteuer-Sonderprüfung wurde mit der Auflage des Vergleiches der Inventur zum Stichtag mit den Inventurwerten zum Stichtag sowie der Kontrolle des Lagerbestandes in der Filiale GS durchgeführt. Im Rahmen der Sachverhaltsermittlung wurden Lokalaugenscheine in den Filialen der M-GmbH durchgeführt, wobei Lagerstand, die Filialausstattung und das Kassensystem kontrolliert wurden. In der Folge wurde der Versuch einer Plausibilitätskontrolle der sich präsentierenden Geschäftsvorgänge im Rahmen der Verprobung auf Grundlage der vorgelegten Grundaufzeichnungen mit der Ausgangssituation der Erstausstattung der erworbenen Filiale durchgeführt, wobei sich ergab, dass rund 80% der gezogenen Artikelstichproben (mit einem Wert über € 1.000,00) der Erstausstattung laut Inventurbestand zum zum Stichtag nicht mehr vorhanden waren. Weiters stellte sich bei der Analyse der Kassenaufzeichnungen heraus, dass die Tageslosungsstreifen zwar aufbewahrt werden, die Detailaufzeichnungen (Journalstreifen) jedoch nicht vorhanden waren. Die Detailverkäufe konnten im Rahmen der Prüfung daher nicht nachvollzogen werden. Im Rahmen der Schlussbesprechung vom in Anwesenheit des YM wurden die Erkenntnisse aus der Sachverhaltsermittlung entsprechend zur Kenntnis gebracht, wobei der aus dem Filialerwerb resultierende Vorsteuerabzug auf Grundlage der vorgelegten Belege anerkannt wurde.
Zudem wurde laut Aktenlage bereits am eine Nachschau bei der M-GmbH durchgeführt, welche ergab, dass die Geschäftsausstattung und die vorhandenen Waren laut Inventarliste von der T-GmbH laut Rechnung um € 396.000,00 erworben wurden, wobei der Kaufpreis nach den in den Akten befindlichen Kontoauszügen zur Gänze über einen Kredit finanziert wurde.
Unter diesen Umständen - insbesondere aufgrund der bei der Umsatzsteuer-Sonderprüfung erfolgten Anerkennung der geltend gemachten Vorsteuer auf Grundlage der vorgelegten (in den Akten vorhandenen) Belege lässt sich die Frage, ob im Berufungsfall die Geltendmachung nicht abzugsfähiger Vorsteuern der Bw als schuldhafte Pflichtverletzung zum Vorwurf gemacht werden kann, weder in die eine noch in die andere Richtung beantworten. Einerseits durfte die Bw wohl infolge der anlässlich der Umsatzsteuer-Sonderprüfung erfolgten Überprüfung der Rechnungen auf die Zulässigkeit des Vorsteuerabzuges vertrauen, andererseits stünde es dem Vorsteuerabzug entgegen, wenn die Bw von der Einbeziehung des Lieferanten in den Umsatzsteuerbetrug wissen konnte (vgl. ).
Feststellungen, wonach die Bw von den nach den Feststellungen der Betriebsprüfung bei der T-GmbH in großem Umfang (laut Schätzung der Betriebsprüfung 50%) erfolgten Scheinlieferungen an die T-GmbH und von den Mängeln, welche eine Überprüfung der Nämlichkeit der tatsächlich gelieferten Waren unmöglich machten, sodass keine Berechtigung zum Vorsteuerabzug für die gesamte in Rechung gestellte Umsatzsteuer besteht, wusste oder wissen konnte, fehlen. Zudem wurde entgegen der Feststellung der Betriebsprüfung bei der T-GmbH, dass im Zuge der Filialverkäufe nicht existierende, aus Scheinverkäufen stammende Ware fakturiert wurde, sowohl bei der Nachschau am als auch bei der Umsatzsteuer-Sonderprüfung von bis in den - die Rechnungen vom 17. März und betreffenden - erworbenen und von der M-GmbH auch tatsächlich weitergeführten Filialen ein Warenlager festgestellt, welches zudem laut Plausibilitätskontrolle in einem Ausmaß von rund 20% der gezogenen Artikelstichproben der Erstausstattung laut Inventurbestand zum zum Stichtag noch vorhanden war.
Die Erledigung von Berufungen gemäß § 289 Abs. 1 BAO liegt im Ermessen der Abgabenbehörde zweiter Instanz. Zweck der Kassationsmöglichkeit des § 289 Abs. 1 BAO ist die Entlastung der Abgabenbehörde zweiter Instanz und die Beschleunigung des zweitinstanzlichen Berufungsverfahrens. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () zu § 66 Abs. 2 AVG aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.
Auch gibt es im Abgabenverfahren keine verfahrensförmliche subjektive Beweislastregel. Als allgemein anerkannte verfahrensvernünftige Handlungsmaxime gilt aber, dass die Abgabenbehörde ergebnishaft letzten Endes die Behauptungs- und Feststellungsbürde für die Tatsachen trägt, die vorliegen müssen, um den Abgabenanspruch geltend machen zu können, der Abgabepflichtige hingegen für jene, die den Anspruch aufheben oder einschränken (Stoll, BAO-Kommentar, 1561). Die von der Zumutbarkeit getragene Balance zwischen der amtswegigen Ermittlungspflicht der Abgabenbehörde erster Instanz und der Mitwirkungspflicht des Abgabepflichtigen besteht im kontradiktorischen Rechtsmittelverfahren vor dem Unabhängigen Finanzsenat fort. Im Hinblick auf die Funktion des Unabhängigen Finanzsenats als unabhängiges Kontroll- und Rechtschutzorgan ist es deshalb primäre Pflicht der Amtspartei (Finanzamt) den Abgabenanspruch darzutun und des Abgabepflichtigen, seinen Einwand über die Einschränkung oder des Nichtbestehen des Abgabenanspruches darzulegen. Der Mitwirkungspflicht des Berufungswerbers kommt daher im kontradiktorischen Zwei-Parteien-Verfahren vor dem Unabhängigen Finanzsenat eine verstärkte Bedeutung für die Durchsetzung seiner steuerrechtlichen Ansprüche zu. Andererseits tritt im unabhängigen, kontradiktorischen Rechtsmittelverfahren die amtswegige Ermittlungspflicht des Unabhängigen Finanzsenat im Vergleich zu jener der Abgabenbehörde erster Instanz zurück (vgl. ).
In Hinblick auf die Komplexität der zu treffenden Feststellungen, nämlich ob die Bw von der Einbeziehung des Lieferanten in den - laut Kontrollmitteilung allenfalls vorliegenden - Umsatzsteuerbetrug wusste oder wissen konnte, war somit nach den vorstehenden Ausführungen vom Ermessen, die Sache (Haftung für die Umsatzsteuer 2003 in Höhe von € 115.367,73) nach § 289 Abs. 1 BAO an das Finanzamt zurückzuverweisen, Gebrauch zu machen, zumal besondere Gesichtspunkte, die aus Sicht der Bw gegen eine Kassation des erstinstanzlichen Bescheides sprechen würden, nach der Aktenlage nicht erkennbar sind.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Geschäftsführer schuldhafte Pflichtverletzung Uneinbringlichkeit Umsatzsteuer-Sonderprüfung Vorsteuerabzug Kassation |
Verweise | |
Zitiert/besprochen in | UFS Newsletter 2010/03 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at