Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.09.2023, RV/7102604/2023

Auslegung von Anbringen über FinanzOnline; Aufhebung einer Beschwerdevorentscheidung mangels zugrunde liegender Beschwerde

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2017 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerdevorentscheidung vom wird gemäß § 279 Abs. 1 BAO infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Bescheid vom wurde Einkommensteuer für das Jahr 2017 iHv € -89,00 (Gutschrift) im Wege der antragslosen Arbeitnehmerveranlagung festgesetzt.

Am langte beim Finanzamt über FinanzOnline eine in der Überschrift als "Beschwerde gem. § 243 BAO - Arbeitnehmerveranlagung 2017" bezeichnete Eingabe ein, in welcher der Beschwerdeführer (in weiterer Folge Bf.) Kosten für Familienheimfahrten iHv € 350,28, Kosten für doppelte Haushaltsführung iHv € 937,56 und sonstige Werbungskosten iHv € 207,97 geltend machte.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wertete das Finanzamt die Eingabe als Beschwerde und wies diese zurück, da die Beschwerdefrist gemäß § 245 bzw. § 276 BAO bereits abgelaufen sei.

Am brachte der Bf. einen Vorlageantrag ein und führte im Wesentlichen begründend aus, dass er in FinanzOnline offenbar die falsche Checkbox angekreuzt habe und bat das Finanzamt, über seinen Antrag auf Arbeitnehmerveranlagung abzusprechen.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Mit Bescheid vom wurde Einkommensteuer für das Jahr 2017 iHv € -89,00 (Gutschrift) im Wege der antragslosen Arbeitnehmerveranlagung gegenüber dem Bf. festgesetzt.

Die Eingabe vom über FinanzOnline ist in der Überschrift als "Beschwerde gem. § 243 BAO - Arbeitnehmerveranlagung 2017" bezeichnet. Die Begründung lautet: "Sehr geehrte Damen und Herren, im Jahr 2017 war ich die ersten zwei Monate in Brüssel und ab März in Wien dienstlich tätig. Meine damalige Lebensgefährtin (und seit 2019 Ehefrau) war zunächst in Triest und anschließend ebenfalls in Wien tätig. Bisher unberücksichtigte Kosten für DHHF (Jan+Feb) und FHF sowie (bereits gekürzte) anteilige Kosten für Internet+Telefon wurden mit der Erklärung am für das Steuerjahr 2017 aufgenommen. Vielen Dank für Ihre Mühe, ***Bf***"

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die als Beschwerde gewertete Eingabe vom als verspätet zurückgewiesen.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem dem Bundefinanzgericht elektronisch vorgelegten Akt und ist - bis auf die Frage, wie das Anbringen auszulegen ist - unstrittig.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

Im gegenständlichen Fall ist strittig, ob die über FinanzOnline vom eingebrachte Eingabe wie in ihrer Bezeichnung als Beschwerde gemäß § 243 BAO oder als Antrag auf Arbeitnehmerveranlagung zu qualifizieren ist.

Für die Beurteilung von Anbringen kommt es nicht auf die Bezeichnung von Schriftsätzen und die zufälligen verbalen Formen an, sondern auf den Inhalt, das erkennbare und zu erschließende Ziel des Parteischrittes (vgl. ; sowie vom , Ra 2020/13/0099).

Ebenso wenig wie es auf die Bezeichnung von Schriftsätzen ankommt, kann für die Beurteilung auch nicht (ausschließlich) maßgeblich sein, wie das Anbringen elektronisch von FinanzOnline erfasst wird. Denn auch die elektronische Erfassung geht darauf zurück, welche Bezeichnung der Einbringer seinem Anbringen zugewiesen hat.

Erkennbares Ziel der gegenständlichen Eingabe war es, dass weitere Werbungskosten Berücksichtigung finden sollten.

Wird gemäß § 41 Abs. 2 lit. c EStG 1988 nach erfolgter antragsloser Veranlagung innerhalb von fünf Jahren ab dem Ende des Veranlagungszeitraums eine Abgabenerklärung abgegeben, so hat das Finanzamt darüber zu entscheiden und gleichzeitig den im Zuge der antragslosen Veranlagung ergangenen Bescheid aufzuheben.

Dem Steuerpflichtigem steht daher für die Abänderung von im Zuge der antragslosen Veranlagung ergangenen Bescheiden - neben der Bescheidbeschwerde gemäß § 243 BAO und Abänderungsmöglichkeiten gemäß §§ 293ff BAO - zusätzlich die Möglichkeit des Antrags auf nochmalige Veranlagung mittels Abgabe einer Abgabenerklärung gemäß § 41 Abs. 2 lit. c EStG 1988 offen.

Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt (vgl. unter anderem ). Stehen dem Steuerpflichtigen daher - wie im gegenständlichen Fall - mehrere verfahrensrechtliche Maßnahmen zur Bekämpfung bzw. Abänderung eines Bescheides und zur Durchsetzung seines Rechtsstandpunkts zur Verfügung, ist davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige nicht eine Maßnahme wählt, die infolge Fristversäumnis schon von vornhinein zum Scheitern verurteilt ist, sondern einen Antrag stellen möchte, der einer inhaltlichen Erledigung zugänglich ist (vgl. ).

Im gegenständlichen Fall führte der Bf. in der Begründung seiner Eingabe vom über FinanzOnline aus, dass die bisher unberücksichtigten Kosten mit der Erklärung am für das Steuerjahr 2017 aufgenommen wurden.

Aus dieser Formulierung ergibt sich eindeutig, dass der Bf. einen Antrag auf Arbeitnehmerveranlagung (Erklärung) einbringen wollte. Auch unterscheiden sich die Angaben der "Beschwerde" nicht von Angaben in einem Antrag auf Arbeitnehmerveranlagung.

Im Vorlageantrag führte der Bf. aus, dass er versucht habe, seine Arbeitnehmerveranlagung via FinanzOnline einzubringen. Leider habe sich in der Zwischenzeit Einiges in den Bedienungsmasken verändert, und somit habe er offenbar die falsche Checkbox angekreuzt, weshalb sein Antrag auf Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2017 mit Bescheid vom zurückgewiesen worden sei.
Auch aus diesem Vorbringen ergibt sich, dass der Bf. keine Beschwerde, sondern einen Antrag auf Arbeitnehmerveranlagung einbringen wollte.

Es wurde daher mit Eingabe vom ein Antrag auf Arbeitnehmerveranlagung und keine Beschwerde eingebracht.

Gemäß § 262 Abs. 1 BAO ist über Bescheidbeschwerden nach Durchführung der etwa noch erforderlichen Ermittlungen von der Abgabenbehörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, mit als Beschwerdevorentscheidung zu bezeichnendem Bescheid abzusprechen.

Gegen eine Beschwerdevorentscheidung kann nach § 264 Abs. 1 BAO innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe (§97) der Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Verwaltungsgericht gestellt werden (Vorlageantrag). Der Vorlageantrag hat die Bezeichnung der Beschwerdevorentscheidung zu enthalten.

Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht nach § 279 Abs. 1 BAO immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

Eine ersatzlose (meritorische) Aufhebung hat zu erfolgen, wenn der angefochtene Bescheid von einer hiefür nicht zuständigen Behörde erlassen wurde. Eine ersatzlose (meritorische) Aufhebung im Sinne des § 279 Abs. 1 BAO darf dann erfolgen, wenn in dieser Sache keine weitere Entscheidung in Betracht kommt (, , Ritz/Koran, BAO7, § 279, Rz 5).

Die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung, obwohl keine Beschwerde vorlag, bewirkt eine Rechtswidrigkeit dieses Bescheides infolge Unzuständigkeit des Finanzamtes ().

Ein Vorlageantrag setzt zwingend eine im Rechtsbestand befindliche Beschwerdevorentscheidung voraus ()

Im gegenständlichen Fall wurde ein Antrag auf Arbeitnehmerveranlagung gemäß § 41 Abs. 2 lit. c EStG 1988 und keine Beschwerde eingebracht.

Mangels Beschwerde war die Erlassung der (zurückweisenden) Beschwerdevorentscheidung rechtswidrig.

Der Vorlageantrag vom ist grundsätzlich zulässig, da eine zwar rechtswidrige, aber im Rechtsbestand befindliche Beschwerdevorentscheidung vorliegt.

Wurde trotz fehlender Beschwerde eine Beschwerdevorentscheidung erlassen und der Fall dem Verwaltungsgericht vorgelegt, so hat das Verwaltungsgericht die Beschwerdevorentscheidung (ersatzlos) aufzuheben (zB )

Die Beschwerdevorentscheidung vom ist daher gemäß § 279 Abs. 1 BAO durch das Bundesfinanzgericht zur Herbeiführung eines rechtsrichtigen Verfahrensstandes ersatzlos aufzuheben.

Es wird angemerkt, dass der Antrag auf Arbeitnehmerveranlagung unerledigt ist.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Erkenntnis folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die Frage, ob eine Beschwerde oder ein Antrag auf Arbeitnehmerveranlagung eingebracht wurde, stellt eine Tatfrage dar, welche einer Revision nicht zugänglich ist. Die Revision ist daher nicht zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 243 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 41 Abs. 2 lit. c EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 279 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise

ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7102604.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at