Haftung bei Vorliegen einer Geschäftsverteilung
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw, vertreten durch BK, gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom betreffend Haftung gemäß § 9 BAO entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Mit Haftungsbescheid vom nahm das Finanzamt den Berufungswerber (Bw) als Haftungspflichtigen gemäß § 9 Abs. 1 BAO für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der A-GmbH im Ausmaß von € 303.126,01 in Anspruch.
In der dagegen eingebrachten Berufung führte der Berufungswerber (Bw) aus, dass der Haftungsbescheid seinem gesamten Inhalt nach angefochten werde.
Obwohl mittels Beschlusses des Gs vom 1/9 das Konkursverfahren über die A-AG eröffnet worden sei, stehe noch nicht fest, ob die Abgabenforderung befriedigt bzw. mit welchem Teil diese Abgabenschuld befriedigt werden könne.
Der Bw dürfe dementsprechend für die Abgabenschuldigkeiten der Abgabenpflichtigen zumindest solange nicht in Anspruch genommen werden, als die objektive Uneinbringlichkeit festgestellt worden sei, was insbesondere dann der Fall sei, wenn eine Quote im Insolvenzverfahren feststehe. Bezüglich der Uneinbringlichkeit beim Abgabenpflichtigen enthalte der angefochtene Haftungsbescheid auch keine Begründung und sei dieser Haftungsbescheid schon aus diesem Grund ersatzlos aufzuheben.
Während der ganzen Zeit der Geschäftsführertätigkeit des Bw bei der A-GmbH sei auch AA sowohl als Alleingesellschafter als auch selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer im Firmenbuch eingetragen gewesen.
Die Geschäftsführungsbefugnis des Bw sei in der ganzen Zeit nach sachlichen Kriterien abgegrenzt gewesen (faktische Ressortverteilung der Geschäftsführung), woran sich die im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsführer auch stets gehalten hätten.
Während der Bw nur für bestimmte genau spezifizierte Projekte zuständig gewesen sei, seien in den ausschließlichen Verantwortungsbereich des Geschäftsführers Mag. Alexander Aigner alle operativen Aufgaben der A-GmbH, alle finanziellen Angelegenheiten der A-GmbH, das Rechnungswesen, alle sozialversicherungsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Angelegenheiten sowie die alleinige Besorgung der Abgabenangelegenheiten gefallen.
Es habe auch nie einen Anlass für den Bw gegeben, an der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung des Herrn AA zu zweifeln, insbesondere habe der Bw während aufrechter Geschäftsführertätigkeit nie davon Kenntnis erlangt, dass Abgaben nicht ordnungsgemäß abgeführt worden seien. Eine spezielle Überwachungspflicht habe demnach nicht bestanden. Auch sei der Bw seitens der Buchhaltung nie über Zahlungsrückstände in Kenntnis gesetzt worden, obwohl der Bw mit der Buchhaltung laufend in Kontakt gestanden sei.
Aufgrund der Ressortverteilung habe der Bw auch faktisch keine Möglichkeiten gehabt, die Abgabenschulden zu begleichen, da er über die Hauptgesellschaftskonten der A-GmbH nicht, zumindest nicht alleine, zeichnungsberechtigt gewesen sei. Demgegenüber sei der für die operativen Geschäfte zuständige Geschäftsführer AA über alle Konten der A-GmbH alleine zeichnungs- bzw. verfügungsberechtigt gewesen.
Die Geltendmachung der Haftung liege darüber hinaus im Ermessen der Behörde. Neben dem Bw komme noch AA als Haftungspflichtiger in Frage. In Anbetracht der oben genannten Tatsachen sei es jedenfalls im Zuge der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, dass der Bw nur für eine kurze ZeitGeschäftsführer gewesen sei und AA vor und nach der Geschäftsführertätigkeit des Bw alleiniger Geschäftsführer und auch Alleingesellschafter gewesen sei. Herr AA sei seit der Gründung der A-GmbH im Jahr 2000 selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer gewesen und sei mit Ausnahme der kurzen Geschäftsführertätigkeit des Bw immer alleiniger Geschäftsführer der A-GmbH gewesen. Bereits seit der Gründung sei AA auch an der A-GmbH beteiligt, wobei er mittlerweile 100% der Anteile an der Gesellschaft halte.
Warum dementsprechend die Behörde im Rahmen der Ermessensentscheidung den aushaftenden Betrag beim Bw geltend mache und nicht bei AA, sei nicht nachvollziehbar.
Der Bw habe die Geschäftsführertätigkeit bei der A-GmbH am aufgenommen. Letztendlich sei er mit Gesellschafterbeschluss vom mit sofortiger Wirkung abberufen und die Entlastung erteilt worden. Die Wirksamkeit der Abberufung richte sich nach dem Gesellschafterbeschluss und trete nicht mit der Löschung aus dem Firmenbuch ein. Der Haftungszeitraum des Bw erstrecke sich somit vom bis zum .
Der ausgewiesene Rückstand entsprechend der mit dem Haftungsbescheid mitüberlieferten Rückstandsaufgliederung beziehe sich jedoch auf Zeiträume vom 1/08 bis 12/08 und sohin auf das ganze Jahr 2008. Für Rückstände, die erst nach Abberufung der Geschäftsführertätigkeitdes Bw fällig geworden seien, habe nicht der Bw einzustehen. Die in der mit dem Haftungsbescheid mitüberlieferte Rückstandsaufgliederung ausgewiesenen Rückstände seien dementsprechend zu korrigieren.
So seien ausschließlich (von oben nach unten) alle Rückstände bis einschließlich Lohnsteuer für den Zeitraum 8/08 in Höhe von € 11.304,08 und zusätzlich die Umsatzsteuer für den Zeitraum 3/08 in Höhe von € 43.405,95 zu berücksichtigen. Alle anderen ausgewiesenen Rückstände seien erst nach dem fällig geworden. Beispielsweise seien etwa die Säumniszuschläge allesamt nach dem fällig und könnten daher nicht einen Haftungstatbestand des Bw begründen. Insgesamt ergebe sich sohin ein verminderter Rückstand in Höhe von € 164.492,55 als Haftungsbetrag.
Zudem seien die nicht veranlagten Umsatzsteuervoranmeldungen für den Zeitraum 1/2008 in Höhe von € 9.838,37, für den Zeitraum 4/2008 in Höhe von € 24.925,84 sowie für den Zeitraum 7/2008 in Höhe von € 7.859,65 von der vorgeschriebenen Steuerschuld in Abzug zu bringen, da die diesen zu Grunde liegenden Voranmeldungen richtig seien. Somit ergebe sich bestenfalls ein Haftungsbetrag in Höhe von € 121.868,69.Würde man die Haftung des Bw als gegeben erachten, was weiterhin ausdrücklich bestritten werde, müsste grundsätzlich jedenfalls die Höhe der Haftung auf den hier errechneten Betrag von € 121.868,69 vermindert werden.
Den Geschäftsführer treffe grundsätzlich die Pflicht, Verbindlichkeiten im Sinne des Gleichheitsgebotes zu befriedigen, ohne dass bestimmte Gläubiger, auch Abgabengläubiger, bevorzugt behandelt würden, um keine pflichtwidriges Verhalten zu setzen. Da es grundsätzlich - wie sich nunmehr herausgestellt habe - während der gesamten Geschäftsführertätigkeit des Bw zu Liquiditätsengpässen bei der A-GmbH gekommen sei, bringe der Bw auch vor, dass aufgrund der Vermögenslage der A-GmbH es ihm nicht möglich gewesen sei, alle fälligen Verbindlichkeiten vollumfänglich zu bedienen.
Mit Antritt der Geschäftsführertätigkeit des Bw vom seien Verbindlichkeiten im Gesamtbetrag von € 3,668.824,96aushaftend gewesen. Nach Zuzählung der während der Geschäftsführertätigkeit des Bw hinzugekommenen Verbindlichkeiten (in Höhe von € 4,233.685,18) ergebe sich zum (rechtswirksame Abberufung des Bw) ein Stand an Verbindlichkeiten in Höhe von € 7,902.510,14.
Bei den hier angegebenen Beträgen seien keine Bezahlungen, Tilgungen oder ähnliche Überweisungen berücksichtigt worden, die während aufrechter Geschäftsführertätigkeit des Bw getätigt worden seien und stellten diese Zahlen lediglich den Verbindlichkeitsaufbau dar. Des Weiteren seien auch die Verbindlichkeiten gegenüber sämtlichen verbundenen Unternehmen nicht berücksichtigt worden.
Sämtliche Mittel, die zur Bedienung der Verbindlichkeiten zur Verfügung gestanden seien, hätten per € 1,671.581,72 (Umsätze: € 1,165.402,94, neue Bankverbindlichkeiten: € 506.021,45) betragen.
Aufgrund der errechneten verfügbaren Mittel (etwa 21,15 % der Gesamtverbindlichkeiten per ) und der errechneten Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Abberufung des Bw als Geschäftsführer der A-GmbH ergebe sich eine Quote von 6,38% (€ 106.626,31), die bei ordnungsgemäßer Geschäftsführung im relevanten Zeitraum an das Finanzamt hätte bezahlt werden müssen.
Im Zeitraum der Geschäftsführertätigkeit des Bw seien seitens der A-GmbH insgesamt € 159.257,42 an das Finanzamt abgeführt worden. Bei gleichmäßiger Befriedigung der Gläubiger hätte jedoch lediglich ein Betrag in Höhe von € 106.626,31 an das Finanzamt abgeführt werden müssen. Richtigerweise sei es daher sogar zu einer Überzahlungdes Finanzamtes gekommen.
Der Bw beantrage, der Berufung Folge zu geben und den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufzuheben. Weiters beantrage der Bw die Mitteilung des ihm noch nicht zur Kenntnis gebrachten Abgabenanspruchs gemäß § 248 BAO.
Das Finanzamt schränkte die Haftung mit Berufungsvorentscheidung vom auf € 76.145,20 ein.
In dem dagegen eingebrachten Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz brachte der Bw ergänzend vor, dass die Feststellung in der Berufungsvorentscheidung, dass der Bw im haftungsrelevanten Zeitraum alleiniger Geschäftsführer der Gesellschaft und damit für die Entrichtung der Abgaben verantwortlich gewesen sei, ausdrücklich bestritten werde.
Wie bereits in der Berufung vorgebracht worden sei, sei während der ganzen Geschäftsführertätigkeit des Bw bei der A-GmbH auch AA sowohl als Alleingesellschafter als auch selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer im Firmenbuch eingetragen gewesen. Weiters werde insbesondere hinsichtlich der Ressortverteilung und zur Frage der Ermessensentscheidung auf die Ausführungen in der Berufung verwiesen.
Die Abgabenbehörde erster Instanz habe die Haftung auf € 76.145,20 eingeschränkt. Die Abgabenbehörde erster Instanz verkenne dabei allerdings, dass jedenfalls die Dienstgeberbeiträge sowie die Zuschläge zu den Dienstgeberbeiträgen unter den Gleichbehandlungsgrundsatz fielen.
Die davon betroffenen Dienstgeberbeiträge beliefen sich gemäß Berufungsvorentscheidung auf gesamt € 16.159,36. Die Zuschläge zu den Dienstgeberbeiträgen beliefen sich auf gesamt € 1.436,39. Zumal in der Berufung bereits vorgebracht worden sei, dass es im Lichte des Gleichbehandlungsgebotes gegenüber dem Finanzamt insgesamt zu einer Überzahlung gekommen sei, seien diese Beträge vollständig vom noch aushaftenden Betrag gemäß Berufungsvorentscheidung, der sich ausschließlich aus der Lohnsteuer zusammensetzen könne, abzuziehen. Dementsprechend beliefe sich die Haftung des Bw höchstens auf € 58.549,45.
Im Übrigen werde auf die Ausführungen in der Berufung verwiesen.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Unbestritten ist, dass dem Bw als selbstständig vertretungsbefugtem Geschäftsführer der Abgabepflichtigen laut Eintragung im Firmenbuch von bis neben einem weiteren Geschäftsführer die Vertretung der Gesellschaft oblag. Allerdings wurde vom Bw bereits in der Berufung behauptet, dass eine Vereinbarung getroffen worden wäre, wonach der andere Geschäftsführer und nicht der Bw mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut gewesen wäre. Auf Grund des Umstandes, dass nach der Aktenlage nur der Geschäftsführer AA, welcher entsprechend dem Vorbringen des Bw laut Eintragung im Firmenbuch von bis zur Verschmelzung der A-GmbH mit der Al-GmbH mit Verschmelzungsvertrag vom die Funktion als selbstständig vertretungsbefugter Geschäftsführer ausübte, der Abgabenbehörde gegenüber als Vertreter aufgetreten ist (Unterfertigung von Eingaben, Bekanntgabe der Zeichnungsberechtigung gemäß § 18 GmbHG samt Unterschriftsprobe), und der vorgebrachten mangelnden alleinigen Zeichnungsberechtigungen betreffend Bankkonten der Gesellschaft ist davon auszugehen, dass primär der andere Geschäftsführer und nicht der Bw mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut war.
Sind mehrere potentiell Haftende vorhanden, richtet sich die haftungsrechtliche Verantwortung nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (, 0038) danach, wer mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut ist. Verletzt der mit abgabenrechtlichen Angelegenheiten nicht befasste Vertreter seine eigenen Pflichten dadurch grob, dass er trotz Unregelmäßigkeiten des zur Wahrnehmung abgabenrechtlicher Angelegenheiten Bestellten nichts unternimmt, um Abhilfe zu schaffen, so ist auch er haftbar, es sei denn, dass ihm triftige Gründe die Erfüllung dieser wechselseitigen Überwachungspflicht unmöglich machen. Allerdings kommt eine Überprüfung der Tätigkeit des mit der Abgabenentrichtung betrauten oder hierfür verantwortlichen Geschäftsführers durch den anderen Geschäftsführer nur dann in Betracht, wenn ein Anlass vorliegt, an der Ordnungsmäßigkeit seiner Geschäftsführung zu zweifeln.
Konkrete Anhaltspunkte für Pflichtverstöße des anderen Geschäftsführers, die Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit seiner Geschäftsführung zu begründen vermögen, wurde vom Finanzamt - aufgrund der irrigen Annahme laut Berufungsvorentscheidung, dass der Bw im haftungsrelevanten Zeitraum alleiniger Geschäftsführer der Gesellschaft und damit für die Entrichtung der Abgaben verantwortlich gewesen sei - nicht festgestellt und liegen laut Aktenlage auch nicht vor.
Laut Aktenlage betrug der Saldo am Abgabenkonto der Gesellschaft am nach Rückzahlung eines Betrages von € 48.276,20 € 0,00. Durch Verbuchung eines Säumniszuschlages in Höhe von € 137,98 am und der Körperschaftsteuervorauszahlung für das erste Quartal 2008 in Höhe von € 8.425,00 am stieg der Saldo zum Zeitpunkt der Übernahme der Geschäftsführungsfunktion des Bw auf € 8.562,98 an. Konkrete Anhaltspunkte für Pflichtverstöße des anderen Geschäftsführers ergeben sich daraus nach Ansicht des Unabhängigen Finanzsenates noch nicht.
Selbst wenn im Verlaufe der kurzen Geschäftsführungsfunktion des Bw konkrete Anhaltspunkte für Pflichtverstöße des anderen Geschäftsführers hervorgekommen wären, erscheint auch ein rechtzeitiges Ausscheiden des Bw als Geschäftsführer infolge der Kürze der verbleibenden Zeit als Geschäftsführer nicht als ausgeschlossen, weil die Verpflichtung zum Rücktritt erst durch die Erkennbarkeit der Behinderung und der Ergebnislosigkeit der Bemühungen, diese zu beseitigen, ausgelöst wird (vgl. ).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Geschäftsführer schuldhafte Pflichtverletzung Uneinbringlichkeit Ressortverteilung |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at