Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSI vom 18.08.2004, RV/0269-I/04

amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens, Ausübung des Ermessens

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., vertreten durch N.N., vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Innsbruck vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs 4 BAO betreffend Umsatzsteuer und Einkommensteuer für den Zeitraum 1999 bis 2000 entschieden:

Der Berufung wird Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

Entscheidungsgründe

Das Finanzamt Innsbruck führte beim Bw. eine abgabenbehördliche Betriebsprüfung (§ 150 BAO) umfassend die Jahre 1998 bis 2000 durch. Hiebei wurde vom Prüfer betreffend die Jahre 1999 und 2000 folgende (einzige) Feststellung getroffen: "Im Jahre 1999 wurde ein Kfz (Renault Grand Espace) neu angeschafft. Im Zuge dieser Neuanschaffung wurde das alte Kfz aus dem Betrieb entnommen. Für das neu angeschaffte Fahrzeug wurde kein Privatanteil ausgeschieden. Eine ausschließliche Nutzung des Fahrzeuges für betriebliche Zwecke konnte seitens des Abgabenpflichtigen nicht nachgewiesen bzw. glaubhaft gemacht werden. Aus diesem Grunde wird ein Privatanteil von 15 % festgesetzt.


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1999
2000
Kfz-Aufwand (netto)
74.940,62
125.677,92
davon 15 % PA (netto)
11.241
18.852

Die angeführten Nettoprivatanteile wurden vom Prüfer mit 20 % der Umsatzsteuer unterzogen. Weiters setzte der Prüfer folgende Mehrentnahmen (=Bruttoprivatanteile) an:


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Jahr
Betrag
1999
13.489,20
2000
22:622;40

(Bp-Bericht v. , Tz 13 und 16).

Die Wiederaufnahme des Verfahrens wurde vom Prüfer wie folgt begründet: "Hinsichtlich nachstehend angeführter Abgabenarten und Zeiträume wurden Feststellungen getroffen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO erforderlich machen:


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Abgabenart
Zeitraum
Hinweis auf Tz
Umsatzsteuer
1999-2000
13
Einkommensteuer
1999-2000
16

Der Ermessensgebrauch wurde vom Prüfer wie folgt begründet: "Die Wiederaufnahme erfolgte unter Bedachtnahme auf das Ergebnis der durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung und der sich daraus ergebenden Gesamtauswirkung. Bei der im Sinne des § 20 BAO vorgenommenen Interessensabwägung war dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit (Parteiinteresse an der Rechtskraft) einzuräumen."( TZ 23 und 23a des Bp-Berichtes).

Das Finanzamt erließ in der Folge den Feststellungen des Prüfers folgend am hinsichtlich 1999 und 2000 Bescheide betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Umsatzsteuer und Einkommensteuer sowie (geänderte) Umsatz- und Einkommensteuerbescheide.

Mit Schreiben vom erhob der Bw. form- und fristgerecht Berufung gegen die Bescheide betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens (1999 und 2000). In der Rechtsmittelschrift, die in den Antrag auf Bescheidaufhebung mündet, bringt der Bw. im wesentlichen vor: Die anlässlich der Prüfung getroffene Feststellung sei derart geringfügig, dass von einer dem Gesetz entsprechenden Ermessensübung nicht gesprochen werden könne. Das Finanzamt habe in der Begründung auch nicht näher ausgeführt, weshalb es von einem Überwiegen der Zweckmäßigkeit gegenüber der Billigkeit ausgegangen ist. Die Vorgangsweise der Vorinstanz widerspreche auch dem zu beachtenden Gebot der Verwaltungsökonomie. Im übrigen sei die Begründung der Vorinstanz (Tz 23 und 23 a des Bp- Berichtes) nur formelhaft und daher unzureichend.

Das Finanzamt erließ am eine abweisliche Berufungsvorentscheidung. Die Abweisung wurde damit begründet, dass die Gesamtauswirkung der anlässlich der Prüfung getroffenen Feststellung nicht geringfügig sei und dass die streitige Wiederaufnahme auch nicht gegen das Gebot der Verwaltungsökonomie verstoße (nur geringer Arbeitsaufwand "von der technischen Seite"). Da anlässlich der Prüfung Umstände gewichtiger Art mit Auswirkung auf die Folgejahre hervorgekommen seien, sei davon auszugehen, dass die bei der Ermessensübung zu beachtende Zweckmäßigkeit gegenüber der Billigkeit überwiege.

Mit Schreiben vom beantragte der Bw. fristgerecht die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde II. Instanz. Im Vorlageantrag wiederholt der Bw. das Vorbringen in der Berufung und ergänzt: Auch die Berufungsvorentscheidung vom enthalte nur eine mangelhafte Begründung, da nicht dargetan werde, warum die Behörde von einem Überwiegen der Zweckmäßigkeit gegenüber dem Interesse des Bw. an der Rechtsbeständigkeit ausgeht. Die steuerlichen Auswirkungen der getroffenen Feststellung seien geringfügig. Die Wiederaufnahme des Verfahrens widerspreche dem zu beachtenden Gebot der Verwaltungsökonomie. Das Finanzamt sei jede Antwort schuldig geblieben, warum von einer Rechtsunrichtigkeit "von einigem Gewicht" und nicht nur geringfügigen steuerlichen Auswirkungen auszugehen sei. Durch die nicht gesetzeskonforme Begründung werde das Gebot der Verwaltungsökonomie verletzt.

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Liegt - wie im gegenständlichen Fall - ein Wiederaufnahmsgrund vor, so hat die Abgabenbehörde in Ausübung des Ermessens zu entscheiden, ob die amtliche Wiederaufnahme zu verfügen ist. Die Rechtmäßigkeit dieser Ermessensentscheidung ist unter Bedachtnahme auf § 20 BAO zu beurteilen (vgl. , ÖStZB 1990, 281; , ÖStZB 1991, 509). Gemäß § 20 BAO sind Ermessensentscheidungen innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dabei ist dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" die Bedeutung von Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei und dem Begriff "Zweckmäßigkeit" das öffentliche Interesse, insbesondere an der Einhebung der Abgaben, beizumessen. Eine derartige Interessensabwägung verbietet bei Geringfügigkeit der neu hervorgekommenen Tatsachen in der Regel den Gebrauch der Wiederaufnahmemöglichkeit. Die Geringfügigkeit ist dabei anhand der steuerlichen Auswirkungen der konkreten Wiederaufnahmsgründe zu beurteilen (vgl. z.B. , ÖStZB 1994, 755; , ÖStZB 1996, 562). Stellt sich die Frage, ob eine Wiederaufnahme zu verfügen ist, bei mehreren Verfahren (zB Einkommensteuer und Umsatzsteuer mehrerer Jahre), so ist die steuerliche Auswirkung nicht je Verfahren, sondern insgesamt zu berücksichtigen. Der Verwaltungsgerichtshof hat beispielsweise im oben angeführten Erkenntnis vom , 90/14/0044, Änderungen gegenüber den erklärten Gewinnen von jeweils unter 1 % als relativ geringfügig bzw. unbedeutend bezeichnet. Im Erkenntnis vom , 94/15/0003, wurden bei Umsätzen zwischen 4,5 und 6 Millionen S und Gewinnen zwischen 470.000 S und 600.000 S Mehrergebnisse der Betriebsprüfung für drei Jahre in folgender Höhe als (absolut und relativ) geringfügig angesehen: Umsatzsteuer: 611 S, 600 S und 628 S; Einkommensteuer: 11.542 S, 798 S und 8.148 S; Gewerbesteuer: 3.403 S, 82 S und 3.586 S (Gesamtbetrag: 29.398 S)

Die steuerlichen Auswirkungen der im gegenständlichen Fall vom Prüfer vorgenommenen Änderungen bezogen auf den Gesamtprüfungszeitraum (1998 bis 2000) sind in der folgenden Tabelle dargestellt:


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U 1998
E 1998
U 1999
E 1999
U 2000
E 2000
Summen
Steuer lt. Bp
212.964
159.924
156.369
214.818
277.763
155.022
1,176.860
Mehrsteuern gegenüber Erstbescheid
0
0
2.248
4.956
3.770
8.442
19.416

(alle Beträge in ATS)

Insgesamt ergibt sich somit, dass im Prüfungszeitraum 1998 bis 2000 nach Berücksichtigung der vom Prüfer getroffenen Feststellung von einem Gesamtsteuerbetrag von S 1,176.860.- (Umsatz- und Einkommensteuer) auszugehen ist. Das streitgegenständliche Bp- Mehrergebnis beträgt S 19.416.-, was einem Anteil von 1,65 % entspricht. Im gegenständlichen Fall ist betragsmäßig sowohl in absoluter als auch relativer Hinsicht von Geringfügigkeit der steuerlichen Auswirkungen der vom Prüfer als Wiederaufnahmsgrund aufgegriffenen Tatsache auszugehen. Auch liegen keine sonstigen Umstände vor, die die neu hervorgekommene (im übrigen einzige) Tatsache (griffweise geschätzter- Kfz-Privatanteil) sonst als besonders gewichtig erscheinen lassen (z.B. besonderes Verschulden). Insgesamt ist daher im berufungsgegenständlichen Fall dem Interesse des Bw. an der Rechtsbeständigkeit (Billigkeit) höheres Gewicht beizumessen als dem öffentlichen Interesse an der Rechtsrichtigkeit (Zweckmäßigkeit), weshalb von einer Wiederaufnahme des Verfahrens abzusehen ist. Die angefochtenen Wiederaufnahmsbescheide sind daher in Stattgebung der Berufung zu beheben. Hinsichtlich der Auswirkungen der Aufhebung der angefochtenen Wiederaufnahmsbescheide auf die von der Berufung nicht bekämpften (geänderten) Sachbescheide wird auf die Bestimmung des § 307 Abs. 3 BAO verwiesen. Es war somit wie im Spruch zu entscheiden.

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens
Ausübung des Ermessens

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at