Zurückweisung wegen entschiedener Sache
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RV/0954-W/04-RS1 | Durch die Besonderheit des Familienlastenausgleichsgesetzes, dass einerseits die Anspruchsvoraussetzungen nach § 10 Abs. 2 FLAG 1967 von Monat zu Monat anders zu beurteilen sein können und andererseits die Familienbeihilfe fünf Jahre rückwirkend beantragt werden kann, ist die bindende Wirkung eines einen Antrag ab einem bestimmten Zeitpunkt abweisenden Bescheides für die zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung in Zukunft liegenden Zeiträume nicht gegeben, weil für diese Zeiträume das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen noch nicht festgestellt ist. Insofern ist bei Abweisungsbescheiden betreffend die Familienbeihilfe durch die monatliche Betrachtungsweise die Voraussetzung für die Trennbarkeit des Bescheidinhaltes gegebenen und die Rechtskraft des Abweisungsbescheides steht einer neuen Entscheidung für die Zeiträume nach der abweisenden Bescheiderlassung nicht entgegen, da diesfalls Identität der Sache nicht gegeben ist |
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., vom gegen den Bescheid des Finanzamtes X. vom betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe ab Oktober 2003 entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Die Berufungswerberin (Bw.) beantragte am als a. Staatsbürgerin die Gewährung der Familienbeihilfe für ihre minderjährige Tochter, nachdem der Ehemann der Bw., der die Familienbeihilfe für die gemeinsame Tochter bezogen hatte, am verstorben war.
Das Finanzamt wies den Antrag der Bw. vom mit Bescheid vom nach Zitierung der Absätze 1 und 2 des § 3 FLAG 1967 ab Oktober 2003 mit der Begründung ab, dass die Bw. keine der in § 3 Abs. 1 und 2 leg.cit. genannten Voraussetzungen erfülle. Der Abweisungsbescheid wurde rechtskräftig.
Mit Eingabe vom beantragte die Bw. neuerlich die Gewährung der Familienbeihilfe ab Oktober 2003 wie folgt:
"Mein Antrag vom auf Familienbeihilfe für mein Kind ... wurde mit Bescheid vom abgewiesen, und zwar gestützt auf § 3 Abs. 1 und 2 FLAG. Nunmehr stelle ich den Antrag auf Familienbeihilfe, gestützt insbesondere auf § 3 Abs. 3 FLAG. Demnach genügt für den Elternteil, der den Haushalt überwiegend führt und nicht österreichischer Staatsbürger ist, dass der andere Elternteil österreichischer Staatsbürger ist.
Den Haushalt führe ich zur Gänze allein. Mein Gatte, der Vater des Kindes, ist am verstorben; er war bis zu seinem Tod österreichischer Staatsbürger.
Bei richtigem Verständnis des Gesetzes besteht jedenfalls Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind, das selbst österreichischer Staatsbürger ist, in Österreich lebt und Kind eines österreichischen Staatsbürgers ist, auch wenn dieser bereits gestorben ist. Da auf uns dies alles zutrifft, sind die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, sodass ich Anspruch auf Familienbeihilfe für unser Kind ...habe, und zwar ab ."
Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag der Bw. vom wegen entschiedener Sache zurück, weil bereits mit Bescheid vom über einen Antrag der Bw. auf Gewährung der Familienbeihilfe ab Oktober 2003 abgesprochen worden sei
Die gegen den Zurückweisungsbescheid eingebrachte Berufung begründete die Bw. wie folgt:
"Der Bescheid vom stützt sich laut dessen Begründung eindeutig auf § 3 Abs. 1 und 2 FLAG. Mein Antrag vom stützt sich hingegen ausdrücklich auf § 3 Abs. 3 FLAG. Diese Bestimmung stellt auf einen anderen Tatbestand ab als die Absätze 1 und 2 des § 3 FLAG, über den noch nicht entschieden worden ist. Deshalb liegt die behauptete "entschiedene Sache" (= res iudicata) nicht vor. Ich ersuche daher meiner Berufung statt zu geben.
Weiters ersuche ich, den Antrag vom inhaltlich zu erledigen und entsprechend den dort enthaltenen Ausführungen den Anspruch auf Familienbeihilfe für mein Kind T. ab festzustellen."
Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung als unbegründet ab.
Mit Eingabe vom beantragte die Bw. die Vorlage der Berufung zur Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz und führte aus:
1.1 Mein Gatte E. ist am verstorben. Er hat bis für unser Kind die Familienbeihilfe bezogen.
1.2 Als Mutter des Kindes habe ich am die Familienbeihilfe beantragt. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom abgewiesen. Wie sich aus dessen Begründung eindeutig ergibt, ist dieser Bescheid auf § 3 Abs. 1 und 2 FLAG gestützt und darin ausgeführt, dass keine der dort genannten Voraussetzungen zutreffe. Der Bescheid ist rechtskräftig.
1.3 Mit Eingabe vom habe ich einen neuen Antrag auf Familienbeihilfe für mein Kind gestellt, und zwar ausdrücklich gestützt auf § 3 Abs. 3 FLAG. Demnach genügt für den Elternteil, der den Haushalt überwiegend führt und nicht österreichischer Staatsbürger ist, dass der andere Elternteil österreichischer Staatsbürger ist. Dazu habe ich erklärt, dass ich den Haushalt zur Gänze allein führe und mein Gatte, der Vater des Kindes, bis zu seinem Tod österreichischer Staatsbürger war. Dazu habe ich ausgeführt, dass bei richtigem Verständnis des Gesetzes jedenfalls Anspruch für ein Kind besteht, das selbst österreichischer Staatsbürger ist, in Österreich lebt und Kind eines österreichischen Staatsbürgers ist, auch wenn er bereits gestorben ist.
1.4 Mit "Zurückweisungsbescheid" vom wurde meine "Eingabe" vom zurückgewiesen. weil dem neuerlichen Antrag das Verfahrenshindernis der "res iudicata" entgegenstünde. Bei diesem Bescheid handelt es sich somit eindeutig um einen verfahrensrechtlichen Bescheid.
1.5 Dagegen habe ich mit Schriftsatz vom Berufung eingebracht und diese damit begründet, dass sich der Antrag vom ausdrücklich auf einen anderen Tatbestand stützt, über den noch nicht entschieden worden ist, sodass die behauptete "entschiedene Sache" nicht vorliegt.
1.6 Die Berufung wurde mit Berufungsvorentscheidung vom "abgewiesen", und zwar aus dem materiell-rechtlichen Grund, dass § 3 Abs. 3 FLAG nicht erfüllt sei. Dieser Bescheid geht somit auf das den ausschließlichen Inhalt des Zurückweisungsbescheides vom bildende verfahrensrechtliche Problem der "res iudicata" überhaupt nicht ein.
2. Ich stelle nunmehr den Antrag auf Entscheidung durch die Behörde zweiter Instanz über meine Berufung vom . Die Berufungsvorentscheidung tritt damit ex lege außer Kraft, die Berufung gilt wieder als unerledigt.
3. Zur Begründung meines Antrages führe ich in materiell-rechtlicher Hinsicht aus:
3.1 Wenn die Abweisung des auf § 3 Abs. 3 FLAG gegründeten Antrages damit begründet wird, dass im relevanten Zeitraum der Kindesvater, der österreichische Staatsbürger war, bereits verstorben war, ist dem entgegenzuhalten: Der Gesetzgeber kann nicht alle Lebenssituationen berücksichtigen. Oft sind daher nur Kernsachverhalte geregelt; zahlreiche andere Lebenssachverhalte sind der Auslegung des Gesetzes durch die vollziehende Behörde überlassen. Die Gesetzesauslegung ist daher eine ihrer edelsten Aufgaben. Sie hat dabei den erkennbaren Willen des Gesetzgebers auf die nicht ausdrücklich geregelten Lebenssachverhalte anzuwenden; dies unter der nachprüfenden Kontrolle durch die Höchstgerichte und die europäischen Instanzen.
3.2 Das Privat- und Familienleben ist durch Art. 8 Abs. 1 EMRK verfassungsrechtlich geschützt. Dieser verfassungsrechtliche Schutz der Familie ist bei der nötigen Gesamtbetrachtung der österreichischen Rechtsordnung im Falle der Auslegung des Gesetzes jedenfalls zu beachten. Demnach räumt das österreichische Verfassungsrecht nicht nur der Einzelperson, sondern auch der Familie einen hohen Stellenwert ein.
3.3 § 3 Abs. 3 FLAG verweist bezüglich der Haushaltsführung ausdrücklich auf § 2a Abs. 1. Diese Bestimmung weist dem haushaltsführenden Elternteil (unter gesetzlicher Vermutung der Mutter) sogar ausdrücklich der, Vorrang ein.
3.4 In der praxisbezogenen Regelung des § 2a Abs. 1 FLAG betreffend die Haushaltsführung ist daher im Lichte des Art. 8 Abs. 1 EMRK die Absicht des Gesetzgebers zu sehen, die Familie als Keimzelle des Staates zu schützen und zu stärken. Da die Familie die Grundstruktur des Staates bildet, liegt in deren Schutz und Stärkung sogar ein gewisses öffentliches Interesse. Im Blick auf diese Rechtslage kommt nunmehr der Restfamilie, insbesondere den Tatsachen, dass das Kind die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und im gemeinsamen Haushalt beider Eltern lebte und jetzt im Haushalt der Mutter (Antragstellerin) lebt, auch spezielle rechtliche Bedeutung zu. Die österreichische Staatsbürgerschaft des Kindes einerseits und die Festfamilie mit Haushaltsführung durch die Mutter andererseits werden zu Bezugspunkten für die rechtliche Beurteilung. Unter dem Aspekt des Schutzes und der Stärkung der Familie Kommt dem Anspruch auf Familienbeihilfe wesentliche rechtliche Bedeutung zu. Dies umso mehr, als der Anspruch der Mutter auf Familienbeihilfe eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld ist.
4. Ich bitte daher abschließend um Feststellung meines Anspruches auf Familienbeihilfe für meine Tochter T. ab ."
Das Finanzamt legte die Berufung der Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vor. Ergänzend sei noch erwähnt, dass das Finanzamt der Bw. die Familienbeihilfe für die Tochter ab Jänner 2005 bereits zuerkannt hat.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 13 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 hat das nach dem Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt der antragstellenden Person zuständige Finanzamt über Anträge auf Gewährung der Familienbeihilfe zu entscheiden. Insoweit einem Antrag nicht oder nicht vollinhaltlich stattzugeben ist, ist ein Bescheid zu erlassen.
Gemäß § 10 Abs. 2 FLAG 1967 wird Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.
Gemäß § 10 Abs. 3 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 wird die Familienbeihilfe höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.
Gemäß § 2 der Bundesabgabenordnung (BAO) gelten die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes auch in Angelegenheiten der von den Abgabenbehörden des Bundes zuzuerkennenden oder rückzufordernden bundesrechtlich geregelten Beihilfen aller Art.
Gemäß § 276 Abs.3 BAO gilt die Berufung mit der Einbringung eines Vorlageantrages wieder als unerledigt, die Wirksamkeit der Berufungsvorentscheidung wird dadurch nicht berührt.
Gemäß § 289 Abs. 2 BAO hat die Abgabenbehörde zweiter Instanz, wenn die Berufung nach Abs. 1 leg.cit weder zurückzuweisen noch als zurückgenommen oder als gegenstandslos zu erklären ist, und auch eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides (und allfälliger Berufungsvorentscheidungen) unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz nicht erfolgt, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde erster Instanz zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Berufung als unbegründet abzuweisen.
Im gegenständlichen Berufungsfall hat das Finanzamt über einen Antrag der Bw. vom auf Gewährung der Familienbeihilfe mit unbestritten rechtkräftigem Abweisungsbescheid vom "ab Oktober 2003" entschieden und den Antrag der Bw. vom aus diesem Grund mit dem mit Berufung angefochtenen erstinstanzlichen Bescheid vom wegen entschiedener Sache (res judikata) zurückgewiesen.
Das Familienlastenausgleichsgesetz kennt keine Wahlmöglichkeiten für den Anspruch auf Familienbeihilfe. Dass die Bw. den Antrag vom auf eine andere als vom Finanzamt in der Begründung des Abweisungsbescheides angeführte Norm gestützt hat, ist daher kein für die Berufung erfolgbringendes Argument. Die (erstmalige) Feststellung, ob die erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen für einen bestimmten Zeitraum vorliegen, hat im erstinstanzlichen Verfahren zu erfolgen.
Formelle Rechtskraft tritt bei Bescheiden der Abgabenbehörde erster Instanz, die einem Rechtszug unterliegen, ein Rechtsmittel aber nicht eingebracht wird, mit ungenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist ein. Gegenstand der materiellen Rechtskraft ist der im Bescheid enthaltene Abspruch über die verwaltungsrechtliche Angelegenheit, die durch den Bescheid ihre Erledigung gefunden hat, und zwar auf Grund der Rechtslage, wie sie in dem von der Behörde angenommenen Sachverhalt zum Ausdruck kommt ().
Ist ein Bescheid formell rechtskräftig geworden, weil eine Berufung nicht rechtzeitig eingebracht worden ist, so sind später eingebrachte Anträge wegen entschiedener Sache zurückzuweisen (§ 273 BAO). Dabei ist zu prüfen, ob tatsächlich über dieselbe Sache zu entscheiden ist, über die bereits rechtskräftig entschieden worden ist. Von einer Identität der Sache kann nur gesprochen werden, wenn einerseits weder in der Rechtslage noch in den für die Beurteilung des Parteibegehrens maßgeblichen tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist und anderseits sich das neue Parteibegehren im wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH E , 908/67).
Eine Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wegen Änderung des Sachverhaltes setzt voraus, dass es sich um eine solche Änderung des Sachverhaltes handelt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteibegehrens gebildet haben, nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. ()
Ein Bescheid gemäß § 13 FLAG 1967 ist nur zu erlassen, soweit einem Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe nicht oder nicht vollinhaltlich stattzugeben ist. Ergibt sich, dass aufgrund des neuen Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe über eine "andere Sache" zu entscheiden ist, so steht die Rechtskraft des vorher erlassenen Bescheides einer neuen Entscheidung nicht entgegen, da diesfalls Identität der Sache nicht gegeben ist. Bei Zutreffen der Anspruchsvoraussetzungen kann daher für noch nicht abgewiesenen Zeiträume Familienbeihilfe zuerkannt werden, ohne dass es einer Berichtigung, Zurücknahme oder Abänderung des Erstbescheides bedarf. Auf die Frage, aus welchen Gründen die mit dem Erstbescheid ausgesprochene Abweisung erfolgte, kommt es dabei nicht an.
Der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum für die Familienbeihilfe ist, wie sich dies den Regelungen des § 10 Abs. 2 und 4 FLAG 1967 entnehmen lässt, der Monat. Das Bestehen des Familienbeihilfenanspruches für ein Kind kann somit je nach dem Eintritt von Änderungen der Sach- und/oder Rechtslage von Monat zu Monat anders zu beurteilen sein. Insofern ist bei Bescheiden betreffend die Familienbeihilfe durch die monatliche Betrachtungsweise die Voraussetzung für die Trennbarkeit des Bescheidinhaltes gegebenen und damit auch die partielle Widerrufbarkeit von Bescheiden möglich.
Zum Begriff der "Sache" hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass infolge zeitraumbezogener und insofern auch teilbarer Bemessungszeiträume die Behörde (im Berufungsverfahren) nur insofern berechtigt ist, die Entscheidung in jeder Richtung abzuändern, als über den betreffenden Zeitraum im erstinstanzlichen Verfahren bereits in bestimmter Weise entschieden worden ist. (). Auch vermag laut Judikatur ein für einen bestimmten (Steuer)abschnitt erlassener Bescheid über seinen Geltungsbereich hinaus keine Wirkungen (in der Art einer Bindung) auszustrahlen. Weder Partei noch Behörde können daher aus einem rechtskräftigen Bescheid über den von ihm erfassten Zeitraum oder Zeitpunkt, über die Abgabenart sowie über den Adressatenkreis hinaus Rechte oder Pflichten ableiten. Über diesen Bereich hinaus können Wirkungen nur insoweit eintreten, als dies gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist (). Die objektive Grenze der Wirkung der Rechtskraft wird somit durch "die entschiedene Sache" selbst bestimmt.
Die Abgabenbehörde erster Instanz konnte im gegenständlichen Fall aufgrund des bereits am ergangenen Abweisungsbescheides nicht jedenfalls von vornherein ausschließen, dass für den beantragten Zeitraum "ab Oktober 2003" bis zum Zeitpunkt der Antragstellung im November 2003 (bzw. bis zum Zeitpunkt des Erlassens des Zurückweisungsbescheides im Jänner 2004) in den für die Beurteilung des Parteibegehrens maßgeblichen tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist, weil der Zeitraum "ab Oktober 2003" - vom Zeitpunkt des Erlassens des "Erstbescheides" vom aus gesehen - in der Zukunft lag.
Auch wenn im vorliegenden Fall der neue Antrag bereits im Folgemonat nach Eintritt der formellen Rechtskraft des Abweisungsbescheides gestellt wurde, ändert sich dadurch nichts daran, dass ein neuer Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe für die Zeiträume nach einer abweisenden Bescheiderlassung bis zu fünf Jahre rückwirkend (und damit erst Jahre nach Ablauf der Rechtsmittelfrist des Abweisungsbescheides) gestellt werden kann. Weist die Abgabenbehörde erster Instanz nach einem in der Vergangenheit ergangenen rechtskräftig gewordenen Abweisungsbescheid dann einen solchen Antrag (zu Unrecht) wegen entschiedener Sache ab, hätte der Antragsteller keine Möglichkeit mehr, eine erstinstanzliche Entscheidung über den Zeitraum zwischen (erstem) Abweisungsbescheid und neuerlicher Antragstellung zu erhalten. Da das Eingehen in die sachliche Erledigung eines erstinstanzlich aus formellen Gründen nicht in Behandlung genommenen Gegenstandes nicht in die funktionelle Zuständigkeit der Berufungsbehörde fällt ( 89/7/158), hätte ein Antragsteller auch im Berufungsverfahren vor der zweiten Instanz keine Möglichkeit, eine Entscheidung über das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für die nach rechtskräftiger Bescheiderlassung bis zur neuerlichen Antragstellung bzw. Bescheiderlassung liegenden Zeiträume zu erhalten, weil die Abgabenbehörde zweiter Instanz in einer Angelegenheit, die noch nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen ist, einen Sachbescheid im Ergebnis nicht erstmals erlassen darf.
Durch die Besonderheit des Familienlastenausgleichsgesetzes, dass einerseits die Anspruchsvoraussetzungen nach § 10 Abs. 2 FLAG 1967 von Monat zu Monat anders zu beurteilen sein können und andererseits die Familienbeihilfe fünf Jahre rückwirkend beantragt werden kann, ist daher die Wirkung der Rechtskraft eines einen Antrag ab einem bestimmten Zeitpunkt abweisenden Bescheides für die nach der Bescheiderlassung in Zukunft liegenden Zeiträume nicht gegeben, weil für die Zeit nach Erlassung des Abweisungsbescheides das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen noch nicht festgestellt ist.
Wird mit einem abweisenden Bescheid über den Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe nur "ab" einem bestimmten Zeitpunkt abgesprochen, ist somit, auch wenn der Abweisungsbescheid formell rechtskräftig ist, ein neuerlicher, später eingebrachter Antrag auf (rückwirkende) Gewährung der Familienbeihilfe für die zum Zeitpunkt der Erlassung des Abweisungsbescheides in der Zukunft liegenden Zeiträume nicht wegen entschieden Sache zurückzuweisen, weil nur dann von "entschiedener Sache" auszugehen ist, wenn der neuerliche Antrag sich auf Zeiträume bezieht, über die bereits durch Bescheid abgesprochen wurde. Vielmehr besteht, sofern (auch) Zeiträume betroffen sind, die nach dem Erlassen des Abweisungsbescheides liegen, für diese Zeiträume die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung , weil bei unterschiedlichen Zeiträumen Identität der Sache nicht vorliegt.
Die aus dem Bescheid vom resultierende Feststellung des Finanzamtes, dass bereits mit Bescheid vom für die Zeiträume "ab Oktober 2003" (bis zum Zeitpunkt der Entscheidung) das Nichtvorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe festgestellt sei, weshalb res judicata vorliege, ist somit nicht zutreffend.
Aus den vorstehend angeführten Gründen ist die Berufungsbehörde der Ansicht, dass das Finanzamt über den Antrag der Bw. im vorliegenden Fall in der Sache hätte entscheiden müssen. Auf die Frage, aus welchen Gründen die mit dem Erstbescheid ausgesprochene Abweisung erfolgte, kommt es im Falle eines Zurückweisungsbescheides wegen entschiedener Sache im Rechtsmittelverfahren es nicht.
Ist Sache der Entscheidung der Rechtsmittelbehörde die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung wegen entschiedener Sache, darf sie nur über die Frage entscheiden, ob die Zurückweisung durch die Vorinstanz zu Recht erfolgt ist oder nicht. Die materiell-rechtlichen Vorbringen zum Antrag vom 26. Nobember 2003 können daher nur im folgenden erstinstanzlichen Verfahren Berücksichtigung finden. Ist die Behörde der Auffassung, dass der Formalbescheid zu Unrecht ergangen, besteht die bescheidmäßige meritorische Erledigung in der Aufhebung des angefochtenen Formalbescheides. (Aufhebungstatbestand des § 289 Abs. 2 BAO, siehe Stoll BAO-Kommentar, Seite 2796f).
Da mit dem Ergehen der Berufungsentscheidung der Abgabenbehörde zweiter Instanz die Berufungsvorentscheidung außer Wirksamkeit gesetzt wird, ohne dass es einer besonderen Verfügung bedarf, ist auch unerheblich, dass das Finanzamt in der Berufungsvorentscheidung nur auf die vorgebrachten Argumente materiell-rechtlicher Natur eingegangen ist.
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
Wien, am
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betroffene Normen | § 13 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 10 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | entschiedene Sache Trennbarkeit des Bescheidinhaltes in der Zukunft liegende Zeiträume |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at