Vorliegen eines haftungsbegründenden Sachverhaltes
VwGH-Beschwerde zur Zl. 2011/16/0067 (vormals 2009/13/0073) eingebracht. Mit Erk. v. als unbegründet abgewiesen.
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des JJ, gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom betreffend Haftung gemäß § 9 BAO entschieden:
Der Berufung wird insoweit Folge gegeben, als die Haftung auf € 134.827,94 anstatt € 134.956,96 eingeschränkt wird.
Im Übrigen wird die Berufung als unbegründet abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Mit Haftungsbescheid vom nahm das Finanzamt den Berufungswerber (Bw.) als Haftungspflichtigen gemäß § 9 Abs. 1 BAO für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der P-GmbH im Ausmaß von € 134.956,96 in Anspruch.
In der dagegen rechtzeitig eingebrachten Berufung führte der Bw. aus, dass in der gegenständlichen Sache bereits ein Verfahren abgeschlossen worden sei, welches mit Erkenntnis des Spruchsenates Sp geendet habe. Dabei sei dem Bw. auch zugesichert worden, dass mit Bezahlung der Geldstrafe alle Ansprüche jeglicher Art seitens des Finanzamtes betreffend die P-GmbH erfüllt seien und in Zukunft keinerlei Forderungen mehr an den Bw. gerichtet würden.
Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom als unbegründet ab.
In dem dagegen eingebrachten Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz brachte der Bw. vor, dass er nur unter den Rahmenbedingungen, dass in Zukunft keinerlei Forderungen mehr an den Bw. gerichtet würden, einem Geständnis zugestimmt habe.
Nachdem der auf Grund des geplanten Börseganges der P Gruppe von der vormaligen Geschäftsführung eingeschlagene Expansionskurs nicht von Erfolg gekrönt gewesen sei, hätten die Gesellschafter im Herbst 1999 die Gesellschaft liquidieren wollen. Da der Bw. als Mitbegründer und Gesellschafter die Gesellschaft nicht habe aufgeben wollen, ohne für die Gesellschaft, die Gesellschafter und die Mitarbeiter zu kämpfen, habe er ein Konzept erstellt, welches die weiteren Gesellschafter überzeugt habe, das Unternehmen weiter bestehen zu lassen. Unter diesen Rahmenbedingungen habe der Bw. trotz der sehr schwierigen Ausgangssituation mit die Geschäftsführung für die Gesellschaft übernommen.
Zum Zeitpunkt der Übernahme der Geschäftsführung seien offene Verbindlichkeiten beim Finanzamt vorgelegen, welche wohl seine Vorgänger zu verantworten hätten. Sein Einsatz und sein Bestreben sei es gewesen, diesen Verbindlichkeiten nachzukommen. Während seiner Tätigkeit als Geschäftsführer seien die in diesem Zeitraum entstandenen Forderungen bezahlt worden.
Trotz der sehr schwierigen Marktlage der Branche sei es dem Bw. auf Grund seiner langjährigen Kontakte gelungen, maßgebliche Projekte bei Großkunden abzuschließen und das Unternehmen weiter zu führen. Eine nochmalige Verschlechterung der IT-Branche im Jahr 2001/2002 habe dazu geführt, dass die Tagsätze im Bereich Consulting um bis zu 50% gesunken seien und einzelne große Marktplayer in diesem Bereich bis zu 40% Personalreduktion hätten durchführen müssen. Leider habe sich ein Großteil der im Rahmen der Expansionspolitik teuer eingekauften Mitarbeiter nicht bereit erklärt, diesem Umstand Rechnung zu tragen, und hätten, meist nach Berechtigung der Abfertigungsrechte, auf die Einhaltung der Verträge gepocht. Auch hätten einzelne Mitarbeiter durch Verzögerung von Projekten in Richtung persönlicher Vorteil (Übernahme bestehender Kunden und Projekte) hin gearbeitet.
Den Ausführungen sei zu entnehmen, dass den Bw. sicherlich kein Verschulden treffe. Ganz im Gegenteil sei es primär seinen Anstrengungen und Bemühungen zu verdanken, dass die Gesellschaft über den November 1999 hinaus weiter habe geführt werden können. Dass sich die Situation der gesamten Branche und da speziell im Dienstleistungsbereich (dabei werde als erstes gespart) so schlecht entwickle, sei in dem Ausmaß nicht vorherzusehen gewesen und habe auch vielen anderen Unternehmen in der Branche massive Probleme bereitet. Durch seine Anstrengungen hätten allein in Österreich ca. 10 Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum weiter beschäftigt werden können. Zusätzlich seien für diesen Zeitraum keine Aufwendungen für die Mitarbeiter wie Arbeitslosenunterstützung etc. angefallen.
Eine Verletzung bei der Führung von Lohnkonten müsse der Bw. auf das Entschiedenste zurückweisen. Die Lohnkonten seien vom beauftragten Steuerberater geführt worden und sei dieser auch beauftragt gewesen, die notwendigen Meldungen beim Finanzamt durchzuführen. Er sei auch der direkte Kontakt zum Finanzamt gewesen, da er als voll Handlungsbevollmächtigter gegenüber dem Finanzamt eingetragen gewesen sei. Der Bw. sei auch nie persönlich informiert worden, dass eine Lohnsteuerprüfung durchgeführt werden solle. Diese solle stattgefunden haben und mit abgeschlossen worden sein. Leider sei der Bw. auch nicht vom Masseverwalter beigezogen worden. Dass diese Konten sehr wohl geführt worden seien, bestätige die Abrechnung der WGKK, welche vor einigen Monaten unter Beiziehung des Steuerberaters durchgeführt worden sei. Eine Schätzung sei daher nicht notwendig gewesen und könne somit auch nicht Basis einer Forderung bzw. Fristversäumnis etc. sein.
In der Überprüfung der WGKK habe sich auch klar herausgestellt, dass ab dem Zeitraum 10/2003 keine Mitarbeiter beim Unternehmen tätig bzw. angemeldet gewesen seien. Es seien im Jahr 2003 HK (Abmeldung mit ), TS (Abmeldung mit ), AZ (Abmeldung mit ) und PS (Abmeldung mit ) angemeldet gewesen. Für sie seien auch die Lohnabgaben abgeführt worden. Der Bw. selbst habe seit Juli 2003 kein Gehalt mehr entnommen. Daher dürften auch keine Lohnabgaben mehr für ihn angefallen sein.
Wieso dann Vorschreibungen für Lohnabgaben für die weiteren Monate vorlägen, könne der Bw. nicht nachvollziehen. Die Tatsache, dass der Bw. noch lange nach Schließung des Unternehmens mehrmalig mit Vorschreibungen (Körperschaftsteuer, Vorauszahlungsbescheid vom ) konfrontiert worden sei, möge in diesem Zusammenhang beurteilt werden.
Der Bw. habe in den ersten 6 Monaten des Jahres 2003 sein Gehalt nur teilweise entnommen. Von Juli 2003 bis Jänner 2004 sei er unentgeltlich für das Unternehmen tätig gewesen. Der Bw. habe in dieser Zeit kein Einkommen und auch kein Arbeitslosengeld bzw. keine Notstandshilfe bezogen. Auch habe der Bw. als angestellter Geschäftsführer keinen Anspruch auf Leistungen des Ausfalls-Fonds gehabt, obwohl er über Jahre darin habe einzahlen dürfen. Ebenso habe er sein gesamtes Erspartes aufgebraucht und einen persönlichen Kredit aufgenommen. Der Bw. habe bei Übernahme der Geschäfte eine Hausbank eingebracht und eine persönliche Haftung in der Höhe von € 150.000,00 übernommen. Diesen Betrag habe der Bw. wohl noch die nächsten 20 Jahre zurückzuzahlen.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Unbestritten ist, dass dem Bw. als selbstständig vertretungsbefugtem Geschäftsführer der Abgabepflichtigen laut Eintragung im Firmenbuch von bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens über deren Vermögen mit Beschluss des Gs vom 2/4 die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft oblag.
Die ebenfalls nicht bestrittene Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben bei der Primärschuldnerin steht auf Grund der Aufhebung des Konkurses nach Schlussverteilung mit Beschluss des Gs vom 1/4 fest.
Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom , 97/15/0115) ist es im Falle der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Gesellschaft Sache des Geschäftsführers darzutun, weshalb er nicht Sorge getragen hat, dass die Gesellschaft die anfallenden Abgaben rechtzeitig entrichtet hat, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung annehmen darf. In der Regel wird nämlich nur der Geschäftsführer jenen ausreichenden Einblick in die Gebarung der GmbH haben, der ihm entsprechende Behauptungen und Nachweise ermöglicht.
Hatte der Geschäftsführer Gesellschaftsmittel zur Verfügung, die zur Befriedigung sämtlicher Schulden der Gesellschaft nicht ausreichten, so ist er nur dann haftungsfrei, wenn er im Verwaltungsverfahren nachweist, dass er die vorhandenen Mittel zur anteiligen Befriedigung aller Verbindlichkeiten verwendet und somit die Abgabenschulden nicht schlechter behandelt hat. Wenn die Behauptung und Nachweisung des Ausmaßes der quantitativen Unzulänglichkeit der in den Fälligkeitszeitpunkten der Abgaben zur Verfügung stehenden Mittel im Verwaltungsverfahren unterlassen wird, kommt eine Beschränkung der Haftung bloß auf einen Teil der uneinbringlichen Abgabenschulden nicht in Betracht.
Bezüglich der mit Haftungsbescheid geltend gemachten Lohnsteuer ergibt sich die schuldhafte Verletzung der Vertreterpflichten durch deren Nichtabfuhr durch den Bw. nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom , 90/13/0143) aus der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG, wonach jede Zahlung voller vereinbarter Arbeitslöhne, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende und einzubehaltende Lohnsteuer ausreichen, eine schuldhafte Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten des Vertreters darstellt.
Dass für die Entrichtung der übrigen haftungsgegenständlichen Abgaben keine Mittel zur Verfügung gestanden wären, wurde vom Bw. nicht behauptet. Auch aus dem Akteninhalt ergeben sich schon in Hinblick auf die zwischen den Fälligkeitstagen der haftungsgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten (bis ) und dem Beschluss auf Eröffnung des Konkursverfahrens (2/4) verstrichenen Zeitspanne keine deutlichen Anhaltspunkte für das Fehlen der Mittel zur Abgabenentrichtung (vgl. ), zumal etwa laut Umsatzsteuervoranmeldung im April 2003 Umsätze von € 58.730,48 getätigt wurden und laut Vorbringen des Bw. bis Oktober 2003 Mitarbeiter angemeldet waren und auch der Bw. erst ab Juli 2003 kein Gehalt mehr entnommen hat.
Entgegen dem Vorbringen des Bw. wurden für die genannten bis September bzw. Oktober 2003 angemeldeten Mitarbeiter und auch für den Bw. selbst für die Monate Mai und Juni 2003 jedoch keine Lohnabgaben abgeführt, sondern erfolgte laut Kontoabfrage die letztmalige Entrichtung von Lohnabgaben für April 2003 durch Zahlung des Betrages von € 17.670,70 am .
Dem Einwand, dass für den Bw. nicht nachvollziehen sei, wieso dann Vorschreibungen für Lohnabgaben für weitere Monate vorlägen, ist entgegenzuhalten, dass der Bw. neben den aushaftenden Lohnabgaben für 1999, 2000 (nur Dienstgeberbeitrag samt Zuschlag), 2001 und April 2002 nur für die Lohnabgaben für Mai 2003 in Anspruch genommen wurde.
Dem Einwand des Bw., dass die Lohnkonten vom beauftragten Steuerberater geführt worden seien, welcher auch beauftragt gewesen sei, die notwendigen Meldungen beim Finanzamt durchzuführen, ist zu entgegnen, dass der verantwortliche Vertreter nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () nicht von seiner Verantwortung befreit wird, wenn er seine abgabenrechtlichen Pflichten auf eine andere Person überträgt. Es treffen ihn in einem solchen Fall Auswahl- und Kontrollpflichten, deren Verletzung zu Haftungsfolgen nach § 9 BAO führen kann. Es gehört zu den Pflichten des zur Vertretung einer juristischen Person Berufenen, durch geeignete Aufsichts- und Überwachungsmaßnahmen, insbesondere durch Einrichtung von Kontrollmechanismen dafür Sorge zu tragen, dass die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten tatsächlich erfolgt. Der zur Vertretung einer juristischen Person Berufene hat die Tätigkeit der von ihm beauftragten Person in solchen Abständen zu überprüfen, die es ausschließen, dass die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten verborgen bleibt (siehe dazu Stoll, BAO-Kommentar, 122 f, und Ritz, Bundesabgabenordnung², § 9 Tz 13, und die dort jeweils zitierte Rechtsprechung). Der Bw. hat konkrete Umstände, aus denen sich ergäbe, dass ihm trotz pflichtgemäßer Überwachung der mit diesen Agenden betrauten Personen die Abgabenrückstände verborgen bleiben konnten, nicht behauptet.
Der Berufung war jedoch insoweit stattzugeben, als die Umsatzsteuer 3/2002 laut Kontoabfrage vom nur mehr mit dem Betrag von € 19.459,82 anstatt € 19.588,88 unberichtigt aushaftet
Sofern der Bw. mit dem Hinweis auf seine schlechte wirtschaftliche Lage die Uneinbringlichkeit der Haftungsschuld bei ihm vorbringt, ist dem zu entgegnen, dass damit nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () nicht eine unzweckmäßige Ermessensübung dargelegt wird, da die allfällige derzeitige Uneinbringlichkeit nicht ausschließt, dass künftig neu hervorgekommenes Vermögen oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen können. Laut Firmenbuchauszug war der Bw. im haftungsrelevanten Zeitraum einziger Geschäftsführer der Gesellschaft, somit der einzige in Betracht kommende Haftende im Sinne der § 9 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 80 ff. BAO, und können diese Abgabenschulden bei der Gesellschaft nicht mehr eingebracht werden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () ist die Behörde daher in Ausübung des ihr eingeräumten Ermessens nicht rechtswidrig vorgegangen.
Grundsätzlich ist es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () im Rahmen der Ermessensübung auch beachtlich, wenn die Behörde dem Geschäftsführer - etwa für den Fall der Zahlung bestimmter Beträge zu bestimmten Stichtagen - die Einschränkung der Haftung auf einen Betrag (und wohl auch die Nichtinanspruchnahme) in Aussicht gestellt hat. Allerdings kann eine aus dem Grundsatz von Treu und Glauben allenfalls folgende Bindung an eine erteilte Auskunft nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes () immer nur diejenige Behörde treffen, die die entsprechenden Auskünfte und Zusagen erteilt hat. Mangels Zuständigkeit der Finanzstrafbehörde erster Instanz zur Abgabenerhebung (Geltendmachung von Haftungen) kann somit auch die behauptete allfällige unrichtige Zusage der Finanzstrafbehörde erster Instanz die Ermessensübung der Abgabenbehörde nicht durch die Verletzung des Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben als unbillig und rechtswidrig erscheinen lassen.
Infolge der schuldhaften Pflichtverletzung durch den Bw. konnte die Abgabenbehörde nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung Ursache für die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben war.
Auf Grund des Vorliegens der Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 BAO erfolgte somit die Inanspruchnahme des Bw. als Haftungspflichtiger gemäß § 9 BAO für die laut Kontoabfragen vom und nach wie vor unberichtigt aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der P-GmbH im Ausmaß von € 134.827,94 zu Recht.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Geschäftsführer schuldhafte Pflichtverletzung Uneinbringlichkeit Auswahl- und Kontrollpflichten Ermessensübung Treu und Glauben |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at