Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 06.10.2023, RV/5100671/2023

Keine erhöhte Familienbeihilfe mangels Nachweises früherer Minderung der Erwerbsfähigkeit

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe ab Jänner 2020 für deren Sohn ***Sohn***, ***SVNr_Sohn*** zu ***Ordnungsbegriff*** zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird im Sinne der Beschwerdevorentscheidung vom dahingehend abgeändert, dass der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe für ***Sohn*** ab 03/2023 gewährt wird. Das Mehrbegehren betreffend die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für den Zeitraum Jänner 2020 bis inklusive Februar 2023 wird abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Antrag vom , persönlich eingebracht am , ersuchte die Beschwerdeführerin (in der Folge: "Bf.") um die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung (frühkindlicher Autismus) für ihren Sohn ***Sohn***, ***SVNr_Sohn*** ab dem Jänner 2020 (Geburtsmonat des Sohnes). Pflegegeld werde nicht bezogen.

Im Auftrag der belangten Behörde wurde ein entsprechendes Sachverständigengutachten erstellt. Die darauf basierende Bescheinigung des Sozialministeriumsservice vom zur ***Geschäftszahl_1*** führt einen Grad der Behinderung von 30% ab dem an.

Mit Bescheid vom , zugestellt durch Hinterlegung am und übernommen am , wurde der Antrag abgewiesen und dies wie folgt begründet:

"Anspruch auf den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung besteht, wenn:

  1. Der festgestellte Grad der Behinderung mindestens 50 Prozent beträgt

  2. Die Behinderung nicht nur vorübergehend ist, sondern mehr als 3 Jahre andauert

Diese Punkte treffen nicht zu (§ 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967).

Laut Gutachten des Sozialministeriumservice vom wurde ***Sohn*** eine Behinderung im Ausmaß von 30% ab diagnostiziert. Der Erhöhungsbetrag wegen Behinderung zur Familienbeihilfe kann daher nicht gewährt werden."

Dagegen brachte die Bf. per FinanzOnline die Beschwerde vom ein. Der Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe sei abgewiesen worden, weil ein Befund noch nicht vorlag. Dieser liege ihr nun vor und werde vorgelegt. Frühkindlicher Autismus stelle eine Behinderung von 50% dar. Dazu legte die Bf. einen Auszug (Seiten 1 und 2 von 5) aus dem entwicklungsdiagnostischen Befund vom des Spitals ***Krankenhaus*** betreffend eine Untersuchung des Sohnes der Bf. vom vor. Eingangs wird in diesem die Fragestellung "Autismus-Spektrum-Störung?" angeführt. Auf der Seite 2 von 5 des Befundes werden unter anderem Empfehlungen betreffend eine Anbindung an das hiesige Autismus-Kompetenzzentrum sowie betreffend einen Integrationsplatz in einer Kleingruppe im Kindergarten angeführt.

Mit Ergänzungsersuchen vom ersuchte die belangte Behörde die Bf. um die Vorlage aller relevanten ärztlichen Befunde betreffend die Beeinträchtigung des Sohnes der Bf.

Am langte bei der belangten Behörde ein weiterer Auszug (Seiten 1-4 von 5) des erwähnten entwicklungsdiagnostischen Befundes vom betreffend die Untersuchung des Sohnes der Bf. vom ein.

Im Auftrag der belangten Behörde wurde ein weiteres Sachverständigengutachten unter Einbeziehung des entwicklungsdiagnostischen Befunds vom erstellt. Die auf diesem Gutachten basierende Bescheinigung des Sozialministeriumsservice vom zur ***Geschäftszahl_2*** führt einen Grad der Behinderung von nunmehr 50%, wiederum ab dem , an. Als Begründung für die rückwirkende Feststellung des Grades der Behinderung wurde angeführt:

"GdB liegt rückwirkend vor: 50 v. H.

30% laut Vorgutachten 07/2023 ab 03/2023, mit nun vorgelegtem Fachbefund der ***Krankenhaus***, ***Institut*** liegen 50 % ab 03/2023 vor."

Mit Beschwerdevorentscheidung vom , am zugestellt durch Abholung nach Hinterlegung, wurde der Beschwerde vom insoweit stattgegeben, als die erhöhte Familienbeihilfe ab März 2023 gewährt wurde. Betreffend den Zeitraum 01/2020 bis 02/2023 wurde die Beschwerde allerdings abgewiesen und die erhöhte Familienbeihilfe insoweit nicht gewährt. Die Begründung lautete:

"Gemäß § 8 Abs. 5 ff Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der derzeit gültigen Fassung gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem nicht nur eine vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50% betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Eine rückwirkende Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ist für max. fünf Jahre ab der Antragstellung möglich bzw. ab dem Monat, ab dem das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Grad der Behinderung festgestellt hat (§ 10 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 in der geltenden Fassung).

Laut Gutachten des Sozialministeriumservice vom wurde bei ***Sohn*** eine Beeinträchtigung in Höhe von 50% ab festgestellt. Aufgrund dieser Diagnose kann die erhöhte Familienbeihilfe für ***Sohn*** ab 03/2023 gewährt werden.

Von 01/2020 - 02/2023 steht keine erhöhte Familienbeihilfe für Ihre Tochter zu, da die oben genannten Kriterien nicht erfüllt sind."

Am brachte die Bf. via FinanzOnline eine als Beschwerde bezeichnete und als Vorlageantrag zu wertende Eingabe ein. Darin argumentierte die Bf., dass die erhöhte Familienbeihilfe zwar ab März 2023 gewährt worden sei, Autismus aber bereits seit der Geburt ihres Sohnes im Jänner 2020 bestanden habe. Die Bf. beantragte abermals die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ab der Geburt ihres Sohnes.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde am dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und gab dazu folgende Stellungnahme im Vorlagebericht ab:

"§ 8 Abs.6 FLAG 1967 verlangt zur Überprüfung des Beihilfenanspruches der Beschwerdeführerin ein qualifiziertes Nachweisverfahren in Form einer beweiskräftigen Bescheinigung des Sozialministeriumservice (SMS). Die Abgabenbehörde ist an die Feststellung der im Wege des SMS erstellten ärztlichen Sachverständigengutachten gebunden. Dem letzten maßgeblichen Untersuchungsergebnis (ärztliches Gutachten vom ) ist zu entnehmen, dass beim Sohn ***Sohn*** der Beschwerdeführerin die Einschätzung des Grades der Behinderung mit 50% ab 03/2023 festgestellt wurde.

Da keine Bescheinigung des SMS vorliegt, welche den Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe im Zeitraum 01/2020 bis 02/2023 begründet, wird die Abweisung der Beschwerde für diesen Zeitraum beantragt. Ab 03/2023 wird die erhöhte Familienbeihilfe aufgrund der Beschwerdevorentscheidung bereits ausbezahlt."

Das Bundesfinanzgericht forderte in der Folge vom Sozialministeriumsservice die beiden erwähnten Sachverständigen-Gutachten im Volltext an und nahm in diese Einsicht.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Betreffend ***Sohn***, ***SVNr_Sohn*** (Sohn der Beschwerdeführerin), liegt ein Grad der Behinderung in der Höhe von 50% ab dem März 2023 vor, wobei dieser Zustand voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauert. Die dieser Feststellung gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 zugrundeliegenden Gutachten des Sozialministeriumservice vom und vom haben sich als schlüssig, widerspruchsfrei und ohne erkennbare Lücken oder Fehler erwiesen und berücksichtigten alle vorgelegten Befunde. Die Beschwerdeführerin beantragte mit Eingabe vom , persönlich eingebracht am , die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung (frühkindlicher Autismus).

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ist - soweit entscheidungsrelevant und soweit im Folgenden nicht eigens darauf eingegangen wird - unstrittig und ergibt sich aus dem Akteninhalt sowie dem Parteienvorbringen.

Die Antragstellerin und nunmehrige Beschwerdeführerin (in der Folge: "Bf.") trifft - unbeschadet der amtswegigen Ermittlungspflicht (§ 115 BAO) - die Verpflichtung, am Verfahren mitzuwirken (§§ 119, 138 ff BAO). Wenn Tatsachenfeststellungen nicht getroffen werden können, trifft die Beweislast denjenigen, zu dessen Gunsten die entsprechende Tatsache wirken würde: Die Abgabenbehörde habe damit die Beweislast für Tatsachen zu tragen, die der Begünstigung entgegenstehen; die Antragstellerin hingegen für Tatsachen, welche die Begünstigungen begründen bzw. eine gesetzliche Vermutung widerlegen (). Kann ein Beweis im Einzelfall nicht zugemutet werden, so genügt die Glaubhaftmachung (Nachweis der Wahrscheinlichkeit), welche den Regeln der freien Beweiswürdigung unterliegt.

Im Antragsformular "Beih 3 F", mit welchem die Bf. den nunmehr strittigen Erhöhungsbetrag Familienbeihilfe beantragte, findet sich eingerahmt und fettgedruckt oberhalb der Unterschrift der Hinweis, dass zur Feststellung, ob eine erhebliche Behinderung vorliegt, eine Einladung des ärztlichen Sachverständigen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zur ärztlichen Untersuchung Ihres Kindes folgt, ein Termin schriftlich bekannt gegeben wird und dass zu dieser ärztlichen Untersuchung sämtliche Behandlungsunterlagen des Kindes in Kopie mitzubringen sind und diese im Fall der rückwirkenden Antragstellung auch die Vergangenheit betreffen müssen. Weitere Erläuterungen waren beigefügt.

Unstrittig ist nunmehr, dass der Sohn der Bf. seit 03/2023 mit einem Gesamtgrad iHv 50% erheblich behindert ist. Strittig ist im Beschwerdefall allerdings, ob die Behinderung des Sohnes der Bf. bereits zuvor in einem Ausmaß von mindestens 50% vorlag und wenn ja, ob dies bereits ab 01/2020 (von Geburt an) in dieser Höhe von mindestens 50% (durchgehend) der Fall war.

Das (erste) Sachverständigen-Gutachten des Sozialministeriumsservice vom stellte einen Grad der Behinderung des Sohnes der Bf. vom 30% rückwirkend ab 03/2023 fest. Als Begründung für die rückwirkende Feststellung des Grades der Behinderung wurde auf einen klinisch psychologischen Befund von ***klinische_Psychologin*** vom März 2023 verwiesen. Eine Untersuchung bei den ***Krankenhaus***, ***Institut*** im März 2023 wurde erwähnt, wurde aber mangels aufliegender Befunde nicht berücksichtigt. Das Gutachten des Sozialministeriumsservice vom stellte ausgehend vom Vorgutachten und den nun vorgelegten Fachbefund der ***Krankenhaus*** (***Institut***) vom abermals rückwirkend ab 03/2023 nunmehr einen Grad der Behinderung von 50% fest.

Betreffend das Vorgutachten wurde im Gutachten des Sozialministeriumsservice vom eine Steigerung des Gesamtgrades der Behinderung von 30 % auf 50 % bei nun vorliegendem und eingearbeiteten Fachbefund angeführt.

Feststellungen betreffend zeitlich frühere Zeiträume trafen beide Gutachten offenbar mangels vorgelegter, entsprechend älterer Befunde nicht. Dies ist auch nicht zu beanstanden, da selbst im Falle der Annahme von erblich bedingten und sich nunmehr frühkindlich äußernden Autimus eine Feststellung, dass dieser für den (strittigen) Zeitraum 01/2020 - 02-2023 auch im Ausmaß von mindestens 50% Grad der Behinderung vorlag, nicht ohne konkrete Befunde möglich ist, die auch den konkreten Grad der Behinderung zum jeweiligen Zeitpunkt feststellen. Auch im Zuge des Beschwerdeverfahrens legte die Bf. keinerlei Befunde betreffend diesen Zeitraum vor 03/2023 vor, obwohl sie dazu mehrmals aufgefordert wurde:

Nicht nur Ergänzungsersuchen (wie jenes vom ), sondern auch eine Beschwerdevorentscheidung wie jene vom (vgl. ; , 94/15/0024; , 2008/15/0288) und der Vorlagebericht vom (; , RV/5101257/2015; , RV/7102528/2016; , RV/5101811/2018) haben jeweils Vorhaltecharakter. In den erwähnten Dokumenten und bereits im Zuge der Antragstellung (fettgedruckt und umrandet) wurde die Bf. von der belangten Behörde auf die Notwendigkeit der Vorlage entsprechender Dokumente, gerade hinsichtlich einer rückwirkenden Gewährung des Erhöhungsbetrages, hingewiesen. Zu einer Vorlage solcher Dokumente durch die Bf. kam es bis dato nicht und wird aufgrund der mehrmals erfolgten Aufforderung zur Vorlage solcher Dokumente nunmehr durch das Bundesfinanzgericht von weiteren Aufforderungen diesbezüglich abgesehen.

Die beiden Sachverständigen-Gutachten des Sozialministeriumsservice haben jeweils die von der Bf. vorgelegten Befunde berücksichtigt. Im (ersten) Gutachten vom konnte zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung der Befund auf der Basis der Untersuchung vom März 2023 zwar noch nicht einbezogen werden, im Gutachten vom erfolgte jedoch nach dessen Vorlage wie erwähnt eine entsprechende Berücksichtigung.

Die beiden Gutachten des Sozialministeriumsservice erscheinen zusammenfassend daher weder als widersprüchlich, noch fehlerhaft oder unvollständig und waren daher der Entscheidung zugrunde zu legen.

Die Bf. hat, obwohl primär ihr dafür der Beweis obliegt, keine überprüfbaren Dokumente dahingehend vorgelegt, dass ein zumindest 50%iger Grad der Behinderung bereits vor dem März 2023 vorgelegen wäre. Aus den ärztlichen Sachverständigengutachten geht klar und eindeutig hervor, dass ein Grad der Behinderung von 50 % beim Sohn der Bf. erst ab März 2023 beweisbar eingetreten ist. Daher kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass ein Grad der Behinderung von mehr als 50% bereits von Geburt an bis zum Februar 2023 vorlag (vgl. ; , RV/2918-W/12; ). Es wird daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung davon ausgegangen, dass die Feststellung des Grades der Behinderung von 50% ab März 2023 aufgrund dieser schlüssigen Gutachten mit größter Wahrscheinlichkeit den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht, dieser Grad erst dann nachweisbar vorlag und dieser Zustand voraussichtlich mehr als drei Jahre andauert.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Rechtslage

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 (Familienlastenausgleichsgesetz 1967; in der Fassung Bundesgesetzblatt I Nr. 226/2022) erhöht sich die Familienbeihilfe monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist, ab um EUR 155,90 (Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe).

Entsprechend § 8 Abs. 5 FLAG 1967 (idF. BGBl. I Nr. 226/2022) gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren (bis ) bzw. sechs Monaten (ab , BGBl. I. Nr. 226/2022). Der Grad der Behinderung muss mindestens 50% betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 (idF. BGBl. I Nr. 226/2022) ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen.

Die Feststellung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Nachweis (Bescheinigung) gilt zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung.

Aufgrund von § 10 Abs. 1 FLAG 1967 (idF. BGBl. I Nr. 50/2015) wird die Familienbeihilfe (abgesehen von den hier nicht einschlägigen Fällen des § 10a FLAG 1967) nur auf Antrag gewährt. Die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4 FLAG 1967) ist gesondert zu beantragen.

Entsprechend § 10 Abs. 2 FLAG 1967 (idF. BGBl. I Nr. 50/2015) wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

Nach § 10 Abs. 3 FLAG 1967 (idF. BGBl. I Nr. 50/2015) werden die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4 FLAG 1967) höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.

3.2. Zu Spruchpunkt I. (Abänderung, teilweise Stattgabe)

§ 8 Abs. 6 FLAG 1967 verlangt zum Nachweis des Grades der Behinderung oder der voraussichtlichen dauernden Erwerbsunfähigkeit eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grundlage eines ärztlichen Sachverständigengutachtens.

Der Beihilfenanspruch der Bf. muss somit durch eine beweiskräftige Bescheinigung qualifiziert nachgewiesen werden.

Aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 700/07, ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Frage des Grades der Behinderung der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt hat, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution (nämlich das Bundessozialamt) eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt.

Die Abgabenbehörden und das Bundesfinanzgericht sind an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden und dürfen diese nur dahingehend prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und sich im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG2 2020 § 8 Rz 29; ; , 2010/16/0261; , 2009/16/0307; , 2011/16/0063).

Wurde von der Abgabenbehörde bereits ein solches Sachverständigengutachten eingeholt, erweist sich dieses als schlüssig und vollständig und wendet die Bf. nichts Substantiiertes ein, besteht für das Bundesfinanzgericht kein Grund, neuerlich ein Sachverständigengutachten einzuholen (; Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG2 2020, § 8 Rz 29).

Die in beiden Gutachten enthaltenen Feststellungen beinhalten schlüssige und nachvollziehbare Ausführungen zu Art, Ausmaß und zeitlicher Zuordnung sowie zu den konkreten Auswirkungen der Behinderung. Auch widersprechen sie sich nicht und geben keinen Hinweis auf eventuell unterlassene, notwendige Ermittlungsschritte, zumal primär die Antragstellerin dazu verpflichtet war und ist, entsprechende Befunde im Zuge der Begutachtung durch das Sozialministeriumsservice vorzulegen und dieser Umstand in den Einladungen zu den Begutachtungsterminen regelmäßig angeführt wird.

Auch liegt keine Bescheinigung vor, welche eine Erwerbsminderung bzw. einen Gesamtgrad der Behinderung in der Höhe von zumindest 50% im noch strittigen Zeitraum 01/2020 bis 02/2023 bestätigt. Die Bf. legte dazu auch keine Indizien oder sonstige Beweise dazu vor.

Es bestand daher mangels Unvollständigkeit oder Widersprüchlichkeit der bisherigen Gutachten kein Grund, neuerlich ein Sachverständigengutachten einzuholen, sondern es war von den in den Gutachten getroffenen Feststellungen auszugehen.

Der Gesamtgrad der Behinderung lag laut dem Sachverständigengutachten vom , welches auf Basis der Einschätzungsverordnung vom Sozialministeriumsservice und somit von der dafür zuständigen Stelle erstellt wurde, aufgrund der Ergebnisse der Befunde aus dem Jahr 2023 und somit rückwirkend seit März 2023 im Ausmaß von 50% vor.

Hinzuweisen ist auch darauf, dass der Behinderungsgrad selbst bei gleichbleibendem Krankheitsbild auch vom Alter des Kindes abhängt. Das Ausmaß eines Entwicklungsrückstandes etwa stellt sich je nach Alter des Kindes unterschiedlich dar, da die Fertigkeiten, die ein Kind im Kindergartenalter beherrschen sollte, sich wesentlich von jenen, die beispielsweise von einem Schulkind erwartet werden, unterscheiden. Das Ausmaß eines Entwicklungsrückstandes ist daher immer im Vergleich zum Entwicklungsstand gleichaltriger gesunder Kinder zu sehen. So kann schon im Kindergartenalter ein gewisser Entwicklungsrückstand vorliegen, der sich aber bis zum Schulalter weiter vergrößern und einen höheren Behinderungsgrad herbeiführen kann (vgl. ; Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG2 § 8 Rz 11 unter Hinweis auf ).

Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt; die vom Gesetzgeber geforderte Feststellung des tatsächlichen Eintritts der Erwerbsunfähigkeit eines Antragstellers kann immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen (; , 2013/16/0170, zum Zeitpunkt des Eintritts eines Behinderungsgrades von 50 %). Liegen keine Befunde vor einem bestimmten Zeitraum vor, ist es einem Gutachter nicht möglich, bereits davor eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, festzustellen, sofern kein Leidenszustand vorliegt, der eindeutig eine Erwerbsfähigkeit bereits von vorneherein ausschließt (Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG2 § 8 Rz 20 unter Verweis auf ).

Da eine Behinderung im Ausmaß von 50% lediglich für den Zeitraum ab 03/2023 nachgewiesen wurde, besteht für die Zeiträume davor, für welche die Bf. ebenfalls einen Anspruch auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe geltend machte (konkret ab 01/2020 bis 02/2023), kein Anspruch auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe nach § 8 Abs. 5 ff. FLAG 1967. Auf die zutreffenden Ausführungen der belangten Behörde in der Beschwerdevorentscheidung und im Vorlagebericht wird verwiesen. Die Beschwerdevorentscheidung trug diesem Umstand bereits Rechnung, indem der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe ab 03/2023 gewährt wurde.

Der Beschwerde war daher gemäß § 279 BAO teilweise stattzugeben und der angefochtene Bescheid im Sinne der Beschwerdevorentscheidung abzuändern.

3.3. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Beschwerdefall lag keine Rechtsfrage vor, der grundsätzliche Bedeutung zukam. Die im Beschwerdefall zu lösenden Rechtsfragen beschränkten sich einerseits auf Rechtsfragen, welche bereits in der bisherigen (oben zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes beantwortet wurden. Im Übrigen hing der Beschwerdefall von der Lösung von nicht über den Einzelfall hinausgehenden Sachverhaltsfragen (Beurteilung der Gutachten des Sozialministeriumsservice) ab.

Linz, am

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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.5100671.2023

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