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Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSL vom 05.02.2010, RV/0415-L/09

Selbstbezug von (erhöhter) Familienbeihilfe bei Unterbringung in einer betreuten Wohngemeinschaft auf Kosten der Sozialhilfe

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., vertreten durch SW., vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Braunau Ried Schärding vom betreffend Abweisung eines Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe für die Zeit ab Jänner 2009 entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Entscheidungsgründe

Das Finanzamt hat mit Bescheid vom den Antrag der volljährigen Berufungswerberin auf Gewährung der Familienbeihilfe für die Zeit ab Jänner 2009 unter Hinweis auf § 2 Abs. 1 lit. b bis f Familienlastenausgleichgesetz 1967 abgewiesen. Die Berufungswerberin sei seit bei P. (Bügelservice). Sie befinde sich in keiner Berufsausbildung. Betreffend erhöhte Familienbeihilfe sei anzumerken, dass es bereits drei Gutachten des Bundessozialamtes (, und ) gebe, welche eine dauernde Erwerbsunfähigkeit der Berufungswerberin verneinen würden.

In der dagegen eingebrachten Berufung vom wird im Wesentlichen angeführt, dass für die Berufungswerberin per eine endgültige Sachwalterin bestellt worden sei und dies deutlich auf eine psychische Erkrankung hinweise.

In der Folge ersuchte der Unabhängige Finanzsenat das zuständige Bundessozialamt am um Mitteilung, ob die Berufungswerberin voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen bzw. wenn ja, ob die Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten sei.

Am teilte das Bundessozialamt Folgendes mit. "Unter Berücksichtigung der vorliegenden Gutachten von 2005, 2006 und 2007 und der bestehenden Beeinträchtigungen kann bestätigt werden, dass Frau W. voraussichtlich dauernd außerstande sein wird sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Wegen der Teilleistungsschwäche und der zunehmenden Persönlichkeits- und Verhaltensstörung, die schon in den psychologischen Befunden von 2001 und 2002 aufscheinen und im Gutachten vom März 2005 angeführt sind, kann auch bestätigt werden, dass die Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist. Eine weitere Verschlimmerung des psychischen Leidens ist anzunehmen, sodass zumindest seit der notwendigen Bestellung einer Sachwalterin () ein GesGdB von 50 v.H. gegeben ist. Nachuntersuchung: keine - DAUERZUSTAND."

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 8 Abs. 4 leg. cit. erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behinderte Kind.

Als erheblich behindert gilt gemäß § 8 Abs. 5 FLAG ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, in der jeweils geltenden Fassung, und die diesbezügliche Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom , BGBl. Nr. 150, in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG in der Fassung BGBl. I Nr. 105/2002 mit Wirkung ab 2003 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine ärztliche Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Der Verfassungsgerichtshof hat am , B 700/07-13, Nachstehendes ausgeführt:

"Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG in der Fassung vor BGBl. 531/1993 war die erhebliche Behinderung durch ein Zeugnis eines inländischen Amtsarztes nachzuweisen. Einem amtsärztlichen Zeugnis war eine entsprechende Bestätigung einer inländischen Universitätsklinik oder einer inländischen Krankenanstalt sowie eine entsprechende Bestätigung des Schularztes gleichgesetzt. Zur Frage, wie die fehlende Selbsterhaltungsfähigkeit nachzuweisen ist, war dieser Fassung des FLAG nichts zu entnehmen.

In der Fassung der Novelle BGBl. 531/1993 lautete § 8 Abs. 6 leg.cit hingegen folgendermaßen:

"(6) Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung eines inländischen Amtsarztes, einer inländischen Universitätsklinik, einer Fachabteilung einer inländischen Krankenanstalt oder eines mobilen Beratungsdienstes der Landesinvalidenämter nachzuweisen. [...]."

Damit wurde nicht nur die Rechtslage hinsichtlich des Nachweises des Grades der Behinderung neu geregelt, sondern dieses Verfahren auch auf die Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit erstreckt.

Die derzeit geltende - bereits oben wiedergegebene - Fassung dieser Bestimmung ist erst mit der Novelle BGBl. I 105/2002 eingeführt worden. In den Materialien (RV 1136 BlgNR 21. GP) heißt es dazu:

"Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist derzeit durch eine Bescheinigung eines inländischen Amtsarztes, einer inländischen Universitätsklinik, einer Fachabteilung einer inländischen Krankenanstalt oder eines mobilen Beratungsdienstes der Bundesämter für Soziales und Behindertenwesen nachzuweisen. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, dass die Untersuchungen nunmehr ausnahmslos durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen - einschließlich durch deren mobile Dienste - durchzuführen und ärztliche Sachverständigengutachten zu erstellen sind, da das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen über langjährige praktische Erfahrungen bei der Anwendung der angesprochenen Richtsatzverordnung verfügt und sohin eine bundesweit einheitliche Vollziehung gewährleisten kann. Diese Maßnahme lässt auch mehr Effizienz bei den administrativen Abläufen erwarten, wobei auf die angespannte Personalsituation in den Beihilfenstellen der Finanzämter hinzuweisen ist."

Aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte der in Rede stehenden Norm ergibt sich somit, dass der Gesetzgeber nicht nur die Frage des Grades der Behinderung, sondern (seit 1994) auch die (damit ja in der Regel unmittelbar zusammenhängende) Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt hat, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Dem dürfte die Überlegung zu Grunde liegen, dass die Frage, ob eine behinderte Person voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht schematisch an Hand eines in einem bestimmten Zeitraum erzielten Einkommens, sondern nur unter Berücksichtigung von Art und Grad der Behinderung bzw. der medizinischen Gesamtsituation der betroffenen Person beurteilt werden kann. Damit kann auch berücksichtigt werden, dass gerade von behinderten Personen immer wieder - oft mehrmals - Versuche unternommen werden, sich in das Erwerbsleben einzugliedern, bei denen jedoch die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie aus medizinischen Gründen auf längere Sicht zum Scheitern verurteilt sein werden. Der Gesetzgeber hat daher mit gutem Grund die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit jener Institution übertragen, die auch zur Beurteilung des Behinderungsgrades berufen ist. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen. Ob der zeitweilige Einkommensbezug zum - zeitweiligen - Entfall der Familienbeihilfe führt, ist eine davon zu unterscheidende Frage, die nach den allgemeinen Regeln des FLAG zu lösen ist."

Im Hinblick auf diese Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes und unter Berücksichtigung des eindeutigen Gutachtens des Bundessozialamtes kann im gegebenen Fall davon ausgegangen werden, dass die Berufungswerberin voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Lebensunterhalt zu verschaffen und die dauernde Erwerbsunfähigkeit der Berufungswerberin vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist.

Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter den selben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).

§ 6 Abs. 5 FLAG bezweckt - bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 bis 3 leg. cit. - die Gleichstellung von Kindern, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten, mit Vollwaisen, für die niemand unterhaltspflichtig ist und die deshalb einen eigenen Anspruch auf Familienbeihilfe haben. Der Gesetzgeber will mit dieser Bestimmung in jenen Fällen Härten vermeiden, in denen Kinder sich weitgehend selbst erhalten müssen (vgl. das ). Die Bestimmung vermittelt somit grundsätzlich nur solange einen Eigenanspruch des Kindes auf Familienbeihilfe, als von einer aufrechten Unterhaltspflicht der Eltern auszugehen ist (vgl. ; ).

Nach der Absicht des Gesetzgebers soll in Fällen, in denen der Unterhalt einer Person durch die Unterbringung in Anstaltspflege oder einem Heim durch die öffentliche Hand sichergestellt ist, kein Anspruch auf Familienbeihilfe nach § 6 Abs. 5 FLAG bestehen. Dabei kommt es nicht auf die Art der Unterbringung (Bezeichnung als Anstalt oder Heim), sondern ausschließlich auf die gänzliche Kostentragung durch die öffentliche Hand an (vgl. ).

Wie der Verwaltungsgerichtshof seit diesem Erkenntnis in ständiger Rechtsprechung zu Recht erkennt, ist für die Auslegung des Tatbestandsmerkmales der Anstaltspflege in § 6 Abs. 2 lit. d FLAG sowie der Heimerziehung in § 6 Abs. 5 FLAG die Kostentragung entscheidend. Der Absicht des Gesetzgebers entsprechend soll in Fällen, in denen der Unterhalt einer Person durch die Unterbringung in Anstaltspflege bzw. Heimerziehung sichergestellt ist, kein Anspruch auf Familienbeihilfe nach der erwähnten Gesetzesstelle bestehen. Dabei kommt es nicht auf die Art der Unterbringung, sondern ausschließlich auf die gänzliche Kostentragung durch die öffentliche Hand an.

Im vorliegendem Fall war die Berufungswerberin von Mai 2007 bis September 2009 in der betreuten Wohngemeinschaft von P. untergebracht. Die Kosten für diese Form der Unterbringung wurden vom Land Oberösterreich getragen. Die ebenfalls vom Land Oberösterreich finanzierte Sozialhilfe wurde im Wege von P. an die Berufungswerberin ausbezahlt (mtl ca. € 545.-). Diese hatte davon einen Unkostenbeitrag (mtl. ca. € 131.-) für das Wohnen an P. zu refundieren. Somit erfolgte jedoch die Unterbringung der Berufungswerberin zur Gänze auf Kosten der öffentlichen Hand, weshalb die Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe (§ 8 Abs. 4 FLAG 1967) nicht vorlagen.

Aus den angeführten Gründen war wie im Spruch zu entscheiden.

Linz, am

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Materie
Steuer
FLAG
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at