Bestehen in der Büroorganisation einer juristischen Person grobe Mängel, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat durch die Vorsitzende Hofrätin Dr. Edith Putschögl und die weiteren Mitglieder Mag. Gerda Pramhas, Leopold Pichlbauer und Dr. Karl Penninger im Beisein der Schriftführerin Marija Schistek über die Berufung der A GmbH, Adresse, vertreten durch Martin Friedl, Steuerberater & Wirtschaftsprüfer, 4650 Lambach, Marktplatz 2, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Grieskirchen Wels vom betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 308 BAO) nach der am in 4020 Linz, Bahnhofplatz 7, durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Entscheidungsgründe
Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt wegen nicht rechtzeitiger Entrichtung der Umsatzsteuer 3/2006 in Höhe von 29.154,01 € einen ersten Säumniszuschlag in Höhe von 2 % der nicht fristgerecht entrichteten Abgabe, somit 583,08 €, fest. Begründend wurde ausgeführt, dass die Säumniszuschlagsfestsetzung wegen Nichtentrichtung der angeführten Abgabenschuldigkeit bis erfolgt sei.
Eine Eingabe der Berufungswerberin (Bw) vom enthielt, neben einer nicht mehr verfahrensgegenständlichen Berufung und nicht mehr verfahrensgegenständlichen weiteren Anträgen, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 308 BAO. Zur Begründung wurde vorgebracht, dass die bereits am fällig gewesene Umsatzsteuer 3/2006 am entrichtet worden sei. Diese Fehlleistung sei ein einem Vergessen gleich kommendes Übersehen und somit ein minderer Grad des Versehens. Eine ähnliche Fehlleistung sei noch nie vorgekommen. Auch auf dem Abgabenkonto des Ing. AB, dessen Einzelunternehmen zum in die Bw eingebracht worden sei, sei kein Säumniszuschlag verbucht. Damit sei dokumentiert, dass es sich bei der gegenständlichen Fehlleistung um einen Einzelfall handle.
Nunmehr ergebe sich, dass der erlittene Rechtsnachteil erheblich sei, das Nichtbemerken der Entrichtungspflicht sowohl unvorhersehbar als auch unabwendbar gewesen sei, ein minderer Grad des Versehens an der Versäumung der Frist vorliege, die Wiedereinsetzungsfrist gewahrt sei, die Zuständigkeit des Finanzamtes Grieskirchen Wels gegeben sei und die versäumte Handlung - siehe Abgabenkonto - bereits nachgeholt worden sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom wies das Finanzamt diesen Antrag als unbegründet ab. Die angeführten Gründe seien nicht geeignet, das Ereignis als unvorhergesehen oder unabwendbar erscheinen zu lassen.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung enthielt im Wesentlichen eine idente Begründung wie der abgewiesene Antrag.
Der Unabhängige Finanzsenat, dem die Berufung gegen diesen Abweisungsbescheid zur Entscheidung vorgelegt wurde, erachtete den Wiedereinsetzungsantrag als inhaltlich mangelhaft im Sinne des § 309a BAO und daher einer meritorischen Entscheidung nicht zugänglich.
Mit Mängelbehebungsauftrag wurde der Bw daher aufgetragen, die Bezeichnung des unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses und die Angaben, die zur Beurteilung des fehlenden groben Verschuldens an der Fristversäumung notwendig sind, nachzutragen.
Diesem Mängelbehebungsauftrag wurde nicht entsprochen, sodass der Unabhängige Finanzsenat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Bescheid vom als zurückgenommen erklärte. Der angefochtene Bescheid vom scheide dadurch automatisch aus dem Rechtsbestand aus.
Gegen diesen Bescheid wurde Verwaltungsgerichtshofbeschwerde erhoben. Mit Erkenntnis vom , 2008/15/0331, wurde der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
In seiner Entscheidung vertrat der Verwaltungsgerichtshof die Ansicht, dass die Angaben der Bw ausreichend gewesen seien, um eine inhaltliche Entscheidung treffen zu können. Der Unabhängige Finanzsenat habe daher zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Mängelbehebungsauftrag angenommen.
Im fortgesetzten Verfahren wurde die steuerliche Vertretung der Bw mit Schreiben vom aufgefordert, zu folgenden Fragen Stellung zu nehmen:
1) Wer (Angabe von Namen und Anschrift) war im Unternehmen für die Durchführung der Umsatzsteuerüberweisungen zuständig?
2) Welcher Umstand war ursächlich für das "Übersehen" der fristgerechten Zahlung der Umsatzsteuer 3/2006? Wurde im konkreten Fall von der üblichen Vorgangsweise abgewichen?
Es wird ersucht, den konkreten Ablauf der Ereignisse zu schildern.
3) Wodurch bzw. wem fiel die übersehene Zahlung wann auf?
4) Warum wurde für den Voranmeldungszeitraum 3/2006 fristgerecht eine Voranmeldung eingereicht, während für die übrigen Vorauszahlungszeiträume Voranmeldungen nur bei Geltendmachung eines Überschusses oder bei Bestehen eines Guthabens auf dem Abgabenkonto, somit nur dann, wenn keine Zahlung erforderlich war, abgegeben wurden?
5) Wurden im Unternehmen Vorkehrungen getroffen, um generell ein Übersehen bzw. Vergessen von Zahlungsfristen zu vermeiden? Falls ja - welche Umstände führten im gegenständlichen Fall zum Versagen dieser Vorkehrungen?
6) Das Vorliegen eines minderen Grades des Versehens ist nicht an Hand des Einhaltens von bisherigen Zahlungsfristen zu beurteilen; maßgeblich ist vielmehr das Verschulden im konkreten Fall. Legen Sie die Gründe dar, die Ihrer Meinung nach grobes Verschulden ausschließen.
Dieser Ergänzungsvorhalt blieb unbeantwortet.
In der am abgehaltenen mündlichen Berufungsverhandlung, zu der sowohl der steuerliche Vertreter der Bw als auch die Ehegattin des Geschäftsführers der Bw, BB, erschienen, wurde ergänzend ausgeführt, dass letztere seit Bestehen der Bw, somit seit Jänner 2006, als selbstständig vertretungsbefugte Prokuristin im Firmenbuch eingetragen sei.
BB erklärte, als Zeugin aussagen zu wollen und gab im Wesentlichen an, als Einzelprokuristin für die Bw ebenso zeichnungsberechtigt zu sein wie ihr als Geschäftsführer agierender Gatte.
Sie sei für die Vorbereitung der Buchhaltung zuständig, während die Buchhaltung und die Erstellung der Voranmeldungen Aufgabe der Steuerberatungskanzlei sei. Die ausgefüllten, von der Steuerberatungskanzlei übermittelten Zahlscheine lege sie in einer Registermappe, die die Monatstage enthalte, unter dem Datum ab, an dem die Zahlung vorzunehmen sei. Die Zahlungen erfolgten mittels Electronic Banking. Den fraglichen Zahlschein für die Umsatzsteuervorauszahlung 3/2006 habe sie zwar unter dem Datum "15." abgelegt, doch sei dieser Zahlschein aus ihr unerklärlichen Gründen in das Fach mit dem Datum "31." gelangt.
Die dem Senat zur Begutachtung vorgelegte Mappe weist das Datumfach "15." genau über dem Fach für das Datum "31." auf.
Auf Einwand des Senates, dass zwar ein Herausrutschen des Zahlscheins aus dem Fach mit dem Datum "15." durchaus vorstellbar, ein selbstständiges Hineinrutschen in das Datumsfach "31." aber nicht möglich sei, wandte die Zeugin ein, dass sie sich diesen Vorfall nur so erklären könne, dass der Zahlschein herausgefallen sei und sie ihn in der täglichen Hektik unabsichtlich in das Fach mit der Zahl "31" gelegt habe. Sie könne sich aber nicht mehr daran erinnern, ob das tatsächlich so gewesen sei.
Als periodisch zur Monatsmitte wiederkehrende Überweisungen nannte die Zeugin Zahlungen an die Krankenkasse, die Gemeinde und das Finanzamt (Umsatzsteuer und Lohnabgaben).
Die Zahlungen würden insoweit überwacht, als sie und ihr Gatte um den 10. eines jeden Monats die Zahlungsmappe gemeinsam durchgingen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Zahlschein für die Umsatzsteuer 3/2006 noch unter dem Register "15." abgelegt gewesen.
Die Steuerberatungskanzlei übermittle die Voranmeldungen elektronisch ans Finanzamt, da die Bw über keinen FinanzOnline-Zugang verfüge. Die Buchungsmitteilungen ergingen auf Grund der Zustellvollmacht an den Steuerberater. Sofern keine Unklarheiten bestünden, erfolge keine weitere Kontrolle.
Erklärend führte der steuerliche Vertreter aus, dass er die Post selbst öffne und, falls sich Ungereimtheiten ergäben, entweder selbst - allenfalls über FinanzOnline - Kontrollen durchführe oder einer Mitarbeiterin die Anweisung dazu gebe. Allenfalls veranlasse er die Weiterleitung der Buchungsmitteilung an die Klientin; dies dürfte auch gegenständlich der Fall gewesen sein.
Die Zeugin gab dazu an, das Versäumnis am 31. Mai festgestellt zu haben, da der Zahlschein in der Registermappe im Datumsfach "31." gelegen habe. Daraufhin sei die Einzahlung umgehend am erfolgt.
Obwohl an Lohnabgaben monatlich gleich bleibend 682,54 € abzuführen waren und die Umsatzsteuer ein Vielfaches - im fraglichen Zeitraum rund 29.000,00 € - betrug, sei ihr kein Missverhältnis in der Zahlungshöhe aufgefallen.
Die Kontoauszüge der Bank habe die Bw in unregelmäßigen Abständen, abhängig von der Anzahl der durchgeführten Buchungszeilen, erhalten. Diese seien dann von der Zeugin in den Bankordner eingeordnet und kontrolliert worden. Der Fehler der nicht zeitgerechten Entrichtung der Umsatzsteuer 3/2006 sei ihr nicht aufgefallen. Wann die Kontoauszüge im verfahrensgegenständlichen Zeitraum übermittelt worden seien, sei ihr nicht mehr in Erinnerung. Liquiditätsprobleme habe die Bw nie gehabt, sodass diese als Ursache für die verspätete Entrichtung auszuschließen seien.
Die Zeugin war ihren Angaben zufolge bereits im Einzelunternehmen ihres Gatten beschäftigt und dort für die Abgabenentrichtung zuständig. Sie nehme, nach entsprechender Kontrolle durch ihren Gatten, nach wie vor dessen Einkommensteuerzahlungen wahr.
Entgegen den Angaben im Wiedereinsetzungsantrag, eine ähnliche Fehlleistung sei noch nie vorgekommen und auch auf dem Abgabenkonto des Ing. AB, der sein Einzelunternehmen zum in die Bw eingebracht habe, finde sich seit Bestehen dieses Kontos kein Säumniszuschlag, und entgegen dem Vorbringen der Zeugin im Rahmen ihrer Vernehmung, ein derartiger Fehler sei ihr erstmals unterlaufen, war jedoch bereits die Einkommensteuervorauszahlung 01-03/2003 des Ing. AB verspätet entrichtet und aus diesem Grund am ein Säumniszuschlag festgesetzt worden.
Die Zeugin gab an, sich daran nicht erinnern zu können.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 308 Abs. 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Nach Abs. 3 leg. cit. muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen einer Frist von drei Monaten nach Aufhören des Hindernisses eingebracht werden. Spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag hat der Antragsteller die versäumte Handlung nachzuholen.
Ziel der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist, Rechtsnachteile zu beseitigen, die einer Partei daraus erwachsen, dass sie eine Frist ohne grobes Verschulden versäumt hat (Stoll, BAO, 2971).
Aus der gesetzlichen Bestimmung des § 308 BAO ergeben sich daher als Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung die Versäumung einer Frist, ein dadurch entstandener Rechtsnachteil, ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, kein grobes Verschulden sowie ein rechtzeitiger Antrag auf Wiedereinsetzung.
Laut Lehre und Judikatur besteht die Möglichkeit zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch bei Zahlungsfristen.
Ein Ereignis ist jedes Geschehen, also nicht nur ein Vorgang in der Außenwelt, sondern auch ein psychischer Vorgang wie Vergessen, sich Irren oä.
Unvorhergesehen ist ein Ereignis, das die Partei nicht einberechnet hat und dessen Eintritt sie auch unter Bedachtnahme auf die ihr persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte.
Unabwendbar ist ein - allenfalls vorhersehbares - Ereignis, wenn es die Partei mit den einem Durchschnittsmenschen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Mitteln nicht verhindern konnte (vgl. Ritz, BAO³, § 308 Tz 8 ff).
Das Kriterium "unabwendbar" ist als Maßstab im objektiven Sinn aufzufassen und stellt auf die objektiven Hinderungsmöglichkeiten eines Durchschnittsmenschen ab, wogegen der Begriff "unvorhergesehen" auf die subjektiven Verhältnisse der Partei abstellt, sodass nicht der objektive Durchschnittsablauf, sondern der konkrete Ablauf der Ereignisse maßgebend ist (vgl. Stoll, BAO, 2983).
Ein minderer Grad des Versehens ist leichter Fahrlässigkeit iSd § 1332 ABGB gleichzusetzen. Leichte Fahrlässigkeit liegt vor, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgsamer Mensch begeht.
Keine leichte Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn jemand auffallend sorglos handelt. Auffallend sorglos handelt, wer die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und nach den persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt.
Das Verschulden des Vertreters ist dem Verschulden des Vertretenen gleich zu setzen. Das gilt auch für Organe bzw. Vertreter juristischer Personen, die nach den gesetzlichen Vorschriften und den Organisationsnormen der juristischen Person zu deren Vertretung berufen sind.
Hingegen ist ein Verschulden von Kanzleiangestellten berufsmäßiger Parteienvertreter bzw. von Mitarbeitern einer Kapitalgesellschaft nicht schädlich. Maßgebend ist diesfalls, ob den Parteienvertreter bzw. das vertretungsbefugte Organ einer Kapitalgesellschaft ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden trifft. Das Verschulden eines Kanzleibediensteten bzw. Mitarbeiters stellt dann einen Wiedereinsetzungsgrund dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer nachgekommen ist.
Der Parteienvertreter hat die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Wahrnehmung von Fristen sichergestellt sind.
In gleicher Weise haben Kapitalgesellschaften dem Mindesterfordernis einer sorgfältigen Organisation zu entsprechen; dazu gehört insbesondere die Vormerkung von Fristen und die Vorsorge durch entsprechende Kontrollen, dass Unzulänglichkeiten zufolge menschlichen Versagens voraussichtlich auszuschließen sind (vgl. ).
Maßgebend ist, ob dem Parteienvertreter bzw. den Organen juristischer Personen ein grobes Auswahlverschulden, grobe Mängel der (Kanzlei)Organisation oder eine mangelhafte Überwachung und Kontrolle anzulasten sind. Der Umfang der zumutbaren Überwachungs- und Kontrollpflichten ist dabei stets nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen.
Von einem bloß minderen Grad des Versehens kann nicht mehr gesprochen werden, wenn Organisationsmängel vorliegen, wodurch die fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen nicht gewährleistet ist, wenn das Kontrollsystem unzureichend ist oder wenn das Bestehen der Aufsichtspflicht überhaupt nicht erkannt wird.
Überträgt man diese rechtlichen Ausführungen auf den vorliegenden Fall, ergibt sich Folgendes:
Unstrittig sind die Versäumung der Frist zur Entrichtung der Umsatzsteuervorauszahlung 3/2006, der durch die Vorschreibung eines Säumniszuschlages erlittene Rechtsnachteil sowie ein rechtzeitiger Wiedereinsetzungsantrag, sodass diesbezüglich weitere Erörterungen auf sich beruhen können.
Der zur Fristversäumung führende Fehler unterlief gegenständlich der Prokuristin der Bw.
Nach § 49 Unternehmensgesetzbuch (zum verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt: § 49 Handelsgesetzbuch) ermächtigt die Prokura zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Unternehmens mit sich bringt.
In der Zeugeneinvernahme wurde bestätigt, dass BB im berufungsgegenständlichen Zeitraum als Prokuristin für die Bw ebenso zeichnungsberechtigt war wie Ing. AB als Geschäftsführer. Das Verschulden der Prokuristin war daher der Bw zuzurechnen und nicht dem Verschulden einer Büroangestellten gleichzuhalten (vgl. , sowie die Entscheidung des Unabhängigen Finanzsenates, RV/0437-L/10).
Im vorliegenden Fall wurden die Zahlscheine für die am fälligen Abgaben laut Angaben der Zeugin in der Registermappe ursprünglich richtig unter dem Tag "15." abgelegt und die ebenfalls am fälligen Lohnabgaben 4/2006 daher auch tatsächlich fristgerecht entrichtet.
Nachdem der Senat die ursprüngliche Erklärung der Zeugin - der unter dem richtigen Datum "15." abgelegte Zahlschein für die Umsatzsteuer 3/2006 sei aus ihr unerklärlichen Gründen in das darunter liegende Fach mit dem Datum "31." gerutscht - als faktisch nicht möglich gewertet hatte, gab diese an, sie könne sich die unrichtige Einordnung des Zahlscheins nur so erklären, dass dieser herausgefallen sei und sie ihn in der täglichen Hektik in das Fach "31." anstatt "15." zurückgelegt habe.
Mag die versehentliche Einordnung eines aus der Registermappe gefallenen Zahlscheins unter einem unrichtigen Datum, wobei sich dieses Fach unmittelbar unter dem Fach mit dem richtigen Datum befindet, als ein Fehler anzusehen sein, den gelegentlich auch ein sorgsamer Mensch begeht, so kann dennoch auf Grund des Hinzutretens weiterer Versäumnisse nicht mehr von einem minderen Grad des Versehens ausgegangen werden.
Zur Organisation des Zahlungsverkehrs befragt, ließen die Schilderungen der Zeugin keine wie immer gearteten Kontrollmechanismen erkennen, die geeignet gewesen wären, die zeitgerechte Wahrnehmung von (Zahlungs)Fristen sicher zu stellen und durch menschliches Verhalten verursachte Fehlleistungen hintanzuhalten.
Dass das beschriebene System sich für die Vormerkung von Zahlungsterminen als völlig ungeeignet und unzureichend erwies, wird durch die konkrete Säumnis deutlich: Obwohl die Zeugin sich erinnern konnte, dass sich der Zahlschein für die Umsatzsteuer 3/2006 bei der gemeinsamen Durchsicht der Registermappe um den 10. des Monats noch im richtigen Datumsfach "15." befand, fiel bei den Überweisungen zum Fälligkeitstag , somit nur wenige Tage später, trotz des im Verhältnis zu den übrigen Zahlungen sicher nicht nur geringfügigen Betrages und trotz der überschaubaren Anzahl der zu diesem Zeitpunkt zu tätigenden Zahlungen das Fehlen des Zahlungsbelegs für die Umsatzsteuer 3/2006 nicht auf.
Der Umstand, dass sie und ihr Gatte um den 10. eines jeden Monats, somit vor dem jeweiligen Zahlungstermin für monatlich periodisch wiederkehrende Abgaben, die Registermappe mit den Zahlscheinen gemeinsam durchgingen, stellte keinesfalls sicher, dass diese Zahlungen dann auch tatsächlich zum Fälligkeitstermin durchgeführt werden würden. Wirksame Vorkehrungen, die ein Übersehen der Zahlungspflicht verhindert und eine Überwachung der Fälligkeit von Abgabenschulden ermöglicht hätten, wurden nicht dargelegt, sodass insgesamt von einem unzureichenden Kontrollsystem und groben Mängeln in der Büroorganisation auszugehen war. Deshalb, weil dadurch keinesfalls verhindert werden konnte, dass intern noch Zahlungsbelege in Verstoß gerieten und nicht zur rechtzeitigen Einzahlung gelangten.
Den Ausführungen der Zeugin zufolge fiel ihr weder bei der Überweisung noch bei der Überprüfung der Bankbelege das Missverhältnis zwischen geleisteter und tatsächlich zu erbringender Zahlung auf, obwohl die betreffende Umsatzsteuer ein Vielfaches der Lohnabgaben betrug.
Nach dem glaubwürdigen Vorbringen der Zeugin verfügt die Bw über keinen Zugang zu FinanzOnline, sodass keine Möglichkeit der Einsichtnahme in das Abgabenkonto besteht. Eine Überprüfung des Abgabenkontos in Form einer über FinanzOnline getätigten Abfrage - zumindest zu den Fälligkeitsterminen der laufend wiederkehrend zu entrichtenden Abgaben - würde sich als probates Mittel erweisen, um allfällige Versäumnisse - sei es durch das Fehlen der erforderlichen Buchungen, sei es durch ungewöhnlich hohe Abgabenrückstände - fristgerecht erkennen und gegebenenfalls noch eine Überweisung innerhalb der dreitägigen Respirofrist (§ 211 Abs. 2 BAO) tätigen zu können.
Die Fälligkeit der Umsatzsteuervorauszahlung stellt einen monatlich wiederkehrenden Zahlungstermin dar. Bei einem entsprechend geführten Terminvormerk und dessen Kontrolle hätte es nicht zu einem Übersehen des Fälligkeitstermins kommen können, sondern hätte das Unterbleiben der Umsatzsteuervorauszahlung jedenfalls auffallen müssen.
Erschöpfen sich die organisatorischen Maßnahmen zur Überwachung der Fälligkeit von Abgabenschulden darin, dass die Prokuristin die Zahlscheine in einer Registermappe ablegt und diese um den 10. eines jeden Monats gemeinsam mit dem Geschäftsführer durchgeht, kann von einer sorgfältigen Büroorganisation, die geeignet wäre, menschliches Fehlverhalten auszuschließen, keine Rede sein.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist aber das Fehlen jeglicher effektiver Kontrolleinrichtungen in der Büroorganisation als ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden anzusehen. Da nicht sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des § 308 Abs. 1 BAO erfüllt waren, war die Berufung als unbegründet abzuweisen.
Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass am persönlichen Abgabenkonto des Geschäftsführers der Bw als "vorletzte Säumnis" und als "letzte Säumnis" jene vom (wegen verspäteter Entrichtung der Einkommensteuervorauszahlung 10-12/2010) und vom (wegen verspäteter Entrichtung von Stundungszinsen 2010) angemerkt sind, die allerdings zu keiner Vorschreibung eines Säumniszuschlages führten, weil die Betragsgrenze nach § 217 Abs. 10 BAO nicht erreicht wurde.
Linz, am
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 308 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at