Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSW vom 09.05.2007, RV/0086-W/07

AVAB einer unbeschränkt steuerpflichtigen, tschechischen Staatsbürgerin mit Familienwohnsitz in Tschechien

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., vom gegen den Bescheid des Finanzamtes für den 12., 13. und 14. Bezirk und Purkersdorf vom betreffend Einkommensteuer 2005 entschieden:

Der Berufung wird Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der Abgaben ist dem Ende der folgenden Entscheidungsgründe bzw. dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblättern zu entnehmen und bilden einen Bestandteil dieses Bescheidspruches.

Entscheidungsgründe

Die Berufungswerberin (Bw.) ist tschechische Staatsbürgerin und hat berufsbedingt in Österreich einen Zweitwohnsitz (Personalwohnung), an dem sie auch behördlich gemeldet ist. Im Berufungsjahr 2005 bezog die Bw. im Inland als Krankenschwester Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Ihr Ehegatte erzielte am Familienwohnort B. als selbständig tätiger Maler und Anstreicher nur geringe Einkünfte (Jahreseinkommen unter 6.000,-- €).

Die Bw. erhob gegen den erlassenen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 vom form- und fristgerecht Berufung mit der Begründung, dass die Bw. als EU-Staatsbürgerin mit Wohnsitz in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig wäre und daher Anspruch auf einen Alleinverdienerabsetzbetrages (AVAB) hätte. Nach dem Text des erklärenden Formulars der Steuererklärung L1, Version vom sei eine unbeschränkte Steuerpflicht des Ehegatten für die Anerkennung des AVAB nicht erforderlich. Diese würde lauten: "Wenn Sie als EU/EWR-Bürger beantragt haben, als unbeschränkt Steuerpflichtiger behandelt zu werden (Antrag gem. § 1 Abs. 4 EStG 1988, ist die unbeschränkte Steuerpflicht des (Ehe)Partners nicht erforderlich".

Das Finanzamt wies dieses Begehren mit Berufungsvorentscheidung vom als unbegründet ab. Der AVAB stehe der Bw, welche auf Grund eines Wohnsitzes und gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland gemäß § 1 Abs. 2 EStG unbeschränkt steuerpflichtig sei, nicht zu, weil der Ehegatte nicht der unbeschränkten Steuerpflicht in Österreich unterworfen wäre.

Dagegen brachte die Bw fristgereicht einen Vorlageantrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz ein mit der Begründung, dass die Auslegung des Finanzamtes unrichtig sei wegen unmöglicher Gesetzesanwendung und EU-Diskriminierungsverbot. Nach § 33 Abs. 4 Z 1 EStG sei "für Steuerpflichtige im Sinne des § 1 Abs. 4 EStG die unbeschränkte Steuerpflicht des Ehepartners nicht erforderlich."

Bestritten wird dass die Gesetzesauslegung "Steuerpflichtige im Sinne des § 1 Abs. 4 EStG" auf die Bw. nicht zutreffen würde, da die Bw. bereits nach § 1 Abs. 2 EStG unbeschränkt steuerpflichtig sei. Folglich wäre für den Ehegatten der Bw. die unbeschränkte Steuerpflicht erforderlich. Laut Ansicht der Bw. seien unbeschränkt Steuerpflichtige nach § 1 Abs. 2 EStG mit den Steuerpflichtigen gleichzustellen, die im Inland wohnen, EU-Staatsbürger wären und die Eigenschaften den Bestimmungen nach § 1 Abs. 4 EStG entsprechen würden. Die Auslegung des Finanzamtes würde zwei Gruppen steuerpflichtige EU-Bürger ergeben. Eine Gruppe, welche die unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 4 EStG erreichen können, für die die unbeschränkte Steuerpflicht des Ehepartners für die Anerkennung des AVAB nicht erforderlich sei (Pendler) und eine zweite Gruppe, welche nach § 1 Abs. 2 EStG bereits unbeschränkt steuerpflichtig wären, für deren Ehepartner die unbeschränkte Steuerpflicht für die Anerkennung des AVAB weiter erforderlich sei. Diese Differenzierung sei diskriminierend. Die Steuerpflichtigen im Sinne des § 1 Abs. 4 EStG hätten folgende Eigenschaften:

1. EU-Staatsangehörigkeit

2. weder Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich

3. Art der Einkünfte nach § 98 EStG 1988

4. diese Einkünfte würden entweder zu 90 % der österreichischen Einkommensteuer unterliegen oder nicht mehr als € 10.000,- jährlich betragen.

Der Anfang der Bestimmung nach § 1 Abs. 4 laute somit: "Auf Antrag werden auch Staatsangehörige von Mitgliederstaaten der EU...als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt." Das Wort "auch" würde betonen, dass auch diejenigen, die in Österreich nicht wohnen (Pendler) beim Zutreffen von weiteren Eigenschaften in den Genuss der unbeschränkten Steuerpflicht kommen würden. Diese Eigenschaften würden die Voraussetzungen für die Anerkennung der Pendler als unbeschränkt Steuerpflichtige bilden. Jene Steuerpflichtigen, bei denen diese weiteren Eigenschaften zutreffen würden, wären Steuerpflichtige i. S. d. § 1 Abs. 4 EStG. Die Gewährung des AVAB sei somit an diese Eigenschaften geknüpft, nicht jedoch daraus, dass der Steuerpflichtige in Österreich nicht wohnt.

Die Bestimmung des § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 - "Für Steuerpflichtige i. S. d. § 1 Abs. 4 ist die beschränkte Steuerpflicht des (Ehe)Partners nicht erforderlich" - würde somit eine Elite der in Österreich arbeitenden EU-Bürger bilden, denen der AVAB gewährt würde.

Die Auslegung des Finanzamtes sei somit unrichtig, da zwischen den ausländischen EU-Arbeitskräften, die ihren Wohnsitz im Ausland haben, eine Aufteilung vorgenommen würde (Pendler bzw. Nichtpendler). Dies sei diskriminierend und verletze den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz und auch die EU-Anordnungen gleichen Inhaltes. Die Bw. verweise auf das präzedente Schuhmacker-Urteil (Handbuch der Lohnabgaben, BD. 1, EStG 1988, 6. Auflg., Std. , Verlag LexisNexis, ARD Orac, Wien 2005, Rz. 3 zu § 1 EStG) wie folgt:

"Nach dem so genannten Schuhmacker-, ARD 4645/26/95, darf ein Staatsangehöriger eines EU-Mitgliedstaates der in einem anderen Mitgliedsstaat, in welchen er nicht wohnt, eine Tätigkeit ausübt, dort nicht höher besteuert werden, als vergleichbare Personen, die in diesem Beschäftigungsstaat wohnt. Es besteht zumindest dann eine mittelbare Diskriminierung des Arbeitsnehmers, wenn dieser sein Einkommen ganz oder fast ausschließlich aus der Tätigkeit im Beschäftigungsstaat erzielt und in seinem Wohnsitzstaat keine ausreichenden Einkünfte hat, um dort einer Besteuerung unterworfen zu werden, die seine persönliche Lage und seinen Familienstand berücksichtigt. Eine solche Diskriminierung verstößt gegen Art 48 EGV (jetzt Art 39 EG; Freizügigkeit der Arbeitnehmer) und gegen Art 52 EGV (jetzt: Art 43 EG) bzw. auf die dem Art 52 EGV analoge Bestimmung des Art EWR-Abkommen (Niederlassungsfreiheit für selbständig Tätige und Unternehmer)."

Über die Berufung wurde erwogen:

Alleinverdiener im Sinne des § 33 Abs. 4 Ziffer 1 EStG ist ein Steuerpflichtiger, der mehr als sechs Monate im Kalenderjahr verheiratet ist, und von seinem unbeschränkt steuerpflichtigen Ehegatten nicht dauernd getrennt lebt. Für beschränkt Steuerpflichtige anderer EU- und EWR-Staaten, die die unbeschränkte Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 4 EStG beantragt haben, ist die unbeschränkte Steuerpflicht des Ehegatten nicht notwendig.

In Streit steht die Rechtsfrage, ob die gemäß § 1 Abs. 2 EStG 1988 unbeschränkt steuerpflichtige Bw. auf Grund des Gemeinschaftsrechtes einen Anspruch auf den AVAB für den beschränkt steuerpflichtigen Ehegatten hat.

Die Bw. erzielt zu mehr als 90% in Österreich steuerpflichtige Einkünfte. Eine Option in eine unbeschränkte Steuerpflicht im Sinne des § 1 Abs. 4 EStG ist aber ausgeschlossen, weil die Bw. auf Grund ihres Wohnsitzes im Inland bereits gemäß § 1 Abs. 2 EStG unbeschränkt steuerpflichtig ist.

Hinsichtlich der Rechtsfrage der Gleichstellung von unbeschränkt steuerpflichtigen Alleinverdienern mit jenen, die die Voraussetzung für eine Option nach § 1 Abs. 4 EStG 1988 erfüllen wird auf die Berufungsentscheidung des Unabhängigen Finanzsenates (UFS) vom , RV/1190-W/06 verwiesen.

In dieser Entscheidung wird wie folgt ausgeführt:

1. Prüfung eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot i.V.m. der Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit gem. Artikel 39 EGV und der Freizügigkeit des Aufenthaltes gem. Art. 18 EGV

Vorweg ist festzustellen, dass die direkten Steuern grundsätzlich in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten fallen. Der EuGH hat jedoch wiederholt darauf hingewiesen, dass diese ihre Zuständigkeit unter Wahrung des Gemeinschaftsrechtes auszuüben haben. Die im Gründungsvertrag der Europäischen Gemeinschaften enthaltenen Grundfreiheiten sind daher auch im Einkommensteuerrecht zu beachten (vgl. ua. , Schumacker).

Weiters ist festzustellen, dass die Grundfreiheiten im EGV unmittelbar anzuwenden sind, d.h., der einzelne kann sich gegenüber dem Mitgliedstaat darauf berufen, selbst wenn keine näheren Vorschriften aufgrund von sekundärem Gemeinschaftsrecht vorliegen. Hierzu ist anzumerken, dass unmittelbares Gemeinschaftsrecht auch von den nationalen Verwaltungsbehörden, somit auch vom Finanzamt und vom UFS, zu beachten ist (vgl. Verwaltungsgerichtshof vom , 97/17/0501-503). So hat der EuGH etwa im Urteil vom , Rs C-224/97, Ciola, Randnummern 26 ff, festgestellt, dass die Bestimmungen des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Rechtsordnung jedes Mitgliedstaates unmittelbar gälten und das Gemeinschaftsrecht dem nationalen Recht vorgehe. Sie erzeugten daher Rechte zugunsten der Betroffenen, die die nationalen Behörden zu achten und zu wahren hätten, sodass ihnen entgegenstehende Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts aus diesem Grunde unanwendbar würden. So unterlägen zum einen nicht nur die nationalen Gerichte, sondern auch alle Träger der Verwaltung einschließlich der Gemeinden und der sonstigen Gebietskörperschaften der Verpflichtung, jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet zu lassen.

Die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit und die zu ihrer Durchführung erlassenen Maßnahmen sind nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH nicht auf Tätigkeiten anzuwenden, die keine Berührung mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Gemeinschaftsrecht abstellt, und die mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen. Jedoch fällt nach dieser Rechtsprechung jeder Gemeinschaftsbürger, der von seinem Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer Gebrauch gemacht und in einem anderen Mitgliedstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt hat, unabhängig von seinem Wohnort und seiner Staatsangehörigkeit unter die Vertragsbestimmungen (vgl. , Terhoeve, Randnummern 25 und 26).

Da der Berufungswerber in den Streitjahren in Österreich berufstätig war und zu diesem Zwecke in Österreich auch einen Zweitwohnsitz hatte, sich sein Familienwohnsitz gemeinsam mit seiner Ehegattin aber in Ungarn (P) befand, konnte er sich somit auf Artikel 39 und Artikel 18 EGV berufen.

Es war daher zu prüfen, ob § 33 Abs. 4 Z 10 EStG hinsichtlich des Tatbestandsmerkmales "von seinem unbeschränkt steuerpflichtigen Ehegatten" gegen Artikel 39 oder Artikel 18 EGV verstößt oder nicht.

Artikel 39 EGV lautet:

(1) Innerhalb der Gemeinschaft ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.

(2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

(3) Sie gibt - vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen - den Arbeitnehmern das Recht, a) sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben; b) sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen; c) sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben; d) nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission in Durchführungsverordnungen festlegt.

(4) Dieser Artikel findet keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung.

Gemäß Artikel 18 EGV hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.

Artikel 39 EGV enthält seinem Wortlaut nach lediglich ein absolutes Diskriminierungsverbot in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen aufgrund der Staatsbürgerschaft.

Die Bestimmung über den AVAB gemäß § 33 Abs. 4 Z 1 EStG erscheint prima vista nicht gegen die Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu verstoßen, weil ein AVAB jedem unbeschränkt steuerpflichtigen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union zusteht, dessen (Ehe-)Partner ebenfalls in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig ist; also in Österreich einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Der EuGH betrachtet steuerliche Maßnahmen aber selbst dann als diskriminierend, wenn zwar eine steuerliche Vorschrift nicht unmittelbar an die Staatsangehörigkeit anknüpft, aber die Gefahr besteht, dass sich eine steuerliche Regelung besonders zum Nachteil von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten auswirkt. Die Vorschriften über die Gleichbehandlung verbieten daher nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Diskriminierungen, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen könnten (vgl. z.B. Urteil vom , Rs C-279/93, Schumacker, Randnummer 26).

Darüber hinaus hat der EuGH in seiner jüngeren Rechtsprechung das Diskriminierungsverbot zu einem Beschränkungsverbot erweitert. Danach sollen sämtliche Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit den Gemeinschaftsangehörigen die Ausübung jeder Art von Berufstätigkeit im gesamten Gebiet der Gemeinschaft erleichtern und stehen Maßnahmen entgegen, die die Gemeinschaftsangehörigen benachteiligen könnten, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben wollen. Vorschriften, die einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates daran hindern oder davon abhalten, sein Herkunftsland zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, stellen daher eine Beschränkung dieser Freiheit dar, auch wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer Anwendung finden.

Weiters ist zu prüfen, ob das jedem Unionsbürger zuerkannte Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten durch eine offensichtliche oder versteckte Diskriminierung beeinträchtigt wird. Eine ungerechtfertigte Benachteiligung bei der Ausübung der Aufenthaltsfreiheit gem. Art. 18 EGV könnte darin bestehen, dass unbeschränkt Steuerpflichtigen, die in einem anderen EU-Staat ihren gemeinsamen Haushalt mit dem (Ehe-)Partner haben, kein AVAB zusteht, weil in diesem Fall, der (Ehe-)Partner nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist.

Eine Maßnahme, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer oder die Freizügigkeit des Aufenthaltes beeinträchtigt, ist nach der Rechtsprechung des EuGH nur dann zulässig, wenn sie einen berechtigten Zweck verfolgt, der mit dem Vertrag vereinbar ist, und aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In einem derartigen Fall muss die Anwendung einer solchen Maßnahme auch geeignet sein, die Verwirklichung des in Rede stehenden Zweckes zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Zweckes erforderlich ist (vgl. z.B. Urteil vom , Rs C-109/04, Kranemann, Randnummer 33). Ein derartiger Rechtfertigungsgrund ist im gegenständlichen Fall nicht erkennbar.

Im Lichte der obzitierten Rechtsprechung des EuGH besteht aus der Sicht des unabhängigen Finanzsenates kein Zweifel an der Gemeinschaftswidrigkeit des § 33 Abs. 4 Z 1 lit. EStG hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzung "unbeschränkt steuerpflichtiger Ehegatte". Im Sinne der sog. "acte-clair" Doktrin bedurfte es zur Beurteilung dieser Frage auch keiner Vorabentscheidung des EuGH (vgl. Schweitzer/Hummer, Europarecht, 5. Auflage, Rz 529), weil diese Rechtsfrage durch die vorzitierten Urteile (Schumaker und Zurstrassen) des EuGH bereits eindeutig geklärt ist.

2. Prüfung einer unbeschränkten Steuerpflicht des Ehegatten kraft abgeleiteten Wohnsitz

Gemäß § 3 der Zweitwohnsitz-Verordnung, BGBl. II 528/2003, begründet eine Benutzung des inländischen Wohnsitzes des unbeschränkt steuerpflichtigen (Ehe-)Partners, von dem der Abgabepflichtige nicht dauernd getrennt lebt, auch einen zur unbeschränkten Steuerpflicht führenden Wohnsitz des anderen (Ehe-)Partners.

Der Wohnsitz iSd VO kann nämlich für beide Ehegatten, die in aufrechter Ehe leben, immer nur einheitlich beurteilt werden. Benützt daher auch nur ein Ehegatte die Wohnung im Inland länger als 70 Tage, dann ergibt sich daraus für beide Ehegatten eine unbeschränkte Steuerpflicht. (Doralt, EStG 9 , § 1 TZ 27/18 mwH.).

Jedenfalls liegt eine unbeschränkte Steuerpflicht des Ehegatten dann vor, wenn dieser den in Österreich gelegenen Zweitwohnsitz der Bw. benutzen durfte und für ihren gelegentlichen Wohnbedarf auch benützt hat (VwGH, E. , 2002/15/0102; ARD 5663/11/2006). Es liegt innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Ehegatte auch die Zweitwohnung benutzen durfte und fallweise auch benutzt haben wird. Ein gegenteiliger Sachverhalt wäre atypisch und ist im Verwaltungsakt durch nichts indiziert, sodass das Tatbestandsmerkmal der "unbeschränkten Steuerpflicht des Ehegatten im Sinne des § 33 Abs. 4 Z 1 EStG ohnehin erfüllt wäre.

Im vorliegenden Fall bezieht die Bw. den wesentlichen Teil ihrer Einkünfte in Österreich. Die Bw. hat daher unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht Anspruch darauf, dass bei der Besteuerung in Österreich die persönliche und familiäre Lage in gleicher Weise, wie bei einem unbeschränkt Steuerpflichtigen, der im Inland den gemeinsamen Familienwohnsitz mit dem (Ehe-)Partner hat, berücksichtigt wird und somit die selben Steuervergünstigungen gewährt werden (EuGH, C279/93, Schuhmacker). Weiters noch deutlicher das Urteil des EuGH, C 87/99, Zurstrassen: Eine nationale Regelung verstößt gegen Gemeinschaftsrecht, wenn sie eine steuerliche Vergünstigung von der Voraussetzung abhängig macht, dass beide Ehegatten im Inland wohnen und deshalb diese Vergünstigung einem Arbeitnehmer verweigert, der im Inland wohnt und dort nahezu das gesamte Einkommen erzielt, weil der Ehegatte in einem anderen Mitgliedstaat wohnt.

In unmittelbarer Anwendung des Gemeinschaftsrechtes war daher der Bw. für ihren im gemeinsamen Haushalt in Tschechien lebenden Ehegatten somit der AVAB zuzuerkennen.

Der Berufung war daher Folge zu geben.

Beilage : 1 Berechnungsblatt

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
Schlagworte
Alleinverdienerabsetzbetrag
EU-Bürger
Familienwohnsitz in einem anderen EU-Staat
Verweise

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at