Berufungsentscheidung - Steuer (Senat), UFSG vom 27.09.2012, RV/0495-G/12

Innergemeinschaftliche Lieferung: Nachweise - Zeitpunkt

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/0495-G/12-RS1
Die mangelnde zeitliche Nähe zwischen Beförderungsnachweis und Lieferung rechtfertigt für sich allein nicht die Versagung der Steuerfreiheit für innergemeinschaftliche Lieferungen.

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat im Beisein der Schriftführerin über die Berufung der Berufungswerberin, vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Oststeiermark vom betreffend Umsatzsteuer 2005, 2006 und 2007 und vom betreffend Umsatzsteuer 2008 nach der am in 8018 Graz, Conrad von Hötzendorf-Straße 14-18, durchgeführten Berufungsverhandlung entschieden:

Der Berufung wird Folge gegeben.

Die getroffenen Feststellungen sind den als Beilage angeschlossenen Berechnungsblättern zu entnehmen und bilden einen Bestandteil dieses Bescheidspruches.

Entscheidungsgründe

Die Berufungswerberin (Bw), eine GmbH, betreibt ein Autohaus. Im Zuge einer abgabenbehördlichen Überprüfung der Jahre 2005 - 2008 kam es unter anderem zu folgender, nunmehr strittigen Feststellung:

Im überprüften Zeitraum wurden mehrere Fahrzeuge an zwei Unternehmer in Ungarn verkauft. Für diese Lieferungen an die Abnehmer A und B lagen laut Betriebsprüfungsbericht im Prüfungszeitpunkt keine Abholbescheinigungen bzw. keine Nachweise über UID-Überprüfungen vor. Weil nach Ansicht des Finanzamtes der Beförderungsnachweis jedenfalls zeitnah zur innergemeinschaftlichen Lieferung zu führen ist, versagte das Finanzamt aus diesem Grund die Steuerfreiheit.

Mit den dagegen eingebrachten Berufungen legte die Bw die fehlenden Nachweise vor und vertrat die Ansicht, dass der geforderte Nachweis nur mangelhaft und daher ergänzbar sei. Im nach den abweisenden Berufungsvorentscheidungen ergangenen Antrag auf Entscheidung durch den UFS bekräftigte die Bw nochmals ihr Vorbringen.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung erläuterte der Geschäftsführer der Bw auf Anfrage des Senates, dass die beiden Geschäftspartner ebenfalls Autohändler seien, die eine gute Verwertungsmöglichkeit für die ihnen verkauften (gebrauchten) "Fiskal-LKW" gehabt hätten. Aufgrund der bestehenden Ortskenntnisse in Österreich seien die Autos immer vom selben Beauftragten mit einem Abschleppwagen abgeholt wurden. Daher sei nicht immer die "Identität festgehalten" worden und auch die Überprüfung der UID erfolgte nicht bei jedem Geschäft, weil man ja mit den beiden Käufern in ständiger Geschäftsbeziehung stand.

Das Finanzamt erklärte auf Anfrage, dass es aus ihrer Sicht neben den verspätet vorgelegten Nachweisen keine Hinweise gäbe, die darauf schließen ließen, dass die KFZ im Zuge der Lieferung an den Abnehmer nicht ins übrige Gemeinschaftsgebiet verbracht worden seien.

Über die Berufung wurde erwogen:

Eine innergemeinschaftliche Lieferung liegt u.a. vor, wenn: 1. Der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet 2. Der Abnehmer ein Unternehmer ist und 3. der Erwerb des Gegenstandes beim Abnehmer im anderen Mitgliedstaat steuerbar ist (vgl Art 7 Abs 1 UStG).

Diese Voraussetzungen müssen vom Unternehmer buchmäßig nachgewiesen werden (Art 7 Abs 3 UStG). Mit Verordnung BGBl 1996/401 hat der Bundesminister für Finanzen geregelt, wie der Nachweis der Beförderung oder Versendung und der Buchnachweis bei innergemeinschaftlichen Lieferungen auszusehen hat. Im Fall der Abholung durch den Erwerber hat der Unternehmer nach § 2 leg cit den Nachweis zu führen durch

1. die Durchschrift oder Abschrift der Rechnung 2. einen handelsüblichen Beleg, aus dem sich der Bestimmungsort ergibt und 3. eine Erklärung des Abholenden, dass er den Gegenstand in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördern wird.

Im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung lagen alle gesetzlich bzw. durch Verordnung vorgesehenen Nachweise vor. Fraglich ist damit ausschließlich, ob der Nachweis über die Beförderung des Gegenstandes bereits im Zeitpunkt der Lieferung vorhanden sein muss oder ob ein Nachbringen desselben möglich ist.

Der UFS hat dazu wiederholt die Auffassung vertreten, dass allein die mangelnde zeitliche Nähe des Nachweises bzw. die Tatsache, dass ein solcher erst nachträglich erbracht wurde, für sich allein nicht die Versagung der Steuerfreiheit rechtfertige (vgl beispielsweise -G/04; oder -K/09).

Aus verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Sicht ist nämlich folgende Interpretation geboten: Ebenso wie bei Ausfuhrlieferungen ist eine Auslegung des Art 7 UStG überschießend und verstößt gegen das dem Gleichheitssatz innewohnende Verhältnismäßigkeitsgebot, wenn ihr der Sinn beigelegt wird, dass ungeachtet des im Einzelfall völlig zweifelsfreien Vorliegens der materiellen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit des in Rede stehenden Umsatzes die Steuerbefreiung allein deshalb nicht zu gewähren sei, weil der darüber hinausgehende - bloß formelle - Buchnachweis fehlt (). Auch ist eine solche Sichtweise aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht geboten, weil Maßnahmen, die dazu dienen, die genaue Erhebung der Steuer zu gewährleisten und Steuerhinterziehungen zu verhindern, nicht so eingesetzt werden dürfen, dass sie die Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage stellen (vgl , unter Hinweis auf "Schmeink & Cofreth")

Im Gegensatz zu den zitierten Urteilen liegt im Berufungsfall der Beförderungsnachweis ebenso wie der Buchnachweis vollständig vor und zwar in der, der Verordnung BGBl 1996/401 entsprechenden Weise. Die Finanzverwaltung versagt die Steuerfreiheit gem. Art 7 UStG einzig deshalb, weil der Beförderungsnachweis nicht bereits im Zeitpunkt der Lieferung bestanden hat.

Der BFH hat dazu im Urteil vom , V R 47/03 entschieden, dass eine innergemeinschaftliche Lieferung zwar grundsätzlich nicht als steuerfrei behandelt werden kann, wenn der Belegnachweis nicht geführt wird (vgl zB BFH , VB 159/96), dieser Nachweis jedoch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht nachgeholt werden kann. Der BFH bekräftigt diese Auffassung noch im Urteil vom , V R 41/04 unter Hinweis auf die Schlussanträge der Generalanwältin in der Rechtsache "Albert Collée".

Der EuGH hat am , Rs C-146/05 "Albert Collée" entschieden, dass eine nationale Maßnahme, die das Recht auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Wesentlichen von der Einhaltung formeller Pflichten abhängig macht, ohne die materiellen Anforderungen zu berücksichtigen und insbesondere ohne in Betracht zu ziehen, ob diese erfüllt sind, darüber hinausgeht, was erforderlich ist, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen. Mit anderen Worten: Werden die Voraussetzungen für die innergemeinschaftliche Lieferung erfüllt (Warenbewegung von Ö ins übrige Gemeinschaftsgebiet, in dem der Erwerb steuerbar ist), so kann die Steuerfreiheit wegen fehlender Nachweise nur versagt werden, wenn der Verstoß gegen die formellen Anforderungen den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind.

Im übrigen kann die Anforderung, dass die erforderlichen Aufzeichnungen unmittelbar nach der Ausführung des Umsatzes vorgenommen werden, ohne dass dafür eine konkrete Frist vorgesehen ist, den Grundsatz der Rechtssicherheit in Frage stellen (vgl Randnr. 29 "Federation of Technological Industries u. a." sowie Randnr. 32 "Albert Collée"). Dementsprechend hat der EuGH erkannt: Der Finanzverwaltung ist es verwehrt, die Befreiung einer tatsächlich ausgeführten innergemeinschaftlichen Lieferung allein mit der Begründung zu versagen, der Nachweis sei nicht rechtzeitig erbracht worden.

Eine Differenzierung zwischen Beförderungsnachweis und Buchnachweis, wie sie in den UStR 2000 vorgenommen wird (der Beförderungsnachweis kann nach Rz 4006 nicht nachträglich saniert werden, während dies beim Buchnachweis nach Rz 4008 sehr wohl möglich ist), ist gemeinschaftsrechtlich nicht geboten. Obgleich der EuGH in der Rechtsache "Albert Collée" () sachverhaltsmäßig (nur) den Buchnachweis zu überprüfen hatte, sind die Aussagen des EuGH gleichermaßen auf den Beförderungsnachweis anzuwenden. Das Gemeinschaftsrecht enthält nämlich keine Vorschrift, die sich unmittelbar mit Nachweispflichten befasst. Die MWSt-RL bestimmt lediglich, dass die Mitgliedstaaten die Bedingungen für die Befreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen von Gegenständen festlegen (vgl Randnr. 25 "Twoh International" bzw. Randnr. 24 "Albert Collée").

Aus der ständigen Rechtsprechung des EuGH (vgl Randnr 26 "Albert Collée") ergibt sich, dass die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten erlassen dürfen, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern, nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung der Ziele der MwSt-Richtlinien erforderlich ist (vgl. Randnr. 52 bis C-147/98 "Gabalfrisa u. a", und Randnr. 29 "Transport Service"). Sie dürfen daher nicht so eingesetzt werden, dass sie die Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage stellen, die ein Grundprinzip des durch das einschlägige Gemeinschaftsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist (vgl. Randnr. 59 "Schmeink & Cofreth und Strobel" sowie Randnr. 92 "Halifax u. a."). Die Umsätze sind nämlich unter Berücksichtigung ihrer objektiven Merkmale zu besteuern (vgl. u. a. die Randnr. 44 in den Urteilen "Optigen u. a.", , Rs C-440/04 "Kittel und Recolta Recycling" sowie Randnr 30 "Albert Collée").

Nachdem selbst für das Finanzamt keine Zweifel bestehen, dass eine innergemeinschaftliche Lieferung stattgefunden hat, wäre es iSd oben dargestellten Rechtsprechung überschießend, die Steuerfreiheit nicht zu gewähren. Der Berufung war daher statt zu geben.

Beilage: 4 Berechnungsblätter

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
Verweise

VwGH, 98/13/0038
EuGH, C-454/98







-G/04

-K/09
Zitiert/besprochen in
UFS Newsletter 2012/05

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at