Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 23.08.2023, RV/6100182/2020

1) Schätzung auf Basis einer Hausdurchsuchung beim Getränkelieferanten 2) Absolute Verjährung Umsatzsteuer 3) Hinterziehungsverjährung und Vorfragenbeurteilung

Beachte

Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2023/15/0103.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Senatsvorsitzende Dr. Maria Luise Wohlmayr, den Richter Mag. Erich Schwaiger sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Gottfried Warter MBA und Mag. Peter Lederer in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1Adr***, vertreten durch Moore Salzburg GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, Innsbrucker Bundesstraße 126, 5020 Salzburg, über die Beschwerde vom (eingelangt per Post am ) gegen die Bescheide des Finanzamtes Salzburg-Stadt (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend die Wiederaufnahme der Umsatz- und Einkommensteuerverfahren 2009 sowie betreffend die Festsetzung der Einkommensteuer 2009 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Anwesenheit der Schriftführerin Helene Premm zu Recht erkannt:

I)
Der Bescheid über die Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens 2009 wird aufgehoben.

II)
Die Beschwerde gegen den Bescheid über die Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2009 wird als unbegründet abgewiesen.

III)
Der Bescheid über die Festsetzung der Einkommensteuer 2009 wird abgeändert.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der Einkommensteuer sind dem als Anlage F angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil dieses Spruches.

IV)
Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der Spruchteile I) bis III) ist
gem. Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Diese Entscheidung behandelt ausschließlich die oben genannte Beschwerde vom gegen die Bescheide vom betreffend die Wiederaufnahme der Umsatz- und Einkommensteuerverfahren 2009 sowie betreffend die Festsetzung der Einkommensteuer 2009.

Über diese Beschwerde wird hinsichtlich der Festsetzung der Umsatzsteuer 2009 mit dem Beschluss vom heutigen Tag zu RV/6100186/2020 abgesprochen.

I. Verfahrensgang

Die Beschwerde fällt in die Zuständigkeit der Fachgebiete FE 6 und FU 5 und damit in die Zuteilungsgruppe 7001. Aufgrund des Antrages auf Senatsentscheidung wurde sie auf Basis der gültigen Geschäftsverteilung der Gerichtsabteilung 7013-1 zur Entscheidung zugewiesen.

Gem. § 323b Abs. 1 BAO trat das Finanzamt Österreich für seinen Zuständigkeitsbereich am an die Stelle des am zuständig gewesenen Finanzamtes.

  1. 2009

Die hier bekämpften Bescheide für 2009 ergingen mit (Zustellung mit RSb am ) im Zuge bzw. nach Durchführung einer Außenprüfung gem. § 99 FinStrG (Schlussbesprechung ) für die Jahre 2009 bis 2019. Im Zuge dieser Außenprüfung erfolgte am eine Akteneinsicht.

Dagegen erhob die steuerliche vertretene Beschwerdeführerin (kurz Bf.) mit Schriftsatz vom (Postaufgabe ) Beschwerde, beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Senat und eine Beschwerdevorentscheidung zu unterlassen sowie die Beschwerde unmittelbar dem Verwaltungsgericht vorzulegen.
Dem kam das Finanzamt (kurz FA) mit nach.

  1. 2010 bis 2012

Mit ergingen Bescheide, mit denen die Umsatz- und Einkommensteuerverfahren 2010 bis 2012 wiederaufgenommen und in der Folge diese Abgaben neu festgesetzt wurden.

Diese Bescheide wurden von der steuerlich vertretenen Beschwerdeführerin (kurz Bf.) mit bekämpft. Auch für diese Jahre wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Senat und die Unterlassung einer Beschwerdevorentscheidung beantragt. Dem kam das Finanzamt (kurz FA) mit nach.

Schon am informierte das FA das Bundesfinanzgericht davon, dass gegen die Bf. ein Finanzstrafverfahren eingeleitet worden und bereits eine mündliche Verhandlung geplant sei. Am wurde vom FA das Protokoll über die fortgesetzte Hauptverhandlung vom im Strafverfahren vor dem Landesgericht Salzburg gegen den Getränkelieferanten (***Lieferant M*** bzw. ***Lieferant M***) übermittelt. Daraus geht hervor, dass die Zeugin ***Zeugin S*** vernommen wurde (siehe unten) und die Hauptverhandlung am fortgesetzt werden sollte.

Am teilte das FA über Nachfrage mit, dass das Finanzstrafverfahren gegen die Bf. eingestellt worden sei, was vom Amt für Betrugsbekämpfung (ABB) mit Beschwerde bekämpft worden sei (Erkenntnis siehe unten). Mit Mail vom übermittelte das FA über Anforderung auch die entsprechenden Verhandlungsprotokolle vom 17. März und und mit Mail vom die steuerliche Vertreterin der Bf. zusätzlich ihre Stellungnahme im Strafverfahren, die sie schon mit 10. März bzw. abgegeben hatte.

Mit mehreren Mails vom übermittelte das FA über telefonische Aufforderung durch das FA zwei Excel-Dateien mit dem Datenbestand der Lieferantin von 2009 bis 2011 (ohne Zeitstempel) und von 2012 bis 2015 (mit Zeitstempel) in gezippter Form (8 Dateien).

Am informierte die Bf. das Bundesfinanzgericht davon, dass das ABB die Beschwerde zurückgezogen hat und die Einstellung des Finanzstrafverfahrens damit in Rechtskraft erwachsen war.
Am nahm das FA dazu Stellung und beharrte auf der abgabenrechtlichen Vorschreibung der strittigen Beträge sowie darauf, dass diese als hinterzogen zu beurteilen und damit nicht verjährt sind. Es begründete dies im Kern mit dem dabei anzuwendenden, sich vom Finanzstrafverfahren unterscheidenden, Beweismaßstab. Das Bundesfinanzgericht übermittelte diese Stellungnahme am an die Bf.

Mit Mail vom bestätigte das FA noch einmal, dass für die Jahre 2009 bis 2011 keine Buchhaltungsbelege vorgelegt wurden. Für diese Jahre fehlen auch die Einnahmen-Ausgaben-Rechnungen. Vorhanden sind allerdings Kontendaten. Für die Jahre 2012 bis 2018 legte das FA Kopien von Einnahmen-Ausgaben-Rechnungen vor. Im Anschluss an 2018 finden sich dabei von der steuerlichen Vertreterin erstellte Verprobungen der Rohaufschläge.

Nach mehreren telefonischen Kontakten lud das Bundesfinanzgericht zu einem Erörterungsgespräch für und übermittelte der Bf. die vom FA erstellten und schon am vorgelegten detaillierteren Aufstellungen. Dieses Gespräch blieb ohne weiteres Ergebnis und ohne Annäherung der Verfahrensparteien. Die Bf. kündigte eine Zusammenfassung und Ergänzung ihrer Einwendungen an.

Mit Mail vom nahm die steuerliche Vertreterin der Bf. ergänzend zur Problematik "Rohaufschlagskoeffizient Fassbier" Stellung (Weiterleitung an das FA durch das Bundesfinanzgericht am ) und erstattete in der Folge eine 17-seitige Ergänzung der Beschwerden, in der auch die bereits im Finanzstrafverfahren vorgetragenen Einwendungen enthalten sind (Schriftsatz vom ; Weiterleitung an das FA mit Mail vom ). Zum konkreten Inhalt dieser Schriftsätze wird auf die Darstellung unter dem Punkt Sachverhalt verwiesen.

Nachdem das Bundesfinanzgericht die mündliche Verhandlung am für avisiert und eine Einsichtnahme in die digitalisierten, anonymisierten Listen des Getränkelieferanten in Aussicht gestellt hatte, nahm die Bf. dieses Angebot zur Akteneinsicht am in Anspruch. Der Bf. wurde Einsicht in die folgenden Dateien gewährt und ihr die verlangten Seiten ausgedruckt übergeben:

Im Anschluss daran erstattete die Bf. eine weitere, mit datierte "Stellungnahme und vorbereitende Eingabe zur mündlichen Verhandlung" (Mail vom und körperliches Schreiben) sowie eine mit datierte "Einlassung zur Frage der Verjährung" (Mail vom zuzüglich körperlicher Schriftsatz). Zum Inhalt darf auf den Sachverhalt verwiesen werden.

Am fand über Antrag der Bf. die mündliche Verhandlung vor dem Senat statt. Der Berichterstatter überreichte adaptierte Ausdrucke des Betriebsprüfungsberichtes mit den vom Finanzamt beanstandeten Vorgängen sowie Anmerkungen und trug den Sachverhalt unter Zuhilfenahme einer Powerpoint-Präsentation vor, die den Parteien und Senatsmitgliedern in gedruckter Form zur Verfügung gestellt wird.

Inhaltlich wird auf den nachstehend dargestellten Sachverhalt verwiesen.

Die mündliche Verhandlung endete mit der Verkündung des Beschlusses, dass die Entscheidung der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten bleibt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Der erkennende Senat war parallel zu diesem Verfahren auch für die oben bereits erwähnte Beschwerde derselben Beschwerdeführerin vom (eingebracht per Fax am ) gegen die Bescheide des Finanzamtes Salzburg-Stadt (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend die Wiederaufnahme der Umsatz- und Einkommensteuerverfahren 2010 bis 2012 sowie betreffend die Umsatz- und Einkommensteuer 2010 bis 2012 zuständig. Die mündliche Verhandlung über beide Beschwerden fand gemeinsam am statt.

Zur Vermeidung von Redundanzen werden der Sachverhalt, die Rechtsgrundlagen und die rechtliche Würdigung sowohl für das hier strittige Jahr 2009 wie auch für die drei Folgejahre in der dortigen Entscheidung umfassend dargestellt.

Aus diesem Grund wird hier auf die Begründung des Erkenntnisses mit der Geschäftszahl RV/6100268/2020 vom heutigen Tag verwiesen. Sie bildet einen integrierten Bestandteil dieses Erkenntnisses.

Die Details zur Schätzung 2009 sind den beiliegenden Anlagen A1 (Excel-Aufstellung), A2 (adaptierte Tz 4 des Außenprüfungsberichts) und E (Schätzung Übersicht) zu entnehmen.

Zur Unzulässigkeit der Revision

Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen (§ 25a Abs. 1 VwGG).

Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist eine Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art. 133 Abs. 4 B-VG).

Dies trifft nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu, wenn die in Betracht kommenden Normen klar und eindeutig sind (vgl. mit vielen weiteren Nachweisen). Eine im Einzelfall vorgenommene, nicht als grob fehlerhaft erkennbare Beweiswürdigung wirft im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf (vgl. mit weiteren Nachweisen).

Soweit Rechtsfragen für die hier zu klärenden Fragen entscheidungserheblich sind, sind sie durch höchstgerichtliche Rechtsprechung ausreichend geklärt (siehe oben), nicht von grundsätzlicher Bedeutung oder die anzuwendenden Normen sind klar und eindeutig.

Damit liegt hier kein Grund vor, eine Revision zuzulassen.

Beilagen:

1. Anlage A1 (Excel-Aufstellung)

2. Anlage A2 (adaptierte Tz 4 des Außenprüfungsberichts)

3. Anlage E (Schätzung Übersicht)

4. Anlage F (geänderte Steuerbescheide)

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 33 FinStrG, Finanzstrafgesetz, BGBl. Nr. 129/1958
§ 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 209 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 19 Abs. 2 Z 1 lit. a UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 184 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.6100182.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at