Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 23.08.2023, RV/6100354/2021

Rechtswidrigkeit der unter Verweis auf neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung erfolgten Wiederaufnahme des Verfahrens

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter Mag.Dr. Thomas Leitner in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Karin Sonntag, Imbergstraße 17, 5020 Salzburg, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Grunderwerbsteuer für Kaufvertrag vom mit ***Verkäufer1***, Erfassungsnummer ***1***, zu Recht:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Zudem fasst das Bundesfinanzgericht durch den Richter Mag.Dr. Thomas Leitner in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch Mag. Karin Sonntag, Imbergstraße 17, 5020 Salzburg, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Grunderwerbsteuer für Kaufvertrag vom mit ***Verkäufer1***, Erfassungsnummer ***1***, den

Beschluss:

III. Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.

IV. Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit am von Herrn ***Verkäufer1*** mit Herrn ***Bf1*** (im Folgenden auch als "beschwerdeführende Partei" bezeichnet) abgeschlossenem Kaufvertrag erwarb die beschwerdeführende Partei im Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung noch unbebaute Grundstücke und Grundstücksanteile um einen Gesamtkaufpreis von 87.000,00 Euro.

Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel die Grunderwerbsteuer für den vorgenannten Erwerbsvorgang mit 3.045,00 Euro fest, wobei der Grunderwerbsteuerbemessung der vorgenannte Kaufpreis zugrunde gelegt wurde.

Mit Bescheid des Finanzamtes Österreich (im Folgenden: "belangte Behörde") vom erfolgte eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs 1 BAO. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, "dass die Selbstberechnung der Abgabe vom Kaufpreis inklusive Baukosten hätte erfolgen müssen". Dieselbe Ausfertigung umfasste zusätzlich zum vorgenannten Wiederaufnahmebescheid auch einen neuen Grunderwerbsteuerbescheid, mit dem die Grunderwerbsteuer mit 11.301,50 Euro festgesetzt wurde, wobei zusätzlich zum Kaufpreis für die Liegenschaft Baukosten im Betrag von 322.900,00 Euro als Gegenleistung iSd § 5 GrEStG angesetzt wurden.

Am wurde "gegen den Bescheid vom , mit dem das Verfahren wiederaufgenommen wurde und die Grunderwerbsteuer betreffend den Kaufvertrag vom mit ***Verkäufer1*** (sic!), ErfNr ***1***, festgesetzt wurde", rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde eingebracht und wurde die ersatzlose Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt; dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass der beschwerdeführenden Partei Bauherreneigenschaft zukomme. Weiters stellte die beschwerdeführende Partei unter anderem die Anträge, die Beschwerde ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung dem Bundesfinanzgericht vorzulegen, auf Entscheidung durch den Senat und auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Die belangte Behörde legte die Bescheidbeschwerde am dem Bundesfinanzgericht vor und unterblieb die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung.

Mit Schreiben vom zog die beschwerdeführende Partei den Antrag auf Entscheidung durch den Senat zurück.

Mit wurden den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorläufige Sachverhaltsfeststellungen und eine vorläufige rechtliche Würdigung, der zufolge es sich bei dem im angefochtenen Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens genannten Wiederaufnahmsgrund um keine neue Tatsache iSd § 303 Abs 1 lit b BAO handle, vorgehalten und wurde den Parteien unter Verweis auf das im Abgabenverfahren geltende Überraschungsverbot die Möglichkeit gegeben, dazu Stellung zu nehmen.

Mit Stellungnahme vom gab die belangte Behörde dem BFG daraufhin bekannt, dass die dargestellten Feststellungen und die daraus folgende rechtliche Beurteilung korrekt seien und als zutreffend zur Kenntnis genommen würden.

Mit Stellungnahme vom gab die beschwerdeführende Partei dem BFG ebenfalls bekannt, dass die dargestellten Feststellungen und die daraus folgende rechtliche Beurteilung korrekt seien und als zutreffend zur Kenntnis genommen würden und wurde das Beschwerdevorbringen ausdrücklich entsprechend erweitert.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel die Grunderwerbsteuer betreffend "Kaufvertrag vom mit ***Verkäufer1***" gegenüber der beschwerdeführenden Partei mit 3.045,00 Euro fest.

Am erging an die beschwerdeführende Partei eine Ausfertigung des Finanzamtes Österreich mit folgendem (auszugsweise wiedergegebenem) Inhalt:

"(...)

1. Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens gern. § 303 Abs. 1 BAO

Betrifft: Kaufvertrag vom , mit ***Verkäufer1***

Das Verfahren wird gem. § 303 Abs. 1 BAO wiederaufgenommen.

Begründung:

Gemäß § 303 (1) BAO ist die Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Die vorliegende Wiederaufnahme des Verfahrens wird auf neue Tatsachen und Beweismittel gestützt.
Der Umstand, dass die Selbstberechnung der Abgabe vom Kaufpreis inklusive Baukosten hätte erfolgen müssen, stellt für die Abgabenbehörde eine nach erfolgter Selbstberechnung neu hervorgekommene Tatsache dar.

Die Wiederaufnahme erfolgt unter Bedachtnahme auf das Ergebnis der durchgeführten abgabenbehördlichen Ermittlungen und der sich daraus ergebenden Gesamtauswirkung. Bei der im Sinne des § 20 BAO vorgenommenen Interessensabwägung war dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit (Rechtskraft) einzuräumen.

Rechtsmittelbelehrung:

(...)

2. Grunderwerbsteuerbescheid

Für den unter 1. angeführten Erwerbsvorgang wird die Grunderwerbsteuer festgesetzt wie folgt:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 lit. a GrEStG 1987 wird die Steuer
vom Kaufpreis inkl. Baukosten
in Höhe von € 322.900,00 wie folgt ermittelt
€ 322.900,00 x 3,5% € 11.301,50

Mit Bescheid vom 20.105.2020 (sic!) wurde bereits vorgeschrieben € 3.045.00

Nachforderung daher € 8.256,50

(...)

Begründung:

(...)

Rechtsmittelbelehrung

(...)"

2. Beweiswürdigung

Die obigen, von den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht bestrittenen Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aus den aktenkundigen Unterlagen und können diese gemäß § 167 Abs 2 BAO als erwiesen angenommen werden.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

Nach § 303 Abs 1 lit b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme auf Antrag die betreffende Partei, bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die für die Entscheidung über die Wiederaufnahme zuständige Behörde (vgl ; , Ra 2021/15/0066, Rn 14).

Was "Sache" des Wiederaufnahmeverfahrens ist, bestimmt sich am Wiederaufnahmegrund, nicht am Sachbescheid, um dessen Wiederaufnahme es geht (, Rn 17 mwN).

Gemäß § 279 Abs 2 BAO hat das Bundesfinanzgericht außer in hier nicht interessierenden Fällen des Abs 1 immer in der Sache selbst zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Bei einer Beschwerde gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen ist die Sache, über welche das Bundesfinanzgericht gemäß § 279 Abs 2 BAO zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen, also jene wesentlichen Sachverhaltsmomente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat. Unter Sache ist in diesem Zusammenhang die Angelegenheit zu verstehen, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Abgabenbehörde erster Instanz gebildet hatte. Die Identität der Sache, über die abgesprochen wurde, wird durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zur Unterstellung unter den von ihr gebrauchten Wiederaufnahmetatbestand herangezogen wurde (vgl ; , 2012/15/0030, mwH).

Aufgabe des Bundesfinanzgerichts bei Entscheidungen über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme durch ein Finanzamt ist es daher, zu prüfen, ob dieses Verfahren aus den vom Finanzamt gebrauchten Gründen wieder aufgenommen werden durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmegründen zulässig gewesen wäre. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, muss das Bundesfinanzgericht den vor ihm bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben (vgl nochmals ).

Tatsachen im Sinne des § 303 Abs 1 lit b BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung allein oder iVm dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften (vgl , mwN).

Die belangte Behörde hat im vorliegenden Beschwerdefall als neu hervorgekommene Tatsache (Wiederaufnahmegrund) den Umstand herangezogen, "dass die Selbstberechnung der Abgabe vom Kaufpreis inklusive Baukosten hätte erfolgen müssen". Darin ist allerdings nach der Maßgabe der oa Rsp des VwGH keine Tatsache im Sinne des § 303 Abs 1 lit b BAO zu erblicken, sondern erschöpft sich der von der belangten Behörde genannte Wiederaufnahmegrund in der Mitteilung einer geänderten rechtlichen Beurteilung (vgl in diesem Zusammenhang zB , wonach neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung keine Tatsachen sind). Auf welche tatsächlichen Umstände die belangte Behörde diese rechtliche Beurteilung stützt, ist dem Wiederaufnahmebescheid nicht zu entnehmen.

Ob allenfalls der Begründung des in derselben Ausfertigung enthaltenen Grunderwerbsteuerbescheides derartige tatsächliche Umstände entnommen werden könnten, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Dies aus nachstehenden Gründen: Der Abgabenbehörde ist es nicht verwehrt, mehrere Absprüche in Form von Sammelbescheiden zu erlassen. Dies ändert aber nichts daran, dass jeder Spruch für sich gesondert mit Beschwerde anfechtbar ist und handelt es sich nach der Rsp des VwGH insbesondere beim Wiederaufnahmebescheid und beim neuen Sachbescheid - ungeachtet ihrer allfälligen formularmäßigen Verbindung - jeweils um zwei Bescheide, die jeder für sich einer Beschwerde zugänglich sind bzw der Rechtskraft teilhaftig werden können (, mwN). Soll die Begründung des Sachbescheides auch als Begründung des Wiederaufnahmebescheides dienen, bedarf es folglich auch bei einer formularmäßigen Verbindung dieser Bescheide eines entsprechenden Verweises (siehe zur grundsätzlichen Zulässigkeit derartiger Verweise die bei Ritz/Koran, BAO7 § 93 Rz 15 angeführten Nachweise der Rsp des VwGH). Der vorliegende Wiederaufnahmebescheid verweist im Rahmen seiner Begründung allerdings weder auf den - gesondert zu betrachtenden - Sachbescheid, noch auf andere Dokumente, aus denen ein der Tatsachenebene zuzuordnender Wiederaufnahmegrund hervorginge. Der angefochtene Wiederaufnahmebescheid ist daher aufzuheben.

3.2. Zu Spruchpunkt III.

Gemäß § 307 Abs 3 BAO tritt durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheides das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat.

Durch die Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides scheidet der neue Sachbescheid vom betreffend Grunderwerbsteuer für den Kaufvertrag vom mit ***Verkäufer1*** folglich ex lege aus dem Rechtsbestand aus (vgl zB ). Die Beschwerde gegen den somit nicht mehr rechtswirksamen Sachbescheid ist daher zurückzuweisen (vgl ).

3.3. Zu den Spruchpunkten II. und IV.

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Soweit im Beschwerdefall Rechtsfragen zu lösen waren, folgt das Bundesfinanzgericht der im Rahmen der rechtlichen Beurteilung angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, weshalb gemäß § 25a Abs 1 VwGG spruchgemäß zu entscheiden ist.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 279 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 307 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.6100354.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at