Ermessensübung bei der Verfügung einer beantragten Bescheidaufhebung gemäß § 299 Abs 1 BAO
Rechtssätze
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Stammrechtssätze | |
RV/0418-W/03-RS1 | Bei der Ermessensübung, ob die beantragte Aufhebung eines gemeinschaftsrechtswidrigen Umsatzsteuerbescheides gemäß § 299 Abs 1 BAO zu verfügen ist, scheint im Sinne der Zweckmäßigkeit vordergründig gegen die Bescheidaufhebung zu sprechen, dass ein Ausfall an Staatseinnahmen durch den neuen Sachbescheid mit der Anerkennung der bisher aufgrund einer gemeinschaftsrechtlich unzulässigen innerstaatlichen Rechtslage nicht gewährten Vorsteuern zu erwarten ist. Dieses Argument wird jedoch dadurch relativiert, dass ein öffentliches Interesse - also das der Gesamtheit der Bürger - an der materiell rechtsrichtigen Besteuerung jedes einzelnen besteht. |
RV/0418-W/03-RS2 | Bei der Ermessensübung, ob die beantragte Aufhebung eines gemeinschaftsrechtswidrigen Umsatzsteuerbescheides gemäß § 299 Abs 1 BAO zu verfügen ist, scheint im Sinne der Zweckmäßigkeit vordergründig die Verwaltungsökonomie gegen die Bescheidaufhebung zu sprechen, um den dadurch und durch den neuen Sachbescheid verursachten Verwaltungsaufwand zu vermeiden. Tatsächlich wird jedoch als Folge der Abweisung eines Antrages gemäß § 299 Abs 1 BAO ein aufwändiges Berufungsverfahren zu erwarten sein. |
RV/0418-W/03-RS3 | Bei der Ermessensübung, ob die beantragte Aufhebung eines gemeinschaftsrechtswidrigen Umsatzsteuerbescheides gemäß § 299 Abs 1 BAO zu verfügen ist, kann die Geringfügigkeit der Auswirkungen gegen die Bescheidaufhebung sprechen, wobei die Geringfügigkeit an denselben Maßstäben wie im Falle einer amtswegigen Wiederaufnahme zu messen ist. Im gegenständlichen Fall betrachtete der Berufungssenat eine zusätzlich zu gewährende Vorsteuer iHv 33.425 öS (= 2.429 €), die 12,5% der bisherigen Zahllast entsprach, als weit entfernt von der Geringfügigkeit. Verallgemeinernde Argumente, die von Oberbehörden im Bereich der Rechtslage vor dem AbgRmRefG zur Abstandnahme von angeregten Bescheidaufhebungen verwendet wurden, zB dass nur Vorsteuern aus Anschaffungsvorgängen eine ausrechend erhebliche Höhe hätten, sind nach der nunmehrigen Rechtslage jedenfalls verfehlt. |
RV/0418-W/03-RS4 | Wenn der angefochtene Bescheid ausgesprochen hat, dass einem Antrag auf Bescheidaufhebung gemäß § 299 Abs 1 BAO nicht gefolgt wird, und die Berufungsbehörde zum Schluss kommt, dass die Bescheidaufhebung gemäß § 299 Abs 1 BAO zu verfügen ist, stellt sich die Frage nach dem Verbindungsgebot des § 299 Abs 2 BAO. Dieses besteht laut überzeugenden Argumenten von Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO, § 299, Anm 21, nicht für die zweite Instanz. Somit wird durch die Berufungsentscheidung nur der angefochtene Bescheid dahin abgeändert, dass er die Aufhebung des betreffenden rechtswidrigen Bescheides gemäß § 299 Abs 1 BAO ausspricht. Den neuen Sachbescheid wird dagegen das Finanzamt zu erlassen haben. |
RV/0418-W/03-RS5 | Durch BGBl I 2003/124 wurde mit Wirkung ab der durch das AbgRmRefG unlängst neugefasste § 299 Abs 1 BAO umformuliert. Während bis ein erstinstanzlicher Bescheid "wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes" aufgehoben werden konnte, kann seit ein erstinstanzlicher Bescheid aufgehoben werden, "wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist." Wenn der angefochtene Bescheid vor dem ausgesprochen hat, dass einem Antrag auf Bescheidaufhebung gemäß § 299 Abs 1 BAO nicht gefolgt wird, und die Berufungsbehörde zum Schluss kommt, dass die Bescheidaufhebung doch zu verfügen ist, steht einer meritorischen Entscheidung der Berufungsbehörde nach dem die Umformulierung des § 299 Abs 1 BAO durch BGBl I 2003/124 nicht entgegen. Es handelt sich nach wie vor um dieselbe "Sache", sodass die umfassende Abänderungsbefugnis gemäß § 289 Abs 2 BAO gegeben ist. |
RV/0418-W/03-RS6 | Ein Bescheid, der einen vorläufigen Bescheid ohne sonstige Änderung für endgültig erklärt, beseitigt den ursprünglich vorläufigen Bescheid nicht aus dem Rechtsbestand, wie aus dem Wortlaut von § 200 Abs 2 BAO zu schließen ist. Die Fiktion des § 251 (letzter Fall) BAO - volle Anfechtbarkeit der Abgabenfestsetzung durch Berufung gegen den Endgültigerklärungsbescheid, so als ob der Endgültigerklärungsbescheid den Inhalt des vorläufigen Bescheides in sich aufgenommen hätte - ist nur für den Fall der Anfechtung des Endgültigerklärungsbescheides mit Berufung von Belang. Der beantragten Aufhebung des vorläufigen Bescheides gemäß § 299 Abs 1 BAO steht somit auch im Falle seiner Endgültigerklärung nicht entgegen, dass er sich nicht mehr im Rechtsbestand befände. Nach der Verfügung der Aufhebung des vorläufigen Bescheides gemäß § 299 Abs 1 BAO geht der Endgültigerklärungsbescheid völlig ins Leere. |
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der unabhängige Finanzsenat hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Rudolf Wanke und die weiteren Mitglieder Oberrat Mag. Christian Seywald, Friedrich Nagl und Dkfm. Franz Kiesler, im Beisein der Schriftführerin Romana Schuster, über die Berufung des Bw, vertreten durch WTH-Ges, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Krems an der Donau vom betreffend Abweisung des Antrages vom auf Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide für das Jahr 1999 vom und für das Jahr 2000 vom gemäß § 299 BAO, nach der am durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid vom wird abgeändert und spricht aus, dass in Entsprechung des Antrages vom
- der Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1999 vom und
- der Bescheid vom , der als Umsatzsteuerbescheid 2000 bezeichnet wurde, und der den vorläufigen Umsatzsteuerbescheid 2000 vom gemäß § 200 Abs 2 BAO für endgültig erklärte,
gemäß § 299 Abs 1 BAO aufgehoben werden, weil sich der Spruch der Bescheide nicht als richtig erweist.
Rechtsbelehrung
Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 291 der Bundesabgabenordnung (BAO) ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. Es steht Ihnen jedoch das Recht zu, innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung dieser Entscheidung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof zu erheben. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt oder einem Wirtschaftsprüfer unterschrieben sein.
Gemäß § 292 BAO steht der Amtspartei (§ 276 Abs. 7 BAO) das Recht zu, gegen diese Entscheidung innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung (Kenntnisnahme) Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.
Entscheidungsgründe
Der Berufungswerber (Bw) machte in seiner Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1999 Vorsteuern iHv 7.371,13 öS und in seiner Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2000 Vorsteuern iHv 16.836,64 öS geltend.
Dementsprechend setzte das Finanzamt mit Bescheiden vom die Umsatzsteuer für die Jahre 1999 und 2000 - jeweils gemäß § 200 Abs 1 BAO vorläufig - fest (ESt-Akt Bl 11f/1999, Bl 12f/2000).
Das Finanzamt führte beim Bw eine abgabenbehördliche Prüfung durch; laut dem darüber erstellten Bericht vom ergaben sich hinsichtlich Umsatzsteuer 1999 und 2000 keine Abweichungen (ESt-Akt Bl 17ff/2000).
Die vorläufigen Umsatzsteuerbescheide vom wurden jeweils mit Bescheid vom (UFS-Akt Bl 6, 10) gemäß § 200 Abs 2 BAO für endgültig erklärt, worin jeweils auch ausgesprochen wurde: "In der Höhe der festgesetzten Abgabe tritt keine Änderung ein."
Mit Schreiben vom (ESt-Akt Bl 32f/2000) wurde seitens des Bw unter Verweis auf das EuGH-Urteil (, Rs C-409/99, Metropol und Stadler) betreffend Kleinbusse bei der Finanzlandesdirektion angeregt, die Umsatzsteuerbescheide 1999 und 2000 gemäß § 299 Abs 2 BAO wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben. Bei der Veranlagung für die Jahre 1999 und 2000 seien Vorsteuern iZm den Leasingraten und Betriebskosten eines Kleinbusses Modell nicht in Abzug gebracht worden: 22.004 öS für 1999 und 21.477 öS für 2000.
Mit Schreiben vom (ESt-Akt Bl 34f/2000) teilte die Finanzlandesdirektion (GAx) mit, dass kein Anlass gesehen werde, der Anregung auf Bescheidaufhebung im Aufsichtswege gemäß § 299 BAO zu folgen, weil einer derartigen Anregung (nur) im Falle von erheblichen Vorsteuern gefolgt werden könne. Nach hA und Verwaltungspraxis werde dies regelmäßig bei Anschaffungsvorgängen, nicht aber bei Betriebskosten und Leasingraten der Fall sein.
Nach Inkrafttreten der Neufassung von § 299 BAO durch BGBl I 2002/97 wurde seitens des Bw mit Schreiben vom (ESt-Akt Bl 37f/2000) unter Verweis auf das EuGH-Urteil betr Kleinbusse die Aufhebung folgender Bescheide gemäß § 299 BAO beantragt:
Umsatzsteuerbescheid 1999 vom , zugestellt am
Umsatzsteuerbescheid 2000 vom , zugestellt am
Die Bescheide seien rechtswidrig; ihr Inhalt widerspreche dem Europarecht. Da es sich beim Bw um einen Vertreter handle, stellten die bisher nicht in Abzug gebrachten Vorsteuern für Leasingraten und Betriebskosten des Kraftfahrzeuges einen erheblichen Teil der Vorsteuern dar, sowohl absolut als auch relativ: 22.004 öS seien 75% der gesamten Vorsteuer für 1999 iHv 29.375 öS (=22.004+7.371); 21.477 öS seien 56% der gesamten Vorsteuer für 2000 iHv 38.314 öS (=21.477+16.837).
Dieses Ansuchen wurde vom Finanzamt mit Bescheid vom (ESt-Akt Bl 39f/2000) abgewiesen. Zwar seien die Umsatzsteuerbescheide 1999 und 2000 in Hinblick auf das europäische Gemeinschaftsrecht rechtswidrig und der Aufhebungsantrag innerhalb der Frist des § 302 Abs 2 lit c BAO eingebracht worden. Jedoch überwögen bei der Ermessensübung die Gründe, die gegen die Stattgabe des Antrages sprächen: Die zusätzliche Vorsteuer iHv 22.004 öS für 1999 und 21.477 öS für 2000 bedeute keine wesentlichen Folgen in Anbetracht der Umsätze des Bw iHv 980.269 öS bzw 476.593 öS. Infolge der Verwehrung des Vorsteuerabzuges für die Betriebskosten des Kraftfahrzeuges hätten diese mit dem Bruttobetrag Eingang in die Gewinnermittlung gefunden. Durch diese Verminderung der Einkommensteuerbelastung würden die ohnehin geringen Folgen der rechtswidrigen Umsatzsteuerbescheide verringert. Den Anregungen auf Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO sei die Finanzlandesdirektion im Jahr 2002 nach damals geltender Rechtslage nicht gefolgt, wenn die Vorsteuerbeträge nicht aus Anschaffungen resultierten. Es würde daher zu einer Ungleichbehandlung führen, wenn im vorliegenden Fall eine Aufhebung erfolgte, während die anderen Abgabepflichtigen die Folgen der rechtswidrigen Umsatzsteuerbescheide weiter tragen müssten.
Mit Schreiben vom (ESt-Akt Bl 41ff/2000) wurde Berufung gegen die Abweisung vom erhoben und gegen die getroffene Ermessensentscheidung vorgebracht, dass eine Unterscheidung in zulässige Vorsteuer aus Anschaffungskosten und in unzulässige Vorsteuer aus Leasingraten und Betriebskosten nicht rechtens sei. Diese Behauptung der Finanzlandesdirektion sei falsch und nicht gesetzlich gedeckt. Entscheidend sei nur die Frage, ob aufgrund des Umfanges der Rechtswidrigkeit dem Prinzip der Rechtswidrigkeit (gemeint wohl: Rechtsrichtigkeit) oder dem Prinzip der Rechtssicherheit der Vorrang zu geben sei. Das Ausmaß der Rechtswidrigkeit sei im gegenständlichen Falle wesentlich, weil die vorenthaltene Vorsteuer im Jahr 2000 ca 33% des Jahreseinkommens ausmache. Die gesamte rechtswidrig einbehaltene Steuer betrage unter Berücksichtigung der Einkommensteuerersparnis für 1999 und 2000 ca 34.000 öS. Rechtswidrige Bescheide seien von der Oberbehörde schon bei geringeren Beträgen aufgehoben worden, zB wegen 1.980 öS und wegen AVAB iHv 3.200 öS und 30.000 öS Sonderausgaben. Gegen eine ungleiche Behandlung von Steuerpflichtigen helfe nur die Aufhebung aller rechtswidrigen Bescheide. Der Bw dürfe keinen Nachteil daraus haben, dass auch andere Steuerpflichtige ungerecht behandelt würden.
In der am auf Antrag des Bw in Krems an der Donau abgehaltenen mündlichen Berufungsverhandlung wurde - wie schon bisher unausgesprochen vorausgesetzt - ausdrücklich klargestellt, dass der Modell vor der 1996 erfolgten Verschärfung der innerstaatlichen Rechtsnormen als vorsteuerabzugsberechtigter Kleinbus behandelt worden ist.
Zur Anführung des (vorläufigen) Umsatzsteuerbescheides vom hinsichtlich des Jahres 1999 und - unterschiedlich davon - des (Endgültigerklärungs)Bescheides vom hinsichtlich des Jahres 2000 wurde seitens der steuerlichen Vertretung des Bw ausgeführt, dass hinsichtlich des Jahres 1999 irrtümlich der vorläufige Bescheid vom und nicht der endgültige Bescheid vom angeführt worden sei.
Über die Berufung wurde erwogen:
Die Befugnis der Abgabenbehörde zweiter Instanz, im Rahmen einer meritorischen Entscheidung über eine Berufung gemäß § 289 Abs 2 BAO den angefochtenen Bescheid nach allen Richtungen abzuändern, ist auf die "Sache" beschränkt; "Sache" ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Bescheidspruches erster Instanz gebildet hat (Ritz, BAO2, § 289 Tz 4).
Gegenstand des Antrages des Bw und somit auch des angefochtenen Bescheides war die begehrte Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 1999 vom und des Umsatzsteuerbescheides 2000 vom gemäß § 299 BAO, weil die Bescheide infolge Widerspruches zum Europarecht rechtswidrig seien. Auch wenn der genannte Bescheid vom (UFS-Akt Bl 10) ua als Umsatzsteuerbescheid 2000 bezeichnet ist, handelt es sich aufgrund seines Spruches ("Der vorläufige Bescheid vom für das Jahr 2000, mit dem die Umsatzsteuer festgesetzt worden ist, wird gem. § 200 (2) BAO für endgültig erklärt. In der Höhe der festgesetzten Abgabe tritt keine Änderung ein.") um einen Bescheid iSd zweiten Satzes von § 200 Abs 2 BAO: "Gibt die Beseitigung der Ungewißheit zu einer Berichtigung der vorläufigen Festsetzung keinen Anlaß, so ist ein Bescheid zu erlassen, der den vorläufigen zum endgültigen Abgabenbescheid erklärt."
Die Identität der "Sache" einerseits im angefochtenen Bescheid vom und andererseits in der vorliegenden Berufungsentscheidung könnte durch eine inzwischen erfolgte verfahrensrechtliche Gesetzesänderung in Frage gestellt werden, da das Verfahrensrecht jeweils in der neuesten, bereits in Kraft getretenen Fassung, anzuwenden ist - ohne Rücksicht auf den zu behandelnden Abgabenerhebungszeitraum (Veranlagungsjahr): § 299 BAO wurde mit Wirkung ab durch BGBl I 2002/97 neu gefasst. Sein erster Absatz wurde durch BGBl I 2003/124 mit Wirkung ab nochmals umformuliert. Vom 1. Jänner bis konnte die Abgabenbehörde erster Instanz (bzw der UFS in einem Berufungsverfahren wie dem hier anhängigen) gemäß § 299 Abs 1 BAO einen erstinstanzlichen Bescheid "wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufheben"; seit kann die Abgabenbehörde erster Instanz (bzw der UFS in einem Berufungsverfahren wie dem hier anhängigen) gemäß § 299 Abs 1 BAO einen erstinstanzlichen Bescheid "aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist."
Für die Zwecke des hier anhängigen Verfahrens ändert die Umformulierung des § 299 Abs 1 BAO jedenfalls nichts am Kern der Streitfrage. Überdies hat die ab anzuwendende Fassung den Anwendungsbereich des § 299 Abs 1 BAO gegenüber der vorhergehenden Fassung sicher nicht eingeschränkt; umstritten ist nur, ob der Anwendungsbereich ausgeweitet wurde oder gleichgeblieben ist (vgl Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO, § 299 Anm 15). Somit kann die Berufungsbehörde nach der aktuellen Fassung des § 299 Abs 1 BAO meritorisch über die Berufung gegen den auf Basis der vorhergehenden Fassung des § 299 Abs 1 BAO ergangenen angefochtenen Bescheid entscheiden.
Für die gegenständliche Kraftfahrzeugtype, den Modell, wurde der Vorsteuerabzug nach der Verwaltungspraxis bis zu den Regelungen des Vorsteuerabzuges durch BGBl 1996/201 und BGBl 1996/273 gewährt, indem die Einstufung als sogenannter Kleinbus erfolgte (s Klarstellung dieser bisher unstrittigen, aber unausgesprochenen Tatsache in mündlicher Verhandlung; vgl auch Melhardt/Pröglhöf, Aktuelle Liste der Kleinlastkraftwagen und Kleinbusse, Stand in SWK 1995, 660ff, worin diese Fahrzeugtype in der Liste der Kleinbusse enthalten war). Es ist auch unstrittig, dass der Bw durch § 12 Abs 2 Z 2 lit b UStG 1994 idF BGBl 1996/201 und die hierzu erlassene VO BGBl 1996/273 mit einer unzulässigen innerstaatlichen Einschränkung des Vorsteuerabzuges belastet wurde, wie sie der EuGH in seinem Urteil , Rs C-409/99, Metropol und Stadler (UFS-Akt Bl 17ff), festgestellt hat.
Die vorläufigen Umsatzsteuerbescheide für 1999 und 2000 vom sind daher inhaltlich rechtswidrig iSd § 299 Abs 1 idF BGBl I 2002/97 und gleichermaßen erweist sich der Spruch jedes dieser Bescheide als nicht richtig iSd § 299 Abs 1 idF BGBl I 2003/124. Ebenso inhaltlich rechtswidrig und zugleich im Spruch unrichtig sind die Bescheide vom , mit denen gemäß § 200 Abs 2 BAO die ansonsten unveränderten, vorläufigen Umsatzsteuerbescheide für 1999 und 2000 vom für endgültig erklärt worden sind. Da bei der Erlassung eines endgültigen Bescheides nach einem vorläufigen Bescheid Änderungen in jeder Hinsicht möglich sind (Ritz, BAO2, § 200 Tz 13), wäre es geboten gewesen, statt der bloßen Endgültigerklärung die vorläufigen Bescheide durch rechtmäßige endgültige Bescheide zu ersetzen.
Klarzustellen ist, dass vor der Erlassung der vorliegenden Berufungsentscheidung auch beide gegenständlichen Bescheide vom noch im Rechtsbestand waren und nicht von den gegenständlichen Bescheiden vom völlig verdrängt wurden. Dies ergibt sich aus § 200 Abs 2 (zweiter Satz) BAO und dem dementsprechenden Spruch der Bescheide vom , wonach die vorläufigen Bescheide für endgültig erklärt und somit nicht iSd ersten Satzes des § 200 Abs 2 BAO durch einen endgültigen Bescheid "ersetzt" worden sind. Letztgenannte Variante hätte nämlich - wie sich im Umkehrschluss aus dem zweiten Satz von § 200 Abs 2 BAO ergibt - vorausgesetzt, dass das Finanzamt die vorläufige Abgabenfestsetzung berichtigen hätte wollen, was im gegenständlichen Fall eben nicht vorlag. Die Fiktion des § 251 (letzter Fall) BAO (volle Anfechtbarkeit der Abgabenfestsetzung durch Berufung gegen den Endgültigerklärungsbescheid) hat nur auf die unmittelbare Anfechtung eines Endgültigerklärungsbescheides mit Berufung Bedeutung, weil sich § 251 BAO im Unterabschnitt A ("Ordentliche Rechtsmittel") des siebten Abschnittes ("Rechtsschutz") der BAO befindet und sich somit nicht unmittelbar auf den im Unterabschnitt B ("Sonstige Maßnahmen") befindlichen § 299 BAO bezieht (vgl auch Stoll, BAO-Komm, 2112, anders 2116; Ritz, BAO2, § 200 Tz 13 in Normaldruck eher in Richtung der hier vertretenen Ansicht aufzufassen, kleingedruckt jedoch eher dagegen).
Somit erweist sich die - laut Vorbringen in der mündlichen Verhandlung irrtümliche - Bezeichnung des Bescheides vom als denjenigen, der hinsichtlich des Jahres 1999 aufzuheben sei, nicht als nachteilig für den Bw. Im Ergebnis wird hinsichtlich 1999 und hinsichtlich 2000 derselbe Effekt eintreten: Infolge Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 1999 vom geht der Endgültigerklärungsbescheid betreffend 1999 vom , der sich auf den Bescheid vom bezogen hat, völlig ins Leere und es wird vom Finanzamt ein neuer Umsatzsteuerbescheid für 1999 unter Anwendung des europäischen Gemeinschaftsrechtes zu erlassen sein. Ebenso unter Anwendung des europäischen Gemeinschaftsrechtes wird infolge Aufhebung des Endgültigerklärungsbescheides betreffend 2000 vom der vorläufige Umsatzsteuerbescheid 2000 vom durch einen endgültigen Bescheid zu ersetzen (iSd ersten Satzes von § 200 Abs 2 BAO) sein.
Zur Ermessensübung:
Die Aufhebung eines Bescheides gemäß § 299 Abs 1 BAO idF BGBl I 2002/97 und auch idF BGBl I 2003/124 steht im Ermessen (arg: "kann"), welches gemäß § 20 BAO nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu üben ist.
Die Billigkeit, die der Angemessenheit hinsichtlich berechtigter Interessen der Partei entspricht, ist ein Argument für die Verfügung der Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO, weil der Bw ein berechtigtes Interesse an der materiell rechtsrichtigen Gutschrift der streitgegenständlichen Vorsteuer hat.
Die Zweckmäßigkeit, die der Angemessenheit hinsichtlich des öffentlichen Interesses, insb der Einbringung der Abgaben, entspricht (Ritz, BAO2, § 20, Tz 7), liefert folgende Argumente:
Für die Verfügung der Bescheidaufhebung spricht der Zweck des § 299 Abs 1 BAO, nämlich die Durchsetzung der Rechtsrichtigkeit.
Gegen die Bescheidaufhebung spricht der Ausfall an Staatseinnahmen, was jedoch durch das öffentliche Interesse - also das der Gesamtheit der Bürger - an der materiell rechtsrichtigen Besteuerung jedes einzelnen relativiert wird.
Gegen die Bescheidaufhebung spräche vordergründig die Verwaltungsökonomie, also die Vermeidung des mit der Bescheidaufhebung und in ihrer Folge eintretenden Verwaltungsaufwandes. Allein das Berufungsverfahren zeigt, dass eine Bescheidaufhebung voraussichtlich verwaltungsökonomischer als das gegenständliche Verfahren gewesen wäre. Außerdem tritt das Argument der Verwaltungsökonomie zurück, wenn die Auswirkungen der Herstellung des materiell richtsrichtigen Zustandes nicht geringfügig sind.
Die auf einer verallgemeinernden Betrachtungsweise beruhenden Argumente hinsichtlich Geringfügigkeit, die seinerzeit von der Finanzlandesdirektion für die Ermessensübung beim Vollzug des § 299 BAO vor der Novelle BGBl I 2002/97 angewendet wurden, sind schon deshalb nicht mehr zielführend, weil durch BGBl I 2002/97 der § 301 BAO, der folgenden Wortlaut hatte, aufgehoben worden ist: "Auf die Ausübung der gemäß den §§ 299 und 300 der Behörde zustehenden Rechte steht niemandem ein Anspruch zu." Damit kann § 301 BAO jedenfalls nicht mehr als Spezialvorschrift hinsichtlich der Ermessensübung bei der Verfügung von Bescheidaufhebungen gemäß § 299 Abs 1 BAO angesehen werden.
Die Geringfügigkeit bei der Anwendung des § 299 Abs 1 BAO idF BGBl I 2002/97 und 2003/124 ist wie bei der vergleichbaren Situation anlässlich der Entscheidung über die Verfügung der amtswegigen Wiederaufnahme eines Verfahrens gemäß § 303 Abs 4 BAO zu beurteilen.
Das Finanzamt hat zur Beurteilung der Geringfügigkeit ausschließlich auf die aus der Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide eintretenden positiven Auswirkungen für den Bw abgestellt (22.004 + 21.477 = 43.481 öS), offenbar unter der Annahme, dass der Bw die einkommensteuerlichen Vorteile aus der Versagung des streitgegenständlichen Vorsteuerabzuges trotz umsatzsteuerlicher Bescheidaufhebung nicht verlieren würde. In der Berufungsschrift wird hingegen unter Berücksichtigung der (wegfallenden) Einkommensteuerersparnis ein Vorteil aus der Bescheidaufhebung von ca 34.000 öS genannt. Ein ähnliches Ergebnis ergeben die Berechnungen der Berufungsbehörde (UFS-Akt Bl 34ff): Wenn die Vorsteuer gewährt wird und wenn infolgedessen das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid 1999 gemäß dem am inkraftgetretenen § 295a BAO abändern würde, so würde für 1999 eine Erhöhung der Einkommensteuer von 10.056 öS resultieren, die den schlussendlichen Vorteil des Bw aus den Vorsteuergutschriften (=Verminderung der Umsatzsteuerzahllasten für 1999 und 2000) von 43.481 öS auf 33.425 öS senken würde. (Anm: Die Einkommensteuer 2000 iHv 0 öS bliebe jedenfalls unverändert.)
Auch gedeckt durch die bei Ritz, BAO2, § 303 Tz 40f und Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO, § 303 E 209 bis E 231 zitierte kasuistische Rechtsprechung ist der erkennende Senat der Meinung, dass der gegenständliche Betrag iHv zumindest 33.425 öS weit entfernt ist sowohl von absoluter Geringfügigkeit als auch mit zumindest 12,5% in Bezug auf die Summe der bisherigen Zahllasten für 1999 und 2000 (=188.683+78.482=267.165 öS) von relativer Geringfügigkeit. Auch ein Missverhältnis zwischen Auswirkung des Aufhebungsgrundes und Gesamtauswirkung der Aufhebung ist nicht zu befürchten, weil durch die Aufhebung nur der Aufhebungsgrund selbst (und eventuell seine direkten ertragsteuerlichen Auswirkungen) sich auswirken werden.
Da bereits ein Betrag von 33.425 öS als nicht mehr geringfügig anzusehen ist, gilt dies umso mehr für einen Betrag von 43.481 öS. Es kann somit dahingestellt bleiben, welcher Betrag maßgebend; denn es ist in Lehre und Rsp nicht eindeutig geklärt, ob zur Ermittlung des maßgebenden Betrages eine Saldierung von Umsatzsteuer und Einkommensteuer "schon aus finanzausgleichsrechtlichen Gründen" unzulässig ist oder vielmehr doch alle betroffenen Verfahren gemeinsam zu betrachten sind (vgl Ritz, BAO2, § 303 Tz 41; Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO, § 303 E 224).
Bei der Ermessensübung geht der erkennende Senat daher davon aus, dass die Billigkeit und Zweckmäßigkeit überwiegend für die Verfügung der Aufhebung sprechen und somit der Berufung stattzugeben ist. Darüber hinaus trägt die getroffene Entscheidung dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechtes Rechnung und ermöglicht eine effiziente innerstaatliche Umsetzung von Urteilen des EuGH. Unbeachtlich für die Ermessensübung ist, ob andere Steuerpflichtige eine Gutschrift an Vorsteuer infolge einer Bescheidaufhebung erhalten oder nicht, denn über einen Antrag ist im konkreten Einzelfall zu entscheiden. Überdies steht es auch den anderen Steuerpflichtigen, die in Beachtung des § 12 Abs 2 Z 2 lit b UStG 1994 idF BGBl 1996/201 iVm VO BGBl 1996/273 zuwenig Vorsteuer geltend gemacht haben, frei, einen Aufhebungsantrag gemäß § 299 Abs 1 BAO zu stellen und gegen eine allfällige Abweisung Berufung zu erheben.
Umsetzung:
Bei der Umsetzung der stattgebenden Entscheidung sind folgende - einander teilweise widersprechende - Regeln in Betracht zu ziehen: - Entscheidung durch die Berufungsbehörde in der Sache gemäß § 289 Abs 2 BAO, - keine erstinstanzliche Entscheidung durch die Berufungsbehörde außer in Devolutionsfällen, - Verbindung von Bescheidaufhebung und neuerlicher Bescheiderlassung (§ 299 Abs 2 BAO).
Es sind theoretisch drei Varianten denkbar - so wie in der Literatur auch für die grundsätzlich vergleichbare Situation bei der Stattgabe der Berufung gegen einen Bescheid, mit dem ein Wiederaufnahmeantrag abgewiesen wird, drei Varianten vertreten werden (vgl Ritz, BAO2, § 307 Tz 6; Stoll, BAO-Komm 2966, 2969; Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO, § 307 Anm 5):
Aufhebung des angefochtenen Bescheides, mit dem der Aufhebungsantrag abgewiesen wurde (nicht gemäß § 289 Abs 1 BAO); in weiterer Folge müsste das Finanzamt den Aufhebungsbescheid und damit verbunden die neuen Umsatzsteuerbescheide 1999 und 2000 erlassen (entsprechend Stoll, BAO-Komm 2969, anders 2960f und 2969).
Ausspruch der Aufhebung der Bescheide laut Antrag in der Berufungsentscheidung; das Finanzamt müsste dann die neuen Umsatzsteuerbescheide 1999 und 2000 erlassen (entsprechend Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, § 307 Anm 5; Stoll, BAO-Komm 2960f, 2966, anders 2969). Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz sind - soweit ersichtlich - die einzigen Autoren, die bisher nicht nur zur vergleichbaren Problematik bei Wiederaufnahmen, sondern in Anm 21 zu § 299 auch direkt zur Problematik des Verbindungsgebotes im Aufhebungsverfahren gemäß § 299 Abs 2 BAO Stellung genommen haben: Eine Verbindung von Bescheiden setzt voraus, dass zur Erteilung beider Bescheide dieselbe Abgabenbehörde zuständig ist. Gegen eine Erlassung des neuen Sachbescheides durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz spricht, dass dadurch der Partei die Erhebung eines ordentlichen Rechtsmittels (Berufung) gegen den neuen Sachbescheid verunmöglicht wird. Eine Verbindung gemäß § 299 Abs 2 BAO ist überdies (auch in der ersten Instanz) gegebenenfalls überhaupt unmöglich, wenn der Erlassung eines neuen Sachbescheides entgegensteht, dass richtigerweise in der betreffenden "Sache" kein Bescheid zu erlassen ist.
Ausspruch der Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide 1999 und 2000 in der Berufungsentscheidung und Neufestsetzung der Umsatzsteuer 1999 und 2000 (funktional erstinstanzlich) durch den Berufungssenat (entsprechend Bibus zitiert bei Ritz, BAO2, § 307 Tz 6, der dies offensichtlich als zumindest gleichwertige Variante betrachtet).
Die zweitangeführte, von Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz vertretene Variante entspricht am ehesten dem Charakter des Berufungsverfahrens und ist am einfachsten vollziehbar. Ihr wird deshalb der Vorzug gegeben.
Ergeht auch an Finanzamt XzuStNrY
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 200 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 251 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 289 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 299 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Bescheidaufhebung Ermessen Zweckmäßigkeit Ausfall an Staatseinnahmen Verwaltungsökonomie Gemeinschaftsrechtswidrigkeit Geringfügigkeit Verbindungsgebot Abänderungsbefugnis Endgültigerklärungsbescheid |
Anmerkung | Siehe auch , wonach 151,70 €, die unter 1% der Gesamtvorsteuern ausmachen, geringfügig sind.
Siehe auch , wonach 1.236 €, die unter 3% der Gesamtvorsteuern ausmachen, geringfügig sind. |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at