Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSW vom 29.07.2004, RV/0755-W/04

Außergewöhnliche Belastung bei Diebstahl

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/0755-W/04-RS1
Eine Belastung erwächst nicht zwangsläufig, wenn sie unmittelbare Folge eines freiwilligen Verhaltens des Abgabepflichtigen ist. (Hier: Mißbräuchliche Verwendung einer Bankomatkarte durch die im Haushalt lebende und im Betrieb mitarbeitende Tochter, der von der Mutter Zugang zur Bankomatkarte und zum Bankomatcode verschafft und die mit einer Bankvollmacht ausgestattet wurde).

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., vertreten durch Plachetka & Partner, gegen den Bescheid des Finanzamtes für den 4., 5. und 10. Bez. betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2002 entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Rechtsbelehrung

Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 291 der Bundesabgabenordnung (BAO) ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig.
Es steht Ihnen jedoch das Recht zu, innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung dieser Entscheidung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof zu erheben.
Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.
Die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt oder einem Wirtschaftsprüfer unterschrieben sein.

Gemäß § 292 BAO steht der Amtspartei (§ 276 Abs. 7 BAO) das Recht zu, gegen diese Entscheidung innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung (Kenntnisnahme) Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.

Entscheidungsgründe

Strittig ist, ob die unberechtigten Entnahmen vom Konto der Bw. durch deren Tochter als außergewöhnliche Belastung bei der Ermittlung des Einkommens in Abzug gebracht werden können.

Im Zuge der Veranlagung für das Jahr 2002 beantragte die Bw., die Geldabhebungen ihrer Tochter D i.H.v. 14.200 €, die diese angeblich während des Urlaubes der Bw. getätigt habe, als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen, da eine Rückzahlung dieser Beträge aufgrund des gesundheitlichen Zustandes und der Arbeitslosigkeit der Tochter nicht möglich sei.
Auch eine Sachwalterbestellung sei von der Bw. bereits beim Bezirksgericht beantragt worden.

Die Forderungen an die Tochter D seien lt. Konto Nr. 232000 wie folgt von der Bw. verbucht worden (alle Beträge in €):


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Datum:
Betrag:

7.000

3.500

700

3.000
Summe:
14.200

Da das Finanzamt dem Antrag der Bw. nicht entsprach, erhob diese gegen den o.a. Bescheid Berufung und begründet diese im Wesentlichen folgendermaßen:

  • Die von der Tochter der Bw. getätigten Barentnahmen i.H.v. 14.200 € seien außergewöhnlich und würden die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Bw. wesentlich beeinträchtigen, da sie 23 % des steuerpflichtigen Einkommens der Bw. darstellen.

  • Das Geld sei von der Tochter teils verschenkt, teils in Lokalen für sich und andere ausgegeben worden.
    Es läge somit unzweifelhaft Diebstahl vor.

  • Die Bw. werde aus moralischen und sittlichen Gründen ihre Tochter nicht anzeigen.

  • Selbst bei einer Verurteilung würde die Bw. den entnommenen Betrag nicht zurückerhalten, da die Tochter über kein eigenes Vermögen verfüge und keiner Erwerbstätigkeit nachgehe.

  • Die Bw. sei somit rechtlich verpflichtet, aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit, trotz ihres Alters noch immer für ihre Tochter aufzukommen.

  • Als Nachweis für das Unvermögen der Tochter mit Geld umzugehen, werde auf das Gutachten von Herrn Medizinalrat Dr. R vom verwiesen.

Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom als unbegründet ab und begründete dies u.a. wie folgt:

  • Vermögensverluste aufgrund schädigender Handlungen naher Angehöriger stellten keine außergewöhnliche Belastungen dar.

  • Durch Entzug der Verfügungsberechtigung der Tochter über das Firmenkonto der Bw. hätte der Vermögensverlust leicht verhindert werden können.

  • Auf Grund des grob fahrlässigen Verhaltens der Bw. liege im gegenständlichen Fall keine Zwangsläufigkeit vor.

Die Bw. stellte gegen den o.a. Bescheid einen Vorlageantrag an die Abgabenbehörde zweiter Instanz und verwies auf eine noch zu erbringende Begründung zum Vorlageantrag.

Im Antwortschreiben des steuerlichen Vertreters zum Vorhalt der Abgabenbehörde zweiter Instanz vom führte dieser ergänzend wie folgt aus:

  • Die Schadenssumme betrage nicht 14.200 € sondern 16.750 €:


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Abhebung vom:
Betrag
Abhebung vom:
Betrag

1.500

200

450

750

500

550

600

200

700

300

900

400

100

700

300

1.500

500

300

200

500

700

3.000

300

400

500

700


Summe:
16.750

  • Die Bw. sei vom bis auf Urlaub gewesen.

  • Frau D sei als geringfügig Beschäftigte bei ihrer Mutter angestellt gewesen und sollte mit den Betrieb der Mutter übernehmen, wofür Frau D auch eine Gewerbeberechtigung vom Magistratischen Bezirksamt am ausgestellt erhalten habe.

  • Frau D habe eine Zugriffsberechtigung auf das Bankkonto ihrer Mutter aufgrund deren schlechten gesundheitlichen Zustandes, der beabsichtigten Betriebsübergabe und des Urlaubes der Bw. erhalten.

  • Die Bankvollmacht sei Frau D von ihrer Mutter nach dem Aufdecken der Diebstähle wieder entzogen worden.
    Zum Zeitpunkt der Diebstähle sei jedoch eine Bankvollmacht notwendig und sinnvoll gewesen.

  • Die Belastungen seien daher außergewöhnlich und zwangsläufig gewesen.
    Darüberhinaus müsse die Bw. nicht nur Frau D sondern auch deren beide Kinder erhalten, da Frau D krank und lt. Gutachten vom nicht erwerbsfähig sei.

Über die Berufung wurde erwogen:

Folgender unstrittiger Sachverhalt wurde als erwiesen angenommen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

  • Die Bw. erteilte ihrer Tochter Frau D - aus welchen Gründen auch immer - freiwillig, ohne Zwang eine Bankvollmacht.

  • Frau D war sowohl über den Aufbewahrungsort der Bankomatkarte als auch über den Code informiert und konnte daher jederzeit Abhebungen mit der Bankomatkarte tätigen.

  • Für Frau D wurde zwecks Übernahme des Betriebes der Bw. eine Gewerbeberechtigung ausgestellt.

  • Frau D war im Streitjahr über 36 Jahre alt und lebte gemeinsam mit ihren Kindern, für die die Bw. ebenfalls seit Jahren finanziell aufkommt, im Haushalt der Bw., da sie keiner Erwerbstätigkeit nachgeht.

  • Frau D ist in der Lage, ihre Geschäfte selbst zu tragen.

Diese Feststellungen ergeben sich aus den im Zuge der Vorhaltsbeantwortung vom vorgelegten Unterlagen der Bw.

Dieser Sachverhalt war rechtlich folgendermaßen zu würdigen:

§ 34 Abs. 1 EStG 1988 normiert:

Bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen sind nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen.
Die Belastung muss folgende Voraussetzungen erfüllen:

  • Sie muss außergewöhnlich sein (Abs. 2).

  • Sie muss zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).

  • Sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4)

Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.

§ 34 Abs. 3 EStG 1988 normiert:

Die Belastung erwächst dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

Außergewöhnliche Belastungen sind bei Ermittlung des Einkommens unter bestimmten Voraussetzungen abzuziehen. Der Abzug erfolgt nach Berücksichtigung des bereits um die Sonderausgaben geminderten Gesamtbetrags der Einkünfte.

Außergewöhnliche Belastungen sind ebenso wie die Sonderausgaben Aufwendungen für die Lebensführung, die ohne die gesetzliche Anordnung nicht absetzbar wären.

Die abzugsfähige Belastung gem. § 34 EStG 1988 setzt gem. Abs. 1 voraus:

- Unbeschränkte Steuerpflicht,

- einen Antrag des Steuerpflichtigen,

- eine Belastung des Einkommens.

Die Belastung

- darf nicht Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Sonderausgaben darstellen,

- muß außergewöhnlich sein, d.h., daß höhere Aufwendungen vorliegen müssen, als der Mehrzahl der Steuerpflichtigen vergleichbaren Einkommens erwachsen,

- muß zwangsläufig erwachsen, d.h., daß man sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann,

- muß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen, d.h. einen gewissen Selbstbehalt übersteigen und

- darf nicht unter ein Abzugsverbot fallen (z.B. § 20 Abs. 3 EStG oder § 162 Abs. 1 BAO).

Alle o.a. Voraussetzungen müssen zugleich gegeben sein.

Schon das Fehlen einer einzigen dieser Voraussetzungen schließt die Anerkennung der geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung aus.

Liegt daher beispielsweise das Merkmal der Zwangsläufigkeit nicht vor, so erübrigt sich eine Prüfung der Außergewöhnlichkeit.

Eine Belastung erwächst nicht zwangsläufig, wenn sie vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt worden ist,

  • sonst unmittelbare Folge eines freiwilligen Verhaltens ist, zu dem sich der Steuerpflichtige aus freien Stücken entschlossen hat oder

  • sich als Folge eines vom Steuerpflichtigen übernommenen Unternehmerwagnisses darstellt.

Strebt die Bw. eine Abgabenbegünstigung an so liegt es an ihr, alle Umstände vorzubringen, die für die Gewährung der Begünstigung von Bedeutung sind.

Es sind dabei objektive Kriterien und nicht persönliche Vorstellung des Steuerpflichtigen maßgeblich (vgl. Quantschnigg/Schuch ESt-Handbuch EStG 1988, Tz. 14 zu § 34

Im gegenständlichen Fall wird von der Bw. nicht bestritten, dass sie aus freien Stücken ihrer Tochter D eine Bankvollmacht erteilt hat, zu einem Zeitpunkt, wo bereits seit Wochen Frau D auch die Bankomatkarte der Bw. "nutzte". Ebenso wird von der Bw. nicht behauptet oder nachgewiesen, dass ihre Bankomatkarte vor unbefugtem Zugriff geschützt aufbewahrt worden ist.

Unter tatsächlichen Gründen sind Ereignisse zu verstehen, die unmittelbar den Steuerpflichtigen selbst betreffen.

Von einer Belastung aus tatsächlichen Gründen ist aber nicht auszugehen, da im gesamten Verwaltungsverfahren nicht behauptet wurde, dass die Bw. keinesfalls in der Lage gewesen sei, selbst Geld abzuheben und notwendige Überweisungen zu tätigen.
Auch die geplante Übergabe des Betriebes stellt keinen Grund dar, Frau D eine Bankvollmacht einzuräumen

Dafür dass die Bw. rechtlich (= erzwingbares Schulden) verpflichtet gewesen wäre, die Tochter in der von ihr gewählten Form finanziell zu unterstützen, ergeben sich aus den vorgelegten Unterlagen keinerlei Anhaltspunkte. Dies wurde auch nicht behauptet oder glaubhaft gemacht.

Erwächst eine Belastung aus der Erfüllung einer Rechtspflicht, muss bereits die Übernahme der Rechtspflicht das Merkmal der Zwangsläufigkeit aufweisen.

Im gegenständlichen Fall wurde die Bw. jedenfalls nicht durch Umstände zur Bestreitung des Aufwandes verhalten, die unabhängig von ihrem Willen gewesen sind.

Schließlich fällt die Übernahme von Schulden für nahe Angehörige nicht unter die sittlichen Gründe einer außergewöhnlichen Belastung, da es nicht dem Gesetzeszweck entspricht, dass die Übernahme von Schulden für nahe Angehörige auf die Allgemeinheit abgewälzt werden (vgl. Doralt EStG Kommentar Bd. II, Tz. 41 zu § 34).
Eine allgemeine sittliche Pflicht, Dritten beizustehen, besteht jedenfalls nicht, es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, damit eine derartige Pflicht anzunehmen ist. Eine sittliche Verpflichtung liegt nur dann vor, wenn die Übernahme der Aufwendungen "nach dem Urteil billig und gerecht denkender Personen" (objektiv) durch die Sittenordnung geboten erscheint. Es reicht hingegen im gegenständlichen Fall nicht aus, dass sich die Bw. zur Tätigung der Aufwendungen sittlich verpflichtet fühlt.
Ebenso ist nicht ausreichend, dass das Handeln menschlich verständlich, wünschens- oder lobenswert erscheinen mag oder eine ungünstige Nachrede in der Öffentlichkeit vermieden werden soll. Das Unterlassen der Handlung muss als moralisch anstößig empfunden werden und den Steuerpflichtigen etwa durch Sanktionen im sittlich-moralischen Bereich oder auf gesellschaftlicher Ebene treffen (vgl. Wiesner/Atzmüller/Grabner/Leitner/Wanke EStG 2. Band, Anm. 34 zu § 34).

Schon aus der gesetztlichen Wortfolge "wenn er (der Steuerpflichtige) sich ihr ... nicht entziehen kann" ergibt sich mit aller Deutlichkeit, dass freiwillig getätigte Aufwendungen nach § 34 BAO ebenso wenig Berücksichtigung finden können wie Aufwendungen, die auf Tatsachen zurückzuführen sind, die vom Steuerpflichtigen vorsätzlich herbeigeführt wurden, oder die sonst die Folge eines Verhaltens sind, zu dem sich der Steuerpflichtige aus freien Stücken entschlossen hat (vgl. ).

Eine rechtliche und sittliche Verpflichtung ist auch insbesondere aus dem Beschluss K des Bezirksgerichtes S nicht ableitbar, worin unstrittig festgehalten wird, dass Frau D in der Lage ist, alle ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen und somit keines Sachwalters bedarf.

Wie aus obiger Tabelle ersichtlich, betrafen die meisten strittigen Abhebungen einen vor dem Urlaub der Bw. gelegenen Zeitraum, weshalb die Bw. ihrer Tochter - aus welchen Gründen auch immer - die Verfügung über die Bankomatkarte inkl. dazugehörenden Code verschafft haben muss, da selbst im Falle einer tatsächlichen ungerechtfertigten Ansichnahme der Bankomatkarte kein Schaden hätte eintreten können, soferne der Tochter nicht auch Zugang zum Code ermöglicht worden wäre. Da nachgewiesener Maßen Frau D mit der Bankomatkarte ihrer Mutter Abhebungen vorgenommen hat, ist davon auszugehen, dass sie auch Kenntnis über den Code hatte.

Eine Diebstahlanzeige betreffend der Bankomatkarte hat die Bw. jedenfalls nicht erstattet, weshalb davon auszugehen ist, dass die Bw. der Tochter selbst Zugang zum Code verschafft hat.

Aufgrund der o.a. zahlreichen angeblich "illegalen" Abhebungen erscheint es unglaubwürdig, dass dennoch einer solchen Person eine Bankvollmacht erteilt wird.

In diesem Zusammenhang konnte die Bw. jedenfalls nicht klarstellen, weshalb gerade während ihres 14 tägigen Urlaubes Rechnungen (eine diesbezügliche Aufgliederung blieb die Bw. bis dato schuldig) unbedingt mit einer Bankvollmacht bezahlt werden mussten und nicht etwa durch einen fremdüblichen Bankauftrag bzw. Einziehungsauftrag.

Auch hätte es ausgereicht die während des Urlaubes fälligen Beträge in bar zur Einzahlung zu hinterlassen.

Aus diesen auf Behauptungsebene gebliebenen Hinweisen der Bw. allein ist somit eine Zwangsläufigkeit gem. § 34 Abs. 3 EStG 1988 im gegenständlichen Fall nicht ableitbar, sondern von einem Verhalten der Bw. auszugehen, zu dem sie sich aus freien Stücken entschlossen hat, weshalb auch eine Würdigung unter dem Merkmal der Außergewöhnlichkeit unterbleiben konnte (vgl. ).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Wien,

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
Schlagworte
außergewöhnliche Belastung
Diebstahl
zwangsläufig
Verweise

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at