1) Rechtswidrigkeit der Zurückweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens infolge noch nicht eingetretener Verjährung 2) Nichtvorliegen der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens auf Antrag
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Peter Steurer in der Beschwerdesache der ***Bf***, ***Bf-Adr***, vertreten durch die ***E*** Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungs GmbH, gegen die Bescheide des Finanzamtes Bregenz (nunmehr: Finanzamt Österreich) vom betreffend Zurückweisung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2011 sowie Abweisung der Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2012 und 2014, ***Bf-StNr***, zu Recht erkannt:
1. Der Beschwerde gegen den Bescheid betreffend die Zurückweisung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2011 wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
2. Die Beschwerden gegen die Bescheide betreffend Abweisung der Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2012 und 2014 werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Die angefochtenen Bescheide bleiben unverändert.
3. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. In den an den im Jahr 2015 verstorbenen ***A.B.*** ergangenen Bescheiden vom betreffend Einkommensteuer 2011 (Beschwerdevorentscheidung) und 2012 sowie dem an die Verlassenschaft nach ***A.B.*** ergangenen Einkommensteuerbescheid 2014 vom brachte das Finanzamt ua. aus einem der ***K*** GmbH & Co KG eingeräumten Recht auf Kies- und Gesteinsabbau resultierende Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Ansatz, wobei die Absetzung für Substanzverringerung auf Grundlage der in der hinsichtlich Einkommensteuer 2011 ergangenen Beschwerdevorentscheidung ausführlich dargelegten Berechnungsweise ermittelt wurde.
2. Mit Schriftsätzen vom beantragte die steuerliche Vertretung die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2011, 2012 und 2014. Begründend wurde vorgebracht, das Bundesfinanzgericht habe im Einkommensteuer für die Jahre 2004 bis 2010 betreffenden Erkenntnis vom , RV/1100416/2015, festgestellt, dass der als Bemessungsgrundlage für die Ermittlung der Absetzung für Substanzverringerung heranzuziehende Barwert aller eingeräumten Rechte (Abbaurecht, Deponierecht, sonstige Rechte) 567.887,00 € betrage und auf das Kiesabbaurecht ein Anteil von 318.017,00 € entfalle. Die gesamte zum Zeitpunkt der Entdeckung des Bodenschatzes bekannte Abbaumenge sei mit 215.000,00 m³ ermittelt worden. In den Jahren 2011, 2012 und 2014 seien 11.781 m³ (2011), 33.313,00 m³ (2012) und 11.375,00 m³ (2014) abgebaut worden. Die Absetzung für Substanzverringerung betrage daher 17.426,22 € (2011), 49.274,15 € (2012) und 16.825,32 € (2014). Diese neuen Tatsachen seien erst im Rahmen des beim Bundesfinanzgericht durchgeführten Verfahrens, welches mit Erkenntnis vom abgeschlossen worden sei, neu hervorgekommen.
3. Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2011 mit der Begründung, er sei beim Finanzamt Bregenz am und somit nach Einritt der Bemessungsverjährung eingebracht worden, zurück.
Die Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2012 und 2014 wurden mit Bescheiden vom als unbegründet abgewiesen. Das Wissen über (selbst) verwirklichte Sachverhalte sei beim Abgabepflichtigen in der Regel anzunehmen und die tatbestandsmäßige Voraussetzung der fehlenden Kenntnis der Wiederaufnahmegründe beim Antragsteller daher nicht gegeben. Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen stellten, gleichgültig, ob die späteren rechtlichen Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen würden, ebenso wie Erkenntnisse des Bundesfinanzgerichts oder des Verwaltungsgerichtshofes keine zur Wiederaufnahme führenden neu hervorgekommenen Tatsachen dar.
4. Gegen die genannten Bescheide erhob die steuerliche Vertretung jeweils Beschwerde. Hinsichtlich der Zurückweisung des Wiederaufnahmeantrages betreffend Einkommensteuer 2011 wurde eingewendet, die Verjährung sei aufgrund von Unterbrechungshandlungen gemäß § 209 Abs. 1 BAO erst mit Ablauf des eingetreten. Bezüglich der Abweisung der Wiederaufnahmeanträge hinsichtlich Einkommensteuer 2012 und 2014 wurde vorgebracht, das Wissen über den tatsächlichen zeitlichen Ablauf des Kiesabbaus sei erst nach jahrelangen Recherchen der beteiligten Behörden im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht hervorgekommen.
5. Mit Beschwerdevorentscheidungen wies das Finanzamt die Beschwerden als unbegründet ab. Hinsichtlich der Abweisung der Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid wurde zusammengefasst ausgeführt, die Verjährungsfrist für die Einkommensteuer betrage grundsätzlich fünf Jahre, sei im Beschwerdefall aber nach § 209 Abs. 1 erster Satz BAO um ein Jahr verlängert worden und habe daher mit Ablauf des Jahres 2017 geendet. Im Verlängerungsjahr (2017) sei von der Abgabenbehörde keine gemäß § 209 Abs. 1 zweiter Satz BAO für eine Verlängerung der Verjährungsfrist um ein weiteres Jahr erforderliche Amtshandlung gesetzt worden. Auch in der Beschwerde sei eine solche im Jahr 2017 erfolgte Amtshandlung nicht konkret genannt worden. Verwaltungsgerichte seien keine Abgabenbehörden und stellten von diesen vorgenommene Ermittlungshandlungen daher keine Verlängerungshandlungen dar. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens sei am und somit erst nach Eintritt der Verjährung eingebracht worden.
Bezüglich der Abweisung der Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2012 und 2014 wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Neuhervorkommen von Tatsachen bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen sei (Hinweis ua. auf ). Da das Wissen des Abgabepflichtigen über von ihm (selbst) verwirklichte Sachverhalte in der Regel angenommen werden könne, liege die tatbestandsmäßige Voraussetzung der fehlenden Kenntnis bezüglich der Wiederaufnahmegründe - außer bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände - nicht vor. Dem Einwand, dass das Wissen über den tatsächlichen zeitlichen Ablauf des Rohstoffabbaus erst nach jahrelangen Recherchen der beteiligten Behörden im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht neu hervorgekommen sei, könne nicht gefolgt werden. Ob in einem Kalenderjahr Kies abgebaut worden sei oder nicht, habe ***A.B.*** schon deshalb bekannt gewesen sein müssen, weil er an das Abbaugebiet angrenzend gewohnt habe. Dies stelle somit keine neu hervorgekommene Tatsache dar. Tatsachen im Sinne des § 303 BAO seien ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände. Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente seien - auch wenn diese durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder der Rechtsprechung gewonnen würden - keine derartigen Tatsachen. Wenn das Bundesfinanzgericht zur Erkenntnis gekommen sei, dass die Absetzung für Substanzverringerung bisher nicht richtig berechnet worden sei (nämlich pauschal und losgelöst von der jährlichen Abbaumenge) und die Berechnungsmethode korrigiere, stelle dies keine neue Tatsache, sondern eine (neue) rechtliche Beurteilung dar. Wie aus dem Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/1100416/2015, hervorgehe, habe die steuerliche Vertretung dem Bundesfinanzgericht mit E-Mail vom eine Aufstellung über die abgebauten Materialien übermittelt, welche der Berechnung der Absetzung für Substanzverringerung zugrundegelegt worden sei. Auf diese im Rahmen des Beschwerdeverfahrens bekannt gegebenen Abbaumengen werde nun in den Anträgen auf Wiederaufnahme indirekt verwiesen. Die angeblich neu hervorgekommene Tatsache der exakten Abbaumenge des Jahres 2012 sei somit nachweislich bereits am bekannt gewesen. Der Einkommensteuerbescheid 2012 sei am erlassen worden. Wenn nun aber die tatsächliche Abbaumenge bereits vor Bescheiderlassung bekannt gewesen sei, fehle es an dem für die Wiederaufnahme erforderlichen Neuhervorkommen einer Tatsache. Zudem sei aus der am übermittelten Aufstellung und den den Wiederaufnahmeanträgen beigefügten Aufstellungen (welche auch die Abbaumengen der Jahre 2013 bis 2016 enthielten) ersichtlich, dass die jährlich abgebaute Menge spätestens nach Ablauf des jeweiligen Jahres bekannt gewesen sei. Da die steuerliche Vertretung auch die ***K*** GmbH & Co KG (Abbaugesellschaft) steuerlich vertrete, seien dieser die jeweiligen Abbaumengen jedenfalls bekannt gewesen. Die Abbaumenge sei für die Abbaugesellschaft schon deshalb von Bedeutung, weil diese für die AfA-Ermittlung des Abbaurechts erforderlich sei (Hinweis auf die Ergänzung vom zu den Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide 2004 bis 2010). Dass die Abbaumenge des Jahres 2014 bis zur Bescheiderstellung am nicht bekannt gewesen sei, könne daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Diese Schlussfolgerung werde auch durch den Umstand gestützt, dass ein Ergänzungsersuchen des Finanzamtes vom betreffend die Bekanntgabe der im Jahr 2013 abgebauten Menge von der steuerlichen Vertretung zeitnah beantwortet worden sei. Die Kenntnis des Vertreters über einen Wiederaufnahmegrund sei auch der vertretenen Partei zuzurechnen (Hinweis auf ). Da die im Jahr 2012 abgebaute Menge erwiesenermaßen und jene des Jahres 2014 logischen Überlegungen bzw. den vorliegenden Indizien folgend, jeweils vor Bescheiderstellung bekannt gewesen seien, fehle es in beiden Jahren am notwendigen Neuerungstatbestand.
6. Mit Anbringen vom beantragte die steuerliche Vertretung die Entscheidung über die Beschwerden gegen den Zurückweisungsbescheid hinsichtlich des Antrages auf Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2011 sowie die Bescheide betreffend die Abweisung der Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2012 und 2014 durch das Bundesfinanzgericht.
7. Mit Schreiben vom zog die steuerliche Vertretung die Anträge auf Entscheidung durch den Senat und auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück.
II. Sachverhalt
Mit "Abbau- und Bestandsvertrag" vom räumte der Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin, der im Jahr 2015 verstorbene ***A.B.***, der ***K*** GmbH & Co KG das Recht zum Kies- und Gesteinsabbau sowie ein Deponierecht und weitere im Einzelnen genannte Rechte auf näher bestimmten Grundstücken ein. Das Abbauunternehmen verpflichtete sich im Gegenzug zur ratenweisen Bezahlung einer pauschalen - vom tatsächlich erfolgten Abbau unabhängigen - Pacht in Höhe von insgesamt 785.600,00 €.
Im Rahmen des hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2006 bis 2010 beim Bundesfinanzgericht anhängigen Beschwerdeverfahrens (strittig war, ob bei der Ermittlung der aus dem Abbau resultierenden Einkünfte der Vorgehensweise des Finanzamtes folgend pauschale Werbungskosten in Höhe von 40% der Einnahmen zu berücksichtigen sind, oder ob der Auffassung der steuerlichen Vertretung entsprechend, die in Abzug zu bringende Absetzung für Substanzverringerung mit 80% der jährlich erzielten Einnahmen zu bemessen ist), führte die zuständige Richterin ein umfangreiches Ermittlungsverfahren durch, im Zuge dessen ua. die den jeweiligen Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft und des Amtes der Vorarlberger Landesregierung zugrundeliegenden Plan- und Beschreibungsunterlagen des Abbau- und Deponiegebietes übermittelt wurden und von der steuerlichen Vertretung am ua. eine Aufstellung über die (jährlich) insgesamt abgebauten Materialien vorgelegt wurde.
Nach Erörterung der Ermittlungsergebnisse zog die steuerliche Vertretung die Beschwerden bzw. Vorlageanträge betreffend Einkommensteuer 2006 bis 2010 mit Anbringen vom zurück, woraufhin das Bundesfinanzgericht die Vorlageanträge betreffend Einkommensteuer 2006 bis 2008 sowie die Beschwerden betreffend Einkommensteuer 2009 und 2010 mit Beschluss vom als gegenstandslos erklärte.
Unter Bezugnahme auf die Ergebnisse der vom Bundesfinanzgericht durchgeführten Ermittlungen nahm das Finanzamt die Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2004 bis 2010 mit Bescheiden vom wieder auf und brachte in den gleichzeitig ergangenen neuen Einkommensteuerbescheiden nur mehr die unter Zugrundelegung der fiktiven Anschaffungskosten sowie der tatsächlichen jährlichen Abbaumenge ermittelte Absetzung für Substanzverringerung in Abzug.
Gegen die Wiederaufnahmebescheide und die geänderten Einkommensteuerbescheide erhob die steuerliche Vertretung wiederum Beschwerde und beantragte nach Ergehen abweisender Beschwerdevorentscheidungen die Entscheidung über die Beschwerden durch das Bundesfinanzgericht.
Mit Erkenntnis vom , RV/1100416/2015, hob das Bundesfinanzgericht die Wiederaufnahmebescheide hinsichtlich Einkommensteuer 2004 bis 2007 aufgrund insoweit bereits eingetretener Verjährung auf und erklärte die Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide 2004 bis 2007 als gegenstandslos. Die Beschwerden gegen die Bescheide betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2008 bis 2010 wurden als unbegründet abgewiesen und die Einkommensteuerbescheide 2008 bis 2010 abgeändert. Dabei wurden unter Berücksichtigung der nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts heranzuziehenden Ansätze (Anteil für Fahrrechte sowie sonstige Rechte 20%; Aufteilung des auf den Materialabbau bzw. die Deponierung entfallenden Anteils im Verhältnis 70:30) die fiktiven Anschaffungskosten des ***A.B.*** zuzurechnenden Kies- und Schottervorkommens nach der Berechnungsweise des Finanzamtes mit 318.017,00 € errechnet. Davon ausgehend wurde unter Zugrundelegung der von der steuerlichen Vertretung bekannt gegebenen gesamten Abbaumenge der ***A.B.*** zuzurechnende Anteil ermittelt und solcherart die Absetzung für Substanzverringerung berechnet (im Einzelnen wird an dieser Stelle auf die umfassenden Ausführungen im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/1100416/2015, verwiesen).
In den Anträgen auf Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer der Jahre 2011, 2012 und 2014 wurde nunmehr beantragt, die Absetzung für Substanzverringerung ebenfalls mit den sich unter Zugrundelegung der vom Bundesfinanzgericht im Erkenntnis vom , RV/1100416/2015, ermittelten Bemessungsgrundlagen ergebenden Beträgen zu berücksichtigen.
III. Rechtliche Beurteilung
1. Zurückweisung der Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid
Gemäß § 304 BAO idF BGBl. I Nr. 62/2018 ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach Eintritt der Verjährung nur zulässig, wenn sie vor Eintritt der Verjährungsfrist beantragt wird (lit. a), oder innerhalb von drei Jahren ab Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides beantragt oder durchgeführt wird (lit. b).
Gemäß § 207 Abs. 1 BAO unterliegt das Recht, eine Abgabe festzusetzen, der Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 207 Abs. 2 BAO - von im Beschwerdefall nicht vorliegenden Fällen abgesehen - fünf Jahre.
Die Verjährung beginnt gemäß § 208 Abs. 1 lit. a BAO mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist. In den Fällen des § 200 BAO beginnt sie gemäß § 208 Abs. 1 lit. d BAO jedoch mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Ungewissheit beseitigt wurde.
Nach § 200 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde die Abgaben vorläufig festsetzen, wenn nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens die Abgabepflicht zwar noch ungewiss, aber wahrscheinlich oder wenn der Umfang der Abgabepflicht noch ungewiss ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein endgültiger Bescheid nach § 200 Abs. 2 BAO auch dann ergehen, wenn die Erlassung des (rechtskräftigen) vorläufigen Bescheides erfolgt ist, obwohl eine Ungewissheit nicht bestanden hat (vgl. , und , mwN).
Wird eine Abgabe gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig festgesetzt und erwächst ein derartiger Bescheid in Rechtskraft, ist in der Folge auch für die Frage, mit welchem Zeitpunkt die Verjährung beginnt, von der Ungewissheit im Sinne des § 200 Abs. 1 BAO bei Bescheiderlassung auszugehen. Dies hat zur Folge, dass der Verjährungsbeginn nach der Regelung des § 208 Abs. 1 lit. d BAO bestimmt wird und keinesfalls vor dem Zeitpunkt der Erlassung des vorläufigen Abgabenbescheides liegen kann (vgl. , mwN, und , mwN).
Im Beschwerdefall wurde die Einkommensteuer 2011 mit Bescheid vom vorläufig festgesetzt, wobei hinsichtlich der Abweichungen von der Steuererklärung auf die Begründung des Vorjahresbescheides bzw. der Berufungsvorentscheidung verwiesen wurde. Die Vorläufigkeit der Abgabenfestsetzung wurde nicht begründet. Nachdem gegen den Einkommensteuerbescheid 2011 Beschwerde erhoben und die Berücksichtigung einer höheren Absetzung für Substanzverringerung beantragt worden war, änderte das Finanzamt den Bescheid mit Beschwerdevorentscheidung vom ab und setzte die Einkommensteuer endgültig fest.
Die Verjährungsfrist begann somit frühestens mit Ablauf des Jahres 2013 zu laufen und endete frühestens mit Ablauf des Jahres 2018. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2011 vom ist beim Finanzamt am und somit vor Eintritt der Verjährung eingegangen. Die Zurückweisung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens erweist sich daher als nicht rechtmäßig und war der angefochtene Bescheid sohin aufzuheben.
2. Abweisung der Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2012 und 2014
Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Nach § 303 Abs. 2 lit. b BAO hat der Wiederaufnahmsantrag die Bezeichnung der Umstände (Abs. 1) zu enthalten, auf die der Antrag gestützt wird.
Zweck der Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO ist die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen; gemeint sind also Tatsachen, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (vgl. , mwN, und , mwN).
Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften (vgl. ua. , mwN, und , mwN). Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente sind keine derartigen Tatsachen (vgl. , mwN, und , mwN). Auch eine unterschiedliche Beweiswürdigung durch eine Verwaltungsbehörde einerseits und durch ein Gericht andererseits stellt - selbst wenn aufgrund eines Gerichtsurteils eine andere als die bisher vorgenommene Tatsachenwürdigung eines gegebenen Sachverhaltes oder dessen rechtliche Beurteilung nachträglich unter Umständen zutreffender erscheint als die Würdigung, die im abgeschlossenen Verfahren vorgenommen wurde - keine neu hervorgekommene Tatsache oder ein neu hervorgekommenes Beweismittel in diesem Sinne dar (vgl. , mwN).
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist aus dem Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b iVm Abs. 2 lit. b BAO abzuleiten, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen ist (vgl. , mwN, , und , mwN). Die Kenntnis eines Vertreters (über einen Wiederaufnahmegrund) wird dabei nach der Rechtsprechung auch der vertretenen Partei zugerechnet (vgl. , und , mwN).
Im Beschwerdefall wurde der Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren im Wesentlichen damit begründet, dass die für die Ermittlung der Bemessungsgrundlagen für die Absetzung für Substanzverringerung maßgebenden Umstände (Barwert aller eingeräumten Rechte und des auf das Kiesabbaurecht entfallenden Anteils, gesamte Abbaumenge, tatsächlicher jährlicher Abbau) erst im Rahmen des beim Bundesfinanzgericht durchgeführten Verfahrens, welches mit Erkenntnis vom , RV/1100416/2015, abgeschlossen worden sei, neu hervorgekommen seien.
Dem ist entgegenzuhalten, dass bereits die mit den Bescheiden vom erfolgte Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2004 bis 2010 auf den Ergebnissen des vom Bundesfinanzgericht im Jahr 2014 durchgeführten Ermittlungsverfahrens und den dabei hervorgekommenen neuen Tatsachen beruhte und die in den Einkommensteuerbescheiden in Ansatz gebrachten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung unter Berücksichtigung der auf Grundlage dieser Ermittlungsergebnisse errechneten Absetzung für Substanzverringerung ermittelt wurden. Nach derselben Berechnungsweise wurde die Absetzung für Substanzverringerung in den Folgejahren ermittelt und somit auch in den (unbekämpft gebliebenen) Einkommensteuerbescheiden 2012 und 2014 vom bzw. vom berücksichtigt.
Die Ergebnisse der Ermittlungen des Bundesfinanzgerichts wurden der steuerlichen Vertretung im damaligen Verfahren vorgehalten und mit dieser erörtert (vgl. dazu die Darstellung des diesbezüglichen Verfahrensganges im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/1100416/2015), die jährlichen Abbaumengen der Jahre 2006 bis 2012 teilte die steuerliche Vertretung dem Bundesfinanzgericht mit E-Mail vom mit. Dem Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/1100416/2015, liegen ebenfalls die bereits im Jahr 2014 hinsichtlich des Abbaugebietes und der Abbaumengen hervorgekommenen Umstände und Tatsachen zugrunde. Aufgrund des grundstücksübergreifenden Abbaus auf dem im Eigentum von drei verschiedenen Grundstückseigentümern stehenden Abbaugebiet wurde der auf ***A.B.*** entfallende Anteil an den gesamten Abbaumengen abweichend von der nach dem Flächenverhältnis erfolgten Schätzung des Finanzamtes mit 63,64% (2004 und 2005) bzw. 81,25% (ab dem Jahr 2006) ermittelt. Der auf Fahrrechte und sonstige Rechte entfallende Anteil wurde ebenso wie vom Finanzamt mit 20% geschätzt. Den verbleibenden Teil des Pachtentgelts hat das Finanzamt zu 59% dem Abbaurecht und zu 41% dem Deponierecht zugerechnet. Das Bundesfinanzgericht ist unter Berücksichtigung der Preislisten sowie der Qualität des eingelagerten Materials im Schätzungswege von einem Verhältnis von 70% (Abbau) zu 30% (Deponie) ausgegangen. Die fiktiven Anschaffungskosten des Kies- und Schottervorkommens (262.884,00 €) hat das Finanzamt in Anlehnung an die Berechnungsweise der steuerlichen Vertretung mit dem Barwert der anteiligen Pachtzahlungen errechnet, wobei das Finanzamt als Zinssatz jeweils den jährlichen Mittelwert der Sekundärmarktrendite herangezogen und einen Gewinnaufschlag von zusätzlich 4% berücksichtigt hat. Das Bundesfinanzgericht hat für die Barwertermittlung hingegen den durchschnittlichen Zinssatz der letzten fünf Jahre vor dem Bewertungsstichtag (4,7%) herangezogen und einen Gewinnzuschlag von 50% berücksichtigt. Nach der Berechnung des Finanzamtes ergaben sich für das auf ***A.B.*** entfallende Kiesvorkommen somit fiktive Anschaffungskosten in Höhe von 262.884,00 €, nach der Berechnung des Bundesfinanzgerichts solche in Höhe von 318.017,00 €. Daraus ergibt sich aber, dass im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts keine neu hervorgekommenen Tatsachen berücksichtigt wurden, sondern lediglich die bereits bekannten, im Jahr 2014 hervorgekommenen und die Wiederaufnahme der Verfahren nach sich ziehenden Umstände (zum Teil im Schätzungswege) anders gewürdigt wurden. Damit kann die beantragte Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2012 und 2014 aber auch nicht auf im Zuge des mit Erkenntnis vom , RV/1100416/2015, abgeschlossenen Verfahrens vor dem Bundesfinanzgericht neu hervorgekommene Tatsachen, insbesondere auch nicht auf den erst in diesem Verfahren hervorgekommenen tatsächlichen zeitlichen Ablauf des Kiesabbaus gestützt werden. Dass der steuerlichen Vertretung die tatsächliche Abbaumenge des Jahres 2014 nicht bekannt gewesen wäre, wurde im Übrigen ungeachtet der diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung nicht konkret behauptet und auch nicht dargelegt, wann diese Tatsache hervorgekommen sein soll.
Mangels neu hervorgekommener Tatsachen hat das Finanzamt den Anträgen auf Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2012 und 2014 sohin zu Recht nicht entsprochen und waren die dagegen erhobenen Beschwerden daher als unbegründet abzuweisen.
IV. Revision
Gegen ein Erkenntnis (einen Beschluss) des Bundesfinanzgerichts ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die im Beschwerdefall strittigen Fragen, ob der Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2011 Verjährung entgegenstand und ob Tatsachen neu hergekommen sind, die eine antragsgemäße Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2012 und 2014 zu begründen vermögen, wurden auf Grundlage der im Erkenntnis angeführten höchstgerichtlichen Rechtsprechung sowie von nicht über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Sachverhaltsfeststellungen beurteilt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Artikel 133 Abs. 4 B-VG wird durch das vorliegende Erkenntnis somit nicht berührt. Eine (ordentliche) Revision ist daher nicht zulässig.
Feldkirch, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 303 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 304 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 208 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.1100121.2019 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at