Verjährung bei Haftung für Abzugssteuer gemäß § 99 EStG 1972
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., vertreten durch Exinger GmbH., gegen den Bescheid des Finanzamtes für Körperschaften betreffend Haftung für Abzugssteuer gemäß § 99 EStG 1972 für die Jahre 1979 bis 1983 entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Rechtsbelehrung
Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 291 der Bundesabgabenordnung (BAO) ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. Es steht Ihnen jedoch das Recht zu, innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung dieser Entscheidung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof zu erheben. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt oder einem Wirtschaftsprüfer unterschrieben sein.
Gemäß § 292 BAO steht der Amtspartei (§ 276 Abs. 7 BAO) das Recht zu, gegen diese Entscheidung innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung (Kenntnisnahme) Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.
Entscheidungsgründe
Aufgrund der anlässlich einer bei der Rechtsvorgängerin der Bw., der A.AG, durchgeführten Betriebsprüfung (BP) getroffenen folgenden Feststellung wurde der Bescheid (Sammelbescheid) vom betreffend Haftung für Abzugssteuer gemäß § 99 EStG 1972 (und 1988) für die Jahre 1979 bis 1989 in Höhe von insgesamt S 10,582.155,00 (€ 769.035,20) erlassen:
Die A.AG sei Lizenznehmerin der I.AG mit Sitz in der Schweiz.
Gemäß § 99 EStG bestehe für Einkünfte aus der Überlassung von Patenten und Lizenzen beschränkte Steuerpflicht, wobei der Steuerabzug vom Schuldner der Lizenzzahlungen vorzunehmen sei.
Gemäß § 101 Abs. 1 EStG 1972 (und § 100 Abs. 2 EStG 1988) hafte der zum Steuerabzug Verpflichtete für die Einbehaltung und Abfuhr der Steuerabzugsbeträge im Sinne des § 99 EStG 1972 (und 1988).
Die A.AG habe es unterlassen, für den Zeitraum 1979 bis 1989 den Steuerabzug betreffend die Lizenzzahlungen an die I.AG vorzunehmen. Bei anderen Lizenzgebern der A.AG (X, Tokyo und Dr. Y., Zug in der Schweiz) sei im gleichen Zeitraum der Steuerabzug gemäß § 99 EStG 1972 (und 1988) vorgenommen worden.
Daher seien im Sinne einer gleichmäßigen Besteuerung aller Abgabepflichtigen die bisher nicht erfassten Steuerabzugsbeträge aus den Lizenzzahlungen an die I.AG bei der abzugspflichtigen A.AG zu erheben und dem Steuersatz von 20 % zu unterwerfen.
Die Höhe der vorgeschriebenen Abzugsteuer beträgt für die das gegenständliche Verfahren betreffenden Jahre: 1979: S 751.625,00 (€ 54.622,72), 1980: S 793.196,00 (€ 57.643,80), 1981: S 914.635,00 (€ 66.469,12), 1982: S 1,039.233,00 (€ 75.524,01), 1983: S 840.590,00 (€ 61.088,06).
Die gegen den Bescheid erhobene Berufung, in welcher die Bw. unter anderem das Vorliegen einer teilweisen Einhebungsverjährung vorbrachte, wurde mit Berufungsentscheidung der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom als unbegründet abgewiesen. Gegen diese Entscheidung wurde Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben.
Der Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 99/13/0036, in seinem Abspruch über die Haftung der Bw. für Abzugssteuer nach § 99 EStG 1972 für die Jahre 1979 bis 1983 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben; im Übrigen, somit in der Bekämpfung des Abspruches des angefochtenen Bescheides über die Haftung der Bw. für Abzugsteuer nach § 99 EStG 1972 (und 1988) für die Jahre 1984 bis 1989, wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Über die Berufung wurde erwogen:
Der für die Aufhebung der Berufungsentscheidung der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland über den Bescheid betreffend Haftung für Abzugsteuer gemäß § 99 EStG 1972 für die Jahre 1979 bis 1983 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften durch den Verwaltungsgerichtshof maßgebliche Entscheidungsgrund war die auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung beruhende Heranziehung der zehnjährigen Verjährungsfrist des § 207 Abs. 2 BAO.
Die Erlassung eines Haftungsbescheides ist eine Einhebungsmaßnahme und als solche daher nur innerhalb der Einhebungsverjährungsfrist des § 238 BAO, BGBl.Nr. 194/1961, zulässig.
Gemäß § 238 Abs. 1 BAO verjährt das Recht, eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe.
Gemäß § 238 Abs. 2 BAO wird die Verjährung fälliger Abgaben durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen.
Das Recht der Abgabenbehörde, die A.AG mit der auf § 101 Abs. 1 EStG 1972. BGBl.Nr. 440/1972, gestützten Einhebungsmaßnahme zur Haftung heranzuziehen, konnte gemäß § 238 Abs. 1 BAO nicht früher verjähren als das in § 101 Abs. 2 EStG 1972 der Abgabenbehörde eingeräumte Recht auf Festsetzung der Abgabe gegenüber der Steuerschuldnerin I.AG.
Aus § 207 Abs. 2 BAO ist zu entnehmen, dass die Verjährungsfrist für die Festsetzung einer Abgabe im Falle der Abzugssteuer fünf Jahre beträgt. Bei hinterzogenen Abgaben beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre.
Daher hätte eine Beurteilung der nicht abgeführten Abzugssteuern als hinterzogene Abgaben im Sinne des § 207 Abs. 2 BAO auf die Berechtigung zur Erlassung des Haftungsbescheides gegenüber der Bw. im Grunde des § 238 Abs. 1 letzter Halbsatz BAO für länger zurückliegende Zeiträume entscheidenden Einfluss gehabt.
Im gegenständlichen Fall gibt es keine finanzstrafbehördliche oder gerichtliche Entscheidung über die Frage, ob hinsichtlich der betreffenden Abzugssteuerbeträge der Tatbestand der Abgabenhinterziehung verwirklicht wurde, so dass die Beurteilung dieser Frage Gegenstand des Abgabenverfahrens war.
Die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen sind, setzt eindeutige und nachprüfbare bescheidmäßige Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraus, wobei die maßgebenden Hinterziehungskriterien von der Abgabenbehörde nachzuweisen sind.
Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, dass eine Abgabenhinterziehung nicht schon bei einer (objektiven) Abgabenverkürzung vorliegt, sondern Vorsatz erfordert, und eine Abgabenhinterziehung somit erst als erwiesen gelten kann, wenn - in nachprüfbarer Weise - auch der Vorsatz feststeht.
Vorsätzliches Handeln beruht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zwar auf einem nach außen nicht erkennbaren Willensvorgang, ist aber aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten des Täters zu erschließen, wobei sich die diesbezüglichen Schlussfolgerungen als Ausfluss der freien Beweiswürdigung erweisen (z.B. ).
Im gegenständlichen Fall wurde vom Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass der Bw. darin beizupflichten sei, dass die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland für ihre Sachverhaltsbeurteilung, die für den Steuerabzug und die Steuerabfuhr von den Lizenzzahlungen der A.AG an die I.AG zuständigen Organe der A.AG hätten in der Unterlassung von Steuerabzug und -abfuhr die Bewirkung einer Abgabenverkürzung ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden (§ 8 Abs. 1 FinStrG), keine tragfähige Begründung geben habe können, weil die von ihr hiezu angestellten Überlegungen für eine solche Annahme dem Prüfungsmaßstab ihrer Übereinstimmung mit der allgemeinen Lebenserfahrung nicht standgehalten hätten.
Dass von einem "rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten" der Organe der A.AG auszugehen sei, wie in der Berufungsentscheidung ausgeführt, sei eine Formulierung, welcher in dieser Form von vornherein die Eignung fehle, den geforderten Vorsatz zu erweisen, weil die Rechtswidrigkeit der Vorgangsweise der A.AG ohnehin feststehe und Fahrlässigkeit der handelnden Organe nicht dazu ausreichen würde, die rechtliche Beurteilung des Vorliegens hinterzogener Abgaben im Sinne des § 207 Abs. 2 BAO zu tragen.
In diesem Sinne würden auch solche Ausführungen der Bescheidbegründung, die sich dahin verstehen ließen, dass die Organe der A.AG die Rechtslage doch hätten erkennen müssen, zur Begründung der Vorsatzbeurteilung keinen Beitrag leisten, weil es nicht darauf ankomme, ob diese Organe das Entstehen der Abzugs- und Abfuhrpflicht der Steuer mit dem Inkrafttreten des neuen Doppelbesteuerungsabkommens mit der Schweiz für Zeiträume ab dem hätten erkennen müssen, sondern allein darauf, ob ausreichende Sachverhaltselemente den Schluss darauf zuließen, das das Entstehen der Abzugs- und Abfuhrpflicht tatsächlich erkannt oder zumindest ernstlich für möglich gehalten worden sei.
Die von der Bw. getätigte Einwendung, dass die korrekte Handhabung des Doppelbesteuerungsabkommens mit Japan (X., Tokyo) durch die A.AG nicht geeignet wäre, den Vorwurf vorsätzlichen Vorgehens bei der verfehlten Handhabung des Doppelbesteuerungsabkommens mit der Schweiz im Falle der I.AG zu rechtfertigen, wurde vom Verwaltungsgerichtshof als zutreffend erachtet.
Weiters wurde das Argument der Bw., die Langjährigkeit der Geschäftsbeziehungen mit der Schweiz spreche im Zusammenhang mit der Änderung der Rechtslage durch das neue Doppelbesteuerungsabkommen nicht für vorsätzliches Handeln, sondern für ein Übersehen der rechtlichen Auswirkungen des neuen Abkommens, als einleuchtend angesehen.
Zum Verweis der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland darauf, dass die Abkommensänderung Gegenstand einschlägiger Befassung im Schrifttum gewesen sei, könne ihr die Erwiderung nicht erspart bleiben, dass jenes Berufungsvorbringen der Bw. unwidersprochen geblieben sei, mit welchem sie vorgetragen habe, dass auch die abgabenbehördlichen Prüfer zweier nach dem Inkrafttreten des neuen Abkommens - auch hinsichtlich der Abzugssteuern vorgenommener - abgabenbehördlicher Prüfungen der A.AG das Unterbleiben von Steuerabzug und Steuerabfuhr aus den Lizenzzahlungen an die I.AG übersehen hätten.
Dass die korrekte Handhabung des Doppelbesteuerungsabkommens mit der Schweiz im Falle des Lohnsteuerabzuges für den seinerzeitigen Vorstandsvorsitzenden (Dr. Y., Zug in der Schweiz) durch die A.AG erst recht kein tauglicher Grund für die Vorsatzannahme gewesen sei, habe die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland in der Berufungsentscheidung selbst eingeräumt wie den Umstand, dass auch eine Qualifizierbarkeit der I.AG als Domizilgesellschaft kein geeignetes Indiz dafür sein können habe, dass Abzug und Abfuhr von Steuern aus den an diese Gesellschaft gezahlten Lizenzgebühren mit dem Vorsatz der Bewirkung einer Abgabenverkürzung unterblieben wären.
Abschließend wurde vom Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass der von der Bw. des Weiteren ins Treffen geführte und in der Berufungsentscheidung auch nicht in Abrede gestellte Umstand, dass die A.AG die Rechtmäßigkeit ihrer Lizenzzahlungen an die I.AG auch zum Gegenstand von Auskunftsersuchen gemacht habe, das Bild mit dem Ergebnis eines solchen Sachverhaltes noch weiter abrunde, der einen Schluss auf das Vorliegen eines Hinterziehungsvorsatzes im Unterlassen von Abzug und Abfuhr der Abzugssteuern nicht erlaube.
Aus diesen Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes geht eindeutig hervor, dass eine schlüssige Beweiswürdigung nur zum Ergebnis führen kann, dass die Unterlassung von Abzug und Abfuhr der Abzugssteuern nicht auf ein vorsätzliches Handeln der Organe der A. AG zurückgeführt werden kann.
Die Betrachtung der Sachverhaltselemente in ihrem Zusammenhang führt vielmehr zur Überzeugung, dass ein als Fahrlässigkeit zu beurteilendes Verhalten die Ursache dafür war.
Daher wurde betreffend die Erlassung des Haftungsbescheides für Abzugssteuer aus Lizenzzahlungen der A.AG an die I.AG für die Jahre 1979 bis 1983 eine Einhebungsmaßnahme für Abgaben gesetzt, die nach § 238 Abs. 1 BAO angesichts der Unterbrechung der Einhebungsverjährung im Sinne des § 238 Abs. 2 BAO erst durch im Jahre 1989 gesetzte Maßnahmen der Einhebungsverjährung verfallen waren, weil das Recht zur Abgabenfestsetzung nach § 207 Abs. 1 BAO mangels des Vorliegens hinterzogener Abgaben im Sinne des § 207 Abs. 2 BAO binnen fünf Jahren nach Ablauf des Jahres des Entstehens des Abgabenanspruches verjährte, so dass diesfalls die Einhebungsverjährung im Sinne des § 238 Abs. 1 BAO mit der Festsetzungsverjährung des § 207 Abs. 1 BAO zusammenfiel.
Aus diesem Grunde ist die Heranziehung der A.AG zur Haftung für Abzugssteuer gemäß § 99 EStG 1972 in Höhe von S 751.625,00 (€ 54.622,72) für das Jahr 1979, S 793.196,00 (€ 57.643,80) für das Jahr 1980, S 914.635,00 (€ 66.469,12) für das Jahr 1981, S 1,039.233,00 (€ 75.524,01) für das Jahr 1982 und S 840.590,00 (€ 61.088,06) für das Jahr 1983 nicht zu Recht erfolgt.
Daher war spruchgemäß zu entscheiden.
Wien,
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 99 EStG 1972, Einkommensteuergesetz 1972, BGBl. Nr. 440/1972 § 101 Abs. 1 EStG 1972, Einkommensteuergesetz 1972, BGBl. Nr. 440/1972 § 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 238 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 238 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Abzugssteuer Einhebungsverjährung hinterzogene Abgaben |
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