Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 02.10.2023, RV/7100588/2020

Geltendmachung einer Haftung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***BfAdr***, vertreten durch Mag. Wolfgang Moser, Rechtsanwalt, 1010 Wien, Wächtergasse 1/11, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom betreffend Geltendmachung einer Haftung zu Recht erkannt:

I.

Der Beschwerde wird gemäß § 279 Bundesabgabenordnung (BAO) teilweise Folge gegeben. Der Haftungsbetrag wird auf folgende Abgaben eingeschränkt:


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Abgabenart
Zeitraum
Fälligkeitstag
Betrag in EUR
Umsatzsteuer
01/2016
76,42
Säumniszuschlag 1
2016
260,04
Körperschaftsteuer
04-06/2017
212,50
Umsatzsteuer
03-12/2015
5.787,36
Umsatzsteuer
02-12/2016
31.790,00
Dienstgeberbeitrag
2015
369,35
Lohnsteuer
2015
140,99
Zuschlag zum DB
2015
34,37
Dienstgeberbeitrag
2016
1.171,40
Zuschlag zum DB
2016
98,40
Lohnsteuer
2016
278,75
Summe:
40.219,58

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

II.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf), geb. am ***1***, war von bis Geschäftsführer und von bis zur Löschung im Firmenbuch () Liquidator der Firma ***2***, Firmenbuchnummer ***3***.

Mit Beschlüssen des Handelsgerichtes Wien vom , Zl. ***4***, und vom , Zl. ***5***, wurde über die Firma ***2*** ein Insolvenzverfahren mangels kostendeckendem Vermögens nicht eröffnet. Die Firma wurde am gemäß § 40 Firmenbuchgesetz (FBG) im Firmenbuch wegen Vermögenslosigkeit gelöscht.

Bereits mit Vorhalt des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom wurde der Bf aufgefordert bekanntzugeben, welche finanziellen Mittel dem Unternehmen im Zeitraum zwischen den Jahren 2016 und 2018 zur Verfügung standen und wie sie verwendet wurden. Der Bf wurde insbesondere aufgefordert, Nachweise für die Gläubigergleichbehandlung zu übermitteln. Der aushaftende Abgabenrückstand wurde mit € 107.464,13 beziffert.

Mit Schreiben vom teilte der Bf mit, dass im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens Unterlagen beschlagnahmt und Konten eingefroren wurden, sodass die Firma ***2*** seit Anfang Juli handlungsunfähig gewesen sei und ihre Geschäftstätigkeit eingestellt habe. Dem Bf sei es daher ab Juli 2017 unmöglich gewesen Steuern zu entrichten und Steuererklärungen abzugeben. Nach der Konkurseröffnungstagsatzung und schließlich nach der Nichteröffnung mangels kostendeckendem Vermögens konnte und durfte der Bf keinerlei Zahlungen im Namen des Unternehmens leisten, der Vorwurf einer schuldhaften Pflichtverletzung gehe diesbezüglich jedenfalls ins Leere. Faktisch unmöglich sei auch die Begleichung jener Abgaben gewesen, deren Fälligkeit vor Juli 2017 eingetreten ist, deren Schätzung und Berechnung jedoch erst später bekannt wurde. Ferner würden zahlreiche Steuerverbindlichkeiten das Dienstverhältnis mit Frau ***6*** betreffen, die offensichtlich eigenständig vom Personalverrechner der Firma, Herrn ***7***, ohne Kenntnis des Bf angestellt worden sei. Der Bf habe erst vom Handelsgericht Wien von diesem Beschäftigungsverhältnis erfahren, weshalb ihn keine Haftung für die daraus resultierenden Abgaben und Sozialversicherungsbeiträge treffen könne. Auch Forderungen der ***6*** aus dem Beschäftigungsverhältnis seien dem Bf bei Einstellung der Geschäftstätigkeit nicht bekannt gewesen. Der Bf habe zudem ab Anfang Juli 2017 keine Zahlungen an Dienstnehmer, Finanzämter, Lieferanten etc. geleistet, weshalb keine Gläubigerbenachteiligung vorliege.

Mit Bescheid vom , Abgabenkontonummer ***8***, wurde der Bf vom Finanzamt Wien 4/5/10 als Haftungspflichtiger gemäß § 9 iVm §§ 80 ff. BAO für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der Firma ***2*** in Anspruch genommen und aufgefordert, den Betrag von € 115.844,06 zu entrichten. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Bf als Geschäftsführer verpflichtet gewesen sei, die Abgaben aus Mitteln der Gesellschaft zu entrichten. Der Bf hätte die Möglichkeit gehabt, auch nach der Beschlagnahme von Geschäftspapieren sich Unterlagen zur Erstellung von Abgabenerklärungen zu besorgen. Auch sei lediglich ein minimaler Geldbetrag eingefroren worden, sodass die Entrichtung der Abgabenschuldigkeiten der Gesellschaft weiterhin möglich gewesen wäre.

Gegen diesen Bescheid hat der Bf mit Eingabe vom Beschwerde erhoben. Begründend wurde im Wesentlichen wie in der Stellungnahme vom ausgeführt.

Mit Beschwerdevorentscheidung des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom wurde der Beschwerde teilweise stattgegeben und die Haftungssumme auf € 83.368,85 eingeschränkt. Begründend wurde ausgeführt, dass der Argumentation, dass durch die Beschlagnahme Zahlungen eingefroren und keine Gläubiger befriedigt werden konnten mit der Einschränkung des Haftungsbetrages gefolgt werde.

Mit Eingabe vom stellte der Bf den Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag). Begründend verwies der Bf neuerlich darauf, dass Anfang Juli Hausdurchsuchungen im Rahmen eines gegen den Bf durchgeführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren durchgeführt und Geschäftsunterlagen beschlagnahmt worden seien. Ferner seien sämtliche Konten der Firma ***2*** eingefroren worden, das Unternehmen sei somit ab Juli 2017 handlungsunfähig gewesen und hat die Geschäftstätigkeit eingestellt. Dennoch sei der Bf zur Haftung für Beträge herangezogen worden, deren Fälligkeit ganz offensichtlich nach dem Juli 2017 liege: KöSt 04-06/2017 (€ 250,00), 07-09/2017 (€ 250,00) 10-12/2017 (€ 1.705,00), Aussetzungszinsen 2017 (€ 98,89), USt 01-07/2017 (€ 24.990,00), SZ 1 2017 (€ 748,00 und € 499,80), SZ 2 2017 (€ 623,90), SZ 3 2017 (€ 623,90), Pfändungsgebühr 2018 (€ 744,00) und Barauslagenersätze 2017 und 2018 (€ 98,89 und € 3,10). Auch hinsichtlich der Köst 2015 und 2016 sowie die USt 02-12/2016 seien die Bescheide erst nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit erlassen worden. Der Bf habe zur Erstellung der Umsatzsteuervoranmeldungen einen Steuerberater beauftragt über den selbst ein Konkursverfahren eröffnet wurde und dessen Sorgsamkeit eingeschränkt gewesen sein dürfte. Ferner würden zahlreiche Steuerverbindlichkeiten das Dienstverhältnis mit Frau ***6*** betreffen, die offensichtlich eigenständig vom Personalverrechner der Firma, Herrn ***7***, ohne Kenntnis des Bf angestellt worden sei. Der Bf habe erst vom Handelsgericht Wien von diesem Beschäftigungsverhältnis erfahren, weshalb ihn keine Haftung für die daraus resultierenden Abgaben und Sozialversicherungsbeiträge treffen könne. Auch Forderungen der ***6*** aus dem Beschäftigungsverhältnis seien dem Bf bei Einstellung der Geschäftstätigkeit nicht bekannt gewesen. Der Bf habe zudem ab Anfang Juli 2017 keine Zahlungen an Dienstnehmer, Finanzämter, Lieferanten etc. geleistet, weshalb keine Gläubigerbenachteiligung vorliege.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Bf, geb. am ***1***, war von bis Geschäftsführer und von bis zur Löschung im Firmenbuch () Liquidator der Firma ***2***, Firmenbuchnummer ***3***, ***9***.

Mit Beschlüssen des Handelsgerichtes Wien vom , Zl. ***4***, und vom , Zl. ***5***, wurde über die Firma ***2*** ein Insolvenzverfahren mangels kostendeckendem Vermögens nicht eröffnet. Die Firma wurde am gemäß § 40 Firmenbuchgesetz (FBG) im Firmenbuch wegen Vermögenslosigkeit gelöscht.

Anfang Juli 2017 wurden wegen eines gegen den Bf geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens an zahlreichen Orten Hausdurchsuchungen durchgeführt und Geschäftsunterlagen beschlagnahmt und Bargeld und Geld auf Geschäftskonten sichergestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt waren folgende haftungsgegenständliche Abgaben bereits fällig:


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Abgabenart
Zeitraum
Fälligkeitstag
Betrag in EUR
Umsatzsteuer
01/2016
89,90
Säumniszuschlag 1
2016
305,93
Körperschaftsteuer
04-06/2017
250,00
Umsatzsteuer
03-12/2015
6.808,66
Umsatzsteuer
02-12/2016
37.400,00
Dienstgeberbeitrag
2015
434,53
Lohnsteuer
2015
165,87
Zuschlag zum DB
2015
40,44
Dienstgeberbeitrag
2016
1.378,12
Zuschlag zum DB
2016
115,77
Lohnsteuer
2016
327,94

Nach Juli 2017 wurden folgende Abgaben fällig:


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Abgabenart
Zeitraum
Fälligkeitstag
Betrag in EUR
Körperschaftsteuer
07-09/2017
250,00
Aussetzungszinsen
2017
98,89
Körperschaftssteuer
2015
1.253,00
Barauslagenersatz
2017
4,10
Körperschaftsteuer
10-12/2017
1.705,00
Umsatzsteuer
01-07/2017
24.990,00
Säumniszuschlag 1
2017
748,00
Säumniszuschlag 1
2017
499,80
Pfändungsgebühr
2018
744,00
Barauslagenersatz
2018
3,10
Körperschaftsteuer
01-03/2018
613,00
Körperschaftsteuer
2016
4.100,00
Verspätungszuschlag
2016
408,00
Umsatzsteuer
08/2017
3.927,00
Umsatzsteuer
09/2017
3.927,00
Umsatzsteuer
10/2017
3.927,00
Umsatzsteuer
11/2017
3.927,00
Umsatzsteuer
12/2017
3.927,00
Verspätungszuschlag
08/2017
392,70
Verspätungszuschlag
09/2017
392,70
Verspätungszuschlag
10/2017
392,70
Verspätungszuschlag
11/2017
392,70
Verspätungszuschlag
12/2017
15.2.3018
392,70
Körperschaftsteuer
04-06/2018
2.165,00
Säumniszuschlag 2
2017
623,90
Säumniszuschlag 1
2017
235,62
Säumniszuschlag 1
2018
157,08
Säumniszuschlag 3
2017
623,90
Körperschaftsteuer
07-09/2018
1.389,00
Dienstgeberbeitrag
2017
1.854,47
Zuschlag zum DB
2017
180,88
Lohnsteuer
2017
1.096,20
Körperschaftsteuer
2017
3.123,00
Säumniszuschlag 1
2019
62,46

Aufgrund der Sicherstellung der Geldbeträge verfügte die ***2*** ab diesem Zeitpunkt über keinerlei Mittel, um ihren Abgabenverbindlichkeiten und sonstigen Verbindlichkeiten nachzukommen.

Frau ***6***, ***10***, war erst ab bei der ***2*** beschäftigt.

Der Bf wurde vom Landesgericht für Strafsachen Wien mit Urteil vom , GZ. ***11***, des Vergehens des Vorenthaltens von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung gemäß § 153 Abs.1 und 2 StGB für schuldig befunden. Das Urteil ist in Rechtskraft erwachsen. Weitere Ermittlungen wurden von der Staatsanwaltschaft Innsbruck geführt.

2. Beweiswürdigung

Gemäß § 167 Abs.2 BAO hat die Abgabenbehörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

Nach ständiger Rechtsprechung genügt es, von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewissheit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt (zB ; , 2006/15/0301; , 2011/16/0011; , 2009/17/0132).

Das Bundesfinanzgericht gründet den festgestellten Sachverhalt auf den Inhalt der vom Finanzamt Österreich vorgelegten Verwaltungsakten.

Der Eintritt eines Abgabenausfalls in Höhe von € 115.844,06 ist aufgrund der Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels kostendeckendem Vermögens und der Löschung der Firma wegen Vermögenslosigkeit erwiesen.

Das Bundesfinanzgericht sieht es auf Grund der Angaben des Bf, wonach die Geschäftstätigkeit aufgrund der Beschlagnahme der Geschäftsunterlagen und der Sicherstellung von Geldbeträgen ab Juli 2017 eingestellt wurde und die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens eingetreten ist, als erwiesen an, dass die ***2*** ab diesem Zeitpunkt über keinerlei Mittel mehr verfügte, um ihren Abgabenverbindlichkeiten und sonstigen Verbindlichkeiten nachzukommen. Dies ergibt sich insbesondere auch aus dem vorbereitenden Schriftsatz von ***6*** vom im Verfahren vor dem Landesgericht Krems als Arbeits- und Sozialgericht, wonach sie ab Juli 2017 keinen Lohn mehr erhalten habe und der Bf nicht mehr erreichbar war. Auch das Finanzamt Österreich hat bereits in der Beschwerdevorentscheidung vom eingeräumt, dass durch die Beschlagnahme Zahlungen eingefroren wurden und keine Gläubiger mehr befriedigt werden konnten.

Dass Frau ***6*** erst ab bei der ***2*** beschäftigt war, ergibt sich ebenfalls aus dem vorbereitenden Schriftsatz von ***6*** vom im Verfahren vor dem Landesgericht Krems als Arbeits- und Sozialgericht.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Teilweise Stattgabe)

Gemäß § 224 Abs.1 BAO werden die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen durch Erlassung eines Haftungsbescheides geltend gemacht. In diesem ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten.

Gemäß § 9 Abs.1 BAO haften die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs.1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung. Nach der Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels kostendeckendem Vermögens und der Löschung der Firma wegen Vermögenslosigkeit steht fest, dass die offenen Abgabenverbindlichkeiten der Firma ***2*** uneinbringlich sind.

Bei Selbstbemessungsabgaben (zB Umsatzsteuer) ist maßgebend, wann diese bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären (Fälligkeitstermin). Maßgebend ist daher der Zeitpunkt ihrer Fälligkeit, unabhängig davon, ob und wann die Abgabe bescheidmäßig festgesetzt wird (; , 2001/16/0291). Bei bescheidmäßg festzusetzenden Abgaben (zB Körperschaftsteuer) ist grundsätzlich die erstmalige Abgabenfestsetzung entscheidend ().

Zur Geltendmachung einer Haftung gemäß § 9 BAO müssen die Verletzung von Pflichten, ein Verschulden des Vertreters und die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Uneinbringlichkeit gegeben sein.

Hinsichtlich jener Abgaben, die erst nach Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens fällig waren, liegt jedenfalls keine Pflichtverletzung des Bf. vor, da das Unternehmen erwiesenermaßen zahlungsunfähig war.

Hinsichtlich der übrigen Abgaben gilt:

Zu den abgabenrechtlichen Pflichten des Vertreters gehört, insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben entrichtet werden.

Verfügt der Vertretene nicht über ausreichende Mittel, so darf der Vertreter bei der Entrichtung von Schulden Abgabenschulden nicht schlechter behandeln als die übrigen Schulden (zB VwGH15.12.2009, 2005/13/0040). Es kann aber nicht verlangt werden, der Vertreter müsse den Abgabengläubiger vor allen übrigen Gläubigern befriedigen (). Er hat die Schulden im gleichen Verhältnis zu befriedigen (Gleichbehandlungsgrundsatz).

I. Betreffend die aushaftenden Lohnabgaben ist auszuführen:

Ausnahme vom Gleichbehandlungsgrundsatz gelten für Abfuhrabgaben, insbesondere für die Lohnsteuer (zB ).

Gemäß § 78 Abs.3 EStG hat der Arbeitgeber, wenn die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht ausreichen, die Lohnsteuer nach dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten. Dies gilt nicht für die Dienstgeberbeiträge ().

Wird die Lohnsteuer nicht einbehalten und an das Finanzamt abgeführt, so ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ungeachtet der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gesellschaft von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Geschäftsführers auszugehen. Nach der durch das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , 91/13/0037,0038, Slg.N.G. Nr. 7038/F, ausdrücklich aufrechterhaltenen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fällt es nämlich einem Vertreter als Verschulden zur Last, wenn er Löhne auszahlt, aber die darauf entfallende Lohnsteuer nicht an das Finanzamt entrichtet (). Die auf die ausbezahlten Löhne entfallende Lohnsteuer ist jedenfalls einzubehalten und spätestens am Fälligkeitstag in voller Höhe zu entrichten. Dies unabhängig von den vorhandenen liquiden Mitteln. Reichen die Mittel nicht zur vollen Entrichtung aus, sind die Lohnzahlungen entsprechend der Bestimmung des § 78 Abs.3 EStG entsprechend zu kürzen.

Der Bf. haftet daher jedenfalls für die Lohnsteuer 2015 in der Höhe von € 165,87 und die Lohnsteuer 2016 in der Höhe von € 327,94.

Das Beschwerdevorbringen betreffend ***6*** ist nicht von Relevanz, da diese erst ab dem bei der ***2*** beschäftigt war und die Lohnabgaben 2015 und 2016 nicht aus diesem Arbeitsverhältnis herrühren können.

Zu den sonstigen Abgabenschuldigkeiten ist auszuführen:

Dem Vertreter obliegt nach der Judikatur des VwGH der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger - bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits - an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre (zB VwGH Ra 2015/16/0078). Hiebei sind noch nicht fällige Verbindlichkeiten nicht zu berücksichtigen ().

Eine Haftung zur Gänze kommt daher nur in Betracht, wenn der Vertreter seiner qualifizierten Mitwirkungspflicht hinsichtlich des Fehlens liquider Mittel und der anteiligen Verwendung dieser Mittel nicht nachkommt (zB ).

Der Behauptung des Bf, mit der Durchführung der Hausdurchsuchungen alle Zahlungen der Gesellschaft eingestellt zu haben, wurde vom Bundesfinanzgericht als erwiesen betrachtet. Hinsichtlich jener Abgaben, die nach dem Juli 2017 fällig wurden, ist eine Pflichtverletzung des Bf daher zu verneinen, da die Firma über keine Mittel mehr verfügte um ihre Verbindlichkeiten zu begleichen und bereits zu diesem Zeitpunkt zahlungsunfähig war. Hingegen liegt in der Nichtentrichtung der bereits vor Juli 2017 fälligen Abgaben eine Pflichtverletzung des Bf vor.

Dass der Bf mit der Berechnung der Umsatzsteuervoranmeldung 02-12/2016 einen Steuerberater beauftragt hat, der seinen Pflichten nicht nachgekommen ist und letztlich zu einer Schätzung geführt hat, vermag den Vertreter (ZB Geschäftsführer) nicht zu exkulpieren, wenn er seinen zumutbaren Informations- und Überwachungspflichten nicht nachkommt. Der Vertreter hat beauftragte Personen nämlich zumindest in solchen Abständen zu überwachen, die es ausschließen, dass ihm Steuerrückstände verborgen bleiben (zB ; , 2001/14/0099).

Zur Ermessensentscheidung ist auszuführen:

Die Haftungsinanspruchnahme liegt im Ermessen (§ 20 BAO) der Abgabenbehörde. Dieses Ermessen umfasst auch das Ausmaß der Heranziehung zur Haftung (ZB ). Gemäß § 20 BAO ist die Ermessensentscheidung innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff Billigkeit ist dabei die Bedeutung des berechtigten Interesses des Bf. beizumessen, nicht zur Haftung für Abgaben herangezogen zu werden, deren Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin feststeht und deren Nichtentrichtung durch ihn verursacht worden ist. Dem Gesetzesbegriff Zweckmäßigkeit kommt die Bedeutung öffentliches Interesse an der Einhebung der Abgaben zu. Dem öffentlichen Interesse an der Einhebung der Abgaben ist dabei der Vorzug gegenüber den Billigkeitsgründen einzuräumen. Auf Grund der seit der Fälligkeit der betreffenden Abgaben (2016 und 2017) verstrichenen Zeit wird dem Bf im Rahmen des Ermessen ein Abschlag von 15 % auf die aushaftenden Abgaben gewährt:


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Abgabenart
Zeitraum
Fälligkeitstag
Betrag in EUR
Betrag in EUR abzügl. 15 %
Umsatzsteuer
01/2016
89,90
76,42
Säumniszuschlag 1
2016
305,93
260,04
Körperschaftsteuer
04-06/2017
250,00
212,50
Umsatzsteuer
03-12/2015
6.808,66
5.787,36
Umsatzsteuer
02-12/2016
37.400,00
31.790,00
Dienstgeberbeitrag
2015
434,53
369,35
Lohnsteuer
2015
165,87
140,99
Zuschlag zum DB
2015
40,44
34,37
Dienstgeberbeitrag
2016
1.378,12
1.171,40
Zuschlag zum DB
2016
115,77
98,40
Lohnsteuer
2016
327,94
278,75
Summe:
47.317,17
40.219,58

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da im gegenständlichen Beschwerdeverfahren keine Rechtsfragen aufgeworfen worden sind, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt und sich die Entscheidung auf die angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützt, ist eine Revision nicht zulässig.

Klagenfurt am Wörthersee, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 224 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7100588.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at