Einvernehmliche Vertragsaufhebung wegen Irrtums bzw. Wegfalls der Geschäftsgrundlage
Rechtssätze
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Stammrechtssätze | |
RV/0456-I/03-RS1 | Sind auf Grund der festgestellten Tatumstände die Gründe für eine Vertragsanfechtung wegen (Geschäfts)Irrtums oder Wegfalls der Geschäftsgrundlage gegeben und kommt es nachgewiesenermaßen unter (außergerichtlicher) Geltendmachung dieser Anfechtungsgründe zu einer einvernehmlichen Vertragsaufhebung ex tunc durch die Vertragsparteien, dann kann diesfalls die gerichtliche Anfechtung (ansonsten siehe ) entfallen. Die Durchführung eines Anfechtungsprozesses - ausschließlich zum Zweck der Beseitigung der Gebührenpflicht - wäre nämlich dann sinnwidrig und wäre wegen des zwischen den Streitteilen bestehenden Einverständnisses auch prozessual (Scheinprozess) bedenklich. Die erfolgreich durchgeführte (außergerichtliche) Anfechtung des Rechtsgeschäftes bewirkte die einvernehmliche Vertragsaufhebung und damit die Beseitigung des Rechtsgeschäftes ex tunc . Gemäß § 23 Abs. 4 BAO entfiel die Gebührenpflicht. Im Bescheid gemäß § 201 BAO war daher die Gebühr mit Null € festzusetzen. |
Entscheidungstext
BerufungsentscheidungDer unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., vertreten durch Dr. Hannes Paulweber, gegen den Bescheid vom des Finanzamtes Innsbruck betreffend Festsetzung von Selbstbemessungsabgaben gemäß § 201 BAO entschieden: Der Berufung wird Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird abgeändert. Die vorgeschriebenen Gebühren von insgesamt 5.203,67 € (Rechtsgebühr: 69.984 S, Bogengebühr: 1.620 S) werden mit jeweils Null € festgesetzt.
Rechtsbelehrung
Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 291 der Bundesabgabenordnung (BAO) ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. Es steht Ihnen jedoch das Recht zu, innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung dieser Entscheidung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof zu erheben. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt oder einem Wirtschaftsprüfer unterschrieben sein.
Gemäß § 292 BAO steht der Amtspartei (§ 276 Abs. 7 BAO) das Recht zu, gegen diese Entscheidung innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung (Kenntnisnahme) Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.
Entscheidungsgründe
Am erfolgte eine Anmeldung über die Selbstberechnung der Gebühren gemäß § 33 TP 5 Abs. 5 Z 3 und § 6 Abs. 2 Gebührengesetz 1957 idF BGBl. I Nr. 144/2001 betr. den Mietvertrag vom , abgeschlossen zwischen A. G. als Bestandgeber und der S. AG als Bestandnehmerin. Mit Schreiben vom stellte A. G. (= Bw) einen "Antrag auf Rückerstattung von Mietvertragsgebühren" in Höhe von 71.604 S, der im Wesentlichen auf das Vorbringen gestützt wurde, da die vorliegende Grundstückswidmung eine Bebauung für Lebensmittelmärkte ausschließe und demgemäß die Voraussetzungen für den Abschluss des Mietvertrages und damit dessen Geschäftsgrundlage weggefallen sei, wäre der Mietvertrag sohin nicht zustande gekommen. Mit diesem "Antrag auf Rückerstattung von Mietvertragsgebühren" wendete der Bestandgeber im Ergebnis die Unrichtigkeit der von ihm selbst berechneten und entrichteten Mietvertragsgebühr ein und begehrte damit implizit die Erlassung eines Festsetzungsbescheides im Sinne des § 201 BAO mit einer nunmehrige Gebührenvorschreibung von Null S, denn nur eine solche bescheidmäßige Festsetzung der selbstberechneten Abgabe führt überhaupt erst zu einer rückerstattbaren Gutschrift im begehrten Ausmaß.
Das Finanzamt erließ daraufhin einen Bescheid gemäß § 201 BAO und setzte die Rechtsgebühr (§ 33 TP 5 GebG) und die Bogengebühr ( § 6 Abs. 2 GebG) in Höhe der erfolgten Selbstberechnung fest. Damit gab das Finanzamt zu erkennen, dass nach seiner Ansicht die im Wege der Selbstberechnung entrichteten Gebühren rechtsrichtig waren. Als Begründung wurde Folgendes auszugsweise angeführt:
"Wenn nach § 17 Abs. 5 GebG selbst das (gänzliche) Unterbleiben der Ausführung des Rechtsgeschäftes die bereits entstandene Gebührenschuld nicht aufhebt, so kann dies erst recht nicht bei einer bloß teilweise eingeschränkten Ausführung des Rechtsgeschäftes geschehen. Eine Vertragsanfechtung wegen Irrtums oder Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist gerichtlich vorzunehmen. Eine außergerichtliche Willenserklärung bewirkt keine Beseitigung des Vertrages ex tunc ( Zl. 96/16/0150)."
Die gegen diesen Bescheid erhobene gegenständliche Berufung wendet als Replik ein, bereits vor Abschluss des Mietverhältnisses- bedauerlicherweise dem Bw. diesbezüglich nicht bekannt- sei die Voraussetzung für den Abschluss eines Mietverhältnisses nicht gegeben gewesen, da die in Rede stehenden Grundstücke zwar als Gewerbe- und Industriegebiet gewidmet waren, allerdings mit der Beschränkung auf Betriebstypen, die keine reinen Dienstleistungsbetriebe und keine Handelsbetriebe zur täglichen Versorgung der Bevölkerung im Sinne der Betriebstypen 1 bis 3 gemäß den Anlagen zu den §§ 10 und 40 TROG 1997 darstellen. Demgemäß sei von vornherein die Geschäftsgrundlage für diesen Mietvertrag nicht gegeben gewesen, da die Bestandnehmerin den Mietvertrag ausschließlich für die Etablierung ihres Handelsunternehmens, also eines Lebensmittel- Supermarktes, unterfertigt habe. Erst im Zuge der am stattgefundenen Gewerbeverhandlung kam hervor, dass die beabsichtigte Änderung der bislang bestehenden Betriebsanlage wegen der dagegen stehenden Widmung der Liegenschaft nicht möglich sei. Mit dem vorliegenden Bestandvertrag konnte zu keinem Zeitpunkt ein Rechtsgeschäft begründet werden, da die Voraussetzungen hiefür bereits von vornherein nicht gegeben gewesen seien und damit niemals überhaupt eine Geschäftsgrundlage für diesen Vertrag bestanden habe. Da beide Vertragsteile -und dies zeigt bereits der Vertragsteil Teil A- Grundlagen, nämlich Objektart Geschäftslokal und die als integrierender Bestandteil beigeheftete Bau- und Ausstattungsbeschreibung- bei diesem Vertragsverhältnis von einem Lebensmittelmarkt als Geschäftsgrundlage ausgegangen seien, diese Geschäftsgrundlage aber wegen der insoweit entgegenstehenden Widmung bereits bei Abschluss des Mietvertrages nicht gegeben gewesen sei, könne eine Gebührenpflicht nicht entstanden sein. Im gegenständlichen Fall seien beide Vertragsteile dem Irrtum unterlegen, dass die vertragsgegenständliche Liegenschaft eine Widmung aufweise, die einen Abschluss eines Mietvertrages zulässig mache. Nach ständiger Rechtsprechung auch des Verwaltungsgerichtshofes sei wegen Wegfalles einer typischen Vertragsvoraussetzung das Vertragsverhältnis rückwirkend als nicht zustande gekommen anzusehen, da wegen Irrtums beider Vertragsteile im Vertragsobjekt das Vertragsverhältnis nie rechtswirksam hätte zustande kommen können. Die vom Finanzamt vertretene Rechtsansicht beziehe sich ausschließlich auf den Irrtum einer der Vertragsteile, beispielsweise eine Genehmigung, Konzession, Baugenehmigung oder ähnliches zu erhalten, da dieser Umstand ausschließlich als der Sphäre einer der Vertragsteile zuordenbar anzusehen sei. Im gegenständlichen Fall hätten jedoch beide Vertragsteile von Anfang an völlig andere Voraussetzungen für den Abschluss eines Mietvertrages angenommen, weshalb der Vertrag nach den eindeutigen Regeln des § 901 ABGB als nicht zustande gekommen anzusehen sei. Allein aus diesem Grund könne eine Gebührenpflicht nicht entstanden sein. Darüber hinaus werde belegt durch die vorgelegte Korrespondenz bestätigt, dass wegen Irrtums bzw. wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage das Rechtsgeschäft von vornherein nicht zustande gekommen sei. Wenn auch eine Vertragsanfechtung wegen Irrtums nach Auffassung des Finanzamtes gerichtlich vorzunehmen sei, ist dem entgegenzuhalten, dass eine gerichtliche Durchsetzung eines Anspruches nur dann notwendig sei, wenn einer der Parteien sich gegen eine bestimmte Betrachtungsweise ausspreche. Aus der beiliegenden Korrespondenz sei jedoch ersichtlich, dass die Vertragsteile ganz offensichtlich einig darin waren, dass tatsächlich entgegen der ursprünglichen Annahme eine Willenseinigung nicht erfolgt sein könne, da die Geschäftsgrundlage eine andere gewesen sei. Wenn auch eine außergerichtliche Willenserklärung keine Beseitigung eines Vertrages ex tunc bewirke, sei dem entgegen zu halten, dass es keine außergerichtliche Willenserklärung hinsichtlich der Beseitigung des Vertrages gegeben habe, sondern sich die Streitteile außergerichtlich darüber einig gewesen seien, dass - nach Kenntnis der Widmungsbeschränkung- ein Vertrag gar nie zustande gekommen sein könne. Das im Bescheid zitierte Verwaltungsgerichtshoferkenntnis vermöge nichts an diesem Standpunkt zu ändern, da dort verfahrensgegenständlich ein völlig anderer Sachverhalt gewesen sei.
Über die Berufung wurde erwogen:
Nach § 15 Abs. 1 GebG 1957, BGBl. Nr. 267/1957 sind Rechtsgeschäfte nur dann gebührenpflichtig, wenn über sie eine Urkunde errichtet wird, es sei denn, dass in diesem Bundesgesetz etwas Abweichendes bestimmt ist. Gemäß § 17 Abs. 5 GebG heben die Vernichtung der Urkunde, die Aufhebung des Rechtsgeschäftes oder das Unterbleiben seiner Ausführung die entstandene Gebührenschuld nicht auf. Nach § 23 Abs. 4 BAO ist die Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäftes für die Erhebung von Abgaben insoweit und so lange ohne Bedeutung, als nicht die Anfechtung mit Erfolg durchgeführt ist. Nach Abs. 5 dieser Gesetzesstelle bleiben von den Abs. 2 bis 4 des § 23 BAO abweichende Grundsätze der Abgabenvorschriften unberührt.
Der Gebühr unterliegt nicht die Urkunde, sondern das Rechtsgeschäft (,0333). Die Beurkundung des Rechtsgeschäftes ist lediglich eine Bedingung für die Gebührenpflicht. Abgesehen von der Urkundenerrichtung muss somit das Rechtsgeschäft, um eine Gebührenpflicht nach § 15 Abs. 1 GebG auszulösen, gültig zustande gekommen sein, wobei die Frage des gültigen Zustandekommens ausschließlich zivilrechtlich und nicht in wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu lösen ist (Fellner, Gebühren und Verkehrsteuern, Band I, Stempel- und Rechtsgebühren, Rz 3, 16 zu § 15 und die dort zitierte VwGH- Rechtsprechung).
In der Berufung wird im Wesentlichen vorgebracht, veranlasst durch einen gemeinsamen Irrtum beider Vertragsparteien über die bestehende Widmungsbeschränkung der vertragsgegenständlichen Liegenschaft ist die von beiden Vertragsteilen angenommene Geschäftsgrundlage für dieses Vertragsverhältnis (Etablierung eines Lebensmittelgeschäftes) bereits bei Abschluss des Mietvertrages nicht gegeben gewesen, weshalb wegen Irrtums über die Eigenschaften des Mietgegenstandes bzw. wegen Wegfalles der Geschäftsgrundlage dieser Vertrag nach den eindeutigen Regeln des § 901 ABGB von vornherein als nicht zustande gekommen anzusehen ist. Diesbezüglich wurde noch auf die vorgelegte Korrespondenz der rechtlichen Vertreter der beiden Vertragsparteien hingewiesen, worin die jeweiligen Rechtsanwälte beider Vertragsparteien davon ausgehen, dass der Mietvertrag durch Aufhebung ex tunc als nicht geschlossen anzusehen ist, wobei der rechtliche Vertreter der Mieterin mit Irrtum und jener des Vermieters mit Wegfall der Geschäftsgrundlage argumentiert.
Im Falle eines Geschäftsirrtums hat der Erklärende zwar die richtige Vorstellung von seiner Äußerung; er irrt aber über zB die Eigenschaft einer Sache. Eigenschaften, die im abgeschlossenen Geschäft wertbindend waren, die also für die Bestimmung der Gegenleistung maßgebend waren, gehören zum Inhalt des Geschäftes; ein Irrtum darüber ist ein Geschäftsirrtum. Der Irrtum ist wesentlich, wenn der Erklärende ohne ihn das Geschäft nicht geschlossen hätte (vgl. § 873 ABGB). Der Irrende kann das abgeschlossene Geschäft anfechten, wenn sein Geschäftsirrtum wesentlich war und entweder vom anderen veranlasst wurde oder diesem aus den Umständen offenbar auffallen musste oder rechtzeitig aufgeklärt wurde (§ 871 ABGB). Die Aufklärung des Irrtums ist rechtzeitig, wenn der Partner noch keine Dispositionen im Vertrauen auf das Geschäft vorgenommen hat. Im Gegenstandsfall sollte die vereinbarte Bestandzeit mit der schlüsselfertigen Übergabe lt. beiliegender Bau- und Ausstattungsbeschreibung beginnen, wozu es aber gar nicht gekommen ist. Die Anfechtung führt zur Aufhebung des Vertrages ex tunc, dh. dass die Aufhebung auf den Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses zurückwirkt. Ein gemeinsamer Irrtum der Parteien steht den Fällen des § 871 ABGB gleich. Bei beiderseitiger irrtümlicher Voraussetzung ist also der Vertrag für beide anfechtbar (siehe Dittrich- Tades, ABGB, 36. Auflage, E 96 und E 97 zu § 871; andere Ansicht Rummel in Rummel, ABGB, Kommentar, 3. Auflage, Seite 1336, " ME sollte gemeinsamer Irrtum also nicht nach § 871, sondern allenfalls im Rahmen der Lehre von der Geschäftsgrundlage relevant werden können" mit weiteren Literaturhinweisen).
Unter dem Begriff " Geschäftsgrundlage" versteht Oertmann (siehe diesbezüglich noch die 9. Auflage von Koziol-Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts, Allgemeiner Teil, Schuldrecht, Seite 133) die beim Geschäftsabschluss zutage tretende und vom Gegner in ihrer Bedeutung erkannte und nicht beanstandete Vorstellung eines Beteiligten oder die gemeinsame Vorstellung der Beteiligten vom Sein oder dem Eintritte gewisser Umstände, auf deren Grundlage der Geschäftswille aufbaut. Die Lehre von der Geschäftsgrundlage ist für das positive Recht am deutlichsten in § 901 ABGB geregelt. Der § 901 ABGB hat folgenden Wortlaut: "Haben die Parteien den Beweggrund, oder den Endzweck ihrer Einwilligung ausdrücklich zur Bedingung gemacht; so wird der Beweggrund oder Endzweck wie eine andere Bedingung angesehen. Außerdem haben dergleichen Äußerungen auf die Gültigkeit entgeltlicher Verträge keinen Einfluß. Bei den unentgeltlichen aber sind die bei den letzten Anordnungen gegebenen Vorschriften anzuwenden." Der Beweggrund kann auch stillschweigend (konkludent) zur Bedingung gemacht werden. Das Wort "ausdrücklich" stellt nämlich keine Formvorschrift dar, sondern ist nur als "hinreichend deutlich" zu verstehen. Bei der Geschäftsgrundlage der Verträge zwischen den Parteien sind zu unterscheiden die geschäftstypischen Voraussetzungen, das sind jene, die jedermann mit einem bestimmten Geschäft verbindet und die nicht erst einer Vereinbarung bedürfen, und die individuellen Voraussetzungen, die unter die Unbedenklichkeitsregel des § 901 zweiter Satz ABGB fallen und nur dann berücksichtigt werden können, wenn sie ausdrücklich (somit hinreichend deutlich) zur Bedingung gemacht werden. Selbstverständliches kann aber auch ohne ausdrückliche Parteienvereinbarung als Vertragsinhalt angesehen werden. Ein Vertrag kann daher gelöst werden, wenn die objektive (typische) Geschäftsgrundlage, die jedermann oder doch die Parteien des Rechtsgeschäftes mit einem solchen Geschäft verbinden, weggefallen und damit der im Vertragsinhalt zum Ausdruck gelangte Vertragszweck (Endzweck im Sinn des § 901 ABGB) nicht nur zeitweilig unerreichbar geworden ist (vgl. Dittrich-Tades, ABGB, 36. Auflage, E 1,1a 9a zu § 901 ABGB und die dort zitierte Rechtsprechung). Der Wegfall der Geschäftsgrundlage (des Vertragszweckes) macht den Vertrag anfechtbar und hat dessen Aufhebung zur Folge. Dies auch dann, wenn das Bestehen dieser Voraussetzung nicht ausdrücklich zur Bedingung gemacht wurde (nochmals Dittrich-Tades, ABGB, 36. Auflage, E 30, 30a zu § 901 ABGB).
An Sachverhalt liegt dem Berufungsfall zweifelsfrei zugrunde, dass der vorliegende "S Anmietvertrag" vom 24. Oktober/ ausschließlich auf die Errichtung eines Lebensmittel- Supermarktes auf dem Bestandobjekt ausgerichtet war. Dies ergibt sich aus der allgemein bekannten Geschäftstätigkeit der Mieterin und aus der einen integrierenden Bestandteil des Bestandvertrages bildenden Bau- und Ausstattungsbeschreibung. Laut Widmungsbestätigung weist hingegen dieses angemietete Grundstück eine beschränkte Widmung aus, die gerade die Ansiedlung und den Betrieb eines Lebensmittelgeschäftes schlichtweg ausschließt. Laut Schreiben des Rechtsanwaltes der Mieterin vom wurde seitens des von der Vermieterin beauftragten Maklers die Mieterin in Irrtum geführt, weil vom Makler diese Widmungsbeschränkung nicht bekannt gegeben, sondern die gegenständliche Liegenschaft für die Errichtung und den Betrieb eines Lebensmittel- Supermarktes ausdrücklich angeboten worden sei. Diesen Ausführungen hielt der rechtliche Vertreter des Vermieters im Antwortschreiben vom entgegen, dass der Vermieter dem Architekturbüro Sch. bzw. dem Immobilienbüro B. den Auftrag zur Überprüfung und Machbarkeit eines entsprechenden Marktes auf dieser Liegenschaft erteilt habe. Nachdem dem Vermieter von beiden bestätigt worden sei, dass die Etablierung eines Lebensmittelmarktes möglich wäre, habe der Vermieter die Liegenschaft der Mieterin angeboten. Nachdem sich im Zuge der Gewerbeverhandlung am herausgestellt habe, dass tatsächlich die Widmung der Liegenschaft bereits dem Abschluss des Vertrages entgegenstehe, sei er der Meinung, dass der Mietvertrag unter Verweis auf die Bestimmung des § 901 ABGB nicht zustande gekommen anzusehen sei. Der Rechtsanwalt der Mieterin forderte zwecks Schaffung von Rechtssicherheit mit einem ergänzenden Schreiben vom den Bestandgeber auf konkret zu erklären, dass "der Vertrag ex tunc aufgehoben und als nicht geschlossen gilt". Diese Erklärung gab der Vermieter mit Schreiben vom ab.
Aus dem Vorgesagten folgt, dass beide Vertragsteile hinsichtlich der beschränkten Widmung gemeinsam in Irrtum verfangen waren bzw. die angenommene Eigenschaft des Bestandobjektes zur Eignung für die Errichtung eines Lebensmittel- Supermarktes die gemeinsame Geschäftsgrundlage war, auf der der Geschäftsabschluss aufbaute. Die schon zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehende eingeschränkte Widmung des Bestandobjektes stand der Errichtung und dem Betrieb eines Lebensmittel- Supermarktes entgegen und damit ist der im Vertragsinhalt zum Ausdruck gekommene, von beiden Vertragsteilen anerkannte wesentliche Vertragszweck (Endzweck im Sinne des § 901 ABGB) nicht zur zeitweilig unerreichbar geworden. Die Geschäftsgrundlage, die die Parteien des Bestandvertrages mit diesem Geschäft verbunden haben, hat nie bestanden bzw. ist mit der Kenntniserlangung dieser Widmung weggefallen. Es liegen daher die zivilrechtlichen Voraussetzungen für die Anfechtung des Rechtsgeschäftes vom / wegen Irrtums oder wegen Wegfalles der Geschäftsgrundlage vor. Diesbezüglich wird noch erwähnt, dass der Einwand des Fehlens oder des Wegfalles der Geschäftsgrundlage nicht auf Umstände gestützt werden kann, die zur Irrtumsanfechtung berechtigt hätten (Dittrich-Tades, ABGB, 36 Auflage, E 17 zu § 901 ABGB, SZ 54/71).
Gegenstand einer Rechtsgeschäftsgebühr sind gemäß § 15 GebG Rechtsgeschäfte und nicht die darüber errichteten Urkunden. Fehlt es an einem gültigen Rechtsgeschäft, kann eine Beurkundung auch keine Gebührenpflicht auslösen. Ist ein Rechtsgeschäft anfechtbar, ist nach § 23 Abs. 4 BAO dies insoweit und so lange ohne Bedeutung, als nicht die Anfechtung mit Erfolg durchgeführt wurde. Die erfolgreiche Anfechtung eines abgeschlossenen Rechtsgeschäftes aus dem Grunde seiner Ungültigkeit und damit der Nachweis, dass ein gültiges Rechtsgeschäft als Voraussetzung der Gebührenpflicht nach § 1 GebG nicht abgeschlossen worden ist, wird allerdings in der Regel nur durch ein rechtskräftiges gerichtliches Erkenntnis nachgewiesen werden können (vgl. ). Nach dem Erkenntnis 1153,1711,1712/50 kann diese Anfechtung auch außergerichtlich vorgenommen werden. Es ist aber dann zu beweisen, dass sich der andere Vertragsteil dem Anfechtungsbegehren gefügt hat (Fellner, Stempel- und Rechtsgebühren, Manz Verlag, 6. Auflage, Stand , Anm 2 zu § 17 GebG, gleiche Ansicht auch Warnung- Dorazil, Stempel- und Rechtsgebühren, 4. Auflage, Anm. 2 zu § 17 GebG). Andererseits vertritt Fellner, Gebühren und Verkehrsteuern, Band I, Stempel- und Rechtsgebühren, Rz 28 zu § 15 und Fellner, Stempel- und Rechtsgebühren, Manz Verlag, 6. Auflage, Stand , E 54 zu § 17 unter Zitierung des VwGH- Erkenntnisses vom , 96/16/015 die Meinung " Eine Vertragsanfechtung wegen Irrtums oder Wegfalles der Geschäftsgrundlage ist gerichtlich vorzunehmen". Hingegen verweist Frotz- Hügel-Popp, Kommentar zum Gebührengesetz, §§ 15 bis 18 B I 2 g cc, Seite 21, diesbezüglich auf das VwGH- Erkenntnis , 1153,1711,1712/50 und führt aus, der VwGH habe zu Recht darin betont, dass die Anfechtung (gemeint ist im Sinne des § 23 Abs. 4 BAO) "auch außergerichtlich vorgenommen werden" könne. Der Gebührenpflichtige hätte freilich zu beweisen, dass sich "der andere Vertragsteil dem Anfechtungsbegehren gefügt habe". Dieser Rechtsansicht des VwGH sei nach Ansicht dieser Kommentatoren uneingeschränkt zu folgen. Die Durchführung eines Anfechtungsprozesses - ausschließlich zum Zwecke der Beseitigung der Gebührenpflicht- wäre nicht nur sinnwidrig, sondern wegen des zwischen den Streitteilen bestehenden Einverständnisses auch prozessual (Scheinprozess) bedenklich. Bei einvernehmlicher Aufhebung habe der Gebührenpflichtige zu beweisen, dass diese im Hinblick auf die Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäftes vorgenommen wurde.
Den vorliegenden Berufungsfall entscheidet, ob gestützt auf das VwGH - Erkenntnis , 96/16/0150 sich die (auch vom Finanzamt im bekämpften Bescheid darauf gestützte) Rechtsmeinung begründen lässt, dass eine Vertragsanfechtung wegen Irrtums oder Wegfalls der Geschäftsgrundlage (jedenfalls) gerichtlich vorzunehmen ist. Dieser VwGH- Entscheidung lag an Sachverhalt zugrunde, dass namens der Pächter an einen der Verpächter ein Schreiben gerichtet wurde; in diesem Schriftstück wurde unter Hinweis auf "schwerste Baumängel" ausgeführt, der Pachtvertrag werde "wegen Irrtums und Wegfall der Geschäftsgrundlage" aufgelöst. Nach Meinung des VwGH bewirkte dieses (nur von einer Vertragspartei verfasste) Schreiben keine Beseitigung des Vertrages mit Wirkung ex tunc, da "eine Vertragsanfechtung wegen Irrtums oder Wegfalls der Geschäftsgrundlage gerichtlich vorzunehmen ist (vgl. Rummel in Rummel, ABGB I 2 RZ 19 zu § 871 ABGB sowie Rz 7a zu § 901 ABGB)". Damit wurde klargestellt, dass eine einseitig erklärte "Auflösung" gestützt auf Irrtum oder Wegfall der Geschäftsgrundlage keine Beseitigung des Vertrages mit Wirkung ex tunc herbeiführen kann, sondern diese Gründe von der davon betroffenen Vertragspartei im Wege einer Vertragsanfechtung gerichtlich geltend zu machen sind. Wenn der Verwaltungsgerichtshof seine Rechtsansicht mit dem Hinweis auf die Lehrmeinung von Rummel in Rummel begründet, dann ist diesbezüglich festzuhalten, dass in dieser Kommentarstelle unter Anführung von Koziol- Welser auch ausgeführt wird, dass die "neuere Lehre zu außergerichtlicher Geltendmachung tendiert". Nach Koziol- Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts, Band I, Allgemeiner Teil, Sachenrecht, Familienrecht, 12. Auflage, Seite 143f verlange die herrschende Meinung die gerichtliche Geltendmachung des Irrtums, eine außergerichtliche Erklärung reiche nicht aus. Der Irrende müsse also den Irrtum durch Klage oder Einrede geltend machen und so die Rechtsgestaltung verlangen. Gleichzeitig wird aber auch ausgeführt, dass das Erfordernis der gerichtlichen Geltendmachung aus dem Gesetz nicht zwingend folge und auch sonst fraglich sei (Verweis auf Kerschner, Irrtumsanfechtung 72f). Koziol- Welser führen weiter aus, die gerichtliche Geltendmachung entfalle, wenn die Parteien die Aufhebung oder Umgestaltung des unter Irrtums zustande gekommenen Vertrages vereinbaren. Auch in den Juristischen Blättern 1997/Seite 794 () wird festgehalten, dass sich aus dem Gesetz nicht zwingend ergebe, dass eine Anfechtung wegen Irrtums nur gerichtlich geschehen könne. Dennoch sei es nach der ständigen Rechtsprechung erforderlich, sofern es zu keiner einvernehmlichen Vertragsaufhebung (SZ 56/96) komme, die Unwirksamkeit des Vertrages im Prozess mit Klage oder Einrede geltend zu machen. In der Lehre hätten sich nunmehr Apathy (in Schwimann, ABGB Rz 30 zu § 871) und auch Rummel (in Rummel, ABGB, Rz 19 zu § 871) der entgegengesetzten Ansicht von Kerschner angeschlossen, der auch die Wirksamkeit der bloß außergerichtlichen Anfechtung vertrete. Aus diesen unterschiedlichen Lehrmeinungen kann gesichert geschlossen werden, dass, sofern es zu keiner einvernehmlichen Vertragsaufhebung des unter Irrtum zustande gekommenen Vertrages kommt, die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäftes mit Klage oder Einrede geltend zu machen ist. Gleiches gilt wohl auch bei Wegfall der Geschäftsgrundlage. Sind auf Grund der festgestelltenTatumstände die Gründe für eine Vertraganfechtung wegen (Geschäfts)Irrtum oder Wegfall der Geschäftsgrundlage gegeben und kommt es wewgen (außergerichtlicher) Geltendmachung dieser Anfechtungsgründe zu einer einvernehmlichen Vertragsaufhebung ex tunc durch die Vertragsparteien, dann kann diesfalls die gerichtliche Anfechtung entfallen. Die Durchführung eines Anfechtungsprozesses -ausschließlich zum Zweck der Beseitigung der Gebührenpflicht- wäre nämlich dann sinnwidrig und wäre wegen des zwischen den Streitteilen bestehenden Einverständnisses auch prozessual (Scheinprozess) bedenklich (siehe nochmals Frotz-Hügel-Popp, Kommentar zum Gebührengesetz, §§ 15-18 B I 2 g cc, Seite 21). Das Zivilverfahren ist überdies von der Parteienmaxime geprägt, weshalb die gerichtliche Anfechtung gerade jenes Ergebnis erbringen würde, das die beiden Vertragsparteien vorher bereits einvernehmlich festgelegt haben. Die Abgabenbehörde zweiter Instanz vertritt unter Abwägung der oben dargelegten Rechtsmeinungen gestützt auf die neueren zivilrechlichen Lehrmeinungen und auf Frotz-Hügel-Popp, Kommentar zum Gebührengesetz, §§ 15-18 B I 2 g cc, Seite 21 den Standpunkt, dass in solchen Fällen, in denen die Tatumstände für eine gerichtliche Anfechtung wegen (Geschäfts)Irrtum oder Wegfall der Geschäftsgrundlage gegeben sind und es nachweislich wegen des Vorliegens dieser Gründe zur einvernehmlichen Vertragsaufhebung kommt, eine außergerichtliche Anfechtung ausreicht.
Bei der Entscheidung des vorliegenden Berufungsfalles war daher davon auszugehen, dass beide Vertragsteile bei Vertragsabschluss als Folge der Unkenntnis der bestehenden beschränkten Widmung in einem wesentlich Irrtum über eine bedeutsame Eigenschaft des Bestandobjektes (Fehlen der Eignung zum Standort für den geplanten Lebensmittel-Supermarkt) verfangen waren. Wegen Irrtums oder wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage fochten die beiden Vertragsparteien (dies ergibt sich aus dem Schriftwechsel der rechtlichen Vertreter der beiden Vertragsparteien) noch vor dem Bestandbeginn den Bestandvertrag vom / außergerichtliche an und es kam zur einvernehmlichen Vertragsaufhebung ex tunc. Die erfolgreich durchgeführte (außergerichtliche) Anfechtung des Rechtsgeschäftes bewirkte die Beseitigung des Rechtsgeschäftes ex tunc und gemäß § 23 Abs. 4 BAO den Wegfall der Gebührenpflicht. Der Berufung war daher stattzugeben und mit dem Bescheid gemäß § 201 BAO für den Mietvertrag vom die Gebühren mit Null € festzusetzen.
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Berechnung der festgesetzten Gebühr: | Festsetzung durch
bekämpften Bescheid | Festsetzung durch
Berufungsentscheidung |
Rechtsgebühr gemäß
§ 33 TP 5
GebG | 69.984 S | 0 S |
Bogengebühr gemäß
§ 6 Abs. 2
GebG | 1.620 S | 0 S |
Summe | 71.604 S | 0 S |
Durch Selbstberechnung bereits entrichtet | 71.604 S | 71.604 S |
Ergibt Gutschrift | 71.604 S oder 5.203,67 €
|
Innsbruck,
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 15 Abs. 1 GebG, Gebührengesetz 1957, BGBl. Nr. 267/1957 § 17 Abs. 5 GebG, Gebührengesetz 1957, BGBl. Nr. 267/1957 § 23 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Anfechtung Irrtum Wegfall der Geschäftsgrundlage einvernehmliche Vertragsaufhebung |
Verweise | Fellner, Stempel und Rechtsgebühren, Manz Verlag, 6. Auflage Anm. 2 zu § 17 GebG Warnung- Dorazil, Stempel- und Rechtsgebühren, 4. Auflage, Anm. 2 zu § 17 GebG Fellner, Gebühren und Verkehrsteuern, Band I Rz 28 zu § 15 GebG Frotz-Hügel-Popp, Kommentar zum Gebührengesetz, §§ 15 bis 18 B I 2 g cc, Seite 21 Koziol-Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts, Band I, Allgemeiner Teil, Sachrecht, Familienrecht, 12. Auflage, Seite 143f Rummel, ABGB Rz 19 zu § 871 Schimann, ABGB, Rz 30 zu § 871 Juristische Blätter 1997/Seite 794 () |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at