Maßgebliche Fristen für Wiederaufnahmsantrag
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung von Bw, vertreten durch WTH, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Bregenz vom betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs 4 BAO hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 1989 und 1990 entschieden:
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Der Antrag vom auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Einkommensteuer für 1989 und 1990 wird zurückgewiesen
Entscheidungsgründe
Mit Schreiben vom beantragten der Berufungsführer, nachfolgend Bw. abgekürzt, die Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 BAO betreffend Einkommensteuer 1989 und 1990. Als Bescheide, deren Rechtskraftdurchbrechung sie beantragten, nannten sie die vom Finanzamt ausgestellten "gem. § 295 abgeänderten Einkommensteuerbescheide 1989 vom und 1990 vom ".
Begründend führten die Bw aus, mit Bescheid vom sei vom Wiener Feststellungsfinanzamt festgestellt worden sei, dass der dem Einkommensteuerbescheid 1989 zugrunde liegende Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung gem. § 188 BAO vom mangels eines gültigen Bescheidadressaten ein Nichtbescheid sei, welcher keine Rechtswirkung entfalte. Die Qualifizierung des Grundlagenbescheides als Nichtbescheid stelle eine, als tauglicher Wiederaufnahmegrund anzusehende, neu hervorgekommene Tatsache iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO dar. Wenn selbst der bescheiderlassenden Behörde die Tatsache nicht bekannt gewesen sei, dass dem Grundlagenbescheid Bescheidqualität mangelt, so könne diese Tatsache im Verhältnis zum Normunterworfenen nur als "neu hervorgekommen" gelten, wobei den Bw. an der Nichtgeltendmachung kein grobes Verschulden treffe. Diese Rechtsansicht werde durch das Bundesministerium für Finanzen (BMF) in einem Schreiben vom geteilt.
Die Wiederaufnahme des Verfahrens würde zu einem im Spruch abgeänderten Einkommensteuerbescheid 1989 führen.
Mit Grundlagenbescheid für das Jahr 1989, datiert mit , seien die anteiligen Einkünfte aus Gewerbebetrieb festgestellt und ihnen bzw ihrem Rechtsvorgänger zugewiesen worden.
Im Jahr 1993 habe eine die Jahre 1989 bis 1991 betreffende Betriebsprüfung begonnen, die bis fortgedauert habe. Der BP-Bericht datiere mit . Das zuständige Finanzamt habe am einen Bescheid gemäß § 188 BAO an die "Mitunternehmerschaft" erlassen, wobei hinsichtlich des Jahres 1989 eine abweichende Feststellung gegenüber dem Grundlagenbescheid getroffen worden sei.
Gegen den Bescheid vom sei fristgerecht Berufung erhoben worden. Mit Berufungsentscheidung vom sei der Grundlagenbescheid vom bestätigt und die Berufung als unbegründet abgewiesen worden. Gegen die Erledigung der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom sei am Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht worden. Mit Beschluss vom sei die Beschwerde gegen die Erledigung der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom zurückgewiesen worden. Mit Bescheid vom habe die Finanzverwaltung zur Steuernummer 731/0880 einen Zurückweisungsbescheid zur Berufung vom erlassen.
Der nunmehr vorliegende Zurückweisungsbescheid des Finanzamtes Wien 6/7/15 erkläre den Grundlagenbescheid vom mangels gültigem Bescheidadressaten zu einem Nichtbescheid und weise die Berufung als unzulässig zurück (worauf die Bw durch Fettdruck ihrer diesbezüglichen Ausführungen besonders hinwiesen).
Aufgrund der oben erwähnten Nichtbescheide - erlassen durch das Finanzamt Wien 6/7/15 - seien die ursprünglichen Einkommensteuerbescheide 1989 und 1990 gemäß § 295 BAO durch die vorliegenden Einkommensteuerbescheide 1989 und 1997 ersetzt worden. Aus der Nichtanerkennung der Ergebniszuweisung für das Jahr 1989 der atypischen stillen Beteiligung auf Ebene des abgeleiteten Bescheides resultierten Einkommensteuernachzahlungen. Da die vorgenommene Abänderung des Einkommensteuerbescheides 1989 gemäß § 295 BAO auf Basis eines Nichtbescheides erfolgt sei, entspreche sie nicht den gesetzlichen Bestimmungen.
Die Abänderung des abgeleiteten Bescheides gemäß § 295 BAO sei nur dann zulässig, wenn der betreffende Bescheid von einem Grundlagenbescheid abzuleiten sei. Unstrittig sei nunmehr, dass die von der Abgabenbehörde ausgefertigten Bescheide vom und vom für das Streitjahr 1989 ins Leere gegangen seien. Damit fehle jedoch der Abänderung ein tauglicher Feststellungsbescheid. Da die abgeleiteten Einkommensteuerbescheide 1989 und 1990 (bezogen auf den Bescheid vom ) somit rechtswidrig erlassen worden seien und auch ein nachträglich erlassener Grundlagenbescheid diesen Mangel nicht heile, sei dem Wiederaufnahmeantrag stattzugeben.
In weiterer Folge sei der Rechtszustand herzustellen, der ohne Abänderung gemäß § 295 BAO vorgelegen sei, weshalb der Einkommensteuerbescheid 1989 in seiner ursprünglichen Fassung (vom August 1995) zu erlassen sei.
Hinsichtlich der Verjährung werde darauf hingewiesen, dass abgeleitete Bescheide - im Gegensatz zu Feststellungsbescheiden - der Verjährung unterlägen und damit dem Rechtsunterworfenen grundsätzlich ein Rechtsverlust drohe. Die beantragte Wiederaufnahme ermögliche es dem Abgabepflichtigen, seine Ansprüche innerhalb der Verjährung geltend zu machen.
Das Finanzamt wies den Wiederaufnahmeantrag mit Bescheid vom ab und führte unter Bezugnahme auf die Bestimmungen der §§ 207 bis 209a und 303 Abs. 1 BAO begründend aus, der Eintritt der Bemessungsverjährung stehe der beantragten Wiederaufnahme entgegen.
In der rechtzeitig eingebrachten Berufung vom bestritten die Bw den Eintritt der Verjährung hinsichtlich der Einkommensteuer für die Jahre 1989 und 1990 mit folgender Begründung: Über das gegen den Grundlagenbescheid vom eingebrachte Rechtsmittel sei erst mit dem Zurückweisungsbescheid vom entschieden worden. Nach § 209a Abs. 2 BAO stehe der Eintritt der Verjährung u.a. dann der Abgabenfestsetzung nicht entgegen, wenn die Abgabenfestsetzung unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer vor Verjährungseintritt eingebrachten Berufung abhänge. Eine solche mittelbare Abhängigkeit einer Abgabenfestsetzung bestehe nach der Lehre beispielsweise für von einem Feststellungsbescheid abgeleitete Einkommensteuerbescheide.
Das Finanzamt erließ eine abweisliche Berufungsvorentscheidung, datierend vom . Begründend führte es im Wesentlichen aus, hinsichtlich der veranlagten Einkommensteuer für das Jahr 1989 sei mit Ablauf des Jahres 1999 und hinsichtlich der Einkommensteuer für 1990 mit Ablauf des Jahres 2000 die absolute Verjährung eingetreten. Die spezielle Verjährungsregelung des § 209a Abs. 2 BAO komme nicht zur Anwendung, da der Wiederaufnahmeantrag nicht vor Eintritt der Verjährung eingebracht worden sei. Davon abgesehen sei die fünfjährige Frist des § 304 lit. b BAO zu beachten. Demzufolge sei die formelle Rechtskraft hinsichtlich der Einkommensteuer 1989 im November 1998 und jene für die Einkommensteuer 1990 im Jänner 1998 eingetreten. Der Wiederaufnahmeantrag sei sohin auch erst nach Ablauf der Fünfjahresfrist gestellt worden.
Der Bw brachte fristgerecht einen Vorlageantrag mit folgender, auf eine Stellungnahme des verweisenden Begründung ein: Das Finanzamt verkenne Sinn und Zweck von § 209a BAO. Die Bestimmung wolle den Steuerpflichtigen vor Rechtsnachteilen schützen, die dadurch entstehen, dass die Behörde ein Anbringen nicht rechtszeitig erledigt. Die Norm diene daher auch dem aus dem rechtsstaatlichen Prinzip abgeleiteten Grundsatz, dass Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz aufweisen müssten. Anregungen auf amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens seien daher als Anträge im Sinne des § 209a Abs. 2 BAO zu werten. Dies gelte auch für während eines VwGH-Verfahrens zur Fristwahrung (vor Eintritt der Verjährung) eingereichte Anregungen auf amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens. Dies selbst dann, wenn es zweckmäßig erscheine, den Ausgang des VwGH-Verfahrens abzuwarten und erst danach zu entscheiden, ob eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu verfügen ist.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 304 der Bundesabgabenordnung (BAO) ist nach Eintritt der Verjährung eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausgeschlossen, sofern ihr nicht ein Antrag zugrunde liegt, der eingebracht wurde gemäß § 303 Abs. 1 BAO entweder
a) innerhalb des Zeitraumes, bis zu dessen Ablauf die Wiederaufnahme von Amts wegen unter der Annahme einer Verjährungsfrist (§§ 207 bis 209 Abs. 2) von sieben Jahren zulässig wäre, oder
b) vor dem Ablauf einer Frist von fünf Jahren nach Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides.
Eintritt der Verjährung
Wie die Bw im Antrag vom zutreffend ausgeführt haben, unterliegt die Erlassung (abgeleiteter) Abgabenbescheide im Gegensatz zur Erlassung von Feststellungsbescheiden der Verjährung.
Um die Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens und damit des auf diese Maßnahme gerichteten Antrages beurteilen zu können, ist zuerst zu prüfen, ob die Verjährung hinsichtlich der Einkommensteuer für 1989 und 1990 bereits eingetreten ist.
Nach § 209 Abs. 3 BAO verjährt das Recht auf Festsetzung einer Abgabe spätestens zehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches (§ 4 BAO). Der Abgabenanspruch der veranlagten Einkommensteuer entsteht nach § 4 Abs. 2 lit. a Z 2 BAO insbesondere mit Ablauf des Kalenderjahres, für das die Veranlagung vorgenommen wird, soweit nicht der Abgabenanspruch nach § 4 Abs. 2 lit. a Z 1 BAO schon früher entstanden ist, oder wenn die Abgabepflicht im Lauf eines Veranlagungszeitraumes erlischt, mit dem Zeitpunkt des Erlöschens der Abgabepflicht.
Bei der veranlagten Einkommensteuer für die Jahre 1989 und 1990 ist mit Ablauf der Jahre 1999 und 2000 die absolute Verjährung eingetreten. Am Eintritt der absoluten Verjährung ändert auch der Umstand nichts, dass die absolute Verjährungsfrist erst mit dem Steuerreformgesetz 2005, BGBl. I 2004/57 ab von fünfzehn auf zehn Jahre verkürzt wurde, trat doch die absolute Verjährung der Einkommensteuer 1989 und 1990 selbst nach Maßgabe einer fünfzehnjährigen absoluten Verjährungsfrist mit Ablauf der Jahre 2004 und 2005 ein, während der strittige Wiederaufnahmeantrag im Jahr 2008 eingebracht worden ist.
Zum Hinweis der Bw, dass nach Maßgabe des § 209a Abs. 2 BAO die Verjährung nicht eingetreten sei, ist Folgendes zu bemerken:
§ 209 a Abs. 1 und 2 BAO lauten:
"(1) Einer Abgabenfestsetzung, die in einer Berufungsentscheidung zu erfolgen hat, steht der Eintritt der Verjährung nicht entgegen.
(2) Hängt eine Abgabenfestsetzung unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Berufung oder eines in Abgabenvorschriften vorgesehenen Antrages (§ 85) ab, so steht der Abgabenfestsetzung der Eintritt der Verjährung nicht entgegen, wenn die Berufung oder der Antrag vor diesem Zeitpunkt, wenn ein Antrag auf Aufhebung gemäß § 299 Abs. 1 vor Ablauf der Jahresfrist des § 302 Abs. 1 oder wenn ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens rechtzeitig im Sinn des § 304 eingebracht wurde."
Schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmungen ergibt sich, dass diese den Eintritt der Verjährung nicht verhindern, sondern unter den dort genannten Voraussetzungen eine Abgabenfestsetzung trotz des Eintrittes der Verjährung zulassen. Damit unterliegt der Berufungswerber jedenfalls insoweit einem Irrtum, als er davon ausgeht, dass die Verjährung noch nicht eingetreten sein kann.
Für den gegenständlichen Wiederaufnahmsantrag kommt die Bestimmung des § 209a Abs. 2 BAO nicht zur Anwendung, da der Antrag - wie bereits ausgeführt wurde - nicht vor Eintritt der absoluten Verjährung eingebracht wurde. Ein Anwendungsfall für § 209a BAO ist im Übrigen auch aus folgenden Gründen nicht gegeben: Zum einen hat in dem gegenständlichen Berufungsverfahren keine Abgabenfestsetzung zu erfolgen (§ 209a Abs. 1 BAO). Vielmehr ist in der Berufungsentscheidung darüber zu befinden, ob das Finanzamt mit dem angefochtenen Bescheid dem Wiederaufnahmeantrag vom zu Recht nicht entsprochen hat. Zum anderen hängt bzw hing die Festsetzung der Einkommensteuer 1989 und 1990 weder unmittelbar noch mittelbar von der Erledigung der gegen den Grundlagenbescheid vom eingebrachten Berufung ab, da von der Erledigung einer gegen einen Nichtbescheid eingebrachten Berufung die Abgabenfestsetzung schon begrifflich nicht abhängen kann. In diesem Zusammenhang darf daran erinnert werden, dass im Rahmen des von den Bw im Wiederaufnahmeantrag geschilderten Berufungsverfahrens auf die adressierungsbedingt fehlende Bescheidqualität des Grundlagenbescheides vom (jedenfalls indirekt) hingewiesen worden ist. Vor diesem Hintergrund mussten die Bw auch damit rechnen, dass das Berufungsverfahren nicht mit einer meritorischen Entscheidung endet. Sie hätten also damals fristwahrende Schritte setzen können und müssen. Dabei wird nicht verhehlt, dass die Abgabenbehörden durch die Erlassung von Nichtbescheiden (Mit)Verantwortung für die streitgegenständliche Problematik tragen.
Die in einer Einzelerledigung des Bundesministeriums für Finanzen vom vertretene Rechtsansicht ist nicht geeignet, dem Berufungsbegehren zum Durchbruch zu verhelfen, da in ihr die einschränkenden Regelungen des § 304 BAO nicht berücksichtigt wurden.
Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 304 lit. a BAO:
Für die Bewilligung der Wiederaufnahme sieht § 304 BAO Ausnahmen von der grundsätzlich maßgebenden Befristung durch die Verjährung vor.
Die Siebenjahresfrist des § 304 lit. a BAO ist unterbrechbar (bzw. ab 2005: verlängerbar) und hemmbar. Die absolute Verjährungsfrist (§ 209 Abs. 3 BAO) begrenzt aber auch die Frist des § 304 lit. a BAO (vgl. Ritz, BAO³, § 304 Tz. 5 unter Hinweis auf Ellinger ua., BAO³, § 209 Anm. 20 und § 304 Anm. 2).
Für den gegenständlichen Wiederaufnahmsantrag ist ausschlaggebend, dass dieser nicht vor Eintritt der absoluten Verjährung eingebracht wurde. Aus diesem Grund ist die Wiederaufnahme des Verfahrens auf Grund des gegenständlichen Antrages nach § 304 lit. a BAO nicht zulässig.
Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 304 lit b BAO:
Bei der Fünfjahresfrist des § 304 lit. b BAO ist unter Rechtskraft die formelle Rechtskraft zu verstehen (Ritz, ÖStZ 1995, 120; Ellinger ua, BAO³, § 304 Anm. 5), also der Zeitpunkt, ab dem ein Bescheid durch ein ordentliches Rechtsmittel nicht oder nicht mehr anfechtbar ist (Ritz, BAO³, § 92 Tz. 4 ). Diese Frist ist vor allem bedeutsam, wenn die Frist des § 304 lit. a BAO im Zeitpunkt der Stellung des Wiederaufnahmsantrages bereits abgelaufen ist.
Im gegenständlichen Fall ist die formelle Rechtskraft des Einkommensteuerbescheides für 1989 vom , geändert mit Bescheid vom , im Jahr 1998 eingetreten. Dies gilt auch für den Einkommensteuerbescheid 1990 vom . Daraus ergibt sich, dass der im Juli 2008 eingebrachte Wiederaufnahmsantrag nicht innerhalb der Fünfjahresfrist des § 304 lit. b BAO eingebracht wurde.
Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 Abs. 2 BAO:
Der Antrag auf Wiederaufnahme ist gemäß § 303 Abs. 2 BAO binnen einer Frist von drei Monaten von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, bei der Abgabenbehörde einzubringen, die im abgeschlossenen Verfahren den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.
Der Umstand der Falschadressierung der den Einkommensteuerbescheiden 1989 und 1990 zu Grunde liegenden Feststellungsbescheide wurde in einer Berufungsergänzung vom und in der späteren Verwaltungsgerichtshofbeschwerde angeführt. Als Betroffene des damaligen Berufungsverfahrens war dieser Umstand den Bw sohin spätestens ab dem Oktober 2002 bekannt.
Im gleich gelagerten Fall, der der Berufungsentscheidung des Unabhängigen Finanzsenates vom , RV/3297-W/08 zu Grunde lag, sprach das Höchstgericht aus, die oben zitierte Dreimonatsfrist beginne mit Kenntnis des Wiederaufnahmegrundes und nicht erst mit dessen Beweisbarkeit zu laufen beginnt und sei nicht verlängerbar (Ritz, BAO³, § 303 Tz 27f unter Verweis auf ). Der Bw. hätte sich dabei auch die Kenntnis seines Vertreters zurechnen zu lassen. Er hätte gegenüber der Abgabenbehörde nämlich nicht nur seine eigenen Handlungen und Unterlassungen, sondern auch die derjenigen Personen zu vertreten, deren er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient (). Dies gilt analog auch in dem gegenständlichen Fall.
Im Wiederaufnahmeantrag beruft sich der Bw. ausdrücklich darauf, die Qualifizierung des Grundlagenbescheides sei eine neu hervorgekommene Tatsache. Dazu hat das Höchstgericht in ständiger Rechtssprechung (vgl. etwa ) ausgesprochen, dass Tatsachen im Sinn des § 303 Abs. 1 lit. b BAO ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände seien, also Elemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften. Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente - gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder der Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden - sind danach keine neuen Tatsachen.
Nur neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel - das sind solche, die schon vor Erlassung des das wieder aufzunehmende Verfahren abschließenden Bescheides bestanden haben, aber erst nach diesem Zeitpunkt bekannt wurden (nova reperta) - kommen als tauglicher Wiederaufnahmegrund im Sinne des Neuerungstatbestandes in Betracht. Erst nach Erlassung des das wiederaufzunehmende Verfahren abschließenden Bescheides entstandene Tatsachen oder Beweismittel (nova producta) sind daher keine tauglichen Wiederaufnahmegründe.
Die Entscheidung eines Gerichtes oder einer Verwaltungsbehörde in einer bestimmten Rechtssache stellt weder eine neue Tatsache ( mwN), noch ein (neu hervorgekommenes) Beweismittel im Sinn des § 303 Abs. 1 lit. b BAO dar, sondern basiert vielmehr selbst auf Tatsachen bzw. Beweismitteln ().
Daraus wiederum folgt, dass im Rahmen des Neuerungstatbestandes nicht - wie von den Bw ins Treffen geführt - die Entscheidung über die Zurückweisung der Berufung vom , sondern ausschließlich die Tatsachen und Beweismittel zu beurteilen sind, die zu dieser Entscheidung geführt haben (). Die Entscheidung selbst kann schon deshalb nicht herangezogen werden, da es sich bei ihr um ein nach Erlassung des letztgültigen Einkommensteuerbescheides neu entstandenes Faktum (novum productum) handelt.
Die Tatsache sowie die Gründe der Falschadressierung des Feststellungsbescheides vom wurden von den Bw sowohl in der Berufungsergänzung vom als auch in der späteren Verwaltungsgerichtshofbeschwerde vom vorgebracht. Diese Tatsache und die entsprechenden Beweismittel waren den Bw daher spätestens an diesem Tag bekannt und bewusst.
Der strittige Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 1989 und 1990, datiert mit , wurde damit mehr als fünf Jahre nach der nachweislichen Kenntniserlangung der dafür behaupteten Gründe gestellt, womit dieses Anbringen aus Sicht des Neuerungstatbestandes jedenfalls als verspätet zu beurteilen ist.
Zusammenfassung: Aus den vorausgegangenen Ausführungen ergibt sich, dass der Antrag vom - wie auch das Finanzamt zutreffend ausgeführt hat - verspätet eingebracht worden ist. Dies aber hätte zu seiner Zurück- und nicht zu seiner Abweisung führen müssen (; ; ). Aus diesem Grund war spruchgemäß zu entscheiden.
Feldkirch, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at