Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSG vom 03.01.2012, RV/0582-G/11

Nachsicht bereits entrichteter Einkommensteuer, Krebserkrankung

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Graz-Umgebung vom betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufungswerberin (Bw.) erzielte in den Jahren 2000 bis 2009 - neben lohnsteuerpflichtigen Einkünften aus ihrer hauptberuflichen Tätigkeit als Gemeindebedienstete - als Warenpräsentatorin der Firma A negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

Das Finanzamt Graz-Umgebung erließ für die Jahre 2000 bis 2009 vorläufige Einkommensteuerbescheide gemäß § 200 Abs. 1 BAO.

Im Zuge einer bei der Bw. durchgeführten Außenprüfung (Bericht vom , ABNr. 122076/10) wurden die Verluste aus der Tätigkeit als Privatgeschäftsvermittlerin nicht anerkannt.

Den Feststellungen der Prüferin folgend, erließ das Finanzamt am für die Jahre 2000 und 2004 bis 2009 endgültige Einkommensteuerbescheide, in denen die von der Bw. geltend gemachtenVerluste im Gesamtbetrag von 11.598,70 € außer Ansatz blieben.

In der Eingabe vom ersuchte die Bw., die mit den Bescheiden des Finanzamtes vom festgesetzte Einkommensteuer der Jahre 2000 bis 2009 sowie die mit den Bescheiden vom gleichen Tag festgesetzten Anspruchszinsen im Gesamtbetrag von 5.801,23 € gemäß § 236 BAO nachzusehen. Die Festsetzung der Abgaben sei nach einer erstmaligen Betriebsprüfung über den Zeitraum 2000 bis 2009 nach mehr als zehn Jahren erfolgt.

Dies stelle für die Bw. einen Fall besonderer Härte dar. Sie habe sich mit großem finanziellen und persönlichen Einsatz bemüht, ihre Tätigkeit als Handelsagentin mit Erfolg auszuüben. Auf Grund schwerwiegender gesundheitlicher Probleme habe sie die Tätigkeit schließlich aufgeben müssen, ohne Gewinn bringenden Erfolg erzielt zu haben.

Durch eine schwere Krebserkrankung sei ihre Lebenssituation in jeder Hinsicht sehr erschwert, so dass durch diese Nachforderung ihre Lebensumstände zusätzlich im Übermaß belastet seien.

Mit dem Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag vom betreffend Nachsicht als unbegründet ab.

Im vorliegenden Fall sei weder eine persönliche noch eine sachliche Unbilligkeit ins Treffen geführt worden. Eine aus der vorliegenden Darstellung herauszulesende persönliche Unbilligkeit, die eine extreme persönliche Härte durch die Geltendmachung der Abgabenforderung nach sich ziehe, könne nicht erkannt werden.

Es könne auch nicht Sinn des Nachsichtsverfahrens sein, die Wirkung von Verfahrenshandlungen (Betriebsprüfung) im Nachsichtswege aufzuheben.

In der Berufung gegen diesen Bescheid bringt die Bw. vor, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Einhebung eines Betrages in dieser Höhe kein atypischer Vermögenseingriff sein solle, keine wirtschaftlichen Auswirkungen habe und keine extreme persönliche Härte darstelle. Sie sei an Krebs erkrankt, habe Kosten für zusätzliche Heilbehandlungen zu tragen und Vorsorge für Pflege zu treffen, die mit erheblichem finanziellem Aufwand verbunden sei.

Ein weiterer unklarer Punkt sei, warum bei ihr die siebenjährige Verjährungsfrist nicht zum Tragen komme sowie die Verrechnung von Zinsen. Sie sei ihrer Offenlegungs- und Abgabenpflicht stets pünktlich und korrekt nachgekommen und sehe daher in der Entscheidung des Finanzamtes eine Ungleichbehandlung vor dem Gesetz.

Das Finanzamt legte die Berufung dem Unabhängigen Finanzsenat zur Entscheidung vor.

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach Lage des Falles unbillig wäre.

Nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle findet Abs. 1 auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.

Im vorliegenden Fall ist, da die verfahrensgegenständlichen Abgaben (Einkommensteuer 2000 und Einkommensteuer 2004 bis 2009 sowie Anspruchszinsen 2000 und Anspruchszinsen 2004 bis 2006 im Gesamtbetrag von 5.801,23 €) am zur Gänze entrichtet wurden, zu prüfen, ob eine Unbilligkeit der Einhebung darin liegt, dass die Abgabengläubigerin die entrichtete Abgabe behält. Dabei ist an den Begriff der Unbilligkeit kein strengerer Maßstab anzulegen als bei der Nachsicht noch nicht entrichteter Abgabenschuldigkeiten.

Tatbestandsmäßige Voraussetzung für die der Behörde nach § 236 Abs. 1 BAO eingeräumte Ermessensentscheidung ist die Unbilligkeit der Einhebung nach der Lage des Falles. Verneint die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum. Bejaht die Abgabenbehörde hingegen das Vorliegen einer Unbilligkeit im Sinne des Gesetzes, so hat sie im Sinne des § 20 BAO nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden (vgl. ).

Die Unbilligkeit kann persönlich oder sachlich bedingt sein.

Einesachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung liegt vor, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Jedenfalls muss es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (vgl. ). Nur wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, ist die Einhebung nach der Lage des Falles (sachlich) unbillig.

Eine sachliche Unbilligkeit im Einzelfall liegt nicht vor, wenn eine abgabenrechtliche Auswirkung ausschließlich Folge eines als generelle Norm erlassenen Gesetzes ist, durch das alle von dem betreffenden Gesetz erfassten Abgabepflichtigen in gleicher Weise berührt werden (vgl. ).

Das Vorbringen der Bw., sie erblicke in der Festsetzung von Anspruchszinsen eine Ungleichbehandlung vor dem Gesetz, weil sie ihrer Offenlegungs- und Abgabenpflicht stets pünktlich und korrekt nachgekommen sei, kann als Geltendmachung (auch) einer sachlichen Unbilligkeit ausgelegt werden. Dazu ist auszuführen:

Gemäß § 205 Abs. 1 BAO sind Differenzbeträge an Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, die sich aus Abgabenbescheiden unter Außerachtlassung von Anzahlungen (Abs. 3), nach Gegenüberstellung mit Vorauszahlungen oder mit der bisher festgesetzt gewesenen Abgabe ergeben, für den Zeitraum ab 1. Oktober des dem Jahr des Entstehens des Abgabenanspruchs folgenden Jahres bis zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Bescheide zu verzinsen (Anspruchszinsen ).

Anspruchszinsen im Sinne des § 205 BAO (BGBl. I Nr. 142/2000) sind eine objektive Rechtsfolge, um (mögliche) Zinsvorteile oder Zinsnachteile auszugleichen, die sich aus unterschiedlichen Zeitpunkten der Abgabenfestsetzung ergeben (vgl. Ritz, BAO3, § 205 Tz. 2). Ansprüche aufAnspruchszinsen entstehen unabhängig von einem allfälligen Verschulden des Abgabepflichtigen oder der Abgabenbehörde (Ritz, Anspruchszinsen gemäß § 205 BAO, SWK 1/2001, S. 27 ff).

Die Bestimmung berücksichtigt nicht die Gründe, aus welchen im Einzelfall Differenzbeträge an Einkommensteuer, die sich aus Abgabenbescheiden ergeben, nicht bis 1. Oktober des dem Jahr des Entstehens des Abgabenanspruchs folgenden Jahres entrichtet wurden. Insbesondere kommt es nicht auf ein Verschulden des Abgabepflichtigen am Entstehen zinsenrelevanter Nachforderungen an. Damit hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass er die Ursachen, die zur Abgabenentrichtung nach dem dort genannten Zeitpunkt geführt haben, im Anwendungsbereich des § 205 BAO grundsätzlich als unmaßgeblich erachtet (siehe ).

Die Festsetzung von Anspruchszinsen lässt daher angesichts der Funktion der Anspruchsverzinsung eine anormale Belastungswirkung oder einen atypischen Vermögenseingriff im Sinne eines vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnisses im vorliegenden Fall nicht erkennen, weshalb deren Einhebung nicht als sachlich unbillig angesehen werden kann.

Soweit die Bw. die Frage aufwirft, weshalb bei ihr die Verjährungsfrist nicht zum Tragen komme, ist darauf zu verweisen, dassEinwendungen gegen den Abgabenanspruch im Abgabenverfahren zu erheben sind. Das Unterlassen eines für die zweckentsprechende Rechtsverfolgung möglichen Rechtsbehelfs begründet keine Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO (vgl. ).

Eine sachliche Unbilligkeit der Einhebung der verfahrensgegenständlichen Einkommensteuern läge, wie bereits ausgeführt, nur vor, wennsich durch eine ungewöhnliche Fallkonstellation eine vom Gesetzgeber so nicht gewollte atypische Belastungswirkung ergäbe. Dass Verluste aus einer nicht Gewinn bringenden und von der Abgabenbehörde daher als Liebhaberei beurteilten Tätigkeit steuerlich nicht anerkannt werden, kann nicht als außergewöhnlich bezeichnet werden. Eine sachliche Unbilligkeit in der Einhebung der Abgaben liegt daher nicht vor.

Einepersönliche Unbilligkeit der Einhebung der Abgaben ergibt sich aus der wirtschaftlichen Situation des Antragstellers. Eine solcheUnbilligkeit wird insbesondere dann gegeben sein, wenn die Einhebung die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner Familie gefährdet oder wenn die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, wenn etwa die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögen möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleich käme. Die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner Familie muss gerade durch die Einhebung der Abgaben, deren Nachsicht beantragt wird, gefährdet sein. Einbußen an vermögenswerten Interessen, die mit Abgabenleistungen allgemein verbunden sind und die jeden gleich berühren, stellen keineUnbilligkeit dar.

Da es sich bei der Nachsicht um einen Begünstigungstatbestand handelt, trifft den Nachsichtswerber eine erhöhte Mitwirkungspflicht; das Schwergewicht der Behauptungs- und Beweislast liegt bei ihm (vgl. ). Es obliegt daher dem Nachsichtswerber, die Tatbestandsvoraussetzungen umfassend darzustellen (vgl. ).

Der Grundsatz der strikten Amtswegigkeit der Sachverhaltsermittlung tritt nach Ansicht des VwGH generell in den Hintergrund, dies gilt insbesondere für Nachsichtsanträge (, , 97/14/0013). Die Abgabenbehörde hat im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nur die vom Antragsteller geltend gemachten Gründe zu prüfen (Ritz, BAO4, § 236 Tz 4).

Schwierige wirtschaftliche Verhältnisse, wirtschaftliche Notlagen (), die die Existenz des Abgabepflichtigen zu gefährden drohen, können Unbilligkeiten der Einhebung indizieren. Die Frage, ob die Existenz der Person des Abgabepflichtigen gefährdet ist, ist nach der Einkommens- und Vermögenslage (und nach der voraussehbaren Entwicklung) ohne Abzug der zu entrichtenden (nachsichtsverfangenen) Abgaben zu beurteilen (), wobei grundsätzlich der Abgabepflichtige gehalten ist, für die Zahlung der Abgaben vorzusorgen.

Wesentlich ist dabei die wirtschaftliche Lage des Abgabepflichtigen bei Entscheidung über das Nachsichtansuchen bzw. über die diesbezügliche Berufung.

Zu ihren persönlichen Verhältnissen und ihrer derzeitigen Einkommenslage wurde seitens der Bw. kein Vorbringen erstattet. Nach der Aktenlage bezog die Bw. im Jahr 2010 eine Pension in der Höhe von 41.766,08 € brutto. Im vorliegenden Freibetragsbescheid 2011 der Bw. sind lediglich Sonderausgaben im Jahresbetrag von 281,76 €, nicht aber außergewöhnliche Belastungen (etwa wegen anfallender Krankheitskosten) ausgewiesen. Eine Existenzgefährdung der Bw. durch die Entrichtung (bzw. das Behalten) des Betrages von 5.801,23 € liegt daher nicht vor. Dass durch die Einhebung der Abgabe, deren Nachsicht begehrt wurde, die Existenz der Bw. gefährdet ist, wird von ihr nicht einmal selbst vorgebracht.

Abgesehen davon, dass die Bw. ihre wirtschaftliche Lage nicht dargelegt hat, kann aus dem nicht näher ausgeführten Vorbringen, sie habe Kosten für zusätzliche Heilbehandlungen zu tragen und Vorsorge für Pflege zu treffen, nicht erkannt werden, dass die Abstattung der Abgabenschuld mit außergewöhnlichen Auswirkungen verbunden gewesen wäre, sondern stellen diese Auswirkungen lediglich Einbußen an vermögenswerten Interessen dar, die mit Abgabenleistungen allgemein verbunden sind und die jeden gleich berühren können.

Da somit von der Bw. weder das Vorliegen einer sachlichen noch einer persönlichen Unbilligkeit aufgezeigt werden konnte, ist eine Ermessensentscheidung nicht zu treffen und war die Berufung aus Rechtsgründen als unbegründet abzuweisen.

Graz, am

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