Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSI vom 27.01.2010, RV/0677-I/09

Großes oder kleines Pendlerpauschale?

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung vom gegen den Bescheid des Finanzamtes A vom betreffend Einkommensteuer 2008 entschieden:

Der Berufung wird Folge gegeben. Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil dieses Bescheidspruchs.

Entscheidungsgründe

Die Berufungswerberin (kurz: Bw.) ersuchte in ihrer Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 (mit Ausfertigungsdatum ) um die Gewährung des großen Pendlerpauschales mit der Begründung, dass ein Bestreiten des täglichen Arbeitsweges mit den öffentlichen Verkehrsmitteln für sie nicht zumutbar sei. Sie wohne in B, C, rund 1,6 km von der nächsten Anbindung an das Netz der öffentlichen Verkehrsmittel (Bushaltestelle). Um pünktlich anzukommen, komme nur der Bus um 6.20 Uhr in Frage. Dieser treffe um 7.20 in D ein. Die Bw. müsste dann 40 Minuten bis zum Arbeitsbeginn warten (ein Vorziehen der Arbeitszeit auf 7.30 Uhr sei nicht möglich). Es sei ihr auch nicht möglich, die Arbeit jeden Tag pünktlich um 17.30 Uhr zu beenden. Sollte sie den Bus um 17.57 Uhr (mit einer Fahrtzeit von 1 Stunde 57 Minuten) nicht schaffen, würde sie in D "festsitzen".

Die Berufung wurde mit Berufungsvorentscheidung (vom ) mit der Begründung abgewiesen, dass nur das kleine Pendlerpauschale zustehe. Auf der überwiegenden Strecke und zu den überwiegenden Zeiten sei die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels möglich. Aus den vorgelegten Arbeitszeitnachweisen gehe hervor, dass die Bw. an nicht mehr als 50% der Arbeitstage länger als bis 17.30 Uhr gearbeitet habe. Außerdem werde auch die zumutbare Wegzeit nicht überschritten.

Die Bw. führte dazu in ihrem Vorlageantrag vom aus, dass es für sie nicht durchführbar sei, ihren täglichen Weg zur Arbeit mit öffentlichen Verkehrsmittel zu bestreiten. Es sei keineswegs vorhersehbar, wann und wie lange sie an ihrem Arbeitsplatz bleiben müsse. Wenn sie den letzen Bus verpasse, sehe sie keine Möglichkeit mehr nach Hause zu kommen. Abgesehen davon koste eine einfache Fahrt von B nach D sechs Euro. Eine Wochenkarte würde sicher billiger sein, aber immer noch teurer als mit dem Auto zu fahren und dann noch mindestens 1 x in der Woche jemanden finden zu müssen, der die Zeit und die Möglichkeit habe, die Bw. abzuholen. Es sei der Bw. bewusst, dass der Organwalter des Finanzamts strikte rechtliche Vorhaben habe, an die er sich halten müsse. Es würde die Bw. aber trotzdem freuen, wenn der "Beschluss" noch einmal überdacht werden könnte.

Mit Schreiben des Finanzamts vom wurde der Bw. mitgeteilt, dass die tatsächlichen Fahrtkosten für die Beurteilung der Frage, ob und in welcher Höhe das Pendlerpauschale zustehe, nicht von Bedeutung sei. Die Berufung müsste dem Unanhängigen Finanzsenat zur Entscheidung vorgelegt werden. Die Bw. werde ersucht, mitzuteilen, ob sie dies begehre oder die Berufung zurückziehe.

Die Bw. äußerte sich zu diesem Schreiben (nach der Aktenlage) nicht.

Über die Berufung wurde erwogen:

1.) Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (§ 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988): Werbungskosten sind auch die Ausgaben des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Diese Ausgaben sind bei einer einfachen Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bis 20 km grundsätzlich durch den Verkehrsabsetzbetrag (§ 33 Abs. 5) abgegolten. Beträgt die einfache Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, die der Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend zurücklegt, mehr als 20 km und ist die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zumutbar, dann werden zusätzlich bestimmte Pauschbeträge berücksichtigt (sog. kleines Pendlerpauschale). Ist dem Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zumindest hinsichtlich der halben Fahrtstrecke nicht zumutbar, dann werden (anstelle der genannten Pauschbeträge) höhere Pauschbeträge berücksichtigt (sog. großes Pendlerpauschale).

Mit dem Verkehrsabsetzbetrag und den Pauschbeträgen sind alle Ausgaben für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abgegolten. Die Pauschbeträge sind auch für Feiertage sowie für Lohnzahlungszeiträume zu berücksichtigen, in denen sich der Arbeitnehmer im Krankenstand oder auf Urlaub (Karenzurlaub) befindet.

2.) In sachverhaltsmäßiger Hinsicht ist davon auszugehen, dass die Fahrtzeit der Bw. mit einem privaten Kfz von der Wohnung bis zur nächstgelegenen Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels rund 2 Minuten (rd. 1,7 km) und bis zur Arbeitsstätte rund 24 Minuten beträgt (32,9 km; je Google maps). Die Fahrtzeit des öffentlichen Verkehrsmittels ab B beträgt 60 Minuten (Hinfahrt, 6.20 Uhr bis 7.20 Uhr) bzw. 64 Minuten (Rückfahrt, 17.46 bis 18.50 Uhr).

Unbestritten und (nach der Aktenlage) unbedenklich ist die Feststellung des Finanzamts, dass die Arbeitszeit der Bw. überwiegend so zeitgerecht geendet hat, dass sie ein öffentliches Verkehrsmittel zur Rückfahrt noch erreicht hätte.

3.) Das Finanzamt geht ganz offenkundig von einer Zeitstaffel aus und bejaht die Zumutbarkeit der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels bei einer Strecke ab 20 km (bis 40 km) - wie im vorliegenden Fall - erst, wenn eine Wegzeit von zwei Stunden überschritten ist. Das ist überzogen. Nach den Gesetzesmaterialien (RV 620 BlgNR XVII GP, 75) richtet sich die Zumutbarkeit nach dem Verhältnis der Fahrtdauer mit dem Massenbeförderungsmittel einerseits und dem Pkw andererseits. Unzumutbar ist die Fahrt mit dem öffentlichen Verkehrsmittel jedenfalls, wenn sie mehr als dreimal so lange dauert wie mit dem eigenen Pkw (vgl. ) und 90 Minuten überschreitet, was sich daraus ergibt, dass seitens der Rechtsprechung des VwGH eine Fahrtzeit von 90 Minuten selbst in einem Bereich bis 25 km für zumutbar erachtet wird (; ; zur Bedachtnahme auf Gesetzesmaterialien bei einem gesetzlich nicht determinierten Begriff der "Zumutbarkeit" allerdings zutreffend kritisch RdW 2009, 371).

4.) Nach dem Gesetzeswortlaut muss die Unzumutbarkeit der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels zumindest hinsichtlich der halben Fahrtstrecke vorliegen. Ist - wie im vorliegenden Fall - weniger als die halbe Fahrstrecke betroffen (Wohnung - Postamt B) führt die erforderliche Benützung eines Kfz nicht automatisch zur Unzumutbarkeit hinsichtlich der gesamten Fahrtstrecke. Die für die Beurteilung der Zumutbarkeit maßgebliche Fahrtdauer ergibt sich dann aus der Gesamtfahrzeit. Dabei ist eine optimale Kombination von Massen- und Individualbeförderungsmitteln (zB "park and ride") zu unterstellen.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass für die Strecke Wohnung - Postamt B eine (reine) Fahrtzeit mit dem Pkw von rd. 2 Minuten anzusetzen ist.

5.) Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erwies sich - unter diesen Voraussetzungen - in der überwiegenden Anzahl der tatsächlichen Arbeitstage als nicht (mehr) zumutbar. Misst man die Zeit vom (frühestmöglichen) Verlassen der Wohnung (um 6.18 Uhr) bis zum tatsächlichen Arbeitsbeginn (8.00 Uhr), wird - mit 102 Minuten - sowohl das Dreifache der Fahrtzeit mit einem privaten Verkehrsmittel (von 72 Minuten) als auch eine (Unter-)Grenze von 90 Minuten überschritten.

6.) Eine Beurteilung der Frage, ob (selbst) das große Pendlerpauschale geeignet, ist, die tatsächlichen Fahrtkosten eines Arbeitnehmers angemessen abzubilden, muss auf sich beruhen, da der Unabhängige Finanzsenat an die gehörig kundgemachten Gesetze gebunden ist und es ihm darüber hinaus verwehrt ist, die Verfassungsmäßigkeit von Rechtsgrundlagen - selbst bei erheblichen Bedenken, wie sie aus vielfältigen Gründen und jahrzehntelang hinsichtlich der Fahrtkosten von Arbeitnehmern zur Arbeitsstätte bestehen (vgl. RdW 2009, 371; RdW 2009, 123; SWK 2007, S 942; FJ 1989, 14; ÖStZ 1990, 110) - zu Gunsten des Steuerpflichtigen beim dafür zuständigen Verfassungsgerichtshof überprüfen zu lassen. Es läge daher ausschließlich an der Initiative der Bw., einen solchen Schritt zu setzen.

7.) Auf der Grundlage des vom Finanzamt herangezogenen Rechenganges (anteilige Berücksichtigung des Monats März, Anhebung der Beträge mit ) war - an Stelle des Betrages von 472,73 € - ein Betrag von 1.018,60 € (45,85 € + 294,75 € + 678,00 €) anzusetzen.

Beilage : 1 Berechnungsblatt

Innsbruck, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at