Keine Nachsicht nach § 236 BAO wegen behaupteter langer Verfahrensdauer und Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben aufgrund Nichtbeachtung eines Erlasses des BMF
Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2023/13/0174.
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Senatsvorsitzende Dr. Anna Radschek, den Richter Mag.Dr. Wolfgang Pagitsch sowie die fachkundigen Laienrichter Manfred Fiala und DI Thomas Hrdinka in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Eckhardt Wirtschaftsprüfung und SteuerberatungsgmbH, Hauptstraße 58, 7033 Pöttsching, über dessen Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich (vormals Finanzamtes Bruck Eisenstadt Oberwart ) vom über die Abweisung einer Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten, Steuernummer ***BF1StNr1***, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Anwesenheit der Schriftführerin Nadine Bernold zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Mit Schreiben vom stellte der Beschwerdeführer den Antrag die noch offene Einkommensteuer 1995, 1996, 1997 und 1998 zuzüglich den noch offenen Stundungs- bzw. Aussetzungszinsen gem. § 236 BAO nachzusehen. Er bezog sich dabei im Wesentlichen auf das Erkenntnis des , welches, aufbauend auf das Urteil des EGMR vom , Nr. 907/13, eine Abgabennachsicht wegen überlanger Verfahrensdauer zugesprochen habe. Eine solche sei nach dessen Ansicht auch gegenständlich gegeben, da das Verfahren über 20 Jahre gedauert habe und daher ein Verstoß gegen den Art. 6 Abs. 1 und Art. 13 EMRK vorliege. Zudem sei dem Antrag auf Zeugeneinvernahme erst nach 10 Jahren entsprochen worden. Weiters käme aufgrund von Art. 47 der Charta für Steuerangelegen-heiten überdies die Haftung für Schäden aufgrund behördlicher Säumnis in Betracht, sofern die Steuervorschreibungen garantierte Rechte und Freiheiten in qualifizierter Weise verletzen, was gegenständlich der Fall sei. Darüber hinaus sei bei der letzten Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht festgestellt worden, dass das Jahr 1998 noch nicht rechtkräftig sei.
Mit Bescheid vom wies die belangte Behörde den Antrag ab und begründete dies zusammenfassend damit, dass im Festsetzungsverfahren aufgrund von Anträgen der Partei mehrere Rechtsgänge durchgeführt worden seien, wodurch sich die resultierende Verfahrensdauer ergebe. Eine von der Finanzbehörde anzulastende Verfahrensverzögerung sei nicht zu erblicken und weise der Zeitraum der Durchsetzung des Abgabenanspruches im Hinblick auf die von der Partei beantragten Verfahren, verglichen mit ähnlichen Fällen, keine Besonderheit im Sinne einer sachlichen Unbilligkeit auf. Zudem seien vom Beschwerdeführer keine persönlichen Unbilligkeitsgründe vorgebracht worden und sei daher die vom Beschwerdeführer herangezogene Entscheidung des VwGH mit dem gegenständlichen Fall nicht vergleichbar. Diese beziehe sich darauf, dass der Nachsichtswerber in eine wirtschaftliche Situation geraten sei, die zur persönlichen Unbilligkeit geführt und die lange Verfahrensdauer dazu beigetragen habe. Während in dieser Entscheidung durch die lange Verfahrensdauer die Partei nicht mehr in der Lage gewesen wäre, die Abgabenschuld zu begleichen, verfüge gegenständlich der Beschwerdeführer über eine weit über dem Existenzminimum gelegene Pension. Es liege somit keine Unbilligkeit vor.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer am fristgerecht Beschwerde und führte ergänzend aus, dass es nicht stimme, dass die Behörde das Verfahren in einer nicht unüblichen Zeitspanne durchgeführt habe. Vielmehr habe sie Mitschuld an der langen Verfahrensdauer, da bspw. ein Ergänzungsersuchen vom unberücksichtigt geblieben sei, sie hinsichtlich der Zeugeneinvernahmen 11 Jahre lang untätig geblieben sei und Unterlagen beim UFS verloren gegangen seien. Daher seien Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung verletzt worden und sei auch gegen das Effizienzgebot in Art. 51a Abs. 1 B-VG verstoßen worden. Dem Beschwerdeführer stehe daher aufgrund der EMRK im Wege der Amtshaftung ein Feststellungs- und Entschädigungsanspruch zu. Weiters habe die Abgabenbehörde ihre Ermittlungen zugunsten des Abgabepflichtigen nicht erfüllt, und unterscheide sich der gegenständliche Fall aufgrund der über 20 Jahre langen Verfahrensdauer sehr wohl vom Regelfall. Weiters sei auch deshalb ein Nachteil entstanden, weil der , 91.853-7a/64, AÖF 1964/2014, vom UFS und vom VwGH ignoriert worden sei. Dies deshalb, da der vom Finanzamt mit dem Eingangsstempel vom versehene Fristverlängerungsantrag betreffend Mängelbehebung als verspätet eingebracht gewertet worden sei. Wäre aber der Erlass angewendet worden, wäre den Berufungen schon im Jahr 2000 stattzugeben gewesen und hätte sich der Beschwerdeführer die Kosten des nachfolgenden 20 Jahre dauernden Verfahrens erspart. In diesem habe sich im Übrigen herausgestellt, dass die Berufungsentscheidung vom rechtswidrig gewesen sei. Deshalb werde beantragt, den bekämpften Bescheid aufzuheben und auszusprechen, dass aufgrund des rechtswidrigen Verfahrens, sowohl eine persönliche als auch eine sachliche Unbilligkeit vorliege und auf Basis des Grundsatzes von Treu und Glauben ein massiver Vertrauensschaden entstanden sei. Zudem seien im bekämpften Bescheid über das offene Rechtsmittel für das Jahr 1998 keine Aussagen getroffen worden, und werde der Antrag gestellt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und eine Senatsentscheidung zu treffen.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab und führte in ihrer Begründung nach Darstellung der Abläufe der jeweiligen Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 1995 bis 1998 und nach Anführung der wesentlichen Judikatur zur Nachsicht aus, dass die belangte Behörde an der im Abweisungsbescheid vom getroffenen Rechtsmeinung festhalte. Ergänzend führte sie aus, dass der Unbilligkeitstatbestand des § 236 BAO nicht auf die Vorschreibung, sondern auf die Einhebung abstelle. Daher könne auf die Behauptung der Unbilligkeit im Sinne von inhaltlicher Unrichtigkeit eines Abgabenbescheides ein Nachsichtsansuchen nicht mit Erfolg gestützt werden, zumal ein Nachsichtsverfahren nicht dazu diene die Rechtmäßigkeit eines Abgabenbescheides nachträglich zu überprüfen, und gegenständlich der ordentliche Rechtsweg vollkommen ausgeschöpft worden sei. Zudem könne ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis nicht erblickt werden und könne der vorliegende Umstand, dass die Finanzbehörde eine fristenwahrende Ergänzung der Partei verneint habe, auch bei allen anderen Abgabenpflichtigen in der gleichen Lage eintreten. Weiters schütze der VwGH kein Vertrauen in die Richtigkeit von Erlässen des BMF, sondern nur von Auskünften im Einzelfall. Im gegenständlichen Fall sei aber keine Auskunft von der Abgabenbehörde erteilt worden und sei das Absprechen über die eingebrachten Wiederaufnahmeanträge, wenn auch erst im Zusatzverfahren betreffend die Zurückweisungsbescheide, als Auswirkung der allgemeinen Rechtslage zu qualifizieren. Hinsichtlich der langen Verfahrensdauer stimme es, dass der Behörde ein ernstliches und entsprechendes Bemühen auf Einhaltung einer angemessenen Entscheidungsfrist treffe, allerdings stehe der Partei auch das Rechtsinstrument des § 212a BAO zur Verfügung. Dadurch könne eine Zinsbelastung sowie ein atypischer Vermögenseingriff verhindert werden, und sei zu berücksichtigen, dass den durch die lange Dauer des Rechtsmittelverfahrens aufgelaufenen Nebenansprüchen ein eventueller Zinsengewinn durch den Zahlungsaufschub gegenüberstehe. Zudem habe der Beschwerdeführer eine persönliche Unbilligkeit nicht dargelegt.
Mit Schreiben vom beantragte der Beschwerdeführer die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht und verwies auf seine bisherigen Ausführungen. Am legte die belangte Behörde die Beschwerde samt relevanter Aktenteile mit dem Ersuchen diese abzuweisen dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.
Nach Aufforderung durch das Bundesfinanzgericht legten die Parteien noch ergänzende Unterlagen vor. Zudem wurde am am Abgabenkonto des Beschwerdeführers die aushaftende Abgabenschuld hinsichtlich der Einkommensteuer 1998 iHv € 24.592,49 zur Gänze gutgeschrieben.
In der mündlichen Verhandlung am legte der Beschwerdeführer zunächst seine aktuelle wirtschaftliche Situation dar. Hinsichtlich der Einkommensteuer 1998 gaben die Parteien übereinstimmend an, dass zwar eine Gutschrift iHv € 24.592,49 verbucht wurde, ein Bescheid aber noch nicht ergangen sei. Die belangte Behörde sicherte dahingehend eine Erledigung zu, ebenso werde sie die damit in Zusammenhang stehenden Aussetzungszinsen anpassen. Der Beschwerdeführer verwies auf sein bisheriges Vorbringen und ergänzte, dass in gegenständlicher Sache sechs verschiedene Behörden aus vier Bundesländern befasst gewesen seien, und dies eine Verletzung des Effizienzgebotes und des Grundsatzes der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit darstelle. Die Vertreterin der belangten Behörde erwiderte, dass dies auch darauf zurückzuführen sei, dass sich der Unternehmensgegenstand in einem anderen Finanzamtsbereich als jener des Wohnsitzes des Beschwerdeführers befunden habe.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen
Festgestellter Sachverhalt
Der Beschwerdeführer betrieb in den Jahren 1995 bis 1997 als Mitgesellschafter einen Reitstall. Hinsichtlich des Jahres 1997 wurde der Betrieb als Liebhaberei qualifiziert.
Nunmehr bezieht der Beschwerdeführer eine Pension iHv ca. € 3.000,00 brutto. Weiters ist er als Energieberater selbständig tätig, wobei in den letzten Jahren Verluste erzielt wurden. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer von zwei zusammengelegten Wohnungen in Klagenfurt und hat darüber hinaus kein nennenswertes Vermögen. Er hat außer einem Abgabenrückstand iHv € 36.463,30 keine Schulden.
Das Abgabenkonto des Beschwerdeführers wies am (Tag des Nachsichtsantrages) einen Rückstand iHv € 74.315,60 auf. Dieser setzte sich wie folgt zusammen: Einkommensteuer 1995 iHv € 3.568,08; Einkommensteuer 1996 iHv € 1.733,67; Einkommensteuer 1997 iHv € 27.891,83; Einkommensteuer 1998 iHv € 24.592,49; Aussetzungszinsen 2007 iHv € 7.985,61; Aussetzungszinsen 2016 iHv € 7.033,36 und Aussetzungszinsen 2018 iHv € 1.510,56.
Zwischenzeitig reduzierte sich der Abgabenrückstand aufgrund von Gutschriften bei den Veranlagungen 2018, 2019 und 2020. Zudem wurde die Einkommensteuer 1998 mit Buchung vom zur Gänze gutgeschrieben. Von den im Nachsichtsantrag umfassten Abgaben haften daher (nur mehr) die Einkommensteuer mit einem Betrag von € 13.884,82 und die oben angeführten Aussetzungszinsen aus. Die Aussetzungszinsen 2007 und 2016 stehen im Gegensatz zu den Aussetzungszinsen 2018 nicht mit der Einkommensteuer 1998 in Zusammenhang.
Darüber hinaus wird dem Beschwerdeführer laufend die Stundung des aktuellen Abgabenrückstandes bewilligt, zuletzt bis .
Die Einhebung der Einkommensteuer 1995, 1996 und 1997 war aufgrund von Anträgen des Beschwerdeführers in den Zeiträumen bis , bis , bis und bis bzw. bis (betrifft Einkommensteuer 1997) ausgesetzt.
Das Feststellungsverfahren und die Festsetzung der Einkommensteuer 1995 bis 1998 stellen sich ab dem Jahr 2000 chronologisch wie folgt dar:
Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommensteuer 1995 bis 1997 aufgrund der Feststellungen einer abgabenbehördlichen Prüfung, Erlassung neuer Sachbescheide
Berufung gegen die Einkommensteuerbescheide 1995 bis 1997
Erlassung eines vorläufigen Einkommensteuerbescheides 1998
(Nicht)Feststellungsbescheid, wonach 1995 bis 1998 Liebhaberei vorliegt
Entscheidung UFS zu RV/2549-W/02: Abweisung der Berufung gegen Einkommensteuerbescheide 1995 bis 1997, da im Grundlagenbescheid Liebhaberei festgestellt wurde (Anmerkung, dass gegen die Wiederaufnahmebescheide keine Berufungen vorliegen)
(irrtümliche) Abweisung der Berufungen gegen Einkommensteuerbescheide 1995 bis 1997 durch Finanzamt mit Berufungsvorentscheidung und Erlassung eines endgültigen Einkommensteuerbescheides 1998, mit Verweis auf die Begründung der Berufungsentscheidung vom
Berufung gegen die (Nicht)Feststellungsbescheide 1995 bis 1998 vom
Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren Einkommensteuer 1995 bis 1997
Berufung gegen Einkommensteuerbescheide 1995 bis 1998 (diese werden später vom UFS als Vorlageanträge gewertet)
Zurückweisung der Berufungen vom hinsichtlich Einkommensteuerbescheide 1995 bis 1997 durch das Finanzamt wegen entschiedener Sache und Abweisung hinsichtlich Einkommensteuerbescheid 1998 aufgrund des § 252 BAO
Abweisung der Wiederaufnahmeanträge vom hinsichtlich der Einkommensteuer 1995 bis 1997
Berufung bzw. Vorlageantrag gegen die Zurückweisungs- und Abweisungsbescheide vom
Berufung gegen die Abweisung der Wiederaufnahmeanträge Einkommensteuer 1995 bis 1997
Entscheidung UFS zu RV/2275-W/07: Zurückweisungsbescheide vom werden ersatzlos aufgehoben, da die Berufung vom als Vorlageantrag zu werten ist dem Vorlageantrag vom wird stattgegeben und die BVE vom wird ersatzlos aufgehoben die Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid 1998 wird stattgegeben und der Bescheid aufgehoben, da ein unzuständiges Finanzamt entschieden hat
Entscheidung UFS zu RV/2277-W/07: Beschwerde gegen die Abweisung der Wiederaufnahmeanträge hinsichtlich Einkommensteuer 1995 wird gegenstandslos erklärt Beschwerde gegen die Abweisung der Wiederaufnahmeanträge Einkommensteuer 1996 und 1997 wird stattgegeben und die angefochtenen Bescheide ersatzlos aufgehoben, da ein unzuständiges Finanzamt entschieden hat
Entscheidung UFS zu RV/3149-W/07: Berufung vom war auch gegen die Wiederaufnahmebescheide 1995 bis 1997 gerichtet, dem Mängelbehebungsauftrag vom wurde aber nicht rechtzeitig entsprochen, daher gilt die Berufung als zurückgenommen
VwGH 2008/13/0085: Beschwerde zu RV/3149-W/07 wurde als unbegründet abgewiesen
BFG RV/4100365/2007: Beschwerde vom gegen die (Nicht)Feststellungsbescheide 1995 bis 1998 wurde abgewiesen, zudem wurde der (Nicht)Feststellungsbescheid 1998 ersatzlos aufgehoben, da mangels Beteiligung mehrerer Personen keine Feststellung durchzuführen war
VwGH Ro 2015/13/0002 Aufhebung der Entscheidung BFG RV/4100365/2007 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, da auf die Größe des Betriebes nicht ausreichend Bedacht genommen wurde
BFG RV/4100020/2017 Der Beschwerde vom gegen die (Nicht)Feststellungsbescheide 1995 bis 1996 wurde teilweise stattgegeben und die Beschwerde gegen den (Nicht)Feststellungsbescheid 1997 als unbegründet abgewiesen
VwGH Ra 2018/13/0049 Zurückweisung der Parteienrevision zur Entscheidung BFG RV/4100020/2017
Erledigung der Beschwerde hinsichtlich der Einkommensteuer 1998
Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt ist unstrittig und ergibt sich aus den vorgelegten Akten der belangten Behörde, den Angaben und Unterlagen des Beschwerdeführers, den fallbezogenen zitierten Entscheidungen des VwGH, BFG und UFS sowie diverser Abfragen aus dem Abgabeninformationssystem.
Rechtliche Erwägungen
Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Rechtsgrundlagen
Gem. § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Gem. § 236 Abs. 2 BAO findet Abs. 1 auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.
Die dazu ergangene Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, BGBl. II Nr. 2005/435 idF BGBl II 2019/236 konkretisiert das Erfordernis der Unbilligkeit wie folgt:
"§ 1. Die Unbilligkeit im Sinn des § 236 BAO kann persönlicher oder sachlicher Natur sein.
§ 2. Eine persönliche Unbilligkeit liegt insbesondere vor, wenn die Einhebung 1. die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Angehörigen gefährden würde; 2. mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, etwa wenn die Entrichtung der Abgabenschuldigkeit trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Vermögensveräußerung möglich wäre und dies einer Verschleuderung gleichkäme.
§ 3. Eine sachliche Unbilligkeit liegt bei der Einhebung von Abgaben insbesondere vor, soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches 1. von Rechtsauslegungen des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn im Vertrauen auf die betreffende Rechtsprechung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden; 2. in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die a) dem Abgabepflichtigen gegenüber von der für ihn zuständigen Abgabenbehörde geäußert oder b) vom Bundesministerium für Finanzen im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung oder im Internet als Amtliche Veröffentlichung in der Findok veröffentlicht wurden, wenn im Vertrauen auf die betreffende Äußerung bzw. Veröffentlichung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden. (…)."
Gem. § 212a Abs. 1 BAO ist die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhängt, auf Antrag des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde insoweit auszusetzen, als eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid, der von einem Anbringen abweicht, oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zugrunde liegt, zurückzuführen ist, höchstens jedoch im Ausmaß der sich bei einer dem Begehren des Abgabepflichtigen Rechnung tragenden Beschwerdeerledigung ergebenden Herabsetzung der Abgabenschuld. Dies gilt sinngemäß, wenn mit einer Bescheidbeschwerde die Inanspruchnahme für eine Abgabe angefochten wird.
Gem. § 212a Abs. 5 BAO besteht die Wirkung einer Aussetzung der Einhebung in einem Zahlungsaufschub. Dieser endet mit Ablauf der Aussetzung oder ihrem Widerruf (§ 294). Der Ablauf der Aussetzung ist anlässlich einer (eines) über die Beschwerde (Abs. 1) ergehenden a) Beschwerdevorentscheidung (§ 262) oderb) Erkenntnisses (§ 279) oderc) anderen das Beschwerdeverfahren abschließenden Erledigungzu verfügen. Die Verfügung des Ablaufes anlässlich des Ergehens einer Beschwerdevorentscheidung schließt eine neuerliche Antragstellung im Fall der Einbringung eines Vorlageantrages nicht aus (…).
Gem. § 212a Abs. 9 erster Satz BAO sind ab dem Zeitpunkt des Einlangens eines Antrages auf Aussetzung der Einhebung 1. bis zu dessen Ab- oder Zurückweisung oder 2. bei Bewilligung für die Dauer des Zahlungsaufschubes Aussetzungszinsen in Höhe von zwei Prozent über dem jeweils geltenden Basiszinssatz pro Jahr zu entrichten.
Zunächst wird ausgeführt, dass hinsichtlich eines Antrages auf Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht trifft (, 97/13/0091; ). Er hat einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann (; ). Das Schwergewicht der Behauptungs- und Beweislast liegt somit beim Nachsichtswerber (; ).
Weiters hat die Abgabenbehörde im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nur die vom Antragsteller geltend gemachten Gründe zu prüfen (; ). Gegenständlich machte die Beschwerdeführerin die lange Verfahrensdauer und die Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben aufgrund des Verstoßes gegen den , 91.853-7a/64, AÖF 1964/2014 als sachliche Unbilligkeitsgründe geltend. Hingegen wurden persönliche Unbilligkeitsgründe vom Beschwerdeführer nicht aufgezeigt.
Der Nachsichtswerber ist verpflichtet, im Nachsichtsansuchen die gemäß § 236 Abs. 1 BAO bedeutsamen Umstände offenzulegen. Zu diesen Umständen zählt auch die konkrete, ziffernmäßige Darstellung der aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse einschließlich einer Auflistung sämtlicher Verbindlichkeiten.
Weiters ist das Bundesfinanzgericht gem. § 279 Abs. 1 BAO berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Die Änderungsbefugnis nach jeder Richtung ist durch die "Sache" begrenzt. Sache ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des angefochtenen Bescheides gebildet hat.
Der Beschwerdeführer hat am den Antrag gestellt, "die noch offene Einkommensteuer 1995, 1996, 1997 und 1998 zuzüglich den noch offenen Stundungs- bzw. Aussetzungszinsen gem. § 236 BAO nachzusehen." Eine ziffernmäßige Darstellung erfolgte nicht. Im Zusammenschau mit der Rückstandsaufgliederung vom selben Tag und der Klarstellung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung steht für das Gericht fest, dass Nachsicht hinsichtlich der Abgabenschuldigkeiten an Einkommensteuer 1995 iHv € 3.568,08, Einkommensteuer 1996 iHv € 1.733,67, Einkommensteuer 1997 iHv € 27.891,83, Einkommensteuer 1998 iHv € 24.592,49, Aussetzungszinsen 2007 iHv € 7.965,61, Aussetzungszinsen 2016 iHv € 7.033,36 und Aussetzungszinsen 2018 iHv € 1.510,56, insgesamt iHv € 74.315,60, begehrt wurde. Diese Abgaben in der genannten Höhe sind somit "Sache des Beschwerdeverfahrens".
Da die Einkommensteuer 1998 am zur Gänze gutgeschrieben wurde, ist die dahingehende Abgabenschuld weggefallen, sodass schon aus diesem Grund die Beschwerde abzuweisen war. Hinsichtlich der damit zusammenhängenden Aussetzungszinsen obliegt es der belangten Behörde eine entsprechende Anpassung gem. § 212a Abs. 9 BAO vorzunehmen, und hat die Vertreterin der belangten Behörde eine solche in der mündlichen Verhandlung zugesagt. Festgehalten wird, dass es sich nur um die im Jahr 2018 festgesetzten Aussetzungszinsen iHv € 1.510,56 handeln kann.
Aufgrund dessen, dass die Abschreibung von Abgabenschuldigkeiten durch Nachsicht eines hierauf gerichteten Antrages voraussetzt und aufgrund der Tatsache dass infolge der Antragsgebundenheit dieses Verwaltungsaktes eine Nachsicht nicht über den Antrag hinausgehen kann (), erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der Frage, warum die belangte Behörde im bekämpften Bescheid über die Bewilligung einer Nachsicht iHv € 74.622,82 und nicht wie vom Beschwerdeführer beantragt iHv € 74.315,60 abgesprochen hat.
Aufgrund des § 236 Abs. 2 BAO können auch bereits entrichtete Abgaben nachgesehen werden. Weiters findet § 236 BAO auf Abgaben schlechthin Anwendung, gleichgültig ob es sich um Hauptabgaben oder um Nebenansprüche iSd § 3 BAO (zB wie hier um Aussetzungszinsen) handelt (). Zudem ist für die Nachsicht entrichteter Abgaben an den Begriff der Unbilligkeit kein anderer (kein strengerer) Maßstab anzulegen als bei der Nachsicht noch nicht entrichteter Abgabenschulden (; ).
Aus diesen Gründen war daher gegenständlich die Beschwerde hinsichtlich der bereits getilgten Abgabenschuldigkeiten nicht schon aufgrund der erfolgten Entrichtung abzuweisen, sondern war entsprechend oa. Judikatur ebenso das Vorliegen einer Unbilligkeit zu prüfen.
Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach Lage des Falles kann eine persönliche oder eine sachliche sein und ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für das in § 236 BAO vorgesehene Ermessen. Die Prüfung der Unbilligkeit der Einhebung einer Abgabe ist von der Billigkeit gem. § 20 BAO als Element der Ermessensübung selbst zu unterscheiden. Liegt keine Unbilligkeit vor, kommt es zu keiner Ermessensübung. Der VwGH stellt auf die Unbilligkeit "im Einzelfall" ab ().
Die in den §§ 2 und 3 der Verordnung aufgezählten Fälle schließen Fälle anderer Art nicht aus ("insbesondere"). Es ist aber auch § 1 der Verordnung nicht dahingehend auszulegen, dass ein Sachverhalt mit Merkmalen sowohl der sachlichen als auch der persönlichen Unbilligkeit die in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilende Voraussetzung der Unbilligkeit im Sinne des § 236 Abs. 1 BAO nur erfüllt, wenn eine dieser Komponenten auch für sich allein genommen dafür ausreichen würde. Die Beurteilung erfordert in solchen Fällen eine Gesamtschau ().
Eine persönliche Unbilligkeit ergibt sich aus der wirtschaftlichen Situation des Antragstellers. Sie besteht bei einem wirtschaftlichen Missverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den im Bereich des Abgabepflichtigen entstehenden Nachteilen (; ). Eine solche Unbilligkeit wird stets gegeben sein, wenn die Einhebung die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner Familie gefährdet ist (; ). Es bedarf aber nicht zwingend einer Existenzgefährdung, es genügt, wenn die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, zB wenn die Abgabenschuld nur unter Verschleuderung von Vermögenswerten entrichtet werden könnte (; ). Hingegen werden Überschuldung oder Liquiditätskrisen (; ), finanzielle Engpässe bzw. wirtschaftliche Bedrängnisse () allein den strengen (Unbilligkeits-) Anforderungen der Rspr. nicht gerecht ().
Darüber hinaus bedarf es nach der Rspr. keiner Abgabennachsicht, wenn Zahlungserleichterungen Härten aus der Abgabeneinhebung abhelfen können (), wobei selbst eine Tilgungszeit von rund 23 Jahren noch keine persönliche Unbilligkeit zu begründen vermag (). Für die Entscheidung über ein Nachsichtsansuchen sind die Vermögens- und Einkommensverhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Ansuchen maßgebend (; ).
Gegenständlich hat der Beschwerdeführer eine persönliche Unbilligkeit, welche sich ausschließlich aus der wirtschaftlichen Situation des Antragstellers ergäbe, nicht aufgezeigt, wodurch sich eine nähere Auseinandersetzung erübrigt.
Eine sachliche Unbilligkeit ist nach ständiger Rspr. des VwGH anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnis muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (). Eine sachliche Unbilligkeit liegt nicht vor, wenn sie ganz allgemein die Auswirkung genereller Normen ist ().
Tritt im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis ein, und ist die Abgabeneinhebung nicht bloße Auswirkung bzw. Folge des ordnungsgemäßen Vollzuges einer generellen Abgabennorm, so kann dies Anlassfall für eine Abgabennachsicht auf Grund sachlicher Unbilligkeit sein (; ). § 236 BAO eröffnet somit die Möglichkeit, eine in Folge der besonderen Umstände des Einzelfalles eingetretene, besonders harte Auswirkung der Abgabenvorschriften, die der Gesetzgeber, wäre sie voraussehbar gewesen, vermieden hätte, im Nachsichtsweg zu mildern.
Eine Abgabennachsicht gem. § 236 BAO setzt zudem die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung voraus. Diese kann grundsätzlich nicht damit begründet werden, dass die Abgabenfestsetzung zu Unrecht erfolgt ist. Vielmehr muss die behauptete Unbilligkeit in Umständen liegen, die die Entrichtung der Abgabe selbst betreffen. Im Nachsichtsverfahren können daher nicht Einwände nachgeholt werden, die im Festsetzungsverfahren geltend zu machen gewesen wären (). Eine Nachsicht dient nämlich nicht dazu, Unrichtigkeiten der Abgabenfestsetzung zu beseitigen und unterlassene Rechtsbehelfe nachzuholen oder "Versäumnisse" im Abgabenfestsetzungsverfahren zu sanieren (; ), da dies im Ergebnis auf eine unzulässige Durchbrechung der Rechtskraft hinauslaufen würde ().
Der VwGH sieht es bei der Beurteilung der sachlichen Unbilligkeit für beachtlich, wenn die Abgabenbehörde in ihrer Verfahrensführung den Abgabepflichtigen ua. aufgrund überlanger Verfahrensdauer mit schwerwiegenden, in den Abgabenvorschriften nicht vorgesehenen Nachteilen belastet (). Verfahrensmäßige Besonderheiten des Zustandekommens und auch der Durchsetzung des Abgabenanspruches können daher unter gewissen Umständen eine sachliche Unbilligkeit begründen (). Umgekehrt hat aber der VwGH das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit selbst bei einer Dauer des Berufungsverfahrens von beinahe 10 Jahren verneint ().
Gegenständlich wendete der Beschwerdeführer ein, dass das Verfahren hinsichtlich der Einkommensteuer 1995 bis 1997 über 20 Jahre gedauert hätte und deshalb eine sachliche Unbilligkeit vorliege. Dem ist aus folgenden Gründen entgegenzutreten:
Zunächst ist zwischen den einzelnen Verfahren zu differenzieren, zumal es sich beim Einkommensteuerverfahren und dem Feststellungsverfahren aufgrund der unterschiedlichen Steuersubjekte um getrennte Verfahren handelt. Deshalb sieht auch § 295 Abs. 1 BAO vor, dass Änderungen im Feststellungsverfahren von Amts wegen in den abgeleiteten Bescheiden zu berücksichtigen sind, somit für die Entrichtung der Einkommensteuer ein Abwarten auf das Feststellungsverfahren nicht erforderlich ist. Weiters gab es bei den Einkommensteuer-verfahren ein amtswegiges Wiederaufnahmeverfahren beginnend im Jahr 2000 und wurde zusätzlich vom Beschwerdeführer eine Wiederaufnahme der Verfahren im Jahr 2007 angestrengt. Hinzu kamen noch gesonderte verfahrensrechtliche Verfahren und wurde das Feststellungsverfahren im Jahre 2018 beendet. Wie den diesbezüglichen Entscheidungen zu entnehmen ist, waren dahingehend durchaus komplexe Rechts- und Beweisfragen sowie verfahrensrechtliche Problemstellungen zu klären und wurde der vollständige Instanzenzug ausgeschöpft, sodass die einzelnen Verfahrensdauern, verglichen mit gleichgelagerten Fällen, nicht außergewöhnlich lang waren.
Wie weiters den obigen Feststellungen zu entnehmen ist, wurde das Beschwerdeverfahren hinsichtlich der amtswegigen Wiederaufnahme der Einkommensteuer 1995 bis 1997 mit Berufungsentscheidung des zu RV/2549-W/02 rechtkräftig beendet. Das Verfahren dauerte somit nicht wie vom Beschwerdeführer dargestellt über 20 Jahre, sondern 7 Jahre.
Entscheidend ist aber, dass der Beschwerdeführer jederzeit die rechtskräftigen Einkommensteuern entrichten hätte können, weshalb keine sachliche Unbilligkeit vorliegt (). Vielmehr zog es der Beschwerdeführer in all den oben angeführten Verfahren vor, jeweils die Aussetzung der Einhebung gem. § 212a BAO zu beantragen, welche auch bewilligt wurde.
Daher war die Einhebung der Einkommensteuer 1995, 1996 und 1997 aufgrund offener Rechtmittelverfahren vom bis , vom bis , vom bis und vom bis bzw. ausgesetzt. Der dadurch eingetretene Zahlungsaufschub wurde somit vom Beschwerdeführer indiziert und kann er sich daher auch aus diesen Grund nicht auf die lange Verfahrensdauer stützen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass den durch die lange Dauer der Beschwerdeverfahren aufgelaufenen Nebenansprüchen der Zinsengewinn durch den Zahlungsaufschub beim Beschwerdeführer gegenübersteht (; ), sodass es zu keinem atypischen Vermögenseingriff gekommen ist.
Wenn in der Beschwerde behauptet wird, dass Zeugen erst 10 Jahre später vernommen worden und Unterlagen bei der Finanzbehörde verloren gegangen seien, so handelt es sich dabei um im Nachsichtsverfahren nicht zu berücksichtigende Einwände des Festsetzungsverfahrens () und vermochte der Beschwerdeführer dahingehend auch nicht aufzeigen, dass er dadurch mit schwerwiegenden Nachteilen belastet worden sei.
Darüber hinaus sind der Aktenlage keine Säumnisbeschwerden oder Fristsetzungsanträge seitens des Beschwerdeführers zu entnehmen und geht aus den Beschwerdeentscheidungen hervor, dass die lange Dauer der Verfahren ebenso aufgrund von Verzögerungen, die in der Sphäre des Beschwerdeführers gelegen sind, zurückzuführen ist. Zur Verdeutlichung wird dahingehend auszugsweise wiedergegeben:
, Seite 17 bzw. 27: "Der gegenständliche Vorhalt wurde dem Unabhängigen Finanzsenat nie beantwortet, auch wurden keine entsprechenden Unterlagen vorgelegt. Vielmehr wurden laufend Ansuchen zur Erstreckung der Frist zur Beantwortung seitens des steuerlichen Vertreters gestellt." (…) "Der in der Stellungnahme vom vorgebrachten Anregung, mit der Entscheidung über die Einkommensteuer für die Jahre 1995 bis 1997 bis zur Erledigung einer allfälligen Berufung gegen den Grundlagenbescheid des Finanzamts Gänserndorf Mistelbach zuzuwarten, war im Hinblick auf die offenkundig auf Verschleppung des Verfahrens ausgerichtete Vorgangsweise des Bw. nicht zu folgen. Hierdurch werden rechtliche Interessen des Bw. nicht beeinträchtigt, da zum einen im Falle einer nachträglichen Abänderung oder Aufhebung des Grundlagenbescheids in einem gegen den Grundlagenbescheid gerichteten Berufungsverfahren die Einkommensteuerbescheide gemäß § 295 BAO abzuändern wären, und zum anderen eine Aussetzung der Einhebung nach § 212a BAO auch bei mittelbarer Abhängigkeit von einer Berufung - also etwa des abgeleiteten Einkommensteuerbescheids von einer Berufung gegen den Grundlagenbescheid - in Betracht kommt."
GZ RV/3149-W/07, Seite 2: "Im Verfahren GZ RV/2549-W/02 befragte die Referentin des Unabhängigen Finanzsenates im Rahmen eines Vorhaltes vom den steuerlichen Vertreter des Bw. unter anderem auch danach, ob die die Berufung vom gegen die "Einkommensteuerbescheide 1995 und 1996 vom und gegen den Einkommensteuerbescheid 1997 vom " sowohl die Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs 4 BAO als auch die Sachbescheide umfasse. Trotz wiederholter Fristverlängerungen blieb der genannte Vorhalt seitens des steuerlichen Vertreters des Bw. unbeantwortet."
, Seite 23 bis 25: "Nach Schilderung der Abläufe kann im vorliegenden Fall das BFG keine ihm anzulastenden Verzögerungen im Tätigwerden erblicken. Die Dauer vom Einlangen der Beschwerde beim UFS () bis zum Beginn der tatsächlichen Bearbeitung durch die Richterin (Juli 2009) hat seinen Grund in der Belastung des Personals mit einem entsprechendem Rechtsmittelbestand und dem Auftrag, die eingehenden Rechtsmittel chronologisch abzubauen. Die weitere Verzögerung im Verfahren war darin gelegen, dass die Richterin lange Zeit nicht das für die Bearbeitung des Falles maßgebliche Aktenmaterial vollständig zur Verfügung hatte und der steuerliche Vertreter - entgegen seiner Ankündigung, diese beibringen zu wollen - Unterlagen nicht vorlegte. Eine sofortige Bearbeitung war daher aus "technischen Gründen" nicht möglich. In weiterer Folge kam der steuerliche Vertreter im Zuge der Bearbeitung durch die Richterin den Aufforderungen nicht oder nur sehr schleppend nach und waren zahlreiche Urgenzen der Richterin notwendig. Angemerkt wird noch, dass weder die Bf. noch der steuerliche Vertreter jemals im Verfahren vor dem UFS bzw. BFG die Erledigung der Beschwerde urgierten. Erstmals in der mündlichen Verhandlung erfolgte der Einwand bezüglich der langen Verfahrensdauer."
Da somit evident ist, dass die eingewendete lange Verfahrensdauer ebenso durch Umstände verursacht wurde, die in der Sphäre des Beschwerdeführers gelegen sind, ist auch aus diesen Grund keine sachliche Unbilligkeit zu erblicken.
Was das vom Beschwerdeführer zitierte Urteil des EGMR vom , Nr. 907/13 in Zusammenschau mit der Entscheidung des betrifft, so hat bereits die belangte Behörde ausgeführt, dass die Beurteilung der Voraussetzungen für eine Unbilligkeit nach § 236 BAO eine Gesamtschau erfordert. Wie bereits oben ausgeführt konnte eine ausschließlich der belangten Behörde anzulastende Verfahrensverzögerung nicht erblickt werden. Zudem stellt die angeführte Entscheidung des VwGH auf die persönliche Unbilligkeit ab, "da der Nachsichtswerber durch die lange Verfahrensdauer in eine wirtschaftliche Situation geraten ist, die zur persönlichen Unbilligkeit führte." Dies unterscheidet sich aber wesentlich zum vorliegenden Fall, in welchen vom Beschwerdeführer eine persönliche Unbilligkeit aufgrund seiner durchaus guten wirtschaftlichen Situation gar nicht behauptet wird.
Aus der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten langen Verfahrensdauer ergibt sich auch keine sachliche Unbilligkeit hinsichtlich der Einhebung der gegenständlichen Aussetzungszinsen, weil deren Entstehen in beträchtlicher Höhe durch Entrichtung der ausgesetzten bzw. in der Folge gestundeten Abgaben hätte verhindert werden können (). Demnach kommt es auch nicht darauf an, dass die Dauer der in Rede stehenden Beschwerdeverfahren teilweise außerhalb des Einflussbereiches des Beschwerdeführers gelegen war.
Hinsichtlich der behaupteten Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben ist auszuführen, dass die hA in der Literatur davon ausgeht, dass im Fall des Vertrauens auf eine Erlassauslegung nur in besonderen Ausnahmefällen Nachsicht zu gewähren ist (Sutter, § 236 BAO - Vertrauen in Erlässe und Nachsicht, AnwBl 2008, 410 (411); Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO3 § 236 Anm zu E 473 (Stand: , rdb.at).
Wenn der Beschwerdeführer ausführt, er habe sich bei der Einbringung des Fristverlängerungsantrages auf den , 91.853-7a/64, AÖF 1964/2014 verlassen, wodurch ihm auf Basis des Grundsatzes von Treu und Glauben ein massiver Vertrauensschaden entstanden sei, so ist ihm zu erwidern, dass der VwGH kein Vertrauen in die Richtigkeit von Erlässen des BMF schützt, sondern nur von Auskünften im Einzelfall (). Im gegenständlichen Fall ist aber keine Auskunft von der für die Abgabenangelegenheit zuständigen Abgabenbehörde erteilt worden.
Zudem verweist Stoll betreffend des oa. Erlasses darauf, dass die Lösung der Rechtsfrage (gemeint: Zustellzeitpunkt bei Einwurf in den Posteinwurfkasten des Finanzamtes) gesetzlich eindeutig vorgegeben sei, aber die Finanzverwaltung mit dem Anbringen des Eingangsdatums des vorhergehenden Werktages bei der Entleerung vor Dienstbeginn lediglich Beweisschwierigkeiten aus dem Weg gehe. Die unrichtige Datierung eines Eingangsstempels ändere nichts daran, dass der Einwurf in den Behördenbriefkasten bis 24 Uhr des letzten Tages der Frist (außer bei Angabe eines Entleerungszeitpunktes auf dem Einwurfkasten) erfolgen müsse, um eine Frist zu wahren (Stoll, aaO, 1186 f.). Da gegenständlich im Zuge des Verfahrens vor dem UFS mit Entscheidung vom , RV/3149-W/07 (bestätigt durch ) festgestellt wurde, dass der Fristverlängerungsantrag vom steuerlichen Vertreter des Beschwerdeführers nachweislich am und somit verspätet in den Einwurfkasten des Finanzamtes eingeworfen wurde, kommt nach Ansicht des Gerichtes der Erlass gar nicht zur Anwendung. Dieser ist vielmehr ein Auslegungsbehelf für jene Fälle, bei welchen der genaue Einwurfzeitpunkt nicht festgestellt werden kann.
Darüber hinaus handelt es sich bei diesem Einwand um einen solchen, welcher bereits im Festsetzungsverfahren erfolglos blieb und kann bei Verletzung von Treu und Glauben dem Abgabepflichtigen im Nachsichtswege nur der Vertrauensschaden ersetzt werden, also die Differenz zwischen gesetzmäßiger Abgabenschuld und derjenigen Abgabenbelastung, die aus jenem Verhalten resultiert wäre, welches der Abgabenpflichtige bei Erteilung einer richtigen Auskunft gesetzt hätte (). Gegenständlich steht nicht einmal fest, ob ein rechtzeitiger Fristverlängerungsantrag überhaupt zu einer anderen Abgabenfestsetzung geführt hätte. Dazu passt, dass vom Beschwerdeführer der behauptete Vertrauensschaden nicht beziffert wurde, sodass auch nicht feststeht, in welcher Höhe der Beschwerdeführer die Nachsicht aus diesem Titel begehrt hat.
Daher kann gegenständlich ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis nicht erblickt werden und kann der vorliegende Umstand, dass die Finanzbehörde eine fristenwahrende Ergänzung des Beschwerdeführers verneint hat, auch bei allen anderen Abgabenpflichtigen in der gleichen Lage eintreten. Das Absprechen über den verspäteten Fristverlängerungsantrag war daher als Auswirkung der allgemeinen Rechtslage zu qualifizieren, die jeden vom betreffenden Gesetz erfassten Abgabepflichtigen gleichermaßen trifft. Ein außergewöhnlicher Geschehensablauf der durch den Beschwerdeführer nicht beeinflussbar war und zu einem vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Ergebnis führte, liegt somit nicht vor. Der Beschwerdeführer war auch nicht mit schwerwiegenden, in den Abgabenvorschriften nicht vorgesehenen Nachteilen belastet, sodass keine Unbilligkeitsgründe vorliegen.
Da somit gegenständlich weder eine persönliche noch eine sachliche Unbilligkeit vorliegt, war für eine Ermessensübung kein Raum (; ), sodass die Beschwerde als unbegründet abzuweisen war.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Eine Revision ist nicht zulässig, da es sich ausschließlich um die Beantwortung von Tatfragen handelt und die zugrunde liegenden Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des VwGH und das Gesetz ausreichend beantwortet sind.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.7101670.2019 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at