Lohnpfändung: Unzulässigkeit eines Pfändungsbescheides nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/2100428/2023-RS1 | Keine ausdrückliche Erwähnung finden zwar die verwaltungsbehördlichen Pfandrechte in § 10 IO, doch ist deren Unzulässigkeit während des Konkursverfahrens nach der ratio legis – nämlich Gleichbehandlung der Konkursgläubiger – auch auf diese zu erstrecken. Den richterlichen Pfandrechten sind daher auch jene Pfandrechte gleichzustellen, die im Verwaltungsweg – nach dem VVG oder der AbgEO – begründet wurden; auch diese können daher nach Konkurseröffnung nicht mehr rechtswirksam erworben werden. |
RV/2100428/2023-RS2 | Die jeweiligen materiengesetzlichen Bestimmungen zur Vollstreckbarkeit gelten auch im Anwendungsbereich der Insolvenzordnung. Eine Abgabenschuldigkeit ist daher – unbesehen dessen, dass bei Streitigkeiten des Insolvenzverwalters mit der Abgabenbehörde für das gemäß § 110 Abs. 3 IO durchzuführende Abgabenverfahren ein "Wechsel der Parteirollen" wie bei Bestreitung einer nicht vollstreckbaren Forderung, für die der streitige Weg zulässig ist, nicht vorgesehen ist - nach Maßgabe des § 226 BAO eine "vollstreckbare Forderung" im Sinne des § 110 IO, wenn ein Abgabenschuldtitel (also ein Leistungsgebot in Form eines Abgabenbescheides oder Abzugssteuerhaftungsbescheides bzw. bei Selbstberechnungsabgaben in Form der Bekanntgabe der Abgabenschuld durch den Abgabenschuldner gegenüber der Abgabenbehörde) besteht und die Fälligkeit eingetreten ist. |
RV/2100428/2023-RS3 | |
RV/2100428/2023-RS4 | Auf einen (gemäß § 229 BAO nur für die Einbringung im finanzbehördlichen und gerichtlichen Vollstreckungsverfahren als Exekutionstitel auszustellenden) Rückstandsausweis kommt es nicht an (im Insolvenzverfahren ist der als "Rückstandsausweis" überschriebene Ausdruck der Abgabenschuldigkeiten kein Exekutionstitel, sondern bloß eine verwaltungsintern mit ministeriellem Erlass vorgegebene Beilage zur Forderungsanmeldung, die als öffentliche Urkunde dem Beweis des Bestehens der Abgabenschuldigkeiten dient). |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den ***Einzelrichter*** über die Beschwerde des ***Bf***, ***Bf-Adr***, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Peter Wach, Friedrichgasse 6/II, 8010 Graz, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Pfändung einer Geldforderung erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Mit (an den Masseverwalter im damaligen Konkursverfahren des Beschwerdeführers gerichteten) Bescheiden vom (OZ 8), vom (OZ 10) und vom (OZ 12) wurde der Beschwerdeführer als Geschäftsführer gemäß § 9 BAO zur Haftung für Abgabenschulden der ***Bf-GmbH-1*** (Konkurs nach Schlussverteilung mit Beschluss des Gerichtes vom aufgehoben und Firma gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit am **.08.2015 gelöscht) in Höhe von 28.662,25 €, 21.375,90 € und 30.177,70 € herangezogen.
Mit (an den Masseverwalter im damaligen Konkursverfahren des Beschwerdeführers gerichtetem) Bescheid vom (OZ 18) wurde der Beschwerdeführer als Geschäftsführer gemäß § 9 BAO zur Haftung für Abgabenschulden der ***Bf-GmbH-2*** (Konkurs nach Schlussverteilung mit Beschluss des Gerichtes vom aufgehoben und Firma gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit am **.06.2012 gelöscht) in Höhe von 26.934,29 € herangezogen.
Mit Gerichtsbeschluss vom wurde über den Beschwerdeführer das Schulendregulierungsverfahren (Eigenverwaltung des Schuldners eröffnet (siehe Ausdruck aus der Insolvenzdatei vom , OZ 14).
Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom (OZ 1 und 2) pfändete die Abgabenbehörde zur Einbringung von Abgabenschulden im Betrag von 10.494,49 € bei der ***Drittschnuldner-GmbH*** (Gesellschafterin: ***F***, Geschäftsführer: der Beschwerdeführer) die Forderungen des Beschwerdeführers aus dem Arbeitsverhältnis.
Mit Schreiben vom (OZ 5) erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsanwalt die Beschwerde gegen den Pfändungsbescheid und beantragte dessen Aufhebung. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, die Forderung sei nicht nachvollziehbar. Der angeblich "pfändbare Betrag" werde weder aufgeschlüsselt noch sei er mit dem Rückstandsausweis zum Abgabenkonto "***1***" (richtig: ***2***), das am einen Rückstand im Betrag von 124,35 € ausweise, im Einklang zu bringen. Darüber hinaus sei aufgrund des anhängigen Konkursverfahrens gemäß § 10 IO jegliche Pfändung ausgeschlossen (Seite 2). Gemäß § 10 IO trete nämlich mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Exekutions- und Vollstreckungssperre ein. Der UFS habe in seiner Entscheidung vom , RV/2379-W/12, darauf hingewiesen, dass Rückstandsausweisen über Abgabeninsolvenzforderungen wegen der Anmeldungsnotwendigkeit nur deklarative Wirkung zukomme. Daher hätten solche - nach der Verfahrenseröffnung geschaffene - Rückstandsausweise im Feststellungsverfahren keinen Leistungscharakter, sondern lediglich feststellenden Charakter, entfalteten also gerade keine Vollstreckbarkeit im exekutionsrechtlichen Sinn und seien daher auch keine Exekutionstitel. Mangels eines Exekutionstitels komme der zugrundeliegenden Abgabeninsolvenzforderung aber auch nicht die Eigenschaft einer vollstreckbaren Forderung zu (Seite 3).
Mit Beschwerdevorentscheidung vom (OZ 6) wies die Abgabenbehörde die Bescheidbeschwerde als unbegründet ab. Zur Begründung führte sie aus, dass zu den Abgabenkonten ***3*** (***Bf-GmbH-1***) und ***4*** (***Bf-GmbH-2***) rechtskräftige Haftungsbescheide bestünden. Es sei eine Pfändung über einen viel geringeren (Abgaben-)Betrag durchgeführt worden, um zu klären, ob überhaupt pfänbare Beträge aufgrund des Einkommens des Beschwerdeführers vorhanden seien. Es sei der Abgabenbehörde mittlerweile bekannt, dass am "" das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beschwerdeführers eröffnet worden sei. Die Pfändung der Geldforderung sei jedoch am durchgeführt worden. Somit sei von einer eventuellen Überweisung einer pfändbaren Rate ohnehin nicht auszugehen (Seite 1). Es sei richtig, dass auf dem Abgabenkonto ***2*** (Beschwerdeführer) nur ein Rückstand von 124,35 € aushafte. Auf diesem Konto würden nur die Kosten der jeweiligen Einbringungsmaßnahmen verbucht (Seite 2).
Mit Schreiben vom (OZ 19) stellte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsanwalt gegen diese Beschwerdevorentscheidung ohne weiteres Vorbringen den Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Verwaltungsgericht (Vorlageantrag).
Mit Vorlagebericht vom (OZ 17) legte die Abgabenbehörde dem Bundesfinanzgericht die Bescheidbeschwerde zur Entscheidung vor. Der Stellungnahme ist zu entnehmen, dass am Abgabenkonto der ***Bf-GmbH-1*** ein Betrag von 48.124,08 € unberichtigt aushafte, hinsichtlich dessen die Haftungsinanspruchnahme gegenüber dem Beschwerdeführer mit den angeführten Haftungsbescheiden erfolgt sei. Am Abgabenkonto der ***Bf-GmbH-2*** hafte ein Betrag von 26.682,62 € unberichtigt aus, hinsichtlich dessen die Haftungsinanspruchnahme gegenüber dem Beschwerdeführer mit dem angeführten Haftungsbescheid erfolgt sei. Entgegen der Ausführungen des Beschwerdeführers lägen somit sehr wohl rückständige Abgabenforderungen vor, aufgrund derer die Pfändung habe durchgeführt werden können. Nach §§ 12 ff AbgEO könnten folgende Punkte im finanzbehördlichen Vollstreckungsverfahren vorgebracht werden: der aufrechte Bestand des Abgabenanspruches, die Zulässigkeit der Vollstreckung und die Richtigkeit des Exekutionstitels. Einwendungen, die sich gegen die Richtigkeit des Abgabenanspruches oder die Höhe der Abgabe richteten, seien mit Beschwerde gegen die Abgabenbescheide im Veranlagungsverfahren (bzw. dem zugrundeliegenden Abgabenverfahren - hier die durchgeführten Haftungsverfahren) geltend zu machen. Einwendungen nach § 12 AbgEO könnten somit nur auf Umstände gestützt werden, die erst nach Ausstellung des Exekutionstitels eingetreten seien und die den Abgabenanspruch aufhöben (zB Zahlung) oder seine Geltendmachung hemmten (zB Bewilligung einer Zahlungserleichterung). Beides liege hier nicht vor. Außerhalb der BAO geregelte, den Anspruch aufhebende Gründe könnten die Erfüllung eines Sanierungs- oder Zahlungsplanes, die Erteilung der Restschuldbefreiung oder die Unzulänglichkeit des Nachlasses (bei Exekutionsführung gegen die Verlassenschaft) sein. Auch diesbezüglich sei - auch durch die Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens am - noch kein Grund eingetreten, weshalb eine Aufhebung des Anspruches erfolgt wäre.
Mit dem Verwaltungsakt legte die Abgabenbehörde auch Aufstellungen der rückständigen Abgaben (die Ausdrucke vom bzw. tragen die Bezeichnung "Rückstandsausweis") der ***Bf-GmbH-1*** (OZ 15) und der ***Bf-GmbH-2*** (OZ 16) vor.
Der Beschwerdeführer hat den Antrag auf mündliche Verhandlung und den Antrag auf Entscheidung durch den Senat mit Schreiben vom (OZ 21) zurückgenommen.
Das Bundesfinanzgericht hat über die Bescheidbeschwerde erwogen:
Gemäß § 65 Abs. 1 AbgEO erfolgt die Vollstreckung auf Geldforderungen des Abgabenschuldners mittels Pfändung derselben. Im Pfändungsbescheid sind die Höhe der Abgabenschuld und der Gebühren und Auslagenersätze (§ 26) anzugeben. Sofern nicht die Bestimmung des § 67 zur Anwendung kommt, geschieht die Pfändung dadurch, dass die Abgabenbehörde dem Drittschuldner verbietet, an den Abgabenschuldner zu bezahlen. Zugleich ist dem Abgabenschuldner selbst jede Verfügung über seine Forderung sowie über das für dieselbe etwa bestellte Pfand und insbesondere die Einziehung der Forderung zu untersagen.
Gemäß § 71 Abs. 1 AbgEO ist die gepfändete Geldforderung der Republik Österreich nach Maßgabe des für sie begründeten Pfandrechtes unter Bedachtnahme auf § 73 zur Einziehung zu überweisen.
Gemäß § 10 Abs. 1 IO kann nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen einer Forderung gegen den Schuldner an den zur Insolvenzmasse gehörigen Sachen kein richterliches Pfand- oder Befriedigungsrecht erworben werden.
Keine ausdrückliche Erwähnung finden zwar die verwaltungsbehördlichen Pfandrechte in § 10, doch ist deren Unzulässigkeit während des Konkursverfahrens nach der ratio legis - nämlich Gleichbehandlung der Konkursgläubiger - auch auf diese zu erstrecken. Den richterlichen Pfandrechten sind daher auch jene Pfandrechte gleichzustellen, die im Verwaltungsweg - nach dem VVG oder der AbgEO - begründet wurden (Bartsch/Pollak3 II 153; Petschek/Reimer/Schiemer 256 und 471; Heller/Berger/Stix4 I 115; Chalupsky/Ennöckl/Holzapfel 87; Jelinek, Wagner-FS 205; Bertl/Isola/Petsch/Reckenzaun, Praxishandbuch 309; Bachmann, RZ 1997, 231; SZ 27/13); auch diese können daher nach Konkurseröffnung nicht mehr rechtswirksam erworben werden (Deixler-Hübner in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 10 KO [Stand , rdb.at]).
Das Insolvenzverfahren wurde mit Gerichtsbeschluss vom eröffnet (siehe nochmals den Ausdruck aus der Insolvenzdatei vom , OZ 14). Der hier angefochtene Bescheid vom ist danach ergangen.
Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.
Der Vollständigkeit halber ist zum Vorbringen des Beschwerdeführers, dass der zugrundeliegenden Abgabeninsolvenzforderung mangels eines Exekutionstitels auch nicht die Eigenschaft einer vollstreckbaren Forderung zukomme, darauf hinzuweisen, dass die jeweiligen materiengesetzlichen Bestimmungen zur Vollstreckbarkeit auch im Anwendungsbereich der Insolvenzordnung gelten. Eine Abgabenschuldigkeit ist daher - unbesehen dessen, dass bei Streitigkeiten des Insolvenzverwalters mit der Abgabenbehörde für das gemäß § 110 Abs. 3 IO durchzuführende Abgabenverfahren ein "Wechsel der Parteirollen" wie bei Bestreitung einer nicht vollstreckbaren Forderung, für die der streitige Weg zulässig ist, nicht vorgesehen ist - nach Maßgabe des § 226 BAO eine "vollstreckbare Forderung" im Sinne des § 110 IO, wenn ein Abgabenschuldtitel (also ein Leistungsgebot in Form eines Abgabenbescheides oder Abzugssteuerhaftungsbescheides bzw. bei Selbstberechnungsabgaben in Form der Bekanntgabe der Abgabenschuld durch den Abgabenschuldner gegenüber der Abgabenbehörde) besteht und die Fälligkeit eingetreten ist. Der Beschwerdeführer wurde durch die Haftungsbescheide zum (Mit-)Schuldner der spruchgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten der beiden Konkursgesellschaften. Auch Haftungsbescheide (§ 224 BAO) sind Abgabenschuldtitel, die ein Leistungsgebot aussprechen, weshalb die spruchgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten im Insolvenzverfahren des Beschwerdeführers "vollstreckbare Forderungen" im Sinne des § 110 IO sind. Auf einen (gemäß § 229 BAO nur für die Einbringung im finanzbehördlichen und gerichtlichen Vollstreckungsverfahren als Exekutionstitel auszustellenden) Rückstandsausweis kommt es nicht an (im Insolvenzverfahren ist der als "Rückstandsausweis" überschriebene Ausdruck der Abgabenschuldigkeiten kein Exekutionstitel, sondern bloß eine verwaltungsintern mit ministeriellem Erlass vorgegebene Beilage zur Forderungsanmeldung, die als öffentliche Urkunde dem Beweis des Bestehens der Abgabenschuldigkeiten dient; vgl. Rauscher, Nochmals: Abgabenforderungen im insolvenzrechtlichen Feststellungsverfahren, JBl 2020, 437 ff).
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da diese Voraussetzung nicht vorliegt, war auszusprechen, dass die Revision nicht zulässig ist.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 226 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 10 Abs. 1 IO, Insolvenzordnung, RGBl. Nr. 337/1914 § 65 Abs. 1 AbgEO, Abgabenexekutionsordnung, BGBl. Nr. 104/1949 § 71 Abs. 1 AbgEO, Abgabenexekutionsordnung, BGBl. Nr. 104/1949 § 110 Abs. 3 IO, Insolvenzordnung, RGBl. Nr. 337/1914 § 224 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 110 IO, Insolvenzordnung, RGBl. Nr. 337/1914 § 229 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.2100428.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at