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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 02.08.2021, RV/4100392/2017

Nachsicht, Löschung von Abgabenschuldigkeiten

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. ***9*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, vertreten durch ***10*** GmbH & Co KG, ***11*** 15, ***12*** ***13***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes ***23*** vom betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO und die Beschwerde vom 8. ***14*** ***15*** gegen den Bescheid des Finanzamtes vom 01.***14*** 2015 über die Löschung von Abgabenschuldigkeiten gemäß § 235 BAO zu Recht erkannt:

Die Beschwerden werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt, Verfahren:

1. Verfahren betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO:

Aus der Aktenlage ergibt sich, dass der Beschwerdeführer (im Folgenden Bf.) am die Nachsicht bestehender und unberichtigt aushaftender, fälliger Abgabenschulden in Höhe von Euro 33.703,29 beantragt hat (Abgabenkonto, Stand 10/2013). Diese setzten sich aus den am Abgabenkonto des Beschwerdeführers (im Folgenden: Bf.) verbuchten Nachforderungen an Abgaben aus der Veranlagung zur
- Umsatzsteuer der Jahre 2004, 2005, 2006,2007, 2008 und 2009 iHv insgesamt Euro 9.888,79;
- Einkommensteuer der Jahre 2004, 2005, 2007, 2008, 2009 iHv Euro 21.436,45.
- den bezughabenden Anspruchszinsen 2004, 2005, 2007, 2008, 2009 iHv Euro 1.477,04;
- der Einkommensteuervorauszahlung 2012 iHv Euro 347,71 und
- der Einkommensteuervorauszahlung 2013 IHv Euro 462,77
sowie den ersten Säumniszuschlag 2005 iHv Euro 90,53 (Auszug Abgabenkonto, Stand , insgesamt Euro 33.703,29), zusammen.

Bescheid :

Das Finanzamt wies mit Bescheid vom das Ansuchen um Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten in Höhe von Euro 33.703,29 als unbegründet ab und führte rechtlich aus, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nicht gegeben sind.
Zur persönlichen Unbilligkeit wurde ausgeführt, dass eine solche dann gegeben sei, wenn die Abgabeneinhebung die Existenz des Nachsichtswerbers beeinträchtige. Dies treffe auf den gegenständlichen Fall nicht zu.
Durch die Einhebung der Einkommensteuer und Umsatzsteuer komme es verglichen mit gleichgelagerten Fällen nicht zu einem atypischen Vermögenseingriff mit einer anormalen Belastungswirkung.
Zur sachlichen Unbilligkeit wurde ausgeführt, dass im gegenständlichen Fall eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage, die alle Abgabepflichtigen gleichermaßen treffe, vorliege. Da der Rückstand ausschließlich aus Umsatz- und Einkommensteuerveranlagungen und deren Rechtsfolgen bestehe, könne eine sachliche Unbilligkeit der Einhebung nicht erkannt werden. Es liege die Auswirkung einer allgemeinen Rechtslage vor.

Beschwerde vom :

In der Beschwerde vom wendete der Bf. ein, dass die Abgabenschuldigkeiten aufgrund von Straftaten der Behörden iVm der Justiz festgesetzt worden wären. Zum Beweis werde die amtswegige Einholung des bezughabenden Aktes der Staatsanwaltschaft ***2***, ***1***, beantragt.

Es liege sowohl persönliche als auch sachliche Unbilligkeit der Einhebung vor und sei der Antrag zwingend zu bewilligen. Die Abgabenfestsetzungen wären analog einem Diebstahl rechtswidrig im Zuge einer rechtswidrigen Abgabenprüfung erfolgt und wurden die bezughabenden Bescheide rechtswidrig erlassen.

Wörtlich führte der Bf. aus:

"Schließlich würde die Abgabeneinhebung auch meine Existenz vernichten. Denn dass die rechtswidrige und schuldhafte Umsatz- und Einkommensteuerveranlagungen seitens der ***3*** Finanz analog einem +Diebstahl+ festgesetzt wurden, ergibt sich nicht nur aus den noch ausstehenden Verfahren sondern auch aus der Tatsache, dass diese rechtswidrigen Bescheide trotz Unschuldsvermutung erlassen wurden und auch die Tatsache, dass eine Außenprüfung bei mir rechtswidrig und schuldhaft vorgenommen wurde obwohl die V***4*** von einem Dienstverhältnis ausgegangen ist (***4*** Bescheid v. , AZl.). Außerdem existieren mehrfach richterliche Entscheidungen, welche zu meinen Gunsten entschieden wurden (2x UVS ***17***, 2X LG ***2***). Auch die ***5*** hat bereits mit Bescheid die rechtswidrige Vorgangsweise erkannt und zu meinen Gunsten entschieden. Nicht ohne Grund hat mir der OGH mit Beschluss die Delegierung und Amtshaftung betr. Verfahrenshilfe zuerkannt.
…….… ."

Beschwerdevorentscheidung:

Das Finanzamt wies mit Beschwerdevorentscheidung vom die Beschwerde als unbegründet ab und führte in der Sache aus, dass die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nicht gegeben wären und daher für eine Ermessensentscheidung kein Raum bleibe. Am Abgabenkonto würde infolge Löschung der Abgabenschuldigkeiten kein Rückstand mehr aufscheinen.

Vorlageantrag, Vorlagebericht:

Der Bf. beantragte fristgerecht die Vorlage der Beschwerde an das BFG.

Mit Vorlagebericht vom hat das Finanzamt den angefochtenen Bescheid betreffend die Abweisung eines Nachsichtsansuchens, die Beschwerde vom , die Beschwerdevorentscheidung, den Vorlageantrag, und das Erkenntnis des Finanzstrafsenates ***2*** 1 beim GZl. ***16***, vorgelegt.

2. Verfahren betreffend Löschung von Abgabenschuldigkeiten gemäß § 235 BAO v. :

Das Finanzamt hat mit Bescheid vom Abgabenschuldigkeiten in Höhe von insgesamt Euro 30.000,00 gemäß § 235 BAO gelöscht.

Die Löschung umfasste die Nachforderungen an
- Umsatzsteuer 2004, 2005, 2006, 2007, 2008 und 2009 iHv insgesamt Euro 9.888,79;
- Einkommensteuer 2004, 2005, 2007, 2008 iHv 16.312,34 (nicht erfasst: ESt. 2009 iHv Euro 4.757,30);
- die bezughabenden Anspruchszinsen 2004, 2005, 2007, 2008, 2009 iHv Euro 1.477,04;
- Aussetzungszinsen 2012 iHv Euro 347,71 und 2013 iHv Euro 462,77;
- Pfändungsgebühr 2014 iHv Euro 341,71;
- Barauslagenersatz iHv Euro 0,62;
- Säumniszuschläge 2005, 2013 und 2016 iHv Euro 817,44;
- Pfändungsgebühr iHv Euro 347,72;
- Barauslagenersatz iHv Euro 4,10; insgesamt somit Euro 30.00,00.

Der Löschung gemäß § 235 BAO lagen eine Reihe erfolgloser Einbringungsversuche durch mehrere Finanzämter zu Grunde. Die Zuständigkeit der Finanzämter änderte sich infolge der Wohnsitzwechsel durch den Beschwerdeführer.

So stellten Mitarbeiter des Finanzamtes ***6*** am fest, dass ein Nachsichtsansuchen eingelangt sei, die Darstellung der Vermögensverhältnisse durch den Bf. bislang nicht erfolgt sei.
In der Zeit ab bis bezog der Bf. Notstands- und Überbrückungshilfe.

Laut Aktenvermerk des Einbringungsorganes beim Finanzamt vom konnte der Bf. an der Meldeadresse nicht angetroffen werden. Es wurde eine Zahlungsaufforderung an der Meldeadresse hinterlegt. Daraufhin teilte die Freundin des Bf. telefonisch mit, dass der Bf. voraussichtlich bis Ende März 2015 in der Justizanstalt einsitze.

Am stellte der Mitarbeiter beim Finanzamt fest, dass der Bf. lt. ZMR am in den Nicht EU-Raum (vermutlich ***21***) verzogen sei.
Am wurde festgestellt, dass der Bf. seinen Wohnsitz gewechselt habe und sich dadurch die Zuständigkeit des Finanzamtes ebenfalls geändert habe.
In der Zeit vom bis habe der Bf. Krankengeld bezogen.

Aktenvermerk vom :
Es erfolge eine Löschung eines Abgabenbetrages iHv Euro 1.487,48, weil zum derzeitigen Zeitpunkt sämtliche Einbringungsmaßnahmen erfolglos geblieben wären und die derzeitige finanzielle Situation des Bf. in naher Zukunft keine wesentliche Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse erwarten lasse. Der Rückstand resultiere aus einer früheren Selbständigkeit.

Aktenvermerk vom :
Pflichtige wohne an der Adresse ***7*** 6 in K. (***8***, obdachlos).
Der Bf. bezieht seit Notstandshilfe.

Aktenvermerk vom :
Der Rückstand wurde gelöscht.

Die Löschung der Abgabenschulden in Höhe von Euro 30.000,00 erfolgte laut Bescheid vom , weil alle Möglichkeiten der Einbringung bis dato erfolglos versucht worden sind, Einbringungsmaßnahmen derzeit offenkundig aussichtslos sind und aufgrund der Sachlage nicht angenommen werden kann, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Erfolg führen würden.

Die gelöschten Abgaben setzten sich wie folgt zusammen:

:

Beschwerde:

In der Beschwerde brachte der Bf. wörtlich vor:

"Gegen den Bescheid vom betr. Löschung von Abgabenschuldigkeiten erhebe ich das Rechtsmittel der Becshwerde und begründe dies wie folgt:
Der angefochtene Bescheid, ist nicht gegen jederzeitigen Widerruf, sondern die Abgabenschuldigkeiten sind mittels Nachsicht ohne Widerruf zur Gänze zu löschen bzw. nachzusehen und zwar insoweit, dass mir die Guthaben aus den Alleinverdienerabsetzbeträgen (2004: Eur 1109, 2005: Eur 1109, 2006: Eur 1109, 2007: Eur 1109, 2008: Eur 1329, 2009: Eur 1329, 2010: Eur 1329, 2011: Eur 1329 in Höhe von Eur 9.752,00 samt Anspruchszinsen sowie die auf dem Finanzamtskonto verbuchte Zahlung in Höhe von Eur 553,20 samt Anspruchszinsen gutgeschrieben und der Gesamtbetrag von Eur 10.305,20 samt Anspruchszinsen zur Auszahlung bereitgestellt werden."

Beschwerdevorentscheidung:

In der Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt darauf hin, dass Abgabenschuldigkeiten von Amts wegen durch Abschreibung gelöscht werden können, wenn Einbringungsmaßnahmen offenkundig aussichtslos sind und aufgrund der Sachlage nicht angenommen werden kann, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt Erfolg haben werden. Gemäß § 215 BAO ist ein Guthaben zur Tilgung fälliger Abgabenschuldigkeiten zu verwenden. Dies treffe auf den vorliegenden Sachverhalt zu.

Nachdem der Bf. die Vorlage der Beschwerde an das BFG beantragte, legte das Finanzamt die bezughabenden Bescheide und Beschwerden vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Das Finanzamt hat mit dem Vorlagebericht den angefochtenen Löschungsbescheid vom , die Beschwerde vom , die Beschwerdevorentscheidung vom , den Vorlageantrag, und das Erkenntnis des Finanzstrafsenates ***2*** 1 beim GZl. ***16***, vorgelegt.

Das Bundesfinanzgericht hat erkannt:

Nachsicht gemäß § 236 BAO und Löschung gemäß § 235 BAO:

Im Verfahren betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO steht der Sachverhalt nach Einsichtnahme in die vorgelegten Unterlagen, nämlich dem angefochtenen Bescheid über die Abweisung eines Nachsichtsansuchens, der verfahrensgegenständlichen Beschwerde vom , der Beschwerdevorentscheidung, den Vorlageantrag und Vorlagebericht, den Auszug aus dem Abgabenkonto, dem Erkenntnis des Finanzstrafsenates ***2*** 1 beim GZl. ***16***, und Würdigung derselben, wie oben dargestellt fest.

Strittig ist, ob aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes eine sachlich und/oder persönliche Unbilligkeit der Einhebung der Abgaben vorliegt, sodass im Ermessenswege die Möglichkeit einer Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten zu prüfen ist.

Im Verfahren betreffend Löschung gemäß § 235 BAO steht der Sachverhalt ebenfalls aufgrund der dargestellten Aktenlage fest. Demnach war der Bf. vorübergehend in der Justizanstalt und in einer Sozialunterkunft wohnhaft und bezog über längere Zeiträume Notstandshilfe.

Die Feststellungen zur Uneinbringlichkeit der Abgaben und zu den schlechten finanziellen wirtschaftlichen Verhältnissen leiten sich aus den zahlreichen Aktenvermerken der Einhebungsorgane verschiedener Finanzämter (***6***, ***2***, ***18***) ab. Der Bf. hat wiederholt den Wohnsitz gewechselt, sodass die Zuständigkeit mehrere Finanzämter begründet worden ist. Demnach konnte der Bf. bei den zahlreichen Versuchen ihn an seiner Wohnadresse lt. ZMR zu erreichen nicht angetroffen werden und sind die Feststellungen betreffend Notstandshilfe, Unterkunft beim ***8*** aus den gemeldeten Unterlagen ersichtlich gewesen.

Rechtslage:

§ 236 BAO normiert:
(1) Fällige Abgabenschuldigkeiten können auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
(2) Abs. 1 findet auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.
(3) Die Bestimmungen des § 235 Abs. 2 und 3 gelten auch für die Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten.
§ 235 Abs. 2 und 3 BAO lauten:
(2) Durch die verfügte Abschreibung erlischt der Abgabenanspruch.
(3) Wird die Abschreibung einer Abgabe widerrufen (§ 294), so lebt der Abgabenanspruch wieder auf. Für die Zahlung, die auf Grund des Widerrufes zu leisten ist, ist eine Frist von einem Monat zu setzen.

Abschreibungen im Sinne der BAO (hier: im Sinne des § 236 Abs. 1 BAO und des auch für Nachsichten geltenden § 235 Abs. 2 BAO) sind buchungstechnische Vorgänge, die auf Abgabenkonten zu Gutschriften führen und vorangegangene entsprechende Lastschriften (kontomäßige Vorschreibungen) voraussetzen (Ritz, BAO6, § 235 Tz 5 mit Hinweis auf , 0059).

Nachsicht gemäß § 236 BAO:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Gegenstand des Verfahrens sind die festgesetzten Abgaben nach den Einkommensteuer- und Umsatzsteuerveranlagungen für die Veranlagungsjahre 2004 bis 2009 mitsamt den bezughabenden Bescheiden betreffend Anspruchszinsen und Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt Euro 33.703,29 (Auszug Abgabenkonto, Stand ).

Der Unabhängige Finanzsenat hat mit Erkenntnis vom , GZl. ***19***, über die Berufungen des Beschwerdeführers gegen die Einkommensteuerbescheide 2004 bis 2009 und Umsatzsteuerbescheide 2004 bis 2009 des Finanzamtes ***2*** vom erkannt, dass die Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid 2004 und die Umsatzsteuerbescheide 2004 bis 2009 als unbegründet abgewiesen wurden, und die Einkommensteuerbescheide der Veranlagungsjahre 2005 bis 2009 abgeändert wurden.

Der Bf. meint, es lägen zwingend sowohl sachliche als auch persönliche Unbilligkeit der Einhebung vor.

Die Veranlagungen durch die Abgabenbehörde wären rechtswidrig erfolgt. Die Abgaben seien zu Unrecht festgesetzt worden.

Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die im § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneint die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum, sondern der Antrag aus rechtlichen Gründen abzuweisen. Bejaht die Abgabenbehörde hingegen das Vorliegen einer Unbilligkeit, so hat sie im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden. Die Unbilligkeit der Einhebung kann persönlich oder sachlich bedingt sein.

Die Unbilligkeit kann "persönlich" oder "sachlich" bedingt sein.

Eine sachliche Unbilligkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (vgl. z.B. ; , 2006/15/0337, mwN).

Soweit der Bf. nun wiederholt Einwendungen gegen das Ergebnis des materiellrechtlichen Abgabenverfahrens erhebt und meint, dieses sei gegen ihn rechtswidrig geführt worden, ist er darauf hinzuweisen, dass damit für das Nachsichtsverfahren nichts gewonnen werden könne.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dient die Nachsicht nämlich nicht dazu, Unrichtigkeiten von Abgabenfestsetzungen zu beseitigen oder unterlassene Rechtsbehelfe nachzuholen (vgl. z.B. ; ; ). Vielmehr ist der Bf. mit diesem Vorbringen gegen die materiellrechtlichen Abgabenbescheide auf den Rechtsweg zu verweisen.

Der Bf. übersieht, dass das aus dem Rechtsstaatlichkeitsprinzip abgeleitete Übermaßverbot dahingeht, dass ein Steuerpflichtiger nicht zu einer unverhältnißmäßigen Steuerpflicht herangezogen werden dürfe.

Es kann aus dem Billigkeitsbegriff heraus nicht Aufgabe des § 236 BAO sein, materielles Abgabenrecht in einzelnen Fällen durch Abgabenverzichte auszugleichen und zu korrigieren. Unter Unbilligkeiten sind nur solche Eingriffe zu verstehen, die im Bereich der Einhebung liegen und nicht solche im Bereich der Anwendung des materiellen Rechts der Abgabenfestsetzung.

Wenn nun der Bf. wiederholt meint, die Abgaben wären zu Unrecht festgesetzt worden, lag es an ihm im materiell-rechtlichen Abgabenfestsetzungsverfahren die entsprechenden Rechtsmittel zu erheben.
Das Nachsichtsverfahren dient nicht dazu, nachträglich Einwendungen gegen den Abgabenanspruch zu ermöglichen, um solcherart das Abgabenfestsetzungsverfahren in seinem Ergebnis zu ändern.

Schließlich wäre es am Beschwerdeführer selbst gelegen gewesen, im Abgabenverfahren teilzunehmen. Dazu ergibt sich aus der Niederschrift über die Schlussbesprechung gemäß § 149 BAO vom , ABNr.: ***20***, dass der Bf. nicht an der Schlussbesprechung teilgenommen hat. Der Bf. blieb der mündlichen Verhandlung beim Unabhängigen Finanzsenat am , GZl. RV/0073-F/13, fern.

Eine sachliche Unbilligkeit liegt sohin nicht vor.

Eine "persönliche" Unbilligkeit liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlage des Nachsichtswerbers gefährdet. Allerdings bedarf es zur Bewilligung einer Nachsicht nicht unbedingt der Gefährdung des Nahrungsstandes, der Existenzgefährdung, besonderer finanzieller Schwierigkeiten und Notlagen, sondern es genügt, dass die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa, wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögen möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleichkäme. Einbußen an vermögenswerten Interessen, die mit Abgabenleistungen allgemein verbunden sind und die jeden gleich berühren, stellen eine Unbilligkeit nicht dar.

Mit Rücksicht auf das Erfordernis eines Antrages und in Anbetracht der Interessenslage hat bei Nachsichtsmaßnahmen der Nachsichtswerber einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann. Wenn das Vorbringen des Nachsichtswerbers nicht die gebotene Deutlichkeit und Zweifelsfreiheit aufweist, so kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () eine mangelnde Ermittlungstätigkeit der Abgabenbehörde nicht als Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeworfen werden.

Aus der Aktenlage ergibt sich zur wirtschaftlichen Situation des Bf., dass der Antragsteller und Beschwerdeführer bis März 2015 eine Freiheitsstrafe zu verbüßen hatte und danach auf eine Unterbringung in einer ***22*** Unterkunft angewiesen gewesen ist.
Der Bf. bezog wiederholt Notstandshilfe. Daraus leitet sich für den erkennenden Richter ab, dass der Bf. in den Jahren 2015, 2016 über kein regelmäßiges Einkommen bis zum Zeitpunkt der Beschwerdevorentscheidung 2017 verfügt hat, sodass die ihm zur Verfügung gestandenen finanziellen Mittel wohl auch unter dem vom Gesetzgeber festgelegten Existenzminimum gelegen sind, sodass von einer nicht gegebenen Einbringlichkeit des Abgabenrückstandes auszugehen war. Die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse des Bf. haben sich durch die ohnehin erfolglos versuchten Einbringungsmaßnahmen nicht weiter verschlechtert. Vielmehr ist die Existenz des Bf. generell durch seine gesamte finanzielle Situation gefährdet.

Dazu stellten die Organe verschiedener Finanzämter fest, dass aufgrund der finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Bf. die Einbringlichkeit dauerhaft unmöglich sein werde.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () liegt somit eine persönliche Unbilligkeit (Existenzgefährdung durch eine drohende Abgabeneinhebung) im Sinne des § 236 BAO nicht vor, sondern eine Uneinbringlichkeit im Sinne der §§ 231 bzw 235 BAO.

Für den Fall der dauernden Uneinbringlichkeit fälliger Abgabenschuldigkeiten ist nach den Bestimmungen der Bundesabgabenordnung nicht das Rechtsinstitut der Abgabennachsicht gemäß § 236 BAO, sondern jenes der Löschung durch Abschreibung gemäß § 235 BAO vorgesehen. Allerdings besteht auf eine Löschung von Abgabenschuldigkeiten nach § 235 BAO kein Rechtsanspruch ().

Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgeführt hat, liegt persönliche Unbilligkeit dann vor, wenn gerade die Einhebung der Abgaben die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner Familie gefährdet oder die Abstattung mit außergewöhnlichen Schwierigkeiten (so insbesondere einer Vermögensverschleuderung) verbunden wäre. Die deutlichste Form der persönlichen Unbilligkeit liegt in der Existenzgefährdung. Diese müsste gerade durch die Einhebung der Abgabe verursacht sein.
Eine Unbilligkeit ist dann nicht gegeben, wenn die finanzielle Situation eines Abgabenschuldners ohnehin so schlecht ist, dass auch die Gewährung der beantragten Nachsicht an der Existenzgefährdung nichts ändert ().

Da das monatliche Einkommen des Beschwerdeführers den geltenden unpfändbaren Freibetrag unbestritten zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht überstieg, liegt wegen der ohnehin nicht gegebene Einbringlichkeit des Abgabenrückstandes eine persönliche Unbilligkeit (Existenzgefährdung durch eine drohende Abgabeneinhebung) im Sinn des § 236 BAO nicht vor ().

Entgegen dem Vorbringen des Bf, dass nach Lage des Falles sehr wohl eine sich aus seiner wirtschaftlichen Situation ergebende persönliche Unbilligkeit vorliege, wurden von ihm keinerlei Auswirkungen der Abgabeneinhebung auf seine Einkommens- und Vermögenslage dargestellt, obwohl es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () gerade darauf ankommt. Das pauschale Vorbringen in der Beschwerde, durch die Vorgehensweise der Behörden iVm der Justiz sei die Existenz des Bf. gefährdet, reicht für sich alleine für das Vorhandensein einer persönlichen Unbillikgkeit nicht aus. Vielmehr sind im vorliegenden Sachverhalt die Voraussetzung einer Löschung der Abgabenschuldigkeiten infolge Uneinbringlichkeit gegeben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision:

Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Einer Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu, wenn das Erkenntnis von vorhandener Rechtsprechung des VwGH abweicht, diese uneinheitlich ist oder fehlt. Da die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht erfüllt sind (siehe die in der Begründung zitierten Entscheidungen), ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Klagenfurt am Wörthersee, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 235 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 279 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.4100392.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at