Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.09.2023, RV/1100614/2016

Vertreterhaftung bei mehreren Geschäftsführern

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1*** als ehemaliger Geschäftsführer der ***1*** (zuletzt firmiert als ***6***), ***2***, ***3***, vertreten durch Sossna & Kriegel PartG mbB, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft & Steuerberatungsgesellschaft, Max-Planck-Straße 18, 61184 Karben, Deutschland, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Haftung gemäß § 9 iVm § 80 BAO, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben und der Haftungsbescheid insofern abgeändert, als die Haftungssumme von bisher 96.801,64 € um den Betrag von 48.356,53 € auf 48.445,11 € eingeschränkt wird.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Schreiben vom teilte das Finanzamt dem Beschwerdeführer (im Folgenden abgekürzt Bf.) mit, dass auf dem Abgabenkonto der Primärschuldnerin die im beiliegendem Rückstandsausweis angeführten Abgaben in Höhe von insgesamt 269.222,03 € uneinbringlich aushafteten. Aufgrund der Funktion des Bf. als das zur Vertretung der Gesellschaft berufene Organ habe ihm die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen oblegen. Da die im Rückstandsausweis angeführten Abgabenbeträge während der Vertretungsperiode des Bf. fällig bzw. nicht entrichtet worden seien, müsse das Finanzamt bis zum Beweis des Gegenteiles davon ausgehen, dass der Bf. der ihm obliegenden Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft nicht ausreichend nachgekommen sei.

Vertreter von Kapitalgesellschaften hafteten mit ihrem persönlichen Einkommen und Vermögen für deren Abgaben, wenn sie an deren Nichtentrichtung ein Verschulden treffe, wobei hierfür bereits leichte Fahrlässigkeit genüge. Kein Verschulden bestünde beispielsweise, wenn alle anderen Gesellschaftsgläubiger gleich behandelt worden seien wie das Finanzamt. Die Pflichtverletzung müsse darüber hinaus in ursächlichem Zusammenhang mit der Nichtentrichtung stehen.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes müsse das Finanzamt somit bis zum Beweis des Gegenteiles von einer schuldhaften und für den Abgabenausfall zudem auch ursächlichen Verletzung der Pflicht des Bf. zur Entrichtung der fällig gewordenen Abgaben aus den verwalteten Mitteln ausgehen. Unter diesen Umständen müsste der Bf. mit der Erlassung eines Haftungsbescheides im Ausmaß der uneinbringlich gebliebenen Abgaben rechnen.

Sofern die Gesellschaft bereits zu den Fälligkeitszeitpunkten der betreffenden Abgaben nicht mehr über ausreichend liquide Mittel zur (vollen) Bezahlung aller Verbindlichkeiten verfügt habe, könne dieser Umstand durch eine Auflistung sämtlicher Gläubiger mit zum Zeitpunkt der Abgabenfälligkeiten gleichzeitig oder früher fällig gewordenen Forderungen dargelegt werden. In dieser Aufstellung müssten alle damaligen Gläubiger der Gesellschaft (auch die zur Gänze bezahlten) sowie die auf einzelne Verbindlichkeiten (Gläubiger) geleisteten Zahlungen (Quoten) enthalten sein. Anzugeben bzw. gegenüberzustellen seien zudem alle verfügbar gewesenen liquiden Mittel (Bargeld und offene Forderungen) und es sei die Verschuldenssituation umfassend darzustellen.

Mit Schreiben vom teilte der Bf. dem Finanzamt mit, wie aus dem beigefügten aktuellen Handelsregisterauszug der Primärschuldnerin zu ersehen sei, sei er als deren Geschäftsführer lediglich bis zum tätig gewesen. Sämtliche im Rückstandsausweis angeführten Forderungen würden einen Fälligkeitstag nach diesem Zeitpunkt aufweisen. Er könne daher nicht für diese Forderungen in Anspruch genommen werden. Er habe auch keinen Zugriff auf Akten der Primärschuldnerin aus dieser Zeit.

Mit Haftungsbescheid vom wurde der Bf. gemäß § 9 iVm § 80ff BAO zur Haftung für folgende aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin in Höhe von insgesamt 96.801,64 € herangezogen:


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Abgabenart
Zeitraum
Fälligkeitstag
Betrag
Umsatzsteuer
2009
43.074,40 €
Körperschaftsteuer
2009
32.071,66 €
Anspruchszinsen
2009
1.934,91 €
Dienstgeberbeitrag
2009
3.918,84 €
Lohnsteuer
2009
15.801,84 €
96.801,64 €

Begründend wurde ausgeführt, der Bf. sei als ehemaliger Geschäftsführer der Primärschuldnerin in Hinblick auf die Bestimmung des § 80 Abs. 1 BAO insbesondere verpflichtet gewesen, dafür Sorge zu tragen, dass die Abgaben des Betriebes entrichtet würden. Bei der gegebenen Aktenlage müsse das Finanzamt bis zum Beweis des Gegenteiles davon ausgehen, dass der Bf. diese gesetzliche Verpflichtung schuldhaft verletzt habe. Die Haftung sei auszusprechen gewesen, da Einbringungsmaßnahmen gegen die Primärschuldnerin bisher erfolglos verlaufen seien und der Bf. im Vorhalteverfahren keine weiteren Fakten/Unterlagen beigebracht habe.

In der gegen den Haftungsbescheid fristgerecht eingebrachten Beschwerde begehrte die ausgewiesene steuerliche Vertreterin des Bf. die Aufhebung des Haftungsbescheides. Zur Begründung wurde vorgebracht, der Bf. sei am als Geschäftsführer der Primärschuldnerin abberufen worden und sei somit zum Ablauf des Kalenderjahres nicht länger gemäß § 80 Abs. 1 BAO zur Vertretung der Gesellschaft berufen gewesen. Der Bf. habe weder Jahressteuererklärungen anfertigen noch etwaige Steuerabgaben des Betriebes entrichten können und dürfen. Eine Haftung für Abgabenansprüche, die gemäß § 4 Abs. 2 lit. a BAO bis zum nicht entstanden seien, scheide somit aus. Zum Nachweis der Abberufung sei der entsprechende Handelsregisterauszug beigefügt worden.

Hinsichtlich der Umsatzsteuer und der Lohnsteuer liege keine haftungsbegründende schuldhafte Pflichtverletzung im Sinne des § 9 BAO vor. Zu der Zeit, zu der der Bf. noch als Geschäftsführer bestellt gewesen sei, sei durch das ***FA*** bestritten worden, dass eine inländische Betriebsstätte der Primärschuldnerin vorgelegen sei. Der Bf. habe sich intensiv um die steuerliche Anerkennung der Betriebsstätte bemüht. Deren steuerliche Anerkennung sei erst im Laufe des Jahres 2010 und somit nach Abberufung des Bf. als Geschäftsführer erfolgt.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde der Beschwerde gegen den Haftungsbescheid insofern teilweise Folge gegeben, als die Haftungssumme von bisher 96.801,64 € auf 53.825,90 € eingeschränkt wurde. Begründend wurde unter Wiedergabe der §§ 9 Abs. 1 und 80 Abs. 1 BAO sowie der zu diesen Normen ergangenen höchstgerichtlichen Judikatur ausgeführt, die Geschäftsführertätigkeit des Bf. habe am geendet und somit zu einem Zeitpunkt vor Eintritt der Fälligkeit der haftungsgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten. Eine Haftung bestehe für den Geschäftsführer nur für jene Abgaben, welche innerhalb seiner aufrechten Vertretungstätigkeit fällig geworden wären.

Innerhalb der Geschäftsführungsphase seien jedoch folgende Selbstberechnungen und Steuerabfuhren unterblieben, welche im Zuge der Jahresveranlagungen mit Fälligkeitszeitpunkt außerhalb der Geschäftsführungsphase gesamthaft festgesetzt worden wären:


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Abgabenart
Zeitraum
Fälligkeit
Betrag
Umsatzsteuer
02/2009
7.194,00 €
Umsatzsteuer
03/2009
3.588,00 €
Umsatzsteuer
04/2009
3.588,00 €
Umsatzsteuer
05/2009
3.588,00 €
Umsatzsteuer
06/2009
3.588,00 €
Umsatzsteuer
07/2009
3.588,00 €
Umsatzsteuer
08/2009
3.588,00 €
Umsatzsteuer
09/2009
3.588,00 €
Umsatzsteuer
10/2009
3.588,00 €
Lohnsteuer
02/2009
1.436,53 €
Lohnsteuer
03/2009
1.436,53 €
Lohnsteuer
04/2009
1.436,53 €
Lohnsteuer
05/2009
1.436,53 €
Lohnsteuer
06/2009
1.436,53 €
Lohnsteuer
07/2009
1.436,53 €
Lohnsteuer
08/2009
1.436,53 €
Lohnsteuer
09/2009
1.436,53 €
Lohnsteuer
10/2009
1.436,53 €
Lohnsteuer
11/2009
1.436,53 €
Dienstgeberbeitrag
02/2009
356,26 €
Dienstgeberbeitrag
03/2009
356,26 €
Dienstgeberbeitrag
04/2009
356,26 €
Dienstgeberbeitrag
05/2009
356,26 €
Dienstgeberbeitrag
06/2009
356,26 €
Dienstgeberbeitrag
07/2009
356,26 €
Dienstgeberbeitrag
08/2009
356,26 €
Dienstgeberbeitrag
09/2009
356,26 €
Dienstgeberbeitrag
10/2009
356,26 €
Dienstgeberbeitrag
11/2009
356,26 €
53.825,90 €

Zur Umsatzsteuervoranmeldungs- und -abfuhrpflicht sei anzumerken, dass sich diese auf Leistungen beziehe, die tatsächlich gegenüber dem einzigen Kunden der Abgabenpflichtigen, der ***13***, erbracht und hierfür monatliche Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis ausgestellt worden wären. Die Verantwortung für die Ausstellung dieser Rechnungen und für die Nichtdurchführung der gesetzlich vorgesehenen Umsatzsteuervoranmeldung und -abfuhr zum 15. des zweitfolgenden Monats treffe den Bf. Die Umsatzsteuerbeträge in der Tabelle würden den Rechnungen entstammen, die an den Kunden gelegt worden wären.

Zur Lohnsteuerabzugs- und abfuhrpflicht sei anzumerken, dass sich diese auf die Angestellten der Primärschuldnerin beziehe: ***4*** sei seit , ***5*** seit bei der Primärschuldnerin beschäftigt gewesen. Es seien daher bis zum für die Monate bis 11/2009 die Lohnabgaben (hier: Lohnsteuer und Dienstgeberbeitrag) einzubehalten und zu den jeweiligen Fälligkeitstagen zu entrichten gewesen. Die Verantwortung für die Nichtdurchführung der Einbehaltung und Abfuhr der Lohnabgaben zum 15. des Folgemonats treffe den Bf. Die monatlichen Lohnabgaben seien auf Basis der übermittelten Jahreslohnzettel - unter Annahme eines Arbeitsbeginns am für beide Mitarbeiter - vereinfacht im Schätzungswege ermittelt worden, indem jeweils 1/11 der gemeldeten Jahresbeträge (vgl. Tabelle auf Seite 2) für jedes einzelne Monat (unter Einbeziehung der beiden Sonderzahlungen) von 02/2009 bis 11/2009 angesetzt worden sei.

Die Verpflichtungen betreffend Umsatzsteuer hätten unabhängig davon bestanden, ob eine Betriebsstätte anerkannt worden sei oder nicht. Die Umsatzsteuerschuld entstünde beispielsweise bereits durch den tatsächlich erfolgten Steuerausweis in der Rechnung (vgl. § 11 Abs. 14 UStG 1994), auch wenn gar keine Leistung erbracht worden wäre. Dieses Argument gehe somit hinsichtlich der Umsatzsteuer ins Leere.

Die Klärung der Betriebsstätteneigenschaft habe deshalb bis 2010 gedauert, weil mit Schreiben vom von der Abgabenbehörde, sohin während aufrechter Geschäftsführungstätigkeit des Bf., angeforderte Unterlagen nicht früher beigebracht worden wären. Diese Verzögerung sei daher dem Bf. selbst anzulasten, weshalb dieses Argument insoweit ins Leere gehen müsse. Der Bf. wäre daher selbst in der Lage gewesen, diese Frage zu einem Zeitpunkt im Sinne des Antrags auf Erteilung einer Steuernummer vom einer Lösung zuzuführen, zu welchem er noch für die Einbehaltung und Abfuhr der Lohnabgaben verantwortlich gewesen sei.

Dem Bf. sei folglich entgegen seiner Behauptung im Beschwerdevorbringen die Darstellung nicht gelungen, dass er keine schuldhafte Pflichtverletzung zu vertreten habe.

Die Haftung sei eingeschränkt worden, da die Körperschaftsteuer 2009 und die Anspruchszinsen 2009 erst 2010 fällig geworden wären. Diese Abgaben seien daher ebenso aus der Haftung auszuklammern gewesen wie die auf die Zeiträume 11-12/2009 entfallenden Umsatzsteuern sowie die auf den Zeitraum 12/2009 entfallenden Lohnabgaben, welche erst im Jänner 2010 fällig gewesen wären.

Dem fristgerecht eingebrachten Vorlageantrag beigefügt war der Gesellschafterbeschluss vom betreffend Abberufung des Bf. als Geschäftsführer der Primärschuldnerin. Seitens der steuerliche Vertreterin des Bf. wurde dazu ausgeführt, es sei zwar im Rahmen der Beschwerde als Datum der Abberufung der genannt worden, doch habe es dabei lediglich um das Datum der Eintragung der Abberufung ins Handelsregister gehandelt. Faktisch sei der Bf. bereits mit Ablauf des nicht mehr dazu befugt gewesen, die Gesellschaft im Sinne des § 80 BAO zu vertreten.

Folglich begründe die Nichtabführung der Umsatzsteuer für den Zeitraum 10/2009 in Höhe von 3.588,00 € sowie der Lohnsteuer und des Dienstgeberbeitrages für den Zeitraum 11/2009 in Höhe von insgesamt 1.792,79 €, deren Fälligkeit der gewesen sei, keine schuldhafte Pflichtverletzung, mithin keine Haftung im Sinne des § 9 BAO, die dem Bf. zuzurechnen wäre.

Zusammenfassendes Begehr der Beschwerde sei nunmehr die Reduktion der Haftungsinanspruchnahme von 96.801,64 € auf 48.445,11 €. Hilfsweise werde die Überprüfung der Ermessensausübung bei der Haftungsinanspruchnahme des Bf. vor dem obig genannten Hintergrund beantragt.

Im Vorlagebericht vom führte das Finanzamt in seiner Stellungnahme zum Haftungsbescheid aus, es sei eine Einschränkung der Haftungsinanspruchnahme auf jene Selbstbemessungsabgaben erfolgt, welche im Zeitraum der aufrechten Geschäftsführung (laut Vorbringen bis ) fällig geworden seien. In Haftung gezogen worden seien somit die Umsatzsteuern 02-10/2009 sowie die Lohnsteuern und die Dienstgeberbeiträge für 02-11/2009 mit Fälligkeitstag bis spätestens . Sollte das BFG zur Ansicht gelangen, dass die Geschäftsführung, wie im Vorlageantrag vorgebracht worden sei, bereits mit Gesellschafterbeschluss beendet worden sei, erhebe die Abgabenbehörde dagegen keinen Einwand. Im Übrigen werde auf die Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung verwiesen. Es werde daher beantragt, die Beschwerdevorentscheidung inhaltlich zu bestätigen bzw. der Beschwerde gegen den Haftungsbescheid wie in der Beschwerdevorentscheidung teilweise Folge zu geben (gegebenenfalls unter Berücksichtigung der geringfügig früheren Beendigung der Geschäftsführertätigkeit und Ausklammerung der am fällig gewordenen Abgaben).

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Bei der Primärschuldnerin handelt es sich um eine mit Gesellschaftsvertrag vom nach deutschem Recht gegründete GmbH. Ort der Geschäftsführung war zu Beginn ***8*** und ab Juli 2006 ***9*** (zuletzt in der ***10***). Durch Beschluss des Amtsgerichts ***9*** (AZ. ***11***) vom wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet und die Gesellschaft aufgelöst.

Der Bf. fungierte laut deutschem Handelsregister vom bis zum als einzelvertretungsbefugter Geschäftsführer der Primärschuldnerin. Allerdings wurde der Bf. nachweislich bereits mit Gesellschafterbeschluss vom mit sofortiger Wirkung als Geschäftsführer abberufen. Ebenfalls einzelvertretungsbefugter Geschäftsführer der Primärschuldnerin war in diesem Zeitraum ***7***.

Am wurde durch die beiden damaligen Geschäftsführer der Primärschuldnerin dem Finanzamt die Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit im Inland mit Stichtag bzw. die Gründung einer inländischen Betriebsstätte in ***12***, angezeigt. Der voraussichtliche Jahresumsatz ab dem Jahr 2009 wurde mit 150.000,00 € beziffert.

Am schloss die Primärschuldnerin mit der ebenfalls in ***12***, ansässigen Fa. ***13*** einen Untermietvertrag. Die ***14*** war zugleich die einzige inländische Kundin der Primärschuldnerin.

Die Primärschuldnerin hat der Fa. ***13*** im Zeitraum bis Mitte 2012 monatlich Leistungen (unter anderem Personalkosten für 2 Mitarbeiter) in Rechnung gestellt. Die Fa. ***13*** machte aus diesen Rechnungen laufend den Vorsteuerabzug geltend, von der Primärschuldnerin wurden jedoch keine Umsatzsteuern abgeführt.

Im Zuge von Vollstreckungshandlungen des Finanzamtes in der ersten Hälfte des Jahres 2012 wurde bekannt, dass die Primärschuldnerin bereits keinen Sitz (Betriebsstätte) mehr an der Adresse der Fa. ***13*** hatte.

In der Folge wurden die Besteuerungsgrundlagen der Umsatzsteuern und der Körperschaftsteuern der Jahre 2009 bis 2011 wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen auf Basis der an die ***13*** verrechneten Leistungen geschätzt und auf dieser Grundlage am Umsatzsteuer-, Körperschaft- sowie Anspruchszinsenbescheide für die Jahre 2009 bis 2011 erlassen. Die Bemessungsgrundlagen der nicht abgeführten Lohnabgaben wurden anhand der Anstellungsverträge bzw. auf Basis der übermittelten Lohnzettel ermittelt und es wurden nachfolgend am Bescheide betreffend Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschläge zum Dienstgeberbeitrag erlassen.

Die Primärschuldnerin hat im Zeitraum ihrer operativen Tätigkeit lediglich Daten für die Berechnung der Lohnabgaben bekanntgegeben und die Umsatzsteuervoranmeldung für 01-06/2011 eingereicht. Ansonsten hat sie auf behördliche schriftliche Anfragen und Erinnerungen zur Abgabe der Steuererklärungen nicht reagiert. Am erfolgte durch ein Anbringen über FinanzOnline durch den steuerlichen Vertreter der Primärschuldnerin die Mitteilung, dass diese ihre Tätigkeit per beendet hat.

Zum wies das Abgabenkonto der Primärschuldnerin einen Abgabenrückstand von 269.222,03 € aus. Zudem geht aus dem Abgabenkonto der Primärschuldnerin hervor, dass die in Haftung gezogenen Abgaben nach wie vor zur Gänze aushaften.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus den seitens der Abgabenbehörde vorgelegten Akten sowie aus den vom BFG durchgeführten Abfragen im Abgabeninformationsystem.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Teilweise Stattgabe)

Der Bf. begehrt mit Vorlageantrag vom nunmehr ausschließlich die Reduktion der Haftungssumme von 96.801,64 € auf 48.445,11 €.

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Gemäß § 224 Abs. 1 BAO werden die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten.

Voraussetzung für die Vertreterhaftung nach § 9 Abs. 1 BAO sind eine Abgabenforderung gegen den Vertretenen, die Stellung als Vertreter, die Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung, eine Pflichtverletzung des Vertreters, dessen Verschulden an der Pflichtverletzung und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit. Den Geschäftsführer einer Gesellschaft, deren Abgaben nicht entrichtet wurden und uneinbringlich geworden sind, trifft im Haftungsverfahren die Obliegenheit darzutun, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, dass die Gesellschaft die anfallenden Abgaben rechtzeitig entrichtet hat, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung annehmen darf. Im Fall des Vorliegens einer schuldhaften Pflichtverletzung spricht eine Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben durch die Pflichtverletzung und den Rechtswidrigkeitszusammenhang (vgl. , ).

Wie obig bereits dargelegt wurde, bestreitet der Bf. nicht bzw. nicht mehr, dass hinsichtlich der in Haftung gezogenen Abgaben Abgabenforderungen gegenüber der Primärschuldnerin bestehen, dass diese Abgabenforderungen bei der Primärschuldnerin uneinbringlich sind, dass mangels Erklärung sowie vollständiger Entrichtung der Abgaben zu den jeweiligen Fälligkeitstagen ihm vorwerfbare, zumindest leicht fahrlässige, abgabenrechtliche Pflichtverletzungen vorliegen und diese kausal für die Uneinbringlichkeit der Abgaben sind. Auch aus der Sicht des BFG besteht kein Anlass, die erwähnten Voraussetzungen für die Vertreterhaftung im Beschwerdefall in Zweifel zu ziehen. Auf die diesbezüglich rechtsrichtigen Ausführungen in der Begründung der Beschwerdevorentscheidung vom , die insofern einen integrierten Bestandteil dieses Erkenntnisses bilden, wird verwiesen.

Somit verbleibt im Beschwerdefall die Prüfung, ob eine Reduktion der Haftungssumme im beantragtem Ausmaß vorzunehmen ist.

Gemäß § 16 Abs. 1 GmbH-Gesetz kann die Bestellung zum Geschäftsführer unbeschadet der Entschädigungsansprüche aus bestehenden Verträgen durch Beschluss der Gesellschafter jederzeit widerrufen werden.

Ein solcher Sachverhalt liegt im Beschwerdefall vor, da der Bf. nachweislich mit Gesellschafterbeschluss vom mit sofortiger Wirkung als Geschäftsführer abberufen wurde.

Hinsichtlich der Zurücklegung der Geschäftsführertätigkeit hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt explizit ausgesprochen, dass diese - sofern sie rechtswirksam zustande gekommen ist - unabhängig von ihrer Eintragung im Firmenbuch wirkt. Dem diesbezüglichen Eintrag im Firmenbuch kommt somit nicht nur aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, sondern auch für eine abgabenrechtliche Haftung nur deklarative Wirkung zu (siehe dazu ; ; ).

Im Erkenntnis vom , Ra 2021/13/0078, hat der Verwaltungsgerichtshof nunmehr auch hinsichtlich der Bestellung eines Geschäftsführers die Unwesentlichkeit der Firmenbucheintragung für die abgabenrechtliche Haftung bestätigt. Das BFG teilt deshalb die bei Fiala, "Vertreterhaftung: Eintragung im Firmenbuch als Geschäftsführer ist nur deklarativ", in Rechtsnews 32478, vertretene Auffassung, dass aus den obig zitierten höchstgerichtlichen Erkenntnissen abzuleiten ist, dass für die Vertreterhaftung generell einzig die gesellschaftsrechtliche Stellung als Geschäftsführer maßgebend ist und der Firmenbucheintragung deshalb keine konstitutive Wirkung zukommt.

Aus den obigen Ausführungen ergibt sich die Unrechtmäßigkeit einer Haftungsinanspruchnahme des Bf. für Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin mit Fälligkeitszeitpunkt ab dem .

Die in Haftung gezogenen Abgaben hatten die folgenden Fälligkeitstage: Die Umsatzsteuern 02/2009, 03/2009, 04/2009, 05/2009, 06/2009, 07/2009, 08/2009, 09/2009, 10/2009, 11/2009 und 12/2009 gemäß § 210 Abs. 1 BAO iVm § 21 Abs. 1 UStG 1994 den , den , den , den , den , den , den , den , den , den und den . Die Körperschaftsteuer 2009 sowie die Anspruchzinsen 2009 waren gemäß § 210 Abs. 1 BAO am fällig. Die Lohnsteuer für die Zeiträume 02/2009, 03/2009, 04/2009, 05/2009, 06/2009, 07/2009, 08/2009, 09/2009, 10/2009, 11/2009 und 12/2009 war gemäß § 210 Abs. 1 BAO iVm § 79 Abs. 1 EStG 1988 am , am , am , am , am , am , am , am , am , am und am fällig. Die Dienstgeberbeiträge für die Zeiträume 02/2009, 03/2009, 04/2009, 05/2009, 06/2009, 07/2009, 08/2009, 09/2009, 10/2009, 11/2009 und 12/2009 waren gemäß § 210 Abs. 1 iVm § 43 Abs. 1 FLAG am , am , am , am , am , am , am , am , am , am und am fällig.

Eine Haftungsinanspruchnahme kommt somit für folgende, erst nach Beendigung der Vertretertätigkeit fällig gewordenen Abgabenschuldigkeiten nicht in Betracht:


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Abgabenart
Zeitraum
Fälligkeit
Betrag
Umsatzsteuer
10/2009
3.588,00 €
Umsatzsteuer
11/2009
3.588,00 €
Umsatzsteuer
12/2009
3.588,40 €
Lohnsteuer
11/2009
1.436,53 €
Lohnsteuer
12/2009
1.436,53 €
Dienstgeberbeitrag
11/2009
356,26 €
Dienstgeberbeitrag
12/2009
356,24 €
Körperschaftsteuer
2009
32.071,66 €
Anspruchszinsen
2009
1.934,91 €
48.356,53 €

Hinsichtlich der übrigen in Haftung gezogenen Abgabenschuldigkeiten in Höhe von 48.445,11 € fiel der Fälligkeitstag in die Zeit der Vertretungstätigkeit des Bf., weshalb die Nichtentrichtung dieser Abgaben objektiv als eine Verletzung der dem Bf. obliegenden abgabenrechtlichen Pflichten anzusehen ist.

Wie obig unter Verweis auf die Ausführungen in der Begründung der Beschwerdevorentscheidung vom bereits festgehalten wurde, konnte der Bf. hinsichtlich der verbleibenden in Haftung gezogenen Abgabenschuldigkeiten nicht widerlegen, dass ihn an ihrer Nichtentrichtung kein Verschulden trifft. In einem solchen Fall spricht eine Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben durch die Pflichtverletzung, sodass das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen für die Vertreterhaftung nach § 9 Abs. 1 BAO im Beschwerdefall zu bejahen ist.

Die Heranziehung zur Haftung ist eine Ermessensentscheidung, die im Sinne des § 20 BAO innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ist. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung des berechtigten Interesses des Bf. beizumessen, nicht zur Haftung für Abgaben herangezogen zu werden, deren Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin feststeht und deren Nichtentrichtung durch ihn verursacht wurde. Unter dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" ist das "öffentliche Interesse an der Einhebung der Abgaben" zu verstehen.

Der Haftungsausspruch des BFG betrifft nur Abgabenbeträge, deren Fälligkeit im Zeitraum der gemeinsamen Vertretungstätigkeit der beiden Geschäftsführer der Primärschuldnerin eingetreten ist (siehe dazu unter Pkt. II.1.). Im Beschwerdefall wurde seitens des Bf. keine Zuständigkeitsaufteilung zwischen ihm und dem anderen Geschäftsführer behauptet, der zufolge die Abgabenentrichtung nicht in den Zuständigkeitsbereich des Bf. gefallen wäre. Der Bf. hat auch nichts vorgebracht, was darauf schließen ließe, dass er an der die Haftung begründenden schuldhaften Pflichtverletzung einen geringeren Anteil als der zweite Geschäftsführer gehabt hätte. Eine Nachrangigkeit der Haftung wie zwischen Abgabenschuldner und Haftendem gibt es im Fall mehrerer Vertreter mit gleichteiligem Verschulden am Abgabenausfall jedenfalls nicht (siehe dazu ; ). Vielmehr steht es der Abgabenbehörde frei, mehrere oder auch nur einzelne Personen, die eine für den Abgabenausfall kausale schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten zu verantworten haben, zur Haftung heranzuziehen. Sofern die Haftungssumme wie im Beschwerdefall nicht geringfügig ist, erscheint dem BFG eine gemeinsame Inanspruchnahme mehrerer Vertreter schon deshalb zweckmäßig, weil so in der Regel eine höhere Wahrscheinlichkeit der Einbringlichkeit der Forderungen gegeben ist.

Seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse hat der Bf. nicht bekanntgegeben. Dies ist gegenständlich nach Auffassung des BFG aber deshalb nur von eingeschränkter Bedeutung, weil die Haftung nicht nur bis zur Höhe der aktuellen Einkünfte und des aktuellen Vermögens des Haftungspflichtigen geltend gemacht werden darf (siehe dazu z.B. ; ). Denn eine allfällige derzeitige Uneinbringlichkeit schließt nicht aus, dass künftig neu hervorgekommenes Vermögen oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen (), sodass selbst eine Vermögenslosigkeit oder das Fehlen von Einkünften des Haftungspflichtigen der Geltendmachung der Haftung nicht entgegenstünden (siehe dazu z.B. ***15***; ; ). Der ***16*** geborene Bf. steht zudem noch im erwerbsfähigen Alter und es sind aus den Akten auch keine Anhaltspunkte für eine Erwerbsunfähigkeit ersichtlich.

Die Zweckmäßigkeit der Geltendmachung der Haftung liegt jedenfalls vor allem darin, dass nur durch diese Maßnahme überhaupt eine zumindest teilweise Einbringlichkeit der betreffenden Abgaben gegeben ist, und nur so dem öffentlichen Interesse an der Abgabenerhebung nachgekommen werden kann. Gesamthaft war daher in Ausübung des freien Ermessens dem öffentlichen Interesse an der Einbringung der Abgaben gegenüber dem Interesse des Bf., nicht zur Haftung herangezogen zu werden, der Vorzug zu geben.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach Auffassung des Bundesfinanzgerichtes ist aus den obig zitierten Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes abzuleiten, dass für die Vertreterhaftung generell einzig die gesellschaftsrechtliche Stellung als Geschäftsführer maßgebend ist und der Firmenbucheintragung daher keine konstitutive Wirkung zukommt. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist deshalb nicht zulässig.

Gesamthaft war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Feldkirch, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 224 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.1100614.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at