Erlassung eines Zurücknahmebescheides gemäß § 275 BAO im zweitinstanzlichen Verfahren
VwGH-Beschwerde zur Zl. 2007/15/0205 eingebracht. Einstellung des Verfahrens mit Beschluss vom .
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Rechtssätze | |
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RV/1910-W/06-RS1 | Entscheidet das Finanzamt mit abweisender Berufungsvorentscheidung in der Sache selbst, obwohl einem berechtigten Mängelbehebungsauftrag nicht entsprochen wurde, so ändert dies nicht daran, dass im zweitinstanzlichen Verfahren schon im Hinblick auf § 289 BAO, worin der "Vorrang von Formalerledigungen" normiert ist, gemäß § 275 BAO ein Zurücknahmebescheid zu erlassen ist. |
Entscheidungstext
Bescheid
Die Berufung des Bw., gegen die Bescheide des FA betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 2001 bis 2003 gilt gemäß § 275 der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl Nr. 1961/194 idgF, als zurückgenommen.
Begründung
Der 1925 geborene Berufungswerber (Bw.) erklärte in den Jahren 2001 bis 2003 neben seinen Pensionseinkünften auch Umsätze bzw. gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Handelsagentur.
Im Zuge einer gemäß § 147 Abs. 1 BAO durchgeführten Außenprüfung traf die Betriebsprüferin in den Tz 1 bis 12 des Bp-Berichtes vom Feststellungen, die zu Änderungen der Besteuerungsgrundlagen der für die Jahre 2001 bis 2003 ergangenen Umsatz- und Einkommensteuerbescheide führten. So wurden lt. Tz 10 für das Jahr 2002 ua Anwaltskosten iHv 2.500,00 € als nicht betrieblich veranlasst ausgeschieden.
Die im Anschluss an die Betriebsprüfung ergangenen Umsatz- und Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2001 bis 2003 bekämpfte der Bw. mit Berufung vom mit folgender - auszugsweise wörtliche wiedergegebener - Begründung:
"...Ich habe dem Finanzamt ...mehrfach....die für mich eingetretene Situation in meinen Abgabenangelegenheiten bekanntgegeben. Diese Situation ist eingetreten, weil mein jahrzehntelang durch mich bevollmächtigter Steuerberater in den letzten Jahren seine Pflichten gröblichst verletzt hat. Ich war über Aufforderung Ihres Amtes gezwungen aus den nur spärlich von Magister....erhaltenen Unterlagen selbst die erforderlichen Erklärungen zu erarbeiten und mangels finanzieller Möglichkeiten, diese von einem Steuerberater überprüfen zu lassen.
Dank Ihres Entgegenkommens und mit Hilfe eines Kredites konnte ich meinen nunmehrigen Steuerberater beauftragen. Am fand dann auch mit meiner Teilnahme eine Schlussbesprechung statt. Die Niederschrift erhielt ich gemeinsam mit den daraus resultierenden Steuerbescheiden in der vorigen Woche. Mangels fehlender Information und auf Grund meines Nichtwissens konnten die von Frau .....abgegebenen Erklärungen nicht den maßgeblichen Umstand enthalten, dass ein Simultan-Kredit in Höhe von € 244.847,61 besteht. Die Zinsenbelastungen hierfür sind anteilmäßig steuerlich zu berücksichtigen und dies bedeutet, dass diese Positionen im Sinne der Rechtsmittelbelehrungen vergessen worden sind.
Außerdem wurde erst am eine vollkommen unerwartete Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien ausgesprochen, die ein für mich positives Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt in eine zusätzlich vollstreckbare für mich in Höhe von zusammen € 20.319,22 ergibt.
Die in den Steuererklärungen befindlichen Rechtsberatungskosten waren durch die Steuerprüferin nicht anerkannt worden, bestehen jedoch zu Recht!
Dieses Nichtanerkennen im Zusammenhang mit den gerichtlich auferlegten Belastungen führen zu einer totalen Umschichtung der Steuerbemessungsgrundlagen sowohl Umsatz und Einkommensteuermäßig als auch hinsichtlich der Anspruchszinsenberechnungen......."
Mit Mängelbehebungsauftrag vom stellte das Finanzamt fest, dass die gegen die Bescheide betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2001 bis 2003 eingebrachte Berufung hinsichtlich des Inhaltes (§ 250 BAO) mangelhaft sei, zumal eine Erklärung fehle, welche Änderungen beantragt werden. Die angeführten Mängel seien bis zum zu beheben, wobei darauf hingewiesen wurde, dass bei Versäumnis der Frist die Berufung als zurückgenommen gelte.
Mit im Finanzamt am eingegangen Schreiben (datiert vom ) führte der Bw. wie folgt aus (wörtlich):
"....
Mängelbehebung:
Anläßlich der Betriebsprüfung wurden die Zinsenbelastungen für einen Simultankredit weder als Betriebsausgaben noch als außerordentlich Belastung anerkannt.
Der szt. Steuerberater hatte weder diesen Aufwand noch den Umstand, dass auch für die Jahre 2001 bis 2003 aus dem Titel Rechtsberatung Honoraransprüche des Rechtsanwaltes und des Steuerberaters voll in die jeweiligen Steuererklärungen aufzunehmen waren - bzw. wurden die teilweise aufgenommenen Honorarrechnungen anlässlich der Betriebsprüfung nicht anerkannt. Durch die nicht vorhersehbare Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom ist ein Ereignis eingetreten, das abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit auf den Bestand oder Umfang der Abgabenansprüche 2001, 2002 und 2003 hat.
Es wird deshalb gemäß § 295 a BAO der Antrag auf Abänderung der angefochtenen Bescheide unter Berücksichtigung der aufgetretenen Belastungen:
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Honorarrechnungen | Bankzinsen | ||||
Jahr | 2001 | Euro | 5.788,45 | rund Euro | 6.400,-- |
" | 2002 | " | 5.507,60 | " | 6.400,-- |
" | 2003 | " | 4.04,78 | " | 6.400,-- |
gestellt.
......."
Mit Berufungsvorentscheidungen vom wies das Finanzamt die gegen die Bescheide betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2001 bis 2003 eingebrachte Berufung als unbegründet ab.
Nachdem der Bw. einen Vorlageantrag gestellt hat, legte das Finanzamt die Berufung der Abgabenbehörde II. Instanz vor.
Rechtliche Ausführungen:
Hinsichtlich Einkommensteuer wird auf die Entscheidung des unabhängigen Finanzsenates zur GZ RV/1911-W/06 verwiesen.
Gemäß § 250 Abs. 1 BAO muss eine Berufung enthalten:
a) die Bezeichnung des Bescheides, gegen den sie sich richtet;
b) die Erklärung, in welchen Punkten der Bescheid angefochten wird
c) die Erklärung, welche Änderungen beantragt werden;
d) eine Begründung.
Entspricht eine Berufung nicht den im § 250 Abs. 1 oder Abs. 2 erster Satz umschriebenen Erfordernissen, so hat die Abgabenbehörde gemäß § 275 BAO dem Berufungswerber die Behebung dieser inhaltlichen Mängel mit dem Hinweis aufzutragen, dass die Berufung nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden angemessenen Frist als zurückgenommen gilt.
Daraus ergibt sich also die Verpflichtung der Abgabenbehörde in jenen Fällen, in denen einem berechtigten Mängelbehebungsauftrag nicht, nicht zeitgerecht oder unzureichend entsprochen worden ist, einen Bescheid zu erlassen, mit dem die vom Gesetzgeber vermutete Zurücknahme der Berufung festgestellt wird ().
Auch eine geteilte (aufgespaltete) Zuständigkeit wird in der Praxis für möglich und zulässig erachtet. Dies etwa dann, wenn die Abgabenbehörde erster Instanz einen Behebungsauftrag erlassen hat und davon ausgegangen ist, dass dem Auftrag voll entsprochen wurde, während die nachfolgend befasste Abgabenbehörde zweiter Instanz feststellt, dass der Berufungswerber dem ursprünglichen Auftrag nicht oder nur teilweise nachgekommen ist (Stoll, BAO-Kommentar III, S 2701, 2. Absatz). Der Zurücknahmebescheid kann daher sowohl von der Abgabenbehörde erster Instanz als auch (funktionell erstinstanzlich) von der Abgabenbehörde zweiter Instanz erlassen werden (Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO, § 275 Anm. 6), von letzterer auch dann, wenn der Mängelbehebungsauftrag von der Abgabenbehörde erster Instanz erlassen wurde ().
Die Vorlage einer Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz lässt das Recht der Abgabenbehörden auf Erlassung eines Zurücknahmebescheides nach § 275 BAO unberührt (Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO, § 275 Anm. 6).
Das im § 250 Abs. 1 lit. c BAO statuierte Erfordernis (die Erklärung, welche Änderungen beantragt werden) soll die Berufungsbehörde in die Lage versetzen, klar zu erkennen, welche Unrichtigkeit der Berufungswerber dem Bescheid zuschreiben will.
Der im vorliegenden Verfahren u.a. auch gegen die Bescheide betreffend Umsatzsteuer 2001 bis 2003 erhobenen Berufung fehlte die im § 250 Abs. 1 lit. c BAO geforderte Erklärung. Die Berufung lässt völlig offen, welche Änderungen der angefochtenen Bescheide konkret beantragt werden. Dies hatte die Pflicht der Abgabenbehörde ausgelöst, nach der angesprochenen Vorschrift des § 275 BAO vorzugehen.
Das Finanzamt hat im vorliegenden Fall den verfahrensrechtlich erforderlichen Mängelbehebungsauftrag auch mit Bescheid vom erlassen.
Ungeachtet der Tatsache, dass der Bw. in seiner "Mängelbehebung" (Schreiben vom ) hinsichtlich Umsatzsteuer dem berechtigten Auftrag des Finanzamtes ganz offensichtlich nicht entsprochen hat - der auf Grund des Mängelbehebungsauftrages ergangene Schriftsatz lässt nach wie vor offen, welche konkrete Änderung das Finanzamt nach Ansicht des Bw. vornehmen solle - ist das Finanzamt mit abweisender Berufungsvorentscheidung vorgegangen und hat somit meritorisch (in der Sache) entschieden.
Dies ändert aber nichts daran, dass im nunmehrigen zweitinstanzlichen Verfahren schon im Hinblick auf § 289 BAO (idF BGBl I Nr. 97/2002), worin der "Vorrang von Formalerledigungen" normiert ist (Ritz, BAO-Handbuch, § 289, S 227) bei dem vorliegenden Sachverhalt ein Zurücknahmebescheid gemäß § 275 BAO zu erlassen ist.
Aus § 289 Abs. 2 BAO ergibt sich nämlich die Zulässigkeit einer Berufungsentscheidung (Entscheidung in der Sache selbst) nur dann, wenn keine der im § 289 Abs. 1 erster Satz BAO genannten formalen Erledigungen wie zB Zurücknahmebescheide nach § 85 Abs. 2 BAO oder nach § 275 BAO zu erfolgen haben.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 250 Abs. 1 lit. c BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 275 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 289 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Mängelbehebung Mängelbehebungsauftrag Zurücknahmebescheid |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at