Säumnisbeschwerde – Einzel – Beschluss, BFG vom 23.09.2023, RS/2100018/2023

Keine Säumnisbeschwerdebefugnis gegen das Unterbleiben einer amtswegigen Wiederaufnahme

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht (BFG) hat durch die Richterin ***Ri*** in der Beschwerdesache des ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch XY-Steuerberatung, betreffend Säumnisbeschwerde (§ 284 BAO) vom , beim BFG eingelangt am , wegen behaupteter Säumnis des Finanzamtes Österreich/Dienststelle X im Zusammenhang mit der Beschwerdevorentscheidung vom zur Beschwerde vom gegen den Einkommensteuerbescheid 2017 v. , sämtliche eingebracht bzw. ergangen zur Steuernummer ***BF1StNr1***, beschlossen:

Die Säumnisbeschwerde (§ 284 BAO) vom wird gemäß § 278 Abs. 1 lit a iVm § 260 Abs. 1 lit a BAO als unzulässig zurückgewiesen.

Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 iVm Abs. 9 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Begründung

Gegenstand des anhängigen Verfahrens ist eine am beim BFG eingelangte Säumnisbeschwerde nach § 284 BAO vom , mit welcher der - steuerlich vertretene - Beschwerdeführer (Bf) eine Untätigkeit des Finanzamtes Österreich/Dienststelle X (FA) in seinem Abgabenverfahren betreffend die Einkommensteuer (ESt) 2017 geltend macht.
Konkret betroffen ist eine Beschwerdevorentscheidung (BVE) zur ESt 2017.

Der Bf begründet die Säumnisbeschwerde im Wesentlichen mit dem Rechtsstandpunkt, dass die Abgabenbehörde zu seiner Beschwerde gegen den ESt-Bescheid 2017 vom zwei idente BVE erlassen habe (zunächst mit Bescheid vom und noch einmal mit Bescheid vom ), wodurch der Grundsatz des "ne bis in idem" verletzt worden sei.
Aus Sicht des Bf wäre die später ergangene BVE ersatzlos aufzuheben, "womit der Erstbescheid in weiterer Folge (weil ein lex posterior Bescheid nicht mehr vorliegt) wieder in seine Wirksamkeit tritt." Der Bf untermauert seine Position mit dem Verweis auf Ritz, BAO7 Rz 6 Bsp2 und die dort zitierte VwGH-Judikatur.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

I. Dem verfahrensgegenständlichen Anbringen des Bf liegt nach dem Ergebnis des durchgeführten finanzgerichtlichen Ermittlungsverfahrens (Auswertung der Säumnisbeschwerde, eines durchgeführten Mängelbehebungsverfahrens und von Recherchen in den Datenbanken der Abgabenbehörde) der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:

Am erging eine mittels Formular "Verf 40" händisch erstellte BVE des FA (Abweisung) zur Beschwerde des Bf vom gegen den nach einer Wiederaufnahme (§ 303 (1) BAO) ergangenen ESt Bescheid 2017 vom , deren Erhalt der Bf bestätigt.

Zwar liegt ein Rückschein über die Zustellung der BVE nicht vor, doch weist die abgabenbehördliche Datenbank GDV einen Versand des Formulars "Verf 40" am und eine Hinterlegung des Rückscheines am aus, mit der die Zustellung bewirkt wurde.
Das BFG sieht keine Veranlassung, die Richtigkeit dieser Daten in Frage zu stellen, zumal im anhängigen Verfahren kein davon abweichendes Zustelldatum genannt wurde.

Ein nach Ergehen der BVE vom eingebrachter Vorlageantrag (§ 264 BAO) wird vom Bf nicht behauptet und ist in dessen elektron. Steuerakt auch nicht dokumentiert.

Am ging dem Bf nach dem abgabenbehördlichen Datenbestand im Wege seines FinanzOnline-Zuganges eine weitere abweisende BVE zu seiner Beschwerde vom gegen den ESt Bescheid 2017 vom zu (elektron. Ausfertigung). Die Erledigung verweist auf eine dem Bf gesondert zugehende Begründung.

Eine zusätzliche Begründung - neben jener in der BVE vom - wurde nach dem Verfahrensergebnis unstrittig nicht ausgefertigt bzw. versendet.

Auch die Einbringung eines Antrages auf Zustellung einer fehlenden Begründung oder eines Vorlageantrages zur BVE vom wird vom Bf nicht behauptet und ist in dessen elektron. Steuerakt nicht dokumentiert.

Ersichtlich ist im elektron. Steuerakt dagegen, dass am ein Antrag auf Wiederaufnahme (§ 303 (1) BAO) des ESt-Bescheides 2017 vom eingebracht wurde, den das FA mit Bescheid vom abweisend erledigte.
Auch diese Erledigung wurde nach dem abgabenbehördlichen Datenbestand nicht mit Rechtmittel bekämpft, sondern erwuchs in Rechtskraft.

Am Tag nach Abweisung des Wiederaufnahmeantrages vom verfasste der Bf die verfahrensgegenständliche Säumnisbeschwerde, die am beim BFG einlangte.

Mit BFG-Beschluss nach § 285 (2) iVm § 85 (2) BAO vom erging an den Bf der Auftrag, die Mängel der Säumnisbeschwerde vom betreffend inhaltliche Darstellung des unerledigten Antrages oder der Angelegenheit, der eine Pflichtverletzung zur amtswegigen Bescheiderlassung zugrunde liegen soll, sowie die Angaben zur Beurteilung des Fristablaufes nach § 284 (1) BAO (§ 285 Abs 1 lit b und lit c BAO) bis "unter Anschluss einer Kopie des betreffenden Antrages" zu beheben.

In einer fristgerechten Stellungnahme zum Mängelbehebungsauftrag führte die steuerliche Vertretung des Bf konkretisierend aus, dass "die belangte Behörde es bis jetzt versäumt hat, den zweitgenannten Bescheid vom mittels Wiederaufnahme aufzuheben, damit der erstgenannte Bescheid vom seine Rechtswirksamkeit entfalten kann und die belangte Behörde dadurch eine Rechtsmittelerledigung erfüllen würde." Der aktuelle Bescheid vom , sei "ident zum Erstbescheid vom und keine Rechtswirksamkeit dadurch entfaltet wurde."
Zum Fristenlauf enthält der Mängelbehebungsschriftsatz den Hinweis, dass die belangte Behörde durch den "Zweitbescheid" (BFG-Anmerkung: wohl vom ) "den Erst- und Zweitbescheid aufgehoben" hat, woraus abgeleitet wird, dass die Beschwerde vom dadurch bzw. seither unerledigt blieb, sodass eine Säumigkeit iSd § 284 BAO eingetreten sei.

Mit Beschluss vom trug das BFG dem FA - unter Anschluss der Unterlagen zum durchgeführten Mängelbehebungsverfahren - gemäß § 284 (2) BAO auf, bis 15.Sept.2023 entweder
"- den in der angeschlossenen Eingabe des Bf an das genannten Wiederaufnahmeantrag des Bf samt Abschrift der zugehörigen Erledigung des FA oder
- eine Abschrift des (amtswegigen) Wiederaufnahmebescheides des FA zur BVE vom betreffend ESt 2017 (je samt Zustellnachweis) zu übermitteln
oder
- anzugeben, weshalb aus Sicht der Abgabenbehörde eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht oder nicht mehr vorliegt
."
Das FA reagierte auf den nicht.

II. § 303 Abs 1 BAO lautet:
"Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn
a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder
b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder
c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,
und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte
."

§ 284 Abs. 1 BAO lautet:
"Wegen Verletzung der Entscheidungspflicht kann die Partei Beschwerde (Säumnisbeschwerde) beim Verwaltungsgericht erheben, wenn ihr Bescheide der Abgabenbehörden nicht innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen der Anbringen oder nach dem Eintritt zur Verpflichtung zu ihrer amtswegigen Erlassung bekanntgegeben (§ 97) werden. Hiezu ist jede Partei befugt, der gegenüber der Bescheid zu ergehen hat."

III. Nach dem Ergebnis des Mängelbehebungsverfahrens bezieht sich der Vorwurf der Säumigkeit auf eine unterbliebene Wiederaufnahme der BVE vom .

Da, trotz Aufforderung, keine der Verfahrensparteien dem BFG einen unerledigten Wiederaufnahmeantrag des Bf zur ESt 2017 bekanntgab oder übermittelte, geht das BFG davon aus, dass der am beim BFG eingebrachten Säumnisbeschwerde der Vorwurf der Verletzung einer Verpflichtung des FA zu einer amtswegigen Wiederaufnahme nach § 303 (1) BAO betreffend die BVE vom zur ESt-2017 zugrunde liegt.

Allerdings enthält § 303 (1) BAO keine Verpflichtung der Abgabenbehörde zur Wiederaufnahme von bescheidmäßig abgeschlossenen Verfahren von Amts wegen (vgl. ; ).
Vielmehr ist § 303 (1) BAO als "Kann-Bestimmung" formuliert, aufgrund der eine Wiederaufnahmeentscheidung dem Ermessen der Abgabenbehörde obliegt. Zudem sieht die Norm keine Frist vor, innerhalb derer das FA eine amtswegige Wiederaufnahme durchzuführen hätte. Damit fehlt es an zwei entscheidenden Voraussetzungen für eine inhaltliche Erledigung der verfahrensgegenständlichen Säumnisbeschwerde.

Nachdem mangels abgabenbehördlicher Verpflichtung und gesetzlicher Frist für eine amtswegige Wiederaufnahme, eine mit Beschwerde nach § 284 BAO bekämpfbare Säumnis der Abgabenbehörde nicht vorliegt, war die verfahrensgegenständliche Säumnisbeschwerde als unzulässig zurückzuweisen ().

Der Vollständigkeit halber sei daran erinnert, dass nach dem Ergebnis des durchgeführten Mängelbehebungsverfahrens eine Säumigkeit bezüglich der nach § 262 (1) BAO bestehenden Verpflichtung der Abgabenbehörde zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung zur Beschwerde vom gegen den ESt-Bescheid 2017 vom im anhängigen Verfahren (zu Recht) nicht eingewendet wurde.

Tatsächlich wurde in der Säumnisbeschwerde ausdrücklich eingeräumt, dass dem Bf sowohl die (vollständige) BVE vom als auch die BVE vom zugingen, Letztere mit dem Hinweis auf eine gesonderte Begründung. Lediglich die Reihenfolge der Zustellungen ist nach dem Vorbringen in der Säumnisbeschwerde unklar.

Nach § 262 Abs 1 BAO ist - abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmen - über Bescheidbeschwerden mit als Beschwerdevorentscheidung zu bezeichnendem Bescheid abzusprechen.
Als Bescheide haben Beschwerdevorentscheidungen (ua.) die Bescheiderfordernisse des § 93 BAO zu erfüllen und daher eine Begründung zu enthalten, wenn ihnen ein Anbringen zugrunde liegt, dem nicht vollinhaltlich entsprochen wird (§ 93 Abs 3 lit a BAO).

Nach dem - zufolge § 264 Abs 4 lit a BAO für die Einbringung von Vorlageanträgen sinngemäß geltenden - zweiten Satz des § 245 Abs 1 BAO wird der Lauf der Beschwerdefrist gegen einen abgabenbehördlichen Bescheid, der eine gesonderte Begründung ankündigt, erst mit der Zustellung der angekündigten Begründung in Lauf gesetzt.
§ 245 Abs 1 zweiter Satz BAO gilt jedoch nicht, wenn eine gesonderte Begründung bereits vor Bekanntgabe des Bescheides erging (vgl. Ritz/Koran BAO Kommentar7 § 245 Rz 8).

Da die beiden BVE-Erledigungen vom Dezember 2020 nach dem Verfahrensergebnis, abgesehen von der Begründung, inhaltlich ident waren, liegt dem Bf seit dem Zugang der BVE vom - mag dieser nun vor oder nach dem erfolgt sein - auch eine (gesonderte) Begründung zur BVE vom vor, mit der zugleich der Fristenlauf für die Einbringung eines Vorlageantrages begann.
Eine Säumigkeit betreffend die Erledigung der Beschwerde vom gegen den ESt-Bescheid 2017 vom war der Abgabenbehörde somit nicht vorzuwerfen.

Zur Unzulässigkeit einer Revision

Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im anhängigen Verfahren lagen die genannten Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision nicht vor. Soweit nicht Sachverhaltsfragen maßgeblich waren, folgt die Entscheidung dem eindeutigen Wortlaut der verwendeten gesetzlichen Bestimmungen sowie der angeführten VwGH-Judikatur.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 284 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RS.2100018.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at