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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 10.10.2023, RV/7103489/2018

Abstandnahme von der Abgabenfestsetzung nach § 206 Abs. 1 lit. b BAO

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag.Dr. Katrin Allram in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch AUSTRIA TREUHAND Holding SteuerberatungsgmbH, Mariahilfer Straße 1C Tür 4a, 1060 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom , Steuernummer ***BF1StNr1***, betreffend Umsatzsteuer 2014 zu Recht:

I. Von der Festsetzung der Umsatzsteuer 2014 wird gemäß § 206 Abs. 1 lit. b BAO Abstand genommen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf.) bildete im Streitjahr 2014 als Organträgerin mit einer weiteren Gesellschaft eine umsatzsteuerliche Organschaft. Nach Durchführung einer Außenprüfung stellte die belangte Behörde fest, dass die Voraussetzungen für die Organschaft mangels finanzieller Eingliederung infolge Abtretung der Beteiligung an der weiteren Gesellschaft für die Monate November und Dezember 2014 nicht mehr vorliegen. Mit Bescheid vom wurde daher die Umsatzsteuer für das Jahr 2014 in Höhe von Euro - 1.022.308,59 (bisher: Euro - 1.413.877,30) festgesetzt.

Dagegen erhob die Bf. mit Eingabe vom Beschwerde und führte insbesondere aus, dass die Abtretung der Geschäftsanteile am erfolgt sei, aber aufgrund des Stimmbindungsvertrages und der Gesellschafteridentität die Organschaft bis fortbestanden habe.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab. Ergänzend wird darin ausgeführt, dass nicht dargelegt wurde, inwiefern der Stimmbindungsvertrag die finanzielle Verbindung zwischen den beiden Gesellschaften ersetzen könne. Dieser Vertrag sei überdies der belangten Behörde nicht zur Kenntnis gebracht worden.

Mit Eingabe vom beantragte die Bf. die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht sowie die Durchführung einer Verhandlung vor dem Senat. In einer weiteren Eingabe vom wurde der angesprochene Stimmbindungsvertrag nachgereicht.

Mit Vorlagebericht vom legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom wurde die gegenständliche Beschwerdesache mit Stichtag der GA 1017 zur Entscheidung zugeteilt.

Im Hinblick auf die Vermögenslosigkeit der Bf. informierte das Bundesfinanzgericht die Verfahrensparteien über die Möglichkeit, gemäß § 206 Abs. 1 lit. b BAO von der Festsetzung von Abgaben bei nicht durchsetzbaren Abgabenansprüchen Abstand zu nehmen, und räumte diesen die Möglichkeit zur Stellungnahme ein. In der Mitteilung der Bf. vom wird die Situation der Bf. näher dargestellt und insbesondere darauf hingewiesen, dass diese seit der Konkurseröffnung nicht mehr tätig sei, bereits aufgelöst wurde und über kein Vermögen mehr verfüge. Mit Eingabe vom zog die Bf. die Anträge auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurück. In der Stellungnahme vom führt die belangte Behörde dazu aus, dass die Bf. vermögenslos sei und keine Einwendungen gegen die Abstandnahme von der Festsetzung gemäß § 206 Abs. 1 lit. b BAO bestünden.

II. Über die Beschwerde wurde erwogen:

1. Sachverhalt

Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom ***Datum1*** wurde betreffend die Bf. der Konkurs eröffnet und die Gesellschaft infolge Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst. Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom ***Datum2*** wurde der Konkurs nach Schlussverteilung aufgehoben.

Der Geschäftsführer der Bf. verstarb am ***Datum3***, ein neuer Geschäftsführer wurde nicht bestellt. Der letzte Jahresabschluss wurde für das Jahr 2017 eingereicht. Die Bf. ist nicht mehr geschäftlich tätig.

Das gesamte Vermögen der Bf. wurde verteilt. Zum (Abfragedatum des Abgabenkontos der Bf.) war ein Betrag in Höhe von Euro 400.605,33 am Abgabenkonto der Bf. ausgesetzt. In dem ausgesetzten Betrag ist die streitgegenständliche Abgabenschuld in Höhe von Euro 391.568,71 samt Aussetzungszinsen in Höhe von Euro 1.205,25 enthalten. In Vollstreckung befand sich ein Betrag in Höhe von Euro 1.311,00.

Die streitgegenständliche Abgabe wurde nicht entrichtet und ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei der Bf. nicht einbringlich.

2. Beweiswürdigung

Die Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf den vorgelegten Verwaltungsakt, Datenbankabfragen (Abgabenkonto, Firmenbuch, Finanzanwendungen) sowie betreffend die Vermögenslosigkeit der Bf. ergänzend auf die Eingabe der Bf. vom und der belangten Behörde vom .

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

§ 206 Bundesabgabenordnung (BAO) lautet in der Fassung BGBl. I Nr. 14/2013 auszugsweise wie folgt:

(1) Die Abgabenbehörde kann von der Festsetzung von Abgaben ganz oder teilweise Abstand nehmen,

a)[…]

b)soweit im Einzelfall auf Grund der der Abgabenbehörde zur Verfügung stehenden Unterlagen und der durchgeführten Erhebungen mit Bestimmtheit anzunehmen ist, dass der Abgabenanspruch gegenüber dem Abgabenschuldner nicht durchsetzbar sein wird;

c)[…]

(2) Durch die Abstandnahme (Abs. 1) erlischt der Abgabenanspruch (§ 4) nicht. Die Abstandnahme berührt nicht die Befugnis, diesbezügliche persönliche Haftungen gegenüber Haftungspflichtigen geltend zu machen.

Abstandnahmen von der Festsetzung können nicht nur von Abgabenbehörden, sondern auch von Verwaltungsgerichten getroffen werden (vgl. Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren I3 § 206 BAO Rz 2).

Maßnahmen gemäß § 206 BAO verdrängen die aus § 114 Abs. 1 BAO ableitbare grundsätzliche Verpflichtung der Abgabenbehörden, in allen abgabepflichtigen Fällen dem entstandenen Abgabenanspruch im Sinne des § 4 BAO entsprechende Abgabenfestsetzungen vorzunehmen. Sie erfolgen gemäß § 206 BAO von Amts wegen (vgl. ).

Nach der Rechtsprechung des VwGH hat die Abstandnahme von der Festsetzung zur Voraussetzung, dass die Abgabenbehörde Erhebungen durchführt und diese eindeutig ergeben, dass die Abgaben uneinbringlich sind (vgl. mwN).

Eine Abstandnahme von der Abgabenfestsetzung gegenüber dem Abgabepflichtigen ist unabhängig davon möglich, ob für die betroffenen Abgaben persönliche Haftungen in Betracht kommen. Dies gilt auch für in Beschwerdevorentscheidungen und in Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte vorgenommene Abstandnahmen. Solche Abstandnahmen sprechen nicht über die Höhe des Abgabenanspruches ab (vgl. dazu die Erläuterungen zum Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetz 2012, ErläutRV 2007 d.B. 24. GP 16).

Da die Einhebung der streitgegenständlichen Abgabenschuld gemäß § 212a BAO ausgesetzt und diese daher nicht entrichtet wurde, würde sich selbst bei vollinhaltlicher Stattgabe durch Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes kein Aktivvermögen in Form eines abgabenrechtlichen Rückzahlungsanspruches der Bf. ergeben. Dass die Bf. über kein sonstiges Vermögen verfügt und die streitgegenständliche Abgabenschuld als uneinbringlich anzusehen ist, wurde auf Grundlage der vorhandenen Beweismittel festgestellt.

Maßnahmen nach § 206 BAO liegen im Ermessen der für die Abgabenfestsetzung zuständigen Abgabenbehörde bzw. des Bundesfinanzgerichtes (vgl. ). Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben, müssen sich gemäß § 20 BAO in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Vor dem Hintergrund der festgestellten Uneinbringlichkeit des Abgabenanspruches gegenüber der beschwerdeführenden Abgabenschuldnerin erscheint die Leistung von weiterem Verwaltungsaufwand nicht mehr verhältnismäßig. Demnach war es nach dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit geboten, von einer Festsetzung der Abgaben Abstand zu nehmen.

Durch die Abstandnahme erlischt der Abgabenanspruch nicht. Es wird lediglich trotz des Fortbestandes des Abgabenanspruches von der Festsetzung in Betracht kommender Abgaben ganz oder teilweise Abstand genommen. Im Übrigen berührt die Abstandnahme gemäß § 206 Abs. 2 BAO nicht die Befugnis, diesbezügliche persönliche Haftungen gegenüber Haftungspflichtigen geltend zu machen.

Insgesamt war daher von einer Festsetzung der Abgaben gemäß § 206 Abs. 1 lit. b BAO Abstand zu nehmen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Dass für den Fall der mit Bestimmtheit anzunehmenden Uneinbringlichkeit eines Abgabenanspruches gegenüber dem Abgabenschuldner von der Festsetzung der Abgaben ganz oder teilweise Abstand genommen werden kann, ergibt sich aus der Gesetzesbestimmung des § 206 Abs. 1 lit. b BAO. Sohin liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, weshalb die ordentliche Revision nicht zuzulassen war.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 206 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 206 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7103489.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at