Mitteilung über deutsche Altersrente als Wiederaufnahmsgrund
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Senatsvorsitzende Dr. Maria-Luise Wohlmayr, den richterlichen Beisitzer Mag. Erich Schwaiger, den fachkundigen Laienrichter Mag. Gottfried Warter, MBA, und den fachkundigen Laienrichter Mag. Peter Lederer im Beisein der Schriftführerin Sabine Plaichner über die Beschwerden vom 13. und des Beschwerdeführers ***BF***, vertreten durch die mit Zustellvollmacht ausgewiesene Kittl & Co Wirtschaftstreuhand-KG, 5020 Salzburg, Kaiser-Karl-Straße 3, gegen die Bescheide des Finanzamtes Salzburg-Stadt, 5026 Salzburg-Aigen, Aignerstraße 10, vertreten durch Dr. Thomas Seiler vom 12. und betreffend die Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2014 bis 2016 nach der am über Antrag der Partei (§ 274 Abs. 1 Z 1 BAO) in Salzburg abgehaltenen öffentlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
I)
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen. Die bekämpften Bescheide bleiben unverändert.
II)
Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist gem. Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
1. Verfahrensgang
Strittig sind hier drei Bescheide über die Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2014 bis 2016 vom 12. und . Die Beschwerden stehen dabei in Zusammenhang mit den Beschwerden gegen die Einkommensteuersachbescheide 2014 bis 2017. Die entsprechenden Bescheiddaten sowie Geschäftszahlen des Bundesfinanzgerichts all dieser Verfahren sind der Übersicht in Anlage A zu entnehmen.
Aufgrund des Antrages auf Senatsentscheidung wurden die Beschwerden auf Basis der gültigen Geschäftsverteilung der Gerichtsabteilung 7013-1 zur Entscheidung zugewiesen.
All diese Bescheide ergingen im Anschluss an Mitteilungen der Deutschen Steuerverwaltung über den Bezug einer Altersrente von der Deutschen Rentenversicherung Bund, die für 2014 und 2015 mit und für 2016 mit elektronisch eingingen. Mit den Mitteilungen im Jahr 2016 erlangte das FA erstmals von der deutschen Rente Kenntnis, obwohl der Bf. diese schon seit Erreichen seines 65. Lebensjahres (2007) bezog.
Das Finanzamt begründete die Wiederaufnahmen mit diesen Kontrollmitteilungen und führte aus, dies stelle neue Tatsachen bzw. Beweismittel dar.
Der Beschwerdeführer bekämpfte diese Bescheide mit Schriftsätzen vom 13. und aus mehreren Gründen:
1. Er rügte, es sei nicht ersichtlich, wann die Behörde die Kontrollmitteilungen erhalten hat.
2. Falls zu diesem Zeitpunkt noch eine Änderung gemäß § 299 BAO möglich gewesen wäre, könne dies nicht durch eine spätere Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO saniert werden.
3. Eine Wiederaufnahme wäre auch deshalb nicht zulässig gewesen, weil nur von einer geringfügigen Auswirkung gesprochen werden könne.
4. Zudem sei das Parteiengehör nicht gewahrt worden und die Entscheidung nicht entsprechend begründet worden.
Das Finanzamt wies die Beschwerden mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab, gab bekannt, wann es diese Informationen erhalten hatte und ergänzte, dass die Zuflüsse nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Österreich hier zum Progressionsvorbehalt heranzuziehen seien. Das Ermessen begründete die Behörde unter anderem damit, Ziel der amtswegigen Wiederaufnahme sei es, insgesamt ein rechtmäßiges Ergebnis zu erreichen. Die Erhöhung der jeweiligen Steuerlast sei für sich sowie in der Gesamtbetrachtung der drei Jahre nicht als geringfügig einzustufen.
Die Wiederaufnahme sei ein von der Aufhebung gemäß § 299 BAO völlig verschiedenes Rechtsinstitut, das nicht in Wechselbeziehung stehe.
Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin die Vorlage der Beschwerden an das Bundesfinanzgericht, die Entscheidung durch den Senat sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. In der Folge legte das Finanzamt diese am 12. bzw. vor.
In der mündlichen Verhandlung warf der steuerliche Vertreter des Bf. die Frage auf, ob das FA im gegenständlichen Fall überhaupt eine Wiederaufnahme der Verfahren durchführen habe dürfen. Obwohl dem FA bekannt gewesen sei, dass er eine deutsche Rente beziehe, habe es nur seine österreichischen Einkünfte der Besteuerung unterzogen. Er bestritt zwar nicht, dass die Mitteilungen über die deutsche Rente erst nach Ergehen der jeweiligen Erstbescheide erfolgten, trotzdem stelle sich die Frage, inwieweit dies eine neue Tatsache darstellt und ob nicht ausschließlich eine Berichtigung gem. § 299 BAO durchzuführen gewesen wäre.
Der Vertreter des FA beurteilte derartige Mitteilungen jedenfalls als neue Tatsachen, die analog etwa einem nachträglich eingespielten Lohnzettel zu sehen seien und zu einer Wiederaufnahme führten. Nicht bekannt sei jedenfalls die Höhe der Renten gewesen.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
2. Sachverhalt
Die Entscheidung des Bundesfinanzgerichts basiert auf folgendem Sachverhalt, der in den Akten der Abgabenbehörde sowie des Gerichtes abgebildet und soweit nicht gesondert angeführt unbestritten ist.
Der Bf. erwähnte in seinen Steuererklärungen den Zufluss der deutschen Rente nicht und die Einkommensteuerbescheide ergingen erklärungsgemäß ohne deren Berücksichtigung (2014 am , 2015 am und 2016 am ). Erst nach Rechtskraft dieser Bescheide wurde die österreichische Behörde von der deutschen Steuerverwaltung über den Zufluss der deutschen Rente informiert (Mitteilung für 2014 und 2015 am bzw. für 2016 am ). In der Folge nahm das Finanzamt die Einkommensteuerverfahren 2014 - 2016 mit Bescheiden vom 12. bzw. wieder auf und berücksichtigte diese deutschen Einkünfte (annähernd EUR 2.000 pro Kalenderjahr) im Wege des Progressionsvorbehalts.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das FA auch für 2017 einen Erstbescheid ohne die deutschen Rentenbezüge erließ (), diesen aber nach Ergehen der Mitteilung aus Deutschland () gem. § 299 BAO aufhob und durch einen neuen Sachbescheid ersetzte.
Aus all diesen Korrekturen ergaben sich Steuernachzahlungen von etwa EUR 354,00 bis annähernd EUR 484,00 pro Kalenderjahr (Stand nach den Beschwerdevorentscheidungen zu den Sachbescheiden).
3. Rechtsgrundlagen
Gem. § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Das Gesetz gibt keine Frist vor, innerhalb der diese Maßnahme durchzuführen ist. Da sie - wie vom Finanzamt richtig ausgeführt - ein von der Aufhebung gem. § 299 BAO völlig verschiedenes Rechtsinstitut ist, ist sie auch in der dort relevanten Jahresfrist zulässig (vgl. auch ). Ein Vorrang der einen oder anderen Maßnahme ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.
Das Gesetz enthält zwar keine Frist, innerhalb der eine Wiederaufnahme zu verfügen ist, es verbietet eine solche aber nach Ablauf der Frist des § 304 BAO. Daraus ergibt sich, dass eine Wiederaufnahme nach dem Hervorkommen neuer Tatsachen jedenfalls solange zulässig ist, wie die Abgabe nicht verjährt ist.
Literatur (Ritz, BAO6, § 303 Tz 62 ff) und Judikatur stellen klar, dass die Verfügung der Wiederaufnahme im Ermessen liegt (vgl. ; , 99/13/0131; , 2004/13/0083; , 2006/13/0015). Gemäß § 20 BAO sind solche Entscheidungen innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.
Dabei ist dem Begriff "Billigkeit" die Bedeutung von Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei und dem Begriff "Zweckmäßigkeit" das öffentliche Interesse, insbesondere an der Einhebung der Abgaben, beizumessen (vgl. , mwN).
Diese Interessensabwägung verbietet bei Geringfügigkeit der neu hervorgekommenen Tatsachen in der Regel den Gebrauch der Wiederaufnahmemöglichkeit. Diese ist dabei an Hand der steuerlichen Auswirkungen der konkreten Wiederaufnahmegründe und nicht auf Grund der steuerlichen Gesamtauswirkungen zu beurteilen, die infolge Änderungen auf Grund anderer rechtlicher Beurteilungen im Sachbescheid vorzunehmen wären. Bei Ausübung des Ermessens sind alle im Zusammenhang mit der Wiederaufnahme in Betracht kommenden Umstände zu berücksichtigen ().
Wie bei allen Ermessensentscheidungen kommt auch dem Gleichheitssatz und dem Normzweck Bedeutung zu. Dabei hat stets eine Abwägung aller für die Ermessensübung relevanten Umstände zu erfolgen, die entsprechend darzustellen ist (; , 95/13/0136; , 96/15/0129), wobei im Falle einer Auswirkung zu Ungunsten des Abgabepflichtigen vor allem den Zweckmäßigkeitsüberlegungen besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist (zB ).
Ziel der Wiederaufnahme ist vordergründig ein insgesamt rechtmäßiges Ergebnis (; ; B 2/96; ). Daher ist bei der Ermessensübung grundsätzlich dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (der Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor jenem der Rechtsbeständigkeit (Rechtskraft) zu geben (vgl. ; , 94/13/0032; , 99/14/0067).
Stellt sich die Frage, ob eine Wiederaufnahme zu verfügen ist, bei mehreren Verfahren gleichzeitig, so ist nach der ständigen Rechtsprechung und entgegen der Ansicht des Bf. die steuerliche Auswirkung nicht je Verfahren, sondern insgesamt zu berücksichtigen. Dies vor allem dann, wenn es sich bei den neu hervorgekommenen Tatsachen um im Wesentlichen gleich gelagerte Fakten handelt (vgl. mit weiteren Nachweisen).
Das Höchstgericht beurteilte absolute Steuererhöhungen von jährlich EUR 654, EUR 1.010 bzw. EUR 1.260 als nicht geringfügig (; , 2009/15/0016; , 2010/15/0159). Schon zuvor hatte es dies für eine Nachforderung im Jahre 1988 von ATS 3.500 (EUR 254) ausgesprochen (). Inflationsbereinigt entspricht das auf Basis 2014 etwa EUR 450 (VPI-Erhöhung von 588 auf 1.043).
4. Rechtliche Würdigung
Unbestritten ist hier, dass die Tatsache der Rentenzuflüsse bei Erlassung der Erstbescheide nicht aktenkundig war. Sie kam erst danach hervor und war damit neu. Es ist zwar richtig, dass die Abgabenbehörde in ihren ursprünglichen Wiederaufnahmsbescheiden nicht angab, wann die Informationen über diese Zuflüsse bei ihr einlangten. Sie holte dies allerdings in ihren Beschwerdevorentscheidungen nach (siehe auch Anlage A).
Keinen Einfluss auf die Wiederaufnahme hat - wie vom Finanzamt richtig angemerkt und auch oben dargestellt - die Jahresfrist des § 299 BAO. Zu prüfen ist hier ausschließlich, ob die verfahrensrelevanten Tatsachen im Zeitpunkt der Bescheiderlassung schon existierten sowie erst danach zu Tage traten und ob die Abgabe noch nicht verjährt ist. Beide Voraussetzungen für die Wiederaufnahme sind hier ohne Zweifel gegeben.
Unbestritten ist weiters, dass die neue Tatsache einen maßgebenden Einfluss auf den Inhalt dieser Bescheide hat. Ihre Mitberücksichtigung führt zu den oben angegebenen Steuernachforderungen, die sowohl jährlich wie auch in ihrer Gesamtbetrachtung einen Betrag klar übersteigen, den man noch als geringfügig bezeichnen und deshalb vernachlässigen könnte. Dafür spricht auch, dass die durchschnittliche Erstattung aus der antragslosen Arbeitnehmerveranlagung für 2017 nach einer Aussendung des Bundesministeriums für Finanzen EUR 238 betrug. Dieser Betrag wird hier klar überschritten. Zur Berechnung der Nachforderungen sowie zu deren Begründung wird auf die diesbezüglichen Erkenntnisse des erkennenden Senates ( und RV/6100467/2019) verwiesen. Die dortigen Ausführungen sind insofern ein integrierter Bestandteil dieses Erkenntnisses.
Der Bf. brachte im Verfahren keine Fakten vor, die die Wiederaufnahme der Verfahren unbillig erscheinen ließe. Deshalb war dem Grundsatz der Rechtsrichtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen und die Wiederaufnahme zu bestätigen.
Irrelevant ist dabei auch, dass das FA seit und damit im Zeitpunkt der Erlassung des Einkommensteuererstbescheides 2016 vom allgemein von einem deutschen Rentenbezugsrecht wusste.
Weder gab der Bf. für dieses konkrete Jahr in seiner Erklärung ausländische Einkünfte an, noch waren den diesbezüglichen konkreten Jahresakten Informationen über die Tatsache und die Höhe eines solchen Rentenbezuges zu entnehmen. Diese Informationen gingen dem FA für 2016 erst mit der deutschen Mitteilung vom zu.
Zur Rüge, das Parteiengehör sei nicht gewahrt worden und die Entscheidung sei nicht entsprechend begründet, darf auf die mündliche Verhandlung sowie die Begründung dieses Erkenntnisses verwiesen werden. Sollten diese Mängel bei Erlassung der bekämpften Bescheide existiert haben, sind sie dadurch saniert.
5. Revision
Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen (§ 25a Abs. 1 VwGG).
Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist eine Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art. 133 Abs. 4 B-VG).
Dies trifft nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu, wenn die in Betracht kommenden Normen klar und eindeutig sind (vgl. mit vielen weiteren Nachweisen).
Soweit Rechtsfragen für die hier zu klärenden Fragen entscheidungserheblich sind, sind sie durch höchstgerichtliche Rechtsprechung ausreichend geklärt (siehe oben), nicht von grundsätzlicher Bedeutung oder die anzuwendenden Normen sind klar und eindeutig.
Damit liegt hier kein Grund vor, eine Revision zuzulassen.
Salzburg-Aigen, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 299 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | B 2/96 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.6100468.2019 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at