Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 15.07.2021, RV/7100152/2020

Kein Freibetrag gemäß § 35 Abs. 3 EStG bei Pflegegeldbezug

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die RichterinR, in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2018 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2018 wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgaben betreffend Einkommensteuer 2018 sind der Beschwerdevorentscheidung zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Am ersuchte das Finanzamt die Beschwerdeführerin (Bf.) betreffend die Arbeitnehmerveranlagung 2018 vom um Vorlage einer genauen Aufstellung sowie der Belege zu den beantragten zusätzlichen Kosten in Höhe von € 3.253,04.

Am erging der Einkommensteuerbescheid 2018.
Anerkannt wurden € 666,36 nachgewiesene Kosten aus der eigenen Behinderung nach der Verordnung über außergewöhnliche Belastung.

Begründend wurde ausgeführt:

"Die Aufwendungen für die Pflege sind mit dem Pflegegeld abgedeckt.
Bei einem Aufenthalt auf Reha ist eine Haushaltsersparnis tägl. in Höhe von € 5,23 in Abzug zu bringen.
Wenn jemand eine pflegebedingte Geldleistung wie z.B. das Pflegegeld ganzjährig erhält, steht kein Freibetrag zu (§ 35 Abs. 3 EStG 1988). Die pflegebedingten Kosten sind bereits durch diese Geldleistung abgegolten.
Die Aufwendungen für außergewöhnliche Belastungen haben wir nicht berücksichtigt.
Der Grund: Die Aufwendungen sind niedriger als der für Sie gültige Selbstbehalt in Höhe von 3.638,75 Euro."

Gegen den Bescheid brachte die Bf. fristgerecht Beschwerde ein und führte begründend aus:
"

..." und legte die vorstehend angeführten Unterlagen vor.

Das Finanzamt ersuchte die Bf. mit Schreiben vom um folgende Ergänzungen:

"Laut Bestätigung des Fonds Soziales Wien haben Sie im Jahr 2018 Kostenbeiträge für Wohn-und/oder Pflegeleistungen in Höhe von 2.474,48 € geleistet. Diese Kostenbeiträge sind mit den erhaltenen steuerfreien Pflegeleistungen (Pflegegeld) gegenzurechnen.
Erfolgte die Pflege zu Hause oder im Pflegeheim ?
Für welchen Zeitraum sind diese Pflegekosten angefallen (bitte um Vorlage einer Bestätigung der Pflegeeinrichtung) ?"

Vorgelegte wurde die Bestätigung vom , Fonds Soziales Wien:
"Frau ***Bf1*** (geb. ***4***) befand sich im Zeitraum vom - zur stationären Pflege und Betreuung mit der Leistung "Kurzzeitpflege - Remobilisation" im Haus ***2***, 1230 Wien. Frau ***1*** bezieht seit 11/2010 ein Pflegegeld der Stufe 2, zum Zeitpunkt des Aufenthalts bestand ein Pflegebedarf entsprechend der Pflegegeldstufe 3."

Das Finanzamt gab der Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung teilweise statt und änderte den Einkommensteuerbescheid 2018.

Anerkannt wurden nachgewiesene Kosten aus eigener Behinderung nach der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen in Höhe von € 2.258,60.

Begründend führte das Finanzamt aus:

"1) Der Pauschbetrag für die Behinderung von 50% steht nicht zu, da Sie ganzjährig Pflegegeld bezogen haben. Dass das Pflegegeld für Tage im Krankenhaus oder bei einem Reha-Aufenthalt nicht ausbezahlt wird, vermag daran nichts zu ändern.

2) Für die Kurzzeitpflege im Haus ***3*** vom bis haben Sie gemäß Bestätigung des Fonds Soziales Wien im Jahr 2018 einen Betrag in Höhe von 2.474,48 € geleistet. Davon war das Pflegegeld für zwei Monate à 290 € sowie eine Haushaltsersparnis für Verpflegung in Höhe von 235,35 € (45 Tage x 5,23 €) in Abzug zu bringen. Es verbleibt daher ein abzugsfähiger Betrag in Höhe von 1.659,13 €.

3) Die Kosten der Heilbehandlung wurden von Ihnen mit dem Betrag in Höhe von 778,50 € errechnet. Davon waren 64 € für die Mundhygiene sowie 115,06 € als Haushaltsersparnis für Verpflegung für den REHA-Aufenthalt (22 Tage) in Abzug zu bringen.
Als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt wurde daher ein Betrag von insgesamt 2.258,63 € berücksichtigt.
Die Aufwendungen für außergewöhnliche Belastungen haben wir nicht berücksichtigt.
Der Grund: Die Aufwendungen sind niedriger als der für Sie gültige Selbstbehalt in Höhe von 3.479,53 Euro."

Die Bf. brachte fristgerecht folgenden Antrag auf Vorlage der Beschwerde an Bundesfinanzgericht ein.

Das Finanzamt legte die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und führte in der Stellungnahme aus:

"Gemäß § 35 Abs. 1 EStG 1988 steht ein Freibetrag gemäß 35 Abs.3 EStG 1988 nicht zu, wenn eine pflegebedingte Geldleistung bezogen wird.
Die Behörde legt diese Bestimmung in der Praxis so aus: Wird Pflegegeld (eine pflegebedingte Geldleistung) nur für einen Teil des Kalenderjahres bezogen, steht der Freibetrag in dem Kalenderjahr, in dem erstmals Pflegegeld bezogen wird, in voller Höhe zu. Im darauf folgenden Kalenderjahr (in den darauf folgenden Kalenderjahren), in dem (in denen) Pflegegeld bezogen wird, steht der Freibetrag nicht mehr zu. Sollte der Pflegegeldbezug in der Folge wegfallen, steht der Freibetrag gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 erst wieder für jenes Kalenderjahr zu, in dem ganzjährig kein Pflegegeld bezogen wird.
Die Bf vertritt die Ansicht, dass durch das Ruhen des Pflegegeldes während eines Krankenhaus/Rehabaufenthaltes kein durchgehender Bezug des Pflegegeldes vorliegt und daher der Behindertenfreibetrag zusteht.
Da im Jahr 2018 Pflegegeld bezogen wurde, steht nach Rechtsmeinung des Finanzamtes kein Freibetrag gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu."

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Ausgehend vom Inhalt des Verwaltungsaktes wird der Entscheidung folgender Sachverhalt zu Grunde gelegt:

Die Bf. bezog im Jahr 2018 Pensionseinkünfte vom BVA Pensionsservice.

Laut dem Lohnzettel der BVA Pensionsservice für 2018 bezog die Bf. einen Pflegegeldbezug von 1-12 in Höhe von 3.296,40 Euro.

Die Bf. legte ihren Behindertenpass vor, ausgestellt am , mit einem Grad der Behinderung von 50% und der Zusatzeintragung "die Inhaberin des Passes ist gehbehindert."

Das Finanzamt anerkannte in der Beschwerdevorentscheidung gemäß § 262 BAO "Nachgewiesene Kosten aus der eigenen Behinderung nach der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen" in Höhe von € 2.258,63.

Die Bf. begehrte weiters für das Jahr 2018 die Berücksichtigung des Freibetrages gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 in Höhe von 243 € (Grad der Behinderung: 45-54%).

Laut Bestätigung des Fonds Soziales Wien vom befand sich die Bf. im Zeitraum vom bis in stationärer Pflege und Betreuung mit der Leistung "Kurzzeitpflege - Remobilisation" im Haus ***3***.
Sie bezog seit 11/2010 ein Pflegegeld der Stufe 2, zum Zeitpunkt des Aufenthaltes bestand ein Pflegebedarf entsprechend der Pflegestufe 3.

Strittig ist im gegenständliche Fall, obwohl laut dem Lohnzettel der BVA für das Jahr 2018 die Bf. für das gesamt Jahre 1-12/2018 Bundespflegegeld bezogen hat, ihr der Pauschbetrag gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 für die Behinderung von 50% zusteht.

Rechtliche Beurteilung

§ 35. (1) Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen
- durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,
- bei Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des
(Ehe-)Partners (§ 106 Abs. 3),
- ohne Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des
(Ehe-)Partners, wenn er mehr als sechs Monate im Kalenderjahr verheiratet oder eingetragener Partner ist und vom (Ehe-)Partner nicht dauernd getrennt lebt und der
(Ehe-)Partner Einkünfte im Sinne des § 33 Abs. 4 Z 1 von höchstens 6.000 Euro jährlich erzielt,
- durch eine Behinderung eines Kindes (§ 106 Abs. 1 und 2), für das keine erhöhte Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 gewährt wird,
und erhält weder der Steuerpflichtige noch sein (Ehe-)Partner noch sein Kind eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), so steht ihm jeweils ein Freibetrag (Abs. 3) zu.

(2) Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,
1. in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hiefür maßgebenden Einschätzung,
.....
§ 35 Abs. 3 EStG 1988 sieht bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. einem Grad der Behinderung zwischen 45% und 54% einen jährlichen Freibetrag von 243 € vor.

Da die Bf einen Grad der Behinderung von (jedenfalls) 50% aufwies, stünde ihr grundsätzlich ein Freibetrag von 243 € zu.

Allerdings übersieht die Bf, dass der letzte Satz von§ 35 Abs. 1 EStG 1988 bestimmt, dass der Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 unter anderem nur dann zusteht, wenn der Steuerpflichtige kein Pflegegeld erhält. (vgl. )

Die Bf. war vom bis in stationäre Betreuung.
Die Bf. ist der Ansicht, dass durch das Ruhen des Pflegegeldes während eines Krankenhaus/Rehabaufenthaltes kein durchgehender Bezug des Pflegegeldes vorliege und der Behindertenfreibetrag zustehe.

Laut der Bestätigung des Fonds Soziales Wien vom bezieht die Bf. seit 11/2010 Pflegegeld der Stufe 2, zum Zeitpunkt des Aufenthaltes bestand der Pflegebedarf entsprechend der Pflegegeldstufe 3.

Da die Bf. für das gesamte Jahr 2018 (wie auch die Jahre davor) Pflegegeld bezogen hat, hat das Finanzamt richtigerweise den Freibetrag von 243 € gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 i. V. m. § 35 Abs. 1 EStG 1988 nicht gewährt.

Das Bundesfinanzgericht folgt daher der Beschwerdevorentscheidung.

Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ergibt sich die im Spruch ausgeführte Rechtsfolgen aus den klaren und eindeutigen gesetzlichen Bestimmungen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt somit nicht vor. Eine ordentliche Revision war daher als unzulässig zu erklären.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7100152.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at