Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.10.2023, RV/7102772/2023

Abweisung eines Antrages auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Ri in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend die Abweisung des Antrages auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für das Kind ***1*** ab dem , Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Insoweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für den Zeitraum vom bis zum richtet, wird diese als unbegründet abgewiesen.

Insoweit der angefochtene Bescheid den Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe ab dem abweist wird dieser aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zu Familienbeihilfe vom

Mit Eingabe vom stellte die Bf. mit der Begründung, dass ihre minderjährige Tochter seit Mai 2020 an beidseitigen ***2*** leide den Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe.

Gutachten des Sozialministeriumservice vom

Als Ergebnis einer Untersuchung des Kindes ***1*** attestierte der Facharzt in seinem mit datierten Gutachten unter Bezugnahme auf einen mit datierten, die Vornahme einer ***3*** belegenden Befundes der ***4*** der Tochter der Bf. einen ab September 2020 bestehenden Behinderungsgrad von 10 %.

Abweisungsbescheid vom

Mit Bescheid vom wurde der Antrag der Bf. auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe ab dem mit der Begründung, dass die Tochter der Bf. als nicht erheblich behindert im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 zu qualifizieren sei abgewiesen.

Beschwerde vom

Mit Eingabe vom erhob die Bf. gegen den Abweisungsbescheid Beschwerde und führte hierbei begründende nachstehendes aus:

"Ich bitte um nochmalige Überprüfung des Behinderungsgrades meiner Tochter. Sie leidet an ständig wiederkehrenden (seit 2020) multiplen ***2*** beidseits, Z.n.rec. ***5*** und St. P. ***6***. Sie musste deswegen bereits 4 x operiert werden und muss nun durchgehend täglich ein Hormonpräparat einnehmen. Sie hat noch immer wiederkehrende Schmerzattacken und ***2*** und leidet an den Nebenwirkungen der Hormone. Trotz Therapie hat sie Angstzustände und Panikattacken. Letzte Woche bekam sie eine Eiseninfusion (aufgrund ihrer starken Blutungen hatte sie einen Eisenmangel). Darauf entwickelte sie eine anaphylaktische Reaktion Gr.II und wurde vom Notarzt ins Krankenhaus gebracht und dort stationär zur Überwachung aufgenommen werden. Weiter Allergien müssen nun abgeklärt werden. ***7*** Leben ist seit dieser wiederkehrenden Zystenbildung massiv eingeschränkt. Sie musste und muss ständig ihre Hobbies zurückstellen (Bodenturnen, Reiten,...), hatte und hat immer wieder Fehlzeiten in der Schule. Diese ganze Krankheitsgeschichte belastet sie psychisch massiv. Weitere Befunde können nachgereicht werden."

Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom

In der Folge wurde am vermittels einer - als Abweisungsbescheid titulierter- BVE, dem Rechtsmittel der Bf. mit der Begründung, dass im Gutachten des Sozialministeriumservice ein seit bestehender Behinderungsgrad von 10% festgestellt worden sei der Erfolg versagt.

Vorlageantrag vom

In ihrem als Einspruch titulierten mit datierten Vorlageantrag führte die Bf. nachstehendes aus:

"Ich bitte um nochmalige Überprüfung des Behinderungsgrades meiner Tochter. Sie leidet an ständig wiederkehrenden (seit 2020) multiplen ***2*** beidseits, Z.n.rec. ***5*** und St. P. ***6***. Sie musste deswegen bereits 5 x operiert werden! Die letzte Operation war ! Sie muss nun durchgehend täglich ein Hormonpräparat einnehmen. Sie hat noch immer wiederkehrende Schmerzattacken und ***2*** und leidet an den Nebenwirkungen der Hormone. Sie ist in kontinuierlicher therapeutischer Behandlung. Am hatte sie eine anaphylaktische Reaktion Gr.ll nach einer Eiseninfusion. Eine genetische Testung auf Bindegewebserkrankungen (z.B: Ehlers-Danlos) und weitere Allergien müssen nun abgeklärt werden. ***7*** Leben ist seit dieser wiederkehrenden Zystenbildung massiv eingeschränkt. Sie musste und muss ständig ihre Hobbies zurückstellen (Bodenturnen, Reiten,...), hatte und hat immer wieder Fehlzeiten in der Schule. Diese ganze Krankheitsgeschichte belastet sie psychisch massiv. Aktuelle Befunde liegen bei.

Diagnosen:

N83.5 ***8*** des Ovars links

F41.0 Panikstörung (episodische paroxysmale Angst)

F50.4 Essattacken bei anderen psychischen Störungen

F43.21 Anpassungsstörung (längere depressive Reaktion)"

Vorlagebericht vom

In ihrem Vorlagebericht gab die belangte Behörde bekannt, dass - ob ergänzend eingereichter Befunde - von Amts wegen ein neuerlicher Antrag auf Untersuchung der Tochter der Bf. beim Sozialministeriumservice gestellt worden sei, wobei dieses dem BFG umgehend übermittelt werde.

Gutachten des Sozialministeriumservice(SMS) vom

Am wurde dem BFG - das im Vorlagebericht avisierte - mit datierte Gutachten des SMS übermittelt.

In diesem attestierte die, die Tochter der Bf. am untersuchende Fachärztin - unter Berücksichtigung der gegenüber dem Vorgutachten vom neu vorgelegten, als "relevant" titulierten mit , mit sowie mit datierten Befunde Dris. ***9***, des mit datierten Befundes der Gesundheitspsychologin Mag. ***10*** und der Entlassungsbriefe des KH ***11*** sowie jenem des ***12*** vom bzw. vom dem Kind ***1*** einen ab dem bestehenden Grad der Behinderung von 50%.

Während die - gegenüber dem Vorgutachten vom - rückwirkend erfolgte Erhöhung des Behinderungsgrades um 4 Stufen mit dem Inhalt der an oberer Stelle angeführten Befunde, sprich den in diesen dargelegten aus den medizinischen Behandlung und Eingriffen herrührenden, sich in der Psyche des Kindes manifestierenden Auswirkungen begründet wurde, wurde betreffend die Festlegung des Zeitpunkt des Eintritts des Behinderungsgrades im Ausmaß von 50% mit dem Datum - gleich dem Vorgutachten - auf den Befund des LK ***11*** vom sowie jenen mit datierten OP Befund des ***14*** ***13*** Bezug genommen.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

1. Festgestellter Sachverhalt

In der Folge legt das BFG dem Erkenntnis nachstehenden, auf der Aktenlage und dem Vorbringen der Parteien basierenden Sachverhalt zu Grunde:

Aufgrund des Erstantrages auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe ab dem , der im weiteren Verwaltungsverfahren erhobenen Beschwerde sowie der letztendlich erfolgten Stellung eines Vorlageantrages wurde die minderjährige Tochter der Bf. zweimal beim Sozialministeriumservice untersucht, wobei der begutachtende Facharzt mit Gutachten vom - unter Berücksichtigung sämtlicher vorgelegter Befunde - dem Kind zunächst einen ab dem vorliegenden Grad der Behinderung von 10% attestierte.

Die im Beschwerdeverfahren nachgereichten, die in der Psyche des Kindes auftretenden Folgen der bereits seit September 2020 notwendigen medizinischen Behandlungen bzw. Eingriffe dartuenden, samt und sonders aus dem Zeitraum Mai 2023 bis Juli 2023 stammenden Befunde nahm die das Kind ***1*** am neuerlich untersuchende Fachärztin zum Anlass mit Gutachten vom den Grad der Behinderung - unter Beibehaltung des Festlegung des Eintritts der Behinderung mit - auf das Ausmaß von 50% zu erhöhen.

2. Rechtliche Beurteilung

2.1. Anspruch der Bf. auf Gewährung des Erhöhungsbetrages ab dem

2.1.1. Rechtsgrundlagen

2.1.1.1. Familienlastenausgleichsgesetz 1967

Gemäß § 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als sechs Monaten. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden.

Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, wenn nach Art und Umfang eine Änderung zu erwarten ist.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) dem Finanzamt Österreich auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Nach der Bestimmung des § 10 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 wird Familienbeihilfe vom Beginn des Monats an gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden.

2.1.1.2. Einschätzungsverordnung

In der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, geändert durch BGBl. II Nr. 251/2012, ist Folgendes normiert:

"Behinderung

§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der funktionellen Einschränkungen in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten…"

2.1.2. Gutachten - Allgemeines

Ein Gutachten ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhaltes durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen, verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen, stützen. Alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sachverhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen (vgl. z.B. ; ).

2.1.3. Bescheinigung des Sozialministeriumservice

Nach der Bestimmung des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (früher: Bundesamt für Soziales und Behinderten-wesen) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens) nachzuweisen (vgl z.B. ; ; ; ).

Das ärztliche Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung iSd FLAG 1967 hat Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten (vgl. ; ; ).

2.1.4. Mitwirkungspflicht bei Begünstigungsvorschriften

Nach der Judikatur des VwGH besteht bei Begünstigungsvorschriften und in Fällen, in denen die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde eingeschränkt sind, eine erhöhte Mitwirkungspflicht.

Die Vorlage von "alten" und relevanten Unterlagen (Befunden, Bestätigung über Spitalsauf-enthalte oder Therapien etc.) seitens des Antragstellers ist gerade dann wichtig bzw. unerlässlich, wenn ein Sachverständiger (weit rückwirkend) den Zeitpunkt festzusetzen hat, seit wann ein bestimmter Behinderungsgrad vorliegt.

Fehlen derartige Befunde, warum auch immer, können die vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen und liegt die Ursache auch darin, dass Erkrankungen unterschiedlich stark ausgeprägt sind, häufig einen schleichenden Verlauf nehmen oder sich mit zunehmendem Alter verschlechtern.

Diese Auffassung vertritt auch Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 8, II. Erhebliche Behinderung [Rz 10 - 35]. Es sei wohl nicht zu bestreiten, dass die Ermittlungs-möglichkeiten der Behörde eingeschränkt sind, wenn Sachverhalte zu beurteilen sind, die teilweise Jahrzehnte zurückliegen. Auch der Sachverständige könne aufgrund seines medizinischen Fachwissens ohne Probleme nur den aktuellen Gesundheitszustand des Erkrankten beurteilen. Hierauf komme es aber nur dann an, wenn der derzeitige Behinderungsgrad zu beurteilen sei oder die Feststellung, ob eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, zeitnah zum relevanten Zeitpunkt erfolgen könne. Der Sachverständige könne in den übrigen Fällen nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung eingetreten ist.

2.1.5. Bindung der Abgabenbehörde und des Bundesfinanzgerichtes an die Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice, wenn diese schlüssig sind:

Ein Gutachten ist

• vollständig, wenn es die von der Behörde oder dem Gericht gestellten Fragen beantwortet (sofern diese zulässig waren)

• nachvollziehbar, wenn das Gutachten von der Beihilfenstelle und vom Gericht verstanden werden kann und diese die Gedankengänge des Gutachters, die vom Befund zum Gutachten führten, prüfen und beurteilen kann und

• schlüssig, wenn es nach der Prüfung auf Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit immer noch überzeugend und widerspruchsfrei erscheint

Die Gutachten unterliegen, wie alle anderen Beweismittel, der freien behördlichen/-richterlichen Beweiswürdigung.

Das Finanzamt und das Bundesfinanzgericht sind an die Gutachten des SMS gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob diese vollständig, nachvollziehbar und schlüssig sind und im Fall mehrerer Gutachten oder einer Gutachtensergänzung nicht einander widersprechen (vgl. ; ; Erkenntnisse VwGH jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310). Erforderlichenfalls ist für deren Ergänzung zu sorgen (; ; ).

Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen (vgl. u.a.).

Die Beihilfenbehörden sowie das Verwaltungsgericht, haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen (vgl. ).

2.1.6. Schlüssigkeit des Gutachtens vom

Nach dem Dafürhalten des BFG erweist sich das mit datierte Gutachten des SMS sowohl in Bezug auf das Ausmaß des Grades der Behinderung, als auch die Festlegung des Zeitpunktes deren Eintritts aus nachstehenden Überlegungen als schlüssig und nachvollziehbar.

Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass die - prima vista exorbitant wirkende - Erhöhung des Behinderungsgrades von 10 % auf 50 % exklusiv dem Umstand geschuldet ist, dass der begutachtenden Fachärztin erstmals Befunde vorlagen, welche die psychologischen Folgen der medizinischen Erkrankung samt wiederholter Operationen und daran anknüpfender Therapien etwa in Form von Anpassungsstörungen, Panikattacken, Depressionen beleuchteten. Die im Rahmen der Ausmessung des Grades der Behinderung ausreichend erfolgte Berücksichtigung der psychischen Folgen der medizinischen Erkrankung ist nach dem Dafürhalten des Verwaltungsgerichtes als Substrat des Ziehens logischer Schlussfolgerungen zu erachten. In nämlicher Art und Weise korreliert auch die Festlegung des Eintrittszeitpunktes der Behinderung mit der am erfolgten Erstoperation mit den Denkgesetzen, respektive allgemeiner Lebenserfahrung.

In Ansehung vorstehender Ausführungen obwalten daher an der Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit des Gutachtens vom keine Bedenken.

2.1.7. Conclusio der Ausführungen unter 2.1.6. für die Anspruchsberechtigung der Bf. auf Gewährung des Erhöhungsbetrages ab dem

Der im Gutachten vom ab dem festgestellte Grad der Behinderung von 50% zeitigt in Bezug auf den Anspruch der Bf. auf Gewährung des Erhöhungsbetrages bzw. umgekehrt gesprochen die Rechtmäßigkeit der ab dem vermittels Bescheid erfolgten Abweisung des Antrages zweierlei Rechtsfolgen.

2.1.7.1. Anspruch der Bf. auf den Erhöhungsbetrag für den Zeitraum vom bis zum

In Ansehung der Bestimmung des § 10 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967, demgemäß Familienbeihilfe respektive der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe erst ab Beginn des Monats gewährt wird, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt ist, erweist sich nach den Ergebnissen des Gutachtens vom die gegen die die Abweisung des Antrages für den Zeitraum vom bis zum erhobene Beschwerde als unbegründet und war dieser der Erfolg zu versagen.

2.1.7.2. Anspruch der Bf. auf den Erhöhungsbetrag ab dem

Als Rechtsfolge der Ergebnisse des Gutachtens vom in Verbindung mit der obzitierten Norm des § 10 Abs. 2 erster FLAG 1967 besteht ab dem ein Anspruch der Bf. auf den Erhöhungsbetrag und war demzufolge der ab dem auf Abweisung des Antrages vom lautende Bescheid aufzuheben.

Zusammenfassend war wie im Spruch zu befinden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Bei der Frage des Zeitpunktes des Eintritts bzw. dem Ausmaß des Grades der Behinderung handelt es sich um eine Tatfrage und ist das Bundesfinanzgericht an vom Sozialministeriumservice erstellte Gutachten de facto gebunden. Demzufolge war eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zuzulassen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7102772.2023

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