Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 02.08.2022, RV/5101746/2019

Antrag auf Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe bei später festgestelltem Behinderungseintritt ab Geburt

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/5101746/2019-RS1
Spätere Anträge sind als Ergänzungen oder als Urgenz des früheren Antrages anzusehen (vgl. ).
RV/5101746/2019-RS2
Als Sache des Beschwerdeverfahrens, somit als Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, ist jene Angelegenheit anzusehen, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde gebildet hat (vgl. für viele etwa ; ).
RV/5101746/2019-RS3
Anders als etwa bei mangelhaften Eingaben, die auch vom Bundesfinanzgericht gemäß § 269 Abs. 1 BAO i.V.m. § 85 Abs. 2 BAO einem Mängelbehebungsverfahren unterzogen werden können, oder bei einer Entscheidung "in der Sache" durch Änderung des Spruches des angefochtenen Bescheides gemäß § 279 Abs. 1 BAO ist es dem Bundesfinanzgericht im Bescheidbeschwerdeverfahren verwehrt, durch Änderung des Antragsdatums, auf das sich ein antragsbedürftiger Bescheid in seinem Spruch bezieht, den Prozessgegenstand auszutauschen (vgl. ; u.v.a.).

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom , eingelangt am , gegen den Bescheid des ***FA*** (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für die Tochter ***T*** ab 09/2018, Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführerin beantragte über FinanzOnline am die erhöhte Familienbeihilfe für ihre Tochter ***T*** ab 01/2018.

Am wurde ohne Formulierung eines Antragsbegehrens ein weiterer Antrag über FinanzOnline eingebracht.

Ein dritter Antrag (über FinanzOnline) vom beantragte die erhöhte Familienbeihilfe für ***T*** wiederum ab Jänner 2018.

Mit Schreiben (Beih 3) vom , bei der Abgabenbehörde eingelangt am , beantragte die Beschwerdeführerin nochmals die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für ihre Tochter ***T*** ab dem Zeitpunkt des Eintritts der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung. Die Erkrankung des Kindes wurde mit Schwerhörigkeit beidseits, Ohrmuscheldysplasie rechts, Fisteln, Fazialisschwäche des rechten Mundastes angegeben.

2. Mit Bescheid vom wurde der Antrag vom auf erhöhte Familienbeihilfe mit der Begründung abgewiesen, dass laut Gutachten des Sozialmedizinservice (gemeint wohl Sozialministeriumservice) ab 40 % und ab 20 % festgestellt worden seien.

3. Am langte die Beschwerde vom gegen den Abweisungsbescheid bei der Abgabenbehörde ein. Begründend brachte die Beschwerdeführerin vor, sie könne die Abweisung der erhöhten Familienbeihilfe für ihre Tochter ***T*** nicht nachvollziehen. Sie leide derzeit an folgenden Beschwerden: Hochgradige Innenohrschwerhörigkeit rechts laut bestehenden Hörkurven (75-90 dB), mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit links laut bestehenden Hörkurven (40-45 dB), hörbedingte Sprachstörungen, Ohrmuscheldysplasie rechts, zwei Halsfisteln und zwei Ohrenfisteln. Bei der Innenohrschwerhörigkeit handle es sich beim besser hörenden Ohr um eine mittelgradige Schwerhörigkeit (40-45 dB) und sei laut Einschätzungsverordnung ein GdB von 60 % heranzuziehen. Hörbedingte Sprachstörungen seien vorhanden; diese werden unterstützt durch eine Fazialisschwäche des Mundastes rechts. Logopädie werde regelmäßig seit fünf Jahren besucht. Laut Einschätzungsverordnung erhöhen Sprachstörungen den GdB um 10 %. Die Ohrmuscheldysplasie rechts sei bereits im Letztgutachten übernommen worden.
Im Sachverständigengutachten sei ***T*** mit einem GdB von 20 % eingestuft worden. Dieses Ergebnis sei nicht nachvollziehbar, dass sich die Schwerhörigkeit von ***T**** seit dem Letztgutachten 09/2013 beidseitig verschlechtert habe. Laut der Anlage zur Einschätzungsverordnung des Sozialministeriums wäre ein weit höherer GdB angemessen. Die Beschwerdeführerin bitte um nochmalige Prüfung.

4. Nach nochmaliger Begutachtung der Tochter der Beschwerdeführerin durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wies das Finanzamt die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab. Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gelte ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung bestehe. Als nicht nur vorübergehend gelte ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung müsse mindestens 50 % betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handle, das voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Da laut Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen der Grad der Behinderung der Tochter ***T*** mit 40 % ab , mit 20 % ab und mit 30 % ab festgestellt worden sei, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

5. Mit Schreiben vom , bei der Abgabenbehörde eingelangt am , beantragte die Beschwerdeführerin die Vorlage der Entscheidung an das Bundesfinanzgericht. Sie verstehe nicht, warum bei ihrer Tochter die erhöhte Familienbeihilfe immer wieder abgelehnt werde. Auch die Sozialarbeiterin vom Gesundheitszentrum für Gehörlose, die sie immer wieder unterstütze, kenne keinen Fall, bei dem die erhöhte Familienbeihilfe bei einem Kind mit beidseitiger Hörstörung abgelehnt werde. Auch der Bruder von ***T*** habe eine Hörstörung mit sehr ähnlichem Verlauf und habe die erhöhte Familienbeihilfe gewährt bekommen. Bei ***T*** sei im Vergleich der Verlauf, vor allem was die Sprachentwicklung betreffe, schlechter bzw. massiv verzögerter und bei ihr würden 50 % nicht erreicht. Das sei für die Beschwerdeführerin als Mutter nicht nachvollziehbar. In der Zwischenzeit gebe es auch einen neuen entwicklungsdiagnostischen Befund, in dem auch sehr umfassend die Beeinträchtigung bzw. Diagnosen ihrer Tochter angeführt seien. Sie bitte um neuerliche Begutachtung.

6. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesfinanzgerichts vom wurde der gegenständliche Akt dem bisher zuständig gewesenen Richter gemäß § 9 Abs 9 BFGG abgenommen und der Gerichtsabteilung ***12*** zugewiesen.

7. Folgende medizinischen Unterlagen liegen vor:

a. Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom :

"Anamnese:
Letztgutachten Dr. ***1***, 9/2013, Gesamtgrad der Behinderung 40 %, Diagnose: mittel- bis hochgradige Innenohrschwerhörigkeit rechts, GdB 30 %, Ohrmuscheldysplasie rechts, GdB 20 %;
Sie besucht den Kindergarten das zweite Jahr auf einem Bauernhof in ***13***, das Verhalten sei unauffällig; spielt mit Buben und Mädchen; kann schon Rad fahren, hat auch unlängst im Urlaub schwimmen gelernt; seit dem Letztgutachten keine schwere Erkrankung/Op.;

Derzeitige Beschwerden:
1.: ,Schwerhörig beidseits';
2.: ,Seit 2015 hatte sie immer wieder Flüssigkeit im Mittelohr links, sodass kein richtig gutes Audiogramm gemacht werden konnte';

Behandlung(en)/Medikamente/Hilfsmittel:
Logopädische Behandlung 2-wöchentlich, ,weil sie sich mit den Anlauten schwer tut';

Sozialanamnese:
Sie hat einen älteren Bruder, der auch schwerhörig ist, auch die Mutter ist schwerhörig und verwendet Hörgeräte;

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
KH ***2***, 07/2018, Audiogramm:
Hörkurve rechtes Ohr: beginnt mit 15 dB bei 250 HZ, dann 50 dB bei 500 HZ, 45 dB bei 1 kHZ, 35 dB bei 2 kHZ, 35 dB bei 3 kHZ und 30 dB bei 4 kHz, 50 dB bei 6 kHz;
linkes Ohr: Hörkurve beginnt mit 20 dB bei 250 HZ, 20 dB bei 500 HZ, 25 dB 1 kHZ, 15 dB 2 kHZ, 5 dB 3 kHZ, 0 dB 4 kHZ und 5 dB bei 6 kHZ;

KH ***3***, 05/2017:
einseitige Innenohrschwerhörigkeit rechts sowie Ohrmuscheldysplasie rechts; es zeigt sich aktuell eine phonologische Aussprachestörung sowie eine Facialisschwäche des rechten Mundastes, welche sich auf die Sprechverständlichkeit auswirkt; im Bereich der aktiven Grammatikbeherrschung zeigen sich nur minimale Auffälligkeiten; Leistungen im Sprachverständnis sowie im aktiven und passiven Wortschatz liegen im Durchschnittsbereich;

09/2015 KH ***3***:
einseitige Hörstörung rechts, Ohrmuscheldysplasie rechts, aktuell leichter Entwicklungsrückstand in der Sprachentwicklung sowie im Sprachverständnis und in der Sprachproduktion;

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand: gut

Ernährungszustand: schlank

Größe: 112,00 cm Gewicht: 19,00 kg Blutdruck:

Status (Kopf/Fußschema) - Fachstatus:
5 ¾-jähriges Mädchen
Gehör: sie verwendet Hörgeräte;
Visus: unauffällig
Kopf: Pupillen eng, rund, isokor, direkte Lichtreaktion angedeutet, Bulbusmotalität konjugiert, Gesicht symmetrisch innerviert, bis auf geringe Mundastschwäche rechts vor allem an der Unterlippe; Zunge feucht, kommt gerade vor, keine Lippenzyanose, Gebiss in Ordnung; deutliche Ohrmuscheldysplasie rechts, das Ohr ist fast ganz nach vorne gefaltet; links das Ohr nahezu unauffällig; sie verwendet zwei Hörgeräte;
Halsorgane: unauffällig
Cor: rhythmisch, normfrequent, Herztöne unauffällig, keine Nebengeräusche;
Pulma: Vesikuläratmen beidseits;
Thorax: symmetrisch;
Wirbelsäule: gerade;
Arme: Die Gelenke von der Form her unauffällig, Faustschluss komplett, grobe Kraft unauffällig, Feinmotorik nahezu unauffällig, Klaviatur unauffällig, mäßige Dysdiadochokinese beidseits;
Beine: die Gelenke von der Form her unauffällig; PSR seitengleich sehr lebhaft auslösbar;

Gesamtmobilität - Gangbild: unauffällig;

Psycho(patho)logischer Status: kontaktfähig, kooperativ, freundlich, Antrieb gering erhöht, sehr lebendiges Mädchen; Sprache unauffällig;

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:


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Lfd. Nr
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr
GdB
1
Ohrmuscheldysplasie rechts
Einschätzung vom Letztgutachten übernommen
20
2
Hörschwäche rechts
Einschätzung entsprechend der Hörminderung am besser hörenden Ohr
10

Gesamtgrad der Behinderung 20 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
das Leiden unter Nr. 1 begründet den Gesamtgrad der Behinderung, das Leiden unter Nr. 2 wirkt aufgrund der geringen funktionellen Einschränkung nicht steigernd

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
keine Angabe

Stellungnahme zu Vorgutachten:
das Leiden unter Nr. 2 wird aufgrund des vorliegenden Audiogrammes von 7/2018 aktuell geringer eingeschätzt;

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja

GdB liegt vor seit: 09/2018
GdB 40 liegt vor seit: 09/2013

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor: -

Dauerzustand".

b. Entwicklungsdiagnostischer Kontrollbefund des Konventhospitals ***3*** vom :
"… Bei ***T*** zeigt sich einerseits klinisch andererseits familienanamnestisch das Bild eines branchiootorenalen Syndroms (BOR-Syndrom, bzw.branchiootorenal spectrum disorder) mit Mundastschwäche des N. Facialis rechts, branchiogener Fisteln im unteren Halsdrittel bds., präaurikulären Fisteln bds., einer Ohrmuscheldysplasie mit Mikrotie rechts sowie präaurikulären Ohranshängseln links bei bekannter kombinierter Schwerhörigkeit. Ansonsten ein unauffälliger neuromotorischer Status mit sehr guten motorischen Leistungen ohne jegliche Hinweise auf vestibuläre Dysfunktion.
Bei heute bestehenden Seromukotympanon beidseits zeigen sich Einschränkungen in der Sprachdiskrimination und auch im Sprachverstehen. Im Bereich der Sprachproduktion zeigen sich noch leichtgradige Auffälligkeiten in der Artikulation und beim freien Erzählen, ansonsten altersangemessene sprachliche Fertigkeiten. Erfreulich sind auch die bereits gut entwickelten Fertigkeiten in der frühen Schriftsprachkenntnisse/phonologische Bewusstheit.
***T*** zeigt heute erneut eine durchschnittliche kognitive Leistungsfähigkeit im "Sprachfrei-Index" (SFI; SW 107; K-ABC-II). Das Mädchen weist homogene Werte auf Einzelskalenniveau auf, einzig das auditive Gedächtnis zeigt sich heute leicht unterdurchschnittlich. Die mathematischen Vorläuferfertigkeiten (K-ABC) sind gut durchschnittlich entwickelt. Lt. Mutter weist ***T*** altersgemäße Ressourcen und keine Verhaltensschwierigkeiten auf. …

Zwischenanamnese

Bisherige Diagnosen und Therapien:
Bekannt ist eine einseitige Innenohrschwerhörigkeit rechts, bei Ohrmuscheldysplasie rechts.
***T*** besuche nun das letzte Kindergartenjahr, eine Einschulung im Herbst 2019 in die ***5*** Schule ist geplant. Bezüglich der logopädischen Förderung ist der Therapieplatz bei unserem Team vor Ort sehr wichtig, sie sei bereits im Kontakt mit Fr. ***6***, wobei bis Weihnachten ein "Ankommen" geplant sei.
***T*** verfüge nun über ein 2. Hörgerät links seit dem Sommer 2018. Sie würde die Hörgeräte mögen und im Handling schon sehr selbstständig sein. Seit dem Herbst letzten Jahres werde im Kindergarten eine FM-Anlage, von der das Mädchen profitiere, verwendet. ***T*** gehe sehr gerne in den Kindergarten, sei oft Beobachterin, sehr sensibel, würde Situationen sehr detailliert wahrnehmen. Teilweise werde sie aber auch oft zappelig, grantig, könne sich manchmal selber nur schwer regulieren. ***T*** sei sehr ausdauernd und ehrgeizig, spiele gerne mit Puppen, Ängste werden nicht beschrieben.

Medizinische Zwischenanamnese:
Bezüglich der ausführlichen Vorgeschichte wird auf unsere Vorbefunde, zuletzt vom Juli 2017, verwiesen. Zusammenfassend besteht eine bekannte einseitige Innenohrschwerhörigkeit rechts sowie Ohrmuscheldysplasie rechts bei durchschnittlicher nonverbaler kognitiver Leistungsfähigkeit. Zusätzlich bekannte bds. branchiogene Halsfisteln sowie präaurikuläres Anhängsel aurikulär links. Zusätzlich ist auch beim Bruder von ***T*** nebst einer Schwerhörigkeit eine branchiogene Fistel anamnestisch bekannt sowie sind in der Familie weitere Personen mit Schwerhörigkeit, unter anderem auch die Mutter sowie Gesichtsasymmetrien bekannt.

Aktuell gehe es ***T*** sehr gut, auch medizinischerseits gebe es bis auf immer wiederkehrende Mittelohrergüsse ohne eigentliche Otitis media keine Probleme. Eine Nierensonografie sei 2016 durchgeführt worden mit unauffälligem Befund bei allseits zarten Nieren bds. Auf eine genetische Diagnostik wurde bislang von Seiten der Mutter verzichtet.

Sprachentwicklung:
***T*** verwendet zusätzlich zum Hörgerät rechts nun seit Sommer 2018 auch ein Hörgerät links. Logopädische Therapie erfolgt bei Logopädin ***7*** am Stützpunkt in ***8*** (14-tägig). Die Sprachentwicklung wird von der Mutter als weitestgehend unauffällig eingestuft, es würden sich nur leichte artikulatorische Auffälligkeiten zeigen. In der Vergangenheit sei bereits intensiv mit ***T*** zur Förderung der phonologischen Bewusstheit geübt worden. Im Herbst ist der Beginn in der ***5***-Schule in ***9*** geplant, ***T*** würde sich schon sehr auf den Schulbeginn freuen.

Der letzte Hörstatus wurde im Jänner 2019 an unserer Abteilung erhoben. Dabei zeigte sich rechts die Hörreaktionsschwelle im Bereich zwischen 70 und 85 dB (Luftleitung, Tympanogramm rechts unauffällig). Tympanogramm links auffällig. Hörreaktionsschwelle links (Luftleitung) bei 250 Hz bei 45 dB, 35 dB , 500 und 1000 Hz, 25 dB bei 2000 Hz und 10 dB bei 400 und 6000 Hz, danach wieder absinken auf 25 dB bei 8000 Hz. Die Knochenleitung liegt bei 15-20 dB bis 2000 Hz und 0-5 dB bei 4000 und 6000 Hz. Die Aufblähkurve liegt zwischen 20 und 30 dB (im Bereich 500-2000 Hz).
In der Sprachaudiometrie (Göttinger Kindertest) im Freifeld mit Hörgerät beidseits 90 % korrekte Antworten, im Störschall (65:60 dB) 100 % korrekte Antworten. Links bei 50 dB 80 % korrekte Antworten (ohne Hörgeräte).

Untersuchungsergebnisse

… Neuromotorischer und Psychosozialer Status:

… Guter Allgemeinzustand, Ernährungszustand und Pflegezustand. Es zeigt sich die bekannte Ohrmuscheldysplasie mit Mikrotie rechts, bds. präaurikulärer Fisteln sowie ein Ohranhängsel linksseitig. Zusätzlich bds. teilweise auf Druck sekretierende Halsfisteln, welche bis auf vermehrtes Sekret im Rahmen von Infekten bislang komplikationsfrei verlaufen seien. Im otoskopischen Befund heute bds. die Paukenerguss bei auffälligen Tympanoramm.
Der Muskeltonus regelrecht, die Muskelkraft bds. seitengleich gegeben bei unauffälligem Muskelrelief. Die Muskeleigenreflexe bds. seitengleich regelrecht. Babinski negativ. Gute Haltungsstabilisierung. Plantigrader Gang. Sehr gute Balanceleistung. Sehr gute grobmotorische Koordination. Kein Hinweis aus Ataxie. Kein Hinweis auf vestibuläre Einschränkungen. Eudiadochokinese. Die Okulomotorik allseits regelrecht, Pupillenreflexe ebenfalls direkt und indirekt regelrecht. Die feinmotorische Bewegungsplanung, überprüft mittels Fingerpositionstest nach Berges und Lezine, im sehr guten Bereich. Die Handgeschicklichkeit gut gegeben und ohne Auffälligkeiten.

Ultraschalluntersuchung der Nieren und der ableitenden Harnwege:
Die Nieren bds. in ortotoper Lage. Im Vergleich zur Leber Isoechogenität. Die Rindenmarkdifferenzierbarkeit links etwas besser als rechts bei prall gefüllter Blase zeigt die rechtsseitige Niere eine geringgradige Holsystemerweiterung, linksunauffällig.
Die Harnblase prall gefüllt mit unauffälliger Wanddicke. Retrovesikal keine erweiterten Ureteren darstellbar. Keine relevante freie Flüssigkeit im kleinen Becken.

Sprach- und Kommunikationsstatus

Hörstatus:
Tympanometrie beidseits auffällig (Kurve beidseits flach).

Sprachdiskrimination und Sprachverständnis:
Bei der Durchführung der Sprachdiskriminationsaufgabe (EARS Einsilbertest) gelingen heute nur 50-60 % korrekte Antworten bei Verwendung der Hörgeräten beidseits. Somit deutlich schlechter als bei der objektiven Sprachaudiometrie im Jänner. Hier ist auf die heute beidseits auffälligen Tympanogramme hinzuweisen. Auch im TROG-D Grammatikverständnistest zeigt sich heute ein unterdurchschnittliches Ergebnis (T-Wert 33), wobei dieses Ergebnis aufgrund der beidseits auffälligen Tympanogramme nur eingeschränkt interpretierbar ist. Bei der letzten Sprachstandserhebung im Mai 2017 zeigten sich durchschnittliche Leistungen im Sprachverständnis.

Sprachproduktion:
Der aktive Wortschatz ist altersangemessen entwickelt (T-Wert 59 im SET 3-5). Im Bereich der aktiven Grammatikbeherrschung zeigen sich auf Satzebene altersangemessene Leistungen, vereinzelt leichte Unsicherheiten bei der Genus- oder Kasusmarkierung. Das Nacherzählen einer Bildgeschichte gelingt in grammatikalisch einfach gehaltenen Sätzen, jedoch inhaltlich vollständig. Noch etwas eingeschränkt der Verwendung von textgrammatikalischen Elementen (Satzverbindungen).

Artikulation:
Es zeigen sich keine sprachsystematischen Aussprachefehler. Durch die bestehenden faciale Schwächen rechtsseitig erscheint die Lippenöffnung beim Sprechen rechts etwas geringer zu sein als links, was sich leichtgradig auf die Sprechverständlichkeit auswirkt.

Frühe Schriftsprachkenntnisse:
***T*** kann lauttreue Wörter bereits flüssig mit adäquater silbierender Lesestrategie erlesen. Sie hat gelernt, einige Wörter zu schreiben. Auch das Verschriftlichen von Pseudowörtern (z.B. Mela, Tufi) gelingt bereits, was auf gute Fertigkeiten in der phonologischen Analyse hinweist."

Dem Kontrollbefund beigelegt ist folgendes Audiogramm vom :

c. Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom :

"Anamnese:
Vorgutachten 12/18 Dr. ***4*** mit 20 % wegen Ohrmuscheldysplasie rechts 20 % und Hörschwäche rechts 10 %

Derzeitige Beschwerden:
Weil der Bruder den gleichen Verlauf gehabt habe und mit 5 Jahren ein zweites Hörgerät bekommen habe und die erhöhte Familienbeihilfe, habe man nun bei ***T*** die Beschwerde eingelegt. Gehe in den Kindergarten, das sei ein Bauernhofkindergarten mit vielen Tieren. Sprachstörung durch die Hörstörung. Bei beiden Kindern würde die Hörstörung immer schlechter werden.

Behandlung(en)/Medikamente/Hilfsmittel:
Hörgeräte bds, FM-Anlage im Kindergarten.
Logopädie laufend

Sozialanamnese:
Eltern und ein schwerhöriger Bruder. Auch Mutter schwerhörig.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
ISS: Bestätigung für FM-Anlage bei hochgradiger Schwerhörigkeit rechts und leichtgradiger Schwerhörigkeit links.
Audiogramm (ohne Verfassernachweis - ***3***?): Hörverlust rechts 95 %, links 28 %
Audiogramm mit nicht leserlichem Arztstempel (und handschriftlichen Markierung mehrfach übereinander, sodass Einschätzung erschwert): Hörverlust rechts 96 %, links 40 % (mit Vorbehalt) - gleicher GdB wie bei Audiogr. 01/19
***3*** ISS: Bestätigung Logopädie seit 09/2014 laufend, Bestätigung ohne Ausstellungsdatum

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand: gut

Ernährungszustand: gut

Größe: 116,00 cm Gewicht: 16,00 kg Blutdruck:

Status (Kopf/Fußschema) - Fachstatus:
Sensorium unauffällig bei 2 Hörgeräten, versteht Zimmerlautstärke gut, Sprachfehler hörbar.
C/P unauffällig, Abdomen unauffällig,
WS gerade, Extremitäten frei beweglich.

Gesamtmobilität - Gangbild: harmonisches Bewegungsmuster

Psycho(patho)logischer Status:

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:


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Lfd. Nr
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr
GdB
1
Hörschwäche rechts (Hörminderung, hochgradig und an Taubheit grenzend rechts, geringgradig links)
Hörverlust rechts 95 %, links 28 %, Gdb daher laut EVO für über 6-jährige 20 % bei insgesamt geringgradiger Schwerhörigkeit, plus 10 % wegen hörbedingtem Sprachfehler, daher 30 % Gesamt-GdB.
30
2
Ohrmuscheldysplasie rechts
wegen der kosmetischen Relevanz vom Vorgutachten unverändert übernommen.
20

Gesamtgrad der Behinderung 30 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Führend ist Pos 1.
Pos 2 geringfügig und daher nicht stufenerhöhend.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Laut Beschwerdeschreiben der Partei zwei Halsfisteln und zwei Ohrenfisteln - diesbezüglich erfolgten keine Angaben und wurden daher auch nicht angesehen oder im Status vermerkt.

Stellungnahme zu Vorgutachten:
Erhöhung von 20 % auf 30 % bei neu vorliegenden Audiogrammen. Eine höhere Einschätzung ist aufgrund der Vorgaben der aktuell gültigen EVO nicht möglich, die für 6- bis 10-jährige bei vorliegendem Hörverlust einen GdB von 20 % vorgibt. Dazu werden 10 % gerechnet für die Sprachstörung, was in Summe die berechneten 30 % ergibt.

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja

GdB liegt vor seit: 01/2019
GdB 20 liegt vor seit: 09/2018
GdB 40 liegt vor seit: 09/2013

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Laut vorliegenden Audiogrammen von 01/2019

Nachuntersuchung: 01/2024
Anmerkung hins. Nachuntersuchung:
Mit Vollendung des 11. Lebensjahres Verlaufskontrolle."

d. Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom :

"Anamnese: Neuantrag, Letztuntersuchung Dr.in ***11*** vom wegen Hörschwäche rechts 30 %, Ohrmuscheldysplasie rechts 20 % = GdB 30 %.
Das Mädchen leidet an einer angeborenen Innenohrschwerhörigkeit rechts > links, trägt Hörgeräte seit Jahren.

Derzeitige Beschwerden: Die Mutter sagt, sie hat eine schwerhörigkeitsbedingte Sprachstörung, die S-Laute werden verschluckt.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel: laufende logopädische Betreuung bei ISSM
Hörgeräte bds.

Sozialanamnese
9 jähriges Mädchen, besucht die ***5***-Schule - Landessonderschule (Schule für Hörbeeinträchtigte) 3. Klasse Volksschule. Es wird bilingual mit Gebärdensprache unterrichtet, hat 2 Lehrer. Mutter und Bruder sind auch schwerhörig.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Dr. ***10***, HNO FA vom : Schwerhörigkeit; rechts 73 %, links 36 % = GdB 30 %
***3*** vom : leichte artikulatorische Defizite, durchschnittlich kognitive Leistungsfähigkeit, autosomal dominant vererbte BOR-Syndrom mit Ohrmuscheldysplasie rechts, Mikrognathie rechts, Ohranhängsel links, laterale Halsfisteln rechts und links, deutlicher Kreuzbiss, Mundastschwäche des Nervus facialis rechts, sonographisch belegte beidseitige hypoplastisch angelegte Nieren
***3***, Entwicklungsdiagnostischer Kontrollbefund vom : Diagnose wie oben
Bildungsdirektion OÖ, Bescheid vom :
1. Dem Antrag wird stattgegeben und ein sonderpädagogischer Förderbedarf aufgrund einer Hörbeeinträchtigung festgestellt.
2. Ihre Tochter ***T*** wird ab (Schuleintritt) nach dem Lehrplan der Volksschule unterrichtet und beurteilt.
3. Die Beschulung erfolgt integrativ an der ***5*** Landessonderschule Landesschulzentrum für Hör- und Sehbildung in ***9***.

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand: gut

Ernährungszustand: gut

Größe: 130,00 cm Gewicht: 25,00 kg Blutdruck:

Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus:
Kopf: Ohrmuscheldysplasie rechts, Hörminderung bds. rechts > links, trägt Hörgeräte bds. Es zeigt sich auch eine Facialisteillähmung rechts, der Mundwinkel rechts ist deutlich unter enerviert, das Gefühl rechts und links ist gleicht. Es zeigen sich weiters zu dieser Facialislähmung peripher rechts noch 2 sichtbare Fisteln im Halsbereich mit immer wiederkehrender Sekretion, deutlich erkennbar.
Herz: leise, rein, rhythmisch, keine vitiumtypischen Geräusche
Lunge: sonoren Klopfschall und VA, die Lungenbasen sind gut verschieblich
Abdomen: im Thoraxniveau, keine pathologische Resistenz
Haut: unauffällig
Gliedmaßen: frei beweglich
WS: altersgemäß, normal beweglich
Gesamtmobilität - Gangbild:
Der motorische Status ist altersgemäß unauffällig. Das Gangbild unauffällig, die Reflexe seitengleich.

Psycho(patho)logischer Status:
Das Mädchen ist gut kontaktfähig, ist zeitlich, örtlich, zur Person gut orientiert, freundlich, es besteht auch eine kognitive Einschränkung bedingt auch durch ihr vermindertes Hörvermögen.


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Lfd.
Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
Gdb %
1
BOR-Syndrom - Missbildungssyndrom
sinngemäß - 40 % aufgrund des Missbildungssyndroms -Ohrmuscheldysplasie rechts, Mikrognathie (Unterentwicklung des re. Kiefers), Ohranhängsel links, 2 Halsfistel rechts und links, Kreuzbiss, Mundastschwäche des Nervus facialis rechts, Hypoplastische Nieren bds. - der kognitiven Einschränkungen, besucht eine Sonderschule
40
2
Innenohrschwerhörigkeit bds. rechts > links
30 % aufgrund der Schwerhörigkeit bds. rechts 73 %, links 36 %
30

Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Führend ist das Leiden Nummer 1 mit 40 %. Das Leiden Nummer 2 steigert da es das Gesamtbild verschlechtert um eine Stufe.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
keine

Stellungnahme zu Vorgutachten:
Das Leiden in Pkt. 1 wurde im Letztgutachten nicht gewürdigt, auch die Hörminderung hat sich seit der Letztuntersuchung verändert, daher Beurteilung mit 50 %.

GdB liegt vor seit: 12/2012

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Das Leiden ist angeboren, eine Rückzahlung ist möglich.

Dauerzustand
Nachuntersuchung: in 3 Jahren
Anmerkung hins. Nachuntersuchung: Entwicklungskontrolle".

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die Tochter der Beschwerdeführerin ***T***, geboren im Dezember 2012, leidet an einem BOR-Syndrom. Sie hat eine Ohrmuscheldysplasie recht, eine Mikrognathie, ein Ohranhängsel links, 2 Halsfistel rechts und links, einen Kreuzbiss, eine Mundastschwäche des Nervus facialis rechts, hypoplastische Nieren beidseits und kognitive Einschränkungen (siehe Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom ; Entwicklungsdiagnostischer Kontrollbefund des ***3*** ***9*** vom ).

Zudem leidet ***T*** an einer beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit, rechts beträgt die Schwerhörigkeit 73% und links 36% (siehe Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom ; Entwicklungsdiagnostischer Kontrollbefund des ***3*** ***9*** vom ).

Beide Leiden bestehen seit ihrer Geburt (siehe Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom ).

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt ab 12/2012 50 v.H.

Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus den in Klammer angeführten Gutachten und ist nicht strittig.

1. Das Bundesfinanzgericht folgt darin, dass der Grad der Behinderung bei der Tochter der Beschwerdeführerin seit deren Geburt 50 v.H. beträgt, dem Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom .

2. Laut Gutachten vom betrug der Grad der Behinderung von ***T*** seit 09/2018 20 v.H. Die Ohrmuscheldysplasie rechts (Leiden 1) begründe den Gesamtgrad der Behinderung, die Hörschwäche rechts (Leiden 2) wirke aufgrund der geringen funktionellen Einschränkung nicht steigernd.

Nicht nachvollzogen werden kann, warum Leiden 2 mit einem Grad der Behinderung von 10% eingeschätzt wurde, da laut Anhang zur Einschätzungsverordnung bei Kindern die Einschätzungstabelle für Kinder heranzuziehen ist. Diese sieht aber bei Kindern zwischen dem 6. und dem 10. Lebensjahr bei geringgradigen Einschränkungen des Hörvermögens einen Grad der Behinderung von 20% vor. Insofern ist dieses Gutachten nicht schlüssig. Für die Feststellung des Grades der Behinderung kann dieses Gutachten somit nicht herangezogen werden.

3. Das Gutachten vom stellt den Grad der Behinderung von ***T*** mit 30 v.H. seit 01/2019 fest und führt aus, führend sei die geringgradige Hörschwäche links plus 10% wegen hörbedingtem Sprachfehler (Leiden 1) mit einem Grad der Behinderung von 30%, die Ohrmuscheldysplasie rechts (Leiden 2; Grad der Behinderung 20%) sei geringfügig und daher nicht stufenerhöhend. Bei dem vorliegenden Hörverlust für 6 bis 10-jährige gebe die Einschätzungsverordnung einen Grad der Behinderung von 20% vor. Hinzukommen 10% für die Sprachstörung laut Positionsnummer des Anhanges zur Einschätzungsverordnung. Betreffend die rückwirkende Feststellung des Grades der Behinderung ab 01/2019 wird auf die Audiogramme von 01/2019 verwiesen. Hinsichtlich der Halsfisteln und Ohrfisteln wurden in der Untersuchung beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen keine Angaben gemacht; diese erreichen keinen Grad der Behinderung.

Dieses Gutachten zieht nunmehr die laut Anhang zur Einschätzungsverordnung vorgesehene Einschätzungstabelle für Kinder heran und berücksichtigt auch die Sprachstörung. Diese Feststellung ist somit schlüssig und nachvollziehbar.

Keine Berücksichtigung finden allerdings die Ohrmuscheldysplasie wegen Geringfügigkeit und die weiteren Missbildungen im Gesichts- und Halsbereich; letztere fehlen zur Gänze. Insofern ist das Gutachten insgesamt nicht vollständig und kann auch dieses nicht für die Feststellung des Grades der Behinderung herangezogen werden.

4. Anders verhält es sich jedoch mit dem Gutachten vom . Darin wird das BOR-Syndrom (Leiden 1) mit 40 v.H. und die Innenohrschwerhörigkeit (Leiden 2) mit 30 v.H. festgestellt, wobei führend Leiden 1 ist und Leiden 2 das Gesamtbild um eine Stufe verschlechtert. Somit ergibt sich ein Grad der Behinderung von 50 v.H. seit 12/2012. Die Erhöhung zum Letztgutachten wird damit begründet, dass Leiden 1 nicht gewürdigt worden sei.

Die Feststellung des Grades der Behinderung hinsichtlich Leiden 1 aufgrund der Positionsnummer des Anhanges zur Einschätzungsverordnung mit 40% ist als Defekt im Gesichtsschädel mit leichterer kosmetischer Auswirkung und einem Rahmen von 10-40% schlüssig und nachvollziehbar, zumal die Funktionseinschränkungen vom Gutachter genau angeführt sind mit Ohrmuscheldysplasie rechts, Mikrognathie (Unterentwicklung des rechten Kiefers), Ohranhängsel links, 2 Halsfistel rechts und links, Kreuzbiss, Mundastschwäche des Nervus facialis rechts, hypoplastische Nieren beidseits.

Leiden 2 wird - wie auch im Vorgutachten - mit einem Grad der Behinderung iHv 30 v.H. festgestellt. Dieses führt zur Steigerung des Gesamtgrades der Behinderung um eine Stufe. Somit ist die Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung schlüssig und nachvollziehbar.

Gleiches gilt für die rückwirkende Feststellung des Gesamtgrades in dieser Höhe ab 12/2012 aufgrund der Begründung, dass das Leiden angeboren ist.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Aufhebung)

1. Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a Familienlastenausgleichgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für minderjährige Kinder Anspruch auf Familienbeihilfe.

Die Familienbeihilfe erhöht sich für jedes Kind, das erheblich behindert ist, monatlich um € 155,90 (§ 8 Abs. 4 FLAG 1967). Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag zusteht.

2. Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht, als erheblich behindert. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

3. Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

4. Hinsichtlich der Höhe des Grades der Behinderung ist die Behörde bzw. das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und nicht einander widersprechend sind (vgl. ; , und die bei Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG, 2. Aufl., § 8, Rz 29 zitierte Rechtsprechung).

Ein Gutachten ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhalts durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen stützen (vgl. für viele ). Auch die Gutachten der Ärzte des Sozialministeriumservice haben den an ärztliche Sachverständigengutachten zu stellenden Anforderungen an ihre Nachvollziehbarkeit zu entsprechen. Sie dürfen sich daher insbesondere nicht widersprechen oder in bloßen Behauptungen erschöpfen. Die Behörden des Verwaltungsverfahrens sind daher verpflichtet, die Beweiskraft der Gutachten des Sozialministeriumservice zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen (vgl. etwa , mwN.).

5. Das Bundesfinanzgericht hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabeverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO iVm § 2a BAO). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele ) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt. Für die Abgabenbehörden und auch das Bundesfinanzgericht besteht eine Bindung an die im vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen erstellten Gutachten, sofern sie schlüssig sind.

6. Die meritorische Erledigung einer gegen einen Abweisungsbescheid erhobenen Beschwerde mittels Erkenntnisses hat, jeweils für einen bestimmten Zeitraum, auf (gänzliche oder teilweise) ersatzlose Aufhebung des den Antrag abweisenden Bescheides für Monate, in denen (ganz oder teilweise) Familienbeihilfe zusteht, zu lauten.

7. Gemäß Positionsnummer der Anlage zur Einschätzungsverordnung ist bei der Einschränkung des Hörvermögens nach der dort angeführten Tabelle vorzugehen.

Die Prüfung des Hörvermögens ist ohne Hörhilfe am besser hörenden Ohr durchzuführen.

Neben der groben Prüfung der Hörweite für Umgangssprache und der Einbeziehung vorliegender Audiogramme in die Beurteilung ist die Hörprüfung nach der orientierenden Tabelle für Allgemeinmediziner durchzuführen.

Bei der fachärztlichen Beurteilung ist der prozentuelle Hörverlust (angeführte Tabellen) aus den Ergebnissen des Tonschwellenaudiogramms bzw. Sprachaudiogramms für die Beurteilung heranzuziehen.

Hörbedingte Sprachstörungen erhöhten den Wert um 10 % und bei Stummheit um 20 %.

Bei Kindern und Jugendlichen bis zum vollendeten 14. Lebensjahr (Abschluss der Sprachentwicklung) ist die Einschätzungstabelle für Kinder heranzuziehen. Damit werden die Sprachentwicklungsstörungen und Beeinträchtigungen der geistigen und sozialen Entwicklung miterfasst. Kriterium ist das besser hörende Ohr.

Einschätzungsrichtlinie laut Österreichischer HNO - Gesellschaft:


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1. - 5. LJ
6. - 10. LJ
11. - 14. LJ
Geringgradig
30 %
20 %
10 %
Mittelgradig
70 %
60 %
50 %
Hochgradig
90 %
90 %
80 %
An Taubheit grenzend
100 %
100 %
100 %

Eine geringgradige Schwerhörigkeit liegt bei 20-40 % Hörverlust vor (siehe Stellungnahme des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom ).

8. Da die Tochter der Beschwerdeführerin im Dezember 2012 geboren ist, steht der Beschwerdeführerin unstrittig der Grundbetrag gemäß § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 zu.

9. Die Tochter der Beschwerdeführerin leidet seit ihrer Geburt am BOR-Syndrom und einem geringgradigem Hörverlust.

Im - schlüssigen und nachvollziehbaren - Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom wurde festgestellt, dass der Gesamtgrad der Behinderung seit 12/2012 50 v.H. beträgt. Das Bundesfinanzgericht ist an dieses Gutachten gebunden.

Da die Tatbestandsvoraussetzungen des § 8 Abs 5 FLAG 1967 vorliegen, besteht somit Anspruch auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für die Tochter ***T***. Der Bescheid des Finanzamtes, mit dem der Antrag auf Erhöhungsbetrag ab 09/2018 abgewiesen wurde, war somit aufzuheben.

10. Hingewiesen wird noch darauf, dass die Beschwerdeführerin insgesamt vier Anträge auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ihrer Tochter ***T*** gestellt hat. Das Finanzamt hat nicht über den ersten Antrag der Beschwerdeführerin entschieden, sondern über den dritten abgesprochen. Das Finanzamt hätte aber über den ersten Antrag entscheiden müssen, die (drei) späteren Anträge sind als Ergänzungen oder als Urgenz des früheren Antrages anzusehen (vgl. ).

Gemäß § 10 Abs. 1 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe (abgesehen vom Fall des § 10a FLAG 1967 anlässlich der Geburt eines Kindes) nur auf Antrag gewährt. Da die Beschwerdeführerin am keinen Antrag iSd § 10 Abs. 1 FLAG 1967 gestellt hat, durfte das Finanzamt einen derartigen Antrag auch nicht abweisen. Das richtige Datum eines Anbringens sowie dessen Einlangen oder Postaufgabe ist nicht nur für die Identifizierbarkeit des Anbringens, sondern auch für die Berechnung von Fristenläufen maßgebend (etwa § 284 BAO oder § 10 Abs. 3 FLAG 1967; vgl. ).

Als Sache des Beschwerdeverfahrens, somit als Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, ist jene Angelegenheit anzusehen, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde gebildet hat (vgl. für viele etwa ; ).

Anders als etwa bei mangelhaften Eingaben, die auch vom Bundesfinanzgericht gemäß § 269 Abs. 1 BAO i.V.m. § 85 Abs. 2 BAO einem Mängelbehebungsverfahren unterzogen werden können, oder bei einer Entscheidung "in der Sache" durch Änderung des Spruches des angefochtenen Bescheides gemäß § 279 Abs. 1 BAO ist es dem Bundesfinanzgericht im Bescheidbeschwerdeverfahren verwehrt, durch Änderung des Antragsdatums, auf das sich ein antragsbedürftiger Bescheid in seinem Spruch bezieht, den Prozessgegenstand auszutauschen (vgl. ; u.v.a.).

Somit ist der Abweisungsbescheid vom zweifellos rechtswidrig und daher auch aus diesem Grund gemäß § 279 Abs. 1 BAO (ersatzlos) auszuheben.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine Revision ist nicht zulässig, da es sich ausschließlich um die Beantwortung von Tatfragen handelt und die zugrunde liegenden Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des VwGH und das Gesetz ausreichend beantwortet sind.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise




ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.5101746.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at