Geschäftsführerhaftung, keine schuldhafte Pflichtverletzung, Schätzung wegen Nichtabgabe der Steuererklärung nach Beendigung der Geschäftsführung
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. in der Beschwerdesache Bf., A-1, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Lorenz Wicho, Wipplingerstraße 32, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , Steuernummer N-1, betreffend Haftung gemäß § 9 BAO, nach der am in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seines rechtsfreundlichen Vertreters, des Vertreters des Finanzamtes P-1 sowie der Schriftführerin P-2 durchgeführten mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit Bescheid vom wurde der Beschwerdeführer (Bf.) gemäß § 9 Abs. 1 BAO iVm § 80 BAO als ehemaliger Geschäftsführer der G-1 für deren in der Höhe von € 10.110,37 aushaftende Umsatzsteuer 2017 zur Haftung herangezogen.
Gemäß § 80 Abs. 1 BAO hätten die zur Vertretung juristischer Personen Berufenen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen oblägen, und insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalteten, entrichtet würden.
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO hafteten die in § 80 Abs. 1 BAO erwähnten Personen neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für diese Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht hätten eingebracht werden können.
Gemäß § 1298 ABGB obliege dem, der vorgebe, dass er an der Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtung ohne sein Verschulden gehindert gewesen sei, der Beweis.
Aus dem Zusammenhang dieser Bestimmungen ergebe sich, dass der wirksam bestellte Vertreter einer juristischen Person, der die Abgaben der juristischen Person nicht entrichtet habe, für diese Abgaben hafte, wenn sie bei der juristischen Person nicht eingebracht werden könnten und er nicht beweise, dass die Abgaben ohne sein Verschulden nicht hätten entrichtet werden können.
Der Bf. sei im Zeitraum vom D-1 bis D-2 unbestritten handelsrechtlicher Geschäftsführer der Gesellschaft, also einer juristischen Person, und daher gemäß § 18 GmbHG zu deren Vertretung berufen gewesen. Er sei somit auch verpflichtet gewesen, die Abgaben aus deren Mitteln zu bezahlen.
Hinsichtlich der Heranziehung für aushaftende Umsatzsteuer sei Folgendes festzuhalten:
Gemäß § 21 Abs. 1 UStG habe der Unternehmer spätestens am 15. Tag (Fälligkeitstag) des auf den Kalendermonat (Voranmeldungszeitraum) zweitfolgenden Kalendermonats eine Voranmeldung bei dem für die Einhebung der Umsatzsteuer zuständigen Finanzamt einzureichen, in der er die für den Voranmeldungszeitraum zu entrichtende Steuer (Vorauszahlung) oder den auf den Voranmeldungszeitraum entfallenden Überschuss unter entsprechender Anwendung des § 20 Abs. 1 und 2 UStG und des § 16 UStG selbst zu berechnen habe. Der Unternehmer habe eine sich ergebende Vorauszahlung spätestens am Fälligkeitstag zu entrichten. Für die haftungsgegenständlichen Zeiträume sei die Umsatzsteuer gemeldet und festgesetzt bzw. rechtskräftig veranlagt, jedoch nicht entrichtet worden.
In diesem Zusammenhang sei auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach es Sache des Geschäftsführers sei, die Gründe darzulegen, die ihn ohne sein Verschulden daran gehindert hätten, die ihm obliegende abgabenrechtliche Verpflichtung zu erfüllen, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung gemäß § 9 Abs. 1 BAO angenommen werden dürfe (, 0038). Demnach hafte der Geschäftsführer für die nichtentrichteten Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die Mittel, die ihm für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung gestanden seien, hierzu nicht ausreichten, es sei denn, er weise nach, dass er diese Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet, die Abgabenschulden daher im Verhältnis nicht schlechter behandelt habe als andere Verbindlichkeiten.
Die Schuldhaftigkeit sei damit zu begründen, dass durch sein pflichtwidriges Verhalten als Vertreter der Gesellschaft die Uneinbringlichkeit eingetreten sei. Weiters sei der Bf. seiner Verpflichtung, Behauptungen und Beweisanbote zu seiner Entlastung darzutun, nicht nachgekommen, daher sei wie im Spruch zu entscheiden gewesen.
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In der dagegen am rechtzeitig eingebrachten Beschwerde wandte der Bf. ein, dass er im Zeitraum vom D-1 bis D-3 (Anmerkung BFG: gemeint wohl D-2) handelsrechtlicher Geschäftsführer der GmbH gewesen sei.
Mit Abtretungsvertrag vom ## (Anmerkung BFG: gemeint wohl D-4) und Beschluss der Gesellschafter vom ## (Anmerkung BFG: gemeint wohl D-4) sei der Bf. aus der Gesellschaft ausgeschieden und als handelsrechtlicher Geschäftsführer abberufen worden. Die Abberufung sei am D-2 in das Firmenbuch eingetragen worden.
Beweis: Auszug aus dem Firmenbuch mit historischen Daten (Beilage ./1)
Der Bf. habe die gesamte Zeit über versucht, sich Einblick in die Geschäftsunterlagen zu verschaffen, der ihm aber nicht gewährt worden sei. Er habe sohin nur rudimentäre Anhaltspunkte zur wirtschaftlichen Gebarung der Gesellschaft gehabt. Das sei letztlich einer der Hauptgründe gewesen, dass er seinen Geschäftsanteil am Unternehmen abgetreten habe und von seiner Funktion als handelsrechtlicher Geschäftsführer abberufen worden sei.
Der Bescheid werde zur Gänze angefochten. Dies aus folgenden Gründen:
1. Mangelhafte Ermittlung des Sachverhalts des Kreises der Haftenden
Die Haftung gemäß § 9 Abs. 1 BAO sei eine Ausfallshaftung. Das bedeute, dass diese Haftung nach § 9 BAO nur subsidiär geltend gemacht werden dürfe, nämlich dann, wenn der Ausfall nicht nur beim Primärschuldner, sondern auch bei mit ihm verbundenen Gesamtschuldnern (vgl. ; ) sowie bei dem außerhalb des § 9 BAO Haftenden eindeutig feststehe (vgl. ).
Hinzu komme, dass mit dem durch das AbgÄG 2012 in die BAO eingefügten § 9a Abs. 2 BAO der Kreis der gegebenenfalls für eine Ausfallshaftung in Betracht kommenden Personen gegenüber dem § 9 Abs. 1 BAO erweitert worden sei. Die Haftungen nach § 9 BAO und nach § 9a Abs. 2 BAO schlössen einander nicht aus.
Im hier gegenständlichen Fall habe die Behörde den Kreis der für eine Ausfallshaftung in Betracht kommenden Personen nicht weiter überprüft. Aus dem Bescheid gehe nicht hervor, ob sie überhaupt versucht habe, andere Personen als den Beschwerdeführer heranzuziehen.
Schon allein deshalb sei der angefochtene Bescheid rechtswidrig.
2. Inhaltliche Rechtswidrigkeit des Bescheides
Die Behörde stütze sich im angefochtenen Bescheid auf die Vorschreibung der Umsatzsteuer für das Jahr 2017. Es gehe aus dem Bescheid nicht hervor, ob es sich um die gesamte für das Jahr 2017 zu leistende Umsatzsteuer handle oder nur um jenen Teilbereich, in welchem der Beschwerdeführer auch tatsächlich handelsrechtlicher Geschäftsführer der GmbH gewesen sei.
Allein aus diesem Grund fehle es dem Bescheid an der notwendigen Grundlage, weil nicht einmal hervorgehe, für welchen Zeitraum der Beschwerdeführer für die zu entrichtende Umsatzsteuer haften solle. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer - wie dargetan - nur rudimentäre Einsicht in die Geschäftsunterlagen gehabt habe.
3. Mangelnde Kausalität
Nicht nur, dass der angefochtene Bescheid inhaltlich rechtswidrig sei, es fehle auch an der notwendigen Kausalität, wenn die Behörde nicht darlege, für welchen Zeitraum konkret der Beschwerdeführer in Anspruch genommen werden solle.
Die Haftungsinanspruchnahme setze nämlich eine Kausalität zwischen schuldhafter Pflichtverletzung und Abgabenausfall voraus. Die Pflichtverletzung müsse zur Uneinbringlichkeit geführt haben. Wäre die Abgabe auch ohne schuldhafte Pflichtverletzung des Vertreters uneinbringlich geworden, so bestehe keine Haftung.
Die Gesellschaft sei im Ergebnis amtswegig gelöscht worden, weil sie über kein Vermögen mehr verfügt habe. Der Beschwerdeführer habe über die gesamte Zeit, als er handelsrechtlicher Geschäftsführer gewesen sei, fällige Rechnungen beglichen und die Bücher - nach Maßgabe der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen - sorgfältig geführt.
4. Notwendige Ermittlungen gemäß § 278 Abs. 1 BAO
Die hier angeführten Ermittlungen seien notwendig, weil dann ein anderslautender Bescheid erlassen worden wäre. Diese Ermittlungsschritte könne zweckdienlicher Weise einzig die Abgabenbehörde selbst vornehmen, nicht aber das Bundesfinanzgericht im Rahmen der Entscheidung über die Beschwerde. Dann würde nämlich das Bundesfinanzgericht die Aufgabe der Abgabenbehörde zur Ermittlung der notwendigen Bescheidgrundlagen übernehmen. Das liege aber nicht in dessen Kompetenzbereich.
Im Ergebnis werde das Bundesfinanzgericht daher die Beschwerde gemäß § 278 BAO mit Beschluss zur Ergänzung des Ermittlungsverfahrens zurückzuverweisen haben.
Beweis: PV
5. Wirtschaftlich angespannte Lage des Beschwerdeführers
Hinzu komme, dass die wirtschaftliche Lage des Beschwerdeführers aktuell angespannt und er nicht in der Lage sei, für die gesamten Verbindlichkeiten der GmbH aufkommen zu können. Dies sei bei der Inanspruchnahme eines Verpflichteten gemäß § 9 BAO zu berücksichtigen, was die Behörde aber nicht gemacht habe.
Auch aus diesem Grund sei der angefochtene Bescheid rechtswidrig.
Abschließend beantragte der Bf. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und ausgeführt wie folgt:
Die Gesellschaft sei mit Gesellschaftsvertrag vom D-5 mit Eintrag im Firmenbuch Wien vom D-1 gegründet worden. Der Beschwerdeführer sei mit D-1 als handelsrechtlicher Geschäftsführer eingetragen worden. Zu keinem Zeitpunkt seien vom Beschwerdeführer Gesellschaftsanteile gehalten oder abgetreten worden.
Die in Pkt. 2. angeführten Argumente, dass sich der Beschwerdeführer keinen Einblick in die Gebarung verschaffen habe können, die Gesellschaftsanteile abgetreten und seine Tätigkeit als Geschäftsführer beendet habe, stimmten mit den Unterlagen und Eintragungen nicht überein.
Die schuldhafte Pflichtverletzung sei damit begründet, dass im Zeitraum Jänner bis Juli 2018 - Zeitraum der Geschäftsführertätigkeit des Beschwerdeführers - keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben worden seien. Für die Abgabe einer Umsatzsteuererklärung 2017 wäre auf jeden Fall noch der Beschwerdeführer verantwortlich gewesen, da der Abgabenanspruch der Umsatzsteuer 2017 mit Übergang auf 2018 entstehe und am fällig sei. Eine Abgabe einer Umsatzsteuererklärung 2017 sei jedoch unterblieben, sodass diese - nach mehreren Aufforderungen des Finanzamtes - geschätzt worden sei.
Wenn zum Zeitpunkt der Geschäftstätigkeit des Beschwerdeführers die Gesellschaft bereits vermögenslos gewesen sei, bestehe die Verpflichtung der organschaftlichen Vertretung, diese wahrzunehmen und entweder die Insolvenz beim zuständigen Gericht anzumelden oder die Gesellschaft zu liquidieren und die eventuellen Erträge an die Gläubiger zu verteilen. Die Löschung der Gesellschaft sei jedoch am D-6 von Amts wegen durchgeführt worden.
Die schuldhafte Pflichtverletzung des Beschwerdeführers als organschaftliche Vertretung der Gesellschaft und damit die Haftungsinanspruchnahme sei aus folgenden Gründen gerechtfertigt:
- Tätigkeit seit Beginn der Gesellschaft - Einblick in die Gebarung
- keine Abgabe einer Umsatzsteuererklärung für 2017 - keine Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen für 01-07/2018
- widersprüchliche Angaben zu Gesellschaftsanteilen, Verwehrung des Einblickes in die Gebarung
- Pflichtverletzung bei Meldung der Insolvenz bei Vermögenslosigkeit
- Nichtbeantwortung des Vorhaltes vom
Aus den dargelegten Gründen sei die Haftungsinanspruchnahme gerechtfertigt und die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
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Fristgerecht beantragte der Bf. mit Schreiben vom die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht, ohne zur Beschwerdevorentscheidung Stellung zu nehmen.
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In der am durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde vorgebracht:
Vertreter des Bf.:
"Mein Mandant hat am D-4 die Geschäftsführung zurückgelegt. Zu diesem Zeitpunkt bestand ein Rückstand an Steuern in Höhe von ca. € 1.500,00. Auf diesen Rückstand hat der Bf. die Gesellschafter ausdrücklich darauf hingewiesen. Zur Zahlung dieses Rückstandes haben sich die Gesellschafter vertraglich verpflichtet. Wenn mein Mandant gewusst hätte, dass sich noch ein weiterer Rückstand an Umsatzsteuer 2017 ergeben könnte, hätte er sich entsprechend abgesichert."
Amtsvertreter:
"Der Rückstand an Umsatzsteuer 2017 ergibt sich als eine Schätzung aufgrund der Nichtabgabe der Steuererklärung. Bereits im Vorfeld wurde dem damaligen Geschäftsführer, wobei derzeit nicht ersichtlich ist, ob es sich hierbei noch um den Bf. gehandelt hat, Aufforderungen zur Einreichung von Abgabenerklärungen zur Kenntnis gebracht. Im Falle der steuerlichen Vertretung werden diese Schriftstücke an den Vertreter gesandt und nicht direkt an den jeweiligen Geschäftsführer. Dazu kommt, dass der Geschäftsführer trotz Betrauung mit einem Steuerberater dafür zu sorgen hat, dass die Steuererklärungen rechtzeitig abgegeben und die Abgaben entrichtet werden.
Entgegen der Darstellung in der Beschwerdevorentscheidung wurden nicht nur im Zeitraum Jänner bis Juli 2018, sondern bereits 2017 keinerlei UVA abgegeben, dies im Zeitraum der Geschäftsführertätigkeit des Bf."
Richterin:
"Aus dem Steuerkonto ergibt sich, dass am Umsatzsteuer der Monate 07-12/2017 aufgrund von abgegeben Voranmeldungen mit jeweils Gutschriften festgesetzt wurden."
Amtsvertreter:
"Durch die Schätzungen der Umsatzsteuer 2017 wurden diese Gutschriften wieder aberkannt und eine Zahllast in der Höhe des im Haftungsbescheid enthaltenen Betrages festgesetzt. Ob die Erklärung mittels FinanzOnline einzubringen gewesen wäre, kann ich derzeit nicht angeben."
Vertreter des Bf.:
"Ich möchte noch darauf hinweisen, dass die Beantragung des Konkurses meinen Mandanten nicht mehr getroffen hat, da die Insolvenz erst nach seinem Ausscheiden eingetreten ist."
Richterin:
"Fraglich ist, ob der Bf. für die Einreichung der Umsatzsteuererklärung 2017 noch verantwortlich war."
Amtsvertreter:
"Diese Information werde ich noch nachreichen."
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Mit eMail vom gab das Finanzamt Folgendes bekannt:
1.) Der Erklärungsversand für die Umsatz- und Körperschaftsteuer 2017 sei am an die Firmenadresse in A-2, erfolgt. Dies sei auch die Firmenadresse der später angemerkten steuerlichen Vertretung, der G-2.
2.) Die Abgabe der Erklärungen für 2017 habe laut Quotenregelung mit geendet. Für das Kalenderjahr 2018 sei ein "Einzelfallausschluss" der steuerlichen Vertretung erfolgt, da die Schätzung erfolgt sei und keine Erklärungen für 2017 und 2018 abgegeben worden seien.
3.) Am sei eine Fristverlängerung bis gewährt worden.
4.) Am sei eine Erinnerung und Androhung einer Zwangs- und Ordnungsstrafe mit einer Nachfrist bis erfolgt.
5.) Am sei der Schätzungsauftrag angemerkt worden.
Die Anmerkung der steuerlichen Vertretung sei erst im Kalenderjahr 2019 (genaues Datum nicht ersichtlich) vorgenommen worden. Davor seien alle Bescheide und Schriftstücke an die Gesellschaft direkt versendet worden (Firmenadresse = Zustelladresse der steuerlichen Vertretung).
Das Finanzamt stelle den Antrag, den Haftungsbescheid aufrecht zu halten, da der verantwortliche Geschäftsführer Kenntnis über die Gebarung habe haben müssen, da die Bescheide an die Gesellschaft zugestellt worden seien. Weiters habe er die Möglichkeit gehabt, die Erklärungen 2017 bis zu seinem Austritt aus der Gesellschaft einzureichen.
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Da nicht klar sei, weshalb die Umsatzsteuererklärung 2017 bereits am hätte versendet werden sollen und die Quotenfrist bereits am geendet hätte, ersuchte das Bundesfinanzgericht das Finanzamt mit eMail vom um entsprechende Stellungnahme.
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Daraufhin gab das Finanzamt mit eMail vom bekannt, dass der Passus "Quote" bei den Erklärungsdaten mit der Neuaufnahme durch das InfoCenter zusammenhänge. Mit diesem Datum sei der Akt der Gesellschaft in den Grunddaten aufgenommen und die Steuernummer vergeben worden.
Der angeführte Punkt 2.) sei für die Erklärungsabgabe nicht relevant.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Der nach Abgabenvorschriften Haftungspflichtige kann gemäß § 248 BAO unbeschadet der Einbringung einer Bescheidbeschwerde gegen seine Heranziehung zur Haftung (Haftungsbescheid, § 224 Abs. 1) innerhalb der für die Einbringung der Bescheidbeschwerde gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Bescheidbeschwerde einbringen.
Ermittlungen
Gemäß § 269 Abs. 1 BAO haben die Verwaltungsgerichte im Beschwerdeverfahren die Obliegenheiten und Befugnisse, die den Abgabenbehörden auferlegt und eingeräumt sind.
Die Verwaltungsgerichte können gemäß § 269 Abs. 2 BAO das zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes erforderliche Ermittlungsverfahren durch eine von ihnen selbst zu bestimmende Abgabenbehörde durchführen und ergänzen lassen.
Ist die Bescheidbeschwerde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtes a) weder als unzulässig oder nicht rechtzeitig eingebracht zurückzuweisen (§ 260) noch b) als zurückgenommen (§ 85 Abs. 2, § 86a Abs. 1) oder als gegenstandslos (§ 256 Abs. 3, § 261) zu erklären, so kann das Verwaltungsgericht gemäß § 278 Abs. 1 BAO mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anderslautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können. Eine solche Aufhebung ist unzulässig, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Entgegen der Rechtsansicht des Bf., dass die Durchführung von Ermittlungen nicht im Kompetenzbereich des Bundesfinanzgerichtes liege, sondern von den Abgabenbehörden vorzunehmen seien, normiert § 269 Abs. 1 BAO, dass die Verwaltungsgerichte im Beschwerdeverfahren die Obliegenheiten und Befugnisse, die den Abgabenbehörden auferlegt und eingeräumt sind, haben. Gemäß § 269 Abs. 2 BAO können sie dazu Abgabenbehörden bestimmen oder gemäß § 278 Abs. 1 BAO die Beschwerde im Falle der Unterlassung von notwendigen Ermittlungen unter Zurückverweisung an die Abgabenbehörde erledigen, allerdings auch nicht, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Voraussetzungen für die Haftung gemäß § 9 Abs. 1 BAO sind:
- Uneinbringlichkeit der Abgabenforderungen
- Stellung des Geschäftsführers als Vertreter
- Abgabenforderungen gegen die vertretene Gesellschaft
- abgabenrechtliche Pflichtverletzung des Vertreters
- dessen Verschulden an der Pflichtverletzung
- Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit der Abgaben (Kausalität)
Uneinbringlichkeit
Die Haftung nach § 9 Abs. 1 BAO ist eine Ausfallshaftung (). Voraussetzung ist die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden (). Uneinbringlichkeit liegt vor, wenn Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos waren oder voraussichtlich erfolglos wären ().
Im gegenständlichen Fall steht die Uneinbringlichkeit fest, da die G-1 mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom D-6 gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit gelöscht wurde.
Vertreterstellung
Die vorgenannte Gesellschaft wurde mit Gesellschafterbeschluss vom D-5 gegründet und der Bf. mit Gesellschafterbeschluss vom D-7 zum Geschäftsführer bestellt und am D-4 wieder abberufen.
Abgabenforderungen
Aktenkundig ist ein an die GmbH adressierter Bescheid vom , mit dem die in voller Höhe noch aushaftende Umsatzsteuer 2017 von € 10.110,37 festgesetzt wurde.
Allerdings wurde die Firma wie bereits ausgeführt am D-6 im Firmenbuch gelöscht, sodass der erst danach erlassene Umsatzsteuerbescheid 2017 nicht wirksam wurde.
Gemäß § 224 Abs. 3 BAO ist die erstmalige Geltendmachung eines Abgabenanspruches anlässlich der Erlassung eines Haftungsbescheides gemäß Abs. 1 nach Eintritt der Verjährung des Rechtes zur Festsetzung der Abgabe nicht mehr zulässig.
Da dem Haftungsbescheid somit kein wirksamer Festsetzungsbescheid zugrunde lag, gilt die eingeforderte Abgabe somit als im Haftungsbescheid gemäß § 224 Abs. 3 BAO erstmals geltend gemacht.
Das Recht, eine Abgabe festzusetzen, unterliegt gemäß § 207 Abs. 1 BAO nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen der Verjährung.
Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 207 Abs. 2 BAO (…) bei allen übrigen Abgaben fünf Jahre.
Gemäß § 208 Abs. 1 lit. a BAO beginnt die Verjährung in den Fällen des § 207 Abs. 2 mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist, soweit nicht im Abs. 2 ein anderer Zeitpunkt bestimmt wird.
Die Festsetzungsverjährung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetreten, da diese im gegenständlichen Fall gemäß § 207 Abs. 2 BAO iVm § 208 Abs. 1 lit. a BAO am geendet hätte, der Haftungsbescheid jedoch bereits am erlassen wurde.
Aus dem Einwand des Bf., dass aus dem Bescheid nicht hervorgehe, ob es sich um die gesamte für das Jahr 2017 zu leistende Umsatzsteuer handle oder nur um jenen Teilbereich, in welchem er auch tatsächlich Geschäftsführer der Gesellschaft gewesen sei, lässt sich nichts gewinnen, weil der Bf. bereits ab der Errichtung der Gesellschaft im Juli 2017 deren erster Geschäftsführer war, weshalb die Jahressteuer 2017 auch nur den Zeitraum Juli bis Dezember 2017 umfassen konnte.
Schuldhafte Pflichtverletzung
Unbestritten ist, dass dem Bf. als Geschäftsführer der GmbH im Zeitraum vom D-7 bis D-4 die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft oblag. Insbesondere ist im Rahmen dieser Verpflichtung für die rechtzeitige und vollständige Entrichtung der Abgaben Sorge zu tragen.
Das Vorbringen des Finanzamtes, dass die schuldhafte Pflichtverletzung damit begründet sei, dass im Zeitraum Jänner bis Juli 2018 keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben worden seien, geht ins Leere, da diese Zeiträume im gegenständlichen Haftungsbescheid nicht enthalten sind.
Ebenso lässt sich aus den Ausführungen des Finanzamtes, dass der Bf. die Verpflichtung gehabt hätte, entweder die Insolvenz beim zuständigen Gericht anzumelden oder die Gesellschaft zu liquidieren und die eventuellen Erträge an die Gläubiger zu verteilen, nichts gewinnen, weil es sich bei den Pflichten, deren Verletzung eine der Voraussetzungen für Haftung des Vertreters ist, nur um abgabenrechtliche Verpflichtungen handelt. Zu ihnen zählen danach weder die Pflicht, einen Antrag auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Vertretenen zu stellen, noch die Pflicht, die Entstehung von Abgabenforderungen beim Vertretenen durch Betriebseinstellung zu vermeiden, oder die Verpflichtung, die Vertreterstellung durch Rücktritt zur Aufhebung zu bringen (). Auch ist es für die Haftung nach § 9 BAO ohne Bedeutung, ob den Vertreter ein Verschulden am Eintritt der Zahlungsunfähigkeit trifft ().
Dem Einwand des Bf., dass ihm ein Einblick in die Geschäftsunterlagen nicht gewährt worden sei, weshalb er von der Geschäftsführung abberufen worden sei, ist entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, dass ein Geschäftsführer, der sich in der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Pflichten durch die Gesellschafter oder durch dritte Personen behindert sieht, entweder sofort im Rechtsweg die Möglichkeit der unbehinderten Ausübung seiner Funktion zu erzwingen oder seine Funktion niederzulegen und als Geschäftsführer auszuscheiden hat. Auch binden im Innenverhältnis erteilte Weisungen den Geschäftsführer insoweit nicht, als sie ihn zur Verletzung zwingender gesetzlicher Verpflichtungen nötigen. Ein für die Haftung relevantes Verschulden liegt aber auch dann vor, wenn sich der Geschäftsführer schon bei der Übernahme seiner Funktion mit einer Beschränkung seiner Befugnisse einverstanden erklärt bzw. eine solche Beschränkung in Kauf nimmt, die die künftige Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtung, insbesondere den Abgabenbehörden gegenüber, unmöglich macht ().
Die Frage, ob ein Abgabenanspruch gegeben ist, ist als Vorfrage im Haftungsverfahren von dem für die Entscheidung über die Haftung zuständigen Organ nur dann zu beantworten, wenn kein eine Bindungswirkung erstreckender Abgabenbescheid vorangegangen ist ().
Da wie bereits ausgeführt kein wirksamer Umsatzsteuerbescheid 2017 erlassen wurde, weshalb die Abgabe erstmals im Haftungsbescheid geltend gemacht wurde, hätte der Bf. im Haftungsverfahren Einwendungen gegen den Abgabenanspruch vorbringen können. Offenbar aufgrund der ihm nur mangelhaft bzw. gar nicht mehr zur Verfügung stehenden Unterlagen wurden diese jedoch unterlassen.
Grundsätzlich ist daher von der Richtigkeit der Höhe der geltend gemachten Umsatzsteuer 2017 auszugehen, allerdings erfordert die Haftung nach § 9 BAO eine schuldhafte Verletzung der dem Vertreter auferlegten Pflichten, weshalb zu prüfen war, ob ihn an der objektiven Pflichtverletzung ein subjektiv vorwerfbares Verschulden, mit dem sich nicht nur die Abgabenbehörde, sondern auch das Bundesfinanzgericht auseinanderzusetzen hat, getroffen hat (in Analogie zu ; ; wonach das Vorbringen, dass die Umsatzsteuernachforderungen auf unzutreffenden Schätzungen basiert seien, nicht in der Weise aussichtslos ist, dass die belangte Behörde nicht gehalten gewesen wäre, sich damit in einer Weise auseinanderzusetzen, die erkennen lässt, worin entgegen seinem Vorbringen die schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten des Bf. zu sehen ist).
Im gegenständlichen Fall beruht die Geltendmachung der Umsatzsteuer 2017 auf einer Schätzung gemäß § 184 BAO (Umsätze € 50.000,00, abzüglich Vorsteuer € 900,00), die erheblich von den - entgegen der Behauptung des Finanzamtes - gemeldeten Umsatzsteuergutschriften abweicht:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Zeitraum | Betrag in € |
07/2017 | 0,00 |
08/2017 | - 649,50 |
09/2017 | - 73,15 |
10/2017 | - 143,53 |
11/2017 | - 72,06 |
12/2017 | - 72,13 |
Eine Auseinandersetzung mit der Frage, inwiefern die Unrichtigkeit der abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen bei gebotener Sorgfalt hätte erkannt werden können, lässt der angefochtene Bescheid jedoch vermissen. Die belangte Behörde gibt darin lediglich zu erkennen, dass sich das dem Bf. vorgeworfene Verschulden auf die Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen stütze, ohne aber darzutun, dass und aus welchen Gründen die Unrichtigkeit dieser Voranmeldungen dem Bf. hätte bekannt sein müssen und insofern im Sinne eines Verschuldens vorwerfbar war (vgl. ).
Gemäß § 134 Abs. 1 BAO sind Abgabenerklärungen für die Umsatzsteuer bis zum Ende des Monates April des Folgejahres, wenn die Übermittlung elektronisch erfolgt, bis Ende des Monates Juni einzureichen.
Da außerdem die Frist für die zeitgerechte Abgabe der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2017 gemäß § 134 Abs. 1 BAO bis bei elektronischer Übermittlung (die Gesellschaft war bei FinanzOnline angemeldet, bereits am erging ein Körperschaftsteuer-Vorauszahlungsbescheid, der elektronisch zugestellt wurde) im Zeitpunkt des Ausscheidens des Bf. aus der Geschäftsführung (D-4) entgegen der Rechtsansicht des Finanzamtes noch offenstand (darüber hinaus wurde die Frist aufgrund der Quotenregelung für steuerliche Vertreter und Fristverlängerungen sogar bis erstreckt) und die Schätzung lediglich aufgrund der ihm nicht vorwerfbaren Nichtabgabe der Steuererklärung erfolgte sowie keine Anhaltspunkte vorliegen, dass die gemeldeten Gutschriften im Gründungsjahr der Gesellschaft unrichtig wären, hat der Bf. für die haftungsgegenständliche Umsatzsteuer 2017 keine Offenlegungs- und Wahrheitspflicht durch Nichtabgabe der Steuererklärung verletzt, weshalb eine schuldhafte Pflichtverletzung nicht vorliegt (vgl. ; Behandlung der Beschwerde abgelehnt durch ; Revision zurückgewiesen durch ; ; ).
Ergebnis
Da die gesetzlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 BAO nicht vorliegen, erfolgte somit die Inanspruchnahme des Bf. als Haftungspflichtiger für die Abgabenschuldigkeiten der G-1 zu Unrecht.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt hier nicht vor. Die Entscheidung folgt vielmehr der dargestellten Judikatur des VwGH.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 248 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 134 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.7101512.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at