TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 04.09.2023, RV/7100921/2023

Schlüssige Gutachten betr. dauernder Erwerbsunfähigkeit

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Suppan/Spiegl/Zeller RechtsanwaltsOG, Konstantingasse 6-8/9, 1160 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung des Antrages vom auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe ab September 2015, SVNr. ***1***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf.), geb. am tt.mm.1994, stellte am , eingelangt bei der belangten Behörde am , den Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zu Familienbeihilfe rückwirkend ab September 2015. Als Begründung wurde "Gehörlosigkeit seit 1995" und "70% Behinderung lt. BSA vom " angegeben. Zugleich wurde auch mit dem Formular Beih 1 Familienbeihilfe beantragt.

Das Finanzamt entschied zunächst mit Bescheid vom über den Erhöhungsbetrag, indem es den Antrag mit Bescheid vom ab September 2015 abwies. Als Begründung wurde darauf verwiesen, dass keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr eingetreten sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Bf. mit Schreiben vom Beschwerde und brachte vor, dass ihr auf Grund ihrer Behinderung bis zum 25. Lebensjahr die Familienbeihilfe zustehe.

Die Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen. Die belangte Behörde verwies auf die Bescheinigung des BSA vom , wonach ein Grad der Behinderung von 70% ab und von 90% ab festgestellt worden sei, jedoch keine dauernde Erwerbsunfähigkeit. Überdies seien Familienbeihilfe und der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe für den Zeitraum September 2015 bis Juni 2016 bereits der Mutter der Bf. ausbezahlt worden.

Weiteres befinde sie sich lt. Aktenlage seit Juli 2016 nicht in Berufsausbildung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich der Vorlageantrag der nunmehr vertretenen Bf. vom , in dem sie u.a. folgendes vorbringt:

"Die belangte Behörde unterliegt einem Rechtsirrtum und wird auf die Ausführungen der Beschwerdeührerin in ihrer Beschwerde vom verwiesen und wie dort beantragt. Aufgrund des Grades der Behinderung von 70% bereits im Jahre 2014 und der ständigen Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin (bis 90% seit ) ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im beantragten Zeitraum dauernd erwerbsunfähig war und daher ein Anspruch auf die Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag besteht. Auch subjektiv empfand und empfindet die Beschwerdeführerin, dass sie nicht in der Lage ist, einer Beschäftigung nachzugehen und bereits seinerzeit erwerbsunfähig war.

Selbst unter Zugrundelegung der Rechtsansicht der belangten Behörde, nämlich, dass die Beschwerdeführerin nicht dauernd erwerbsunfähig ist und sich seit Juli 2016 nicht in einer Berufsausbildung befand, verkennt die belangte Behörde, dass der Beschwerdeführerin die Familienbeihilfe und der Erhöhungsbetrag gern. § 6 Abs 2 lit b FLAG für vier Monate nach Abschluss der Schulausbildung, sohin engegen der Rechtsansicht der belangten Behörde für einen Zeitraum überJuni 2016 hinaus, nämlich fürdie Monate Juli 2016, August 2016, September 2016 und Oktober 2016 zustehen."

Die Bf. beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Der Antrag wurde mit Schreiben vom zurückgenommen.

Aus dem Akteninhalt ergeben sich folgende entscheidungsrelevante Tatsachen:

Die Bf. war lt. Abfrage aus dem Zentralen Melderegister von bis an der gleichen Adresse wie ihre Pflegemutter gemeldet.

Die Tante der Bf. hat als Pflegemutter im familienbeihilfenrechtlichen Sinn bis Juni 2016 die Familienbeihilfe, den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe und die Kinderabsetzbeträge bezogen.

Die Bf. besuchte von bis den Vorbereitungslehrgang für Assistenzpädagogik (im Kindergarten).

Lt. Sozialversicherungsdatenauszug war die Bf. von bis und von bis als Arbeiterin gemeldet.

Folgende Gutachten des Sozialministeriumservice liegen vor:

:

Taubheit rechts und an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit links:

Relevante Befunde:

Dr. Nahler (HNO), , Dr. Kulhanek (HNO) , Bezirksrat Gorj (Übersetzung aus dem Rumänischen): Hörbehinderung mittel, Eintreten der Behinderung: keine Angaben

GdB: 70 % sei 4/2014

Voraussichtlich dauernd außerstande sich den Unterhalt zu verschaffen: Nein

Begründung: aus den vorliegenden Unterlagen ist keine kognitive Funktionseinschränkung ableitbar

(Fachgebiet des Sachverständigen HNO):

Anamnese:

Die Tante hilft bei der Kommunikation. Die Anamnese erfolgt tlw. auch schriftlich über

Bildschirm.

Sie hört schlecht seit Geburt. War in Rumänien in normaler Schule. Hatte immer aber

Hörgeräte aus Österreich (Neuroth links), die ihr die Tante besorgt hat.

Sie hat in Rumänien keine Gebärdensprache erlernt und auch keinen Schulabschluss

gemacht.

Sie lebt seit 2015 in Österreich. Hier hat sie bei Equalizent Gebärdensprache gelernt,

Deutsch lesen hat sie sich selbst beigebracht. Auch in Österreich kein Schulabschluss.

Hat seit 02/2021 Cochlear-Implantat rechts. Mit dem versteht sie auch nicht besser, hört

aber Geräusche besser.

Sie kann Deutsch lesen, aber kaum sprechen, auch Rumänisch ganz schlecht. (Laut Tante:

Ihr Rumänisch kann aber die Familie verstehen, Fremde können sie kaum verstehen.)

Keine Operationen ausser CIArbeitet dzt. bei McDonalds

Befunde:

2015-04 aktenm. allgmeinmed. FLAG-VGA: 70% GdB wegen "Einschränkungen des

Hörvermögens Z6/T5" auf Basis folgender VGA:

- 2014-12 Audiogramm Nahler: re bei 120dB, links (0.5.1.2.4 kHz): 75,65,85,90dB

- 2015-01 HNO-VGA Kulhanek

2021-05 aktenm. allgemeinmed. BBG-GA (mitgebracht): Zusatzeintragung. Hier wird

verwiesen auf ein VGA vom

Lautsprache nur minimal entwickelt, einzelne deutsche Wörter, schlecht verständlich.

Kommunikation mit derTante mit Lippenablesen.

Sie kann deutsch lesen und geschriebene Fragen beantworten.

Tonaudiogramm: re surd, li (0.25,0.5,1,2,4,6kHz). 80,95,100,-,-,-; di. nach Röser beidseits

ein Hörverlust von 100%.Jetzt auch links Taubheit nach EVO 2010. Bei der persönlichen Untersuchung kann auch Bewertung der Sprechstörung vorgenommen werden.

GdB liegt vor seit: 07/2021

GdB 70 liegt vor seit: 04/2014

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:

Frau …………….ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu

verschaffen: NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Eine Gehörlosigkeit schließt eine spätere Erwerbsfähigkeit nicht aus

(Fachgebiet des Sachverständigen HNO)

Anamnese ident mit jener lt. Gutachten vom

Derzeitige Beschwerden: Hören beidseits sehr schlecht, kommuniziert mit Gebärdensprache und Lippenlesen wenn möglich. St.p. Rehab-Aufenthalt in Deutschland 2/2022

Sozialanamnese: Arbeitlos seit Oktober 2021, davor 4 Jahre bei Mc Donalds in Wien, kurz vor Ablauf der Förderung für den Arbeitgeber gekündigt worden.

Hörverlust beidseits 100%

Grad der Behinderung 90%

GdB 70 liegt vor seit: 04/2014

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:

Frau …………….ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu

verschaffen: NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Eine Gehörlosigkeit schließt eine spätere Erwerbsfähigkeit nicht aus.

Mit Vorhalt vom brachte das Bundesfinanzgericht der Bf. folgende vorläufige Rechtsansicht zur Kenntnis:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Personen

Anspruch auf Familienbeihilfe, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen

Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben

und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule

fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht

möglich ist.

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. g FLAG 1967 haben Volljährige Vollwaisen Anspruch auf

Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn

sie erheblich behindert sind (§ 8 Abs. 5), das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und

für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet

werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.

Gemäß § 7 FLAG 1967 wird Familienbeihilfe für ein Kind nur einer Person gewährt.

Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur

vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen

Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein

Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß

mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich

dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich nicht, dass Fr.*** im Zeitraum 9/2015 bis 6/2016 die Familienbeihilfe und/oder den Erhöhungsbetrag zu Unrecht bezogen hätte. In beiden Verfahren wurde vom Finanzamt bereits zu Ihrem Antrag eingewendet, dass Fr.*** die Familienbeihilfe bezogen habe, und von Ihnen bisher dazu nichts vorgebracht, was einen allfälligen unrechtmäßigen Bezug begründen würde.

3.:Die Bestimmung des § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 trat erst mit in Kraft und ist daher auf das Ende Ihrer Berufsausbildung im Juni 2016 nicht anzuwenden.

4.:Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich

dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung

des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen

Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Damit hat der Gesetzgeber die Frage des Grades der Behinderung der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution (nämlich das SMS) eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt (Erkenntnis des ).

Das nach dieser Bestimmung abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren durch ein ärztliches Gutachten (vgl. dazu , und , sowie ) hat sich im Fall, dass ein volljähriger Antragsteller die erhöhte Familienbeihilfe beantragt, darauf zu erstrecken, ob die 50%ige Behinderung oder die Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetreten ist (vgl. etwa ).

Das ärztliche Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung iSd FLAG hat Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behin-derung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten (vgl. , ) und bildet die Grundlage für die Entscheidung, ob die erhöhte Familienbeihilfe zusteht, sofern das Leiden und der Grad der Behinderung einwandfrei daraus hervorgehen und das/die Gutachten nicht unschlüssig sind.

Das Finanzamt und das BFG sind an die Gutachten des SMS gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob diese schlüssig und vollständig sind und im Fall mehrerer Gutachten oder einer Gutachtensergänzung nicht einander widersprechen (vgl. , Erkenntnisse VwGH jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310). Erforderlichenfalls ist für deren Ergänzung zu sorgen (; ; ). Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen (vgl. ua.).

Die allgemeinärztliche Berufsbefugnis umfasst grundsätzlich den gesamten Bereich der Medizin auf allen Fachgebieten der medizinischen Wissenschaft (vgl. ), sofern der Arzt über die entsprechenden Kenntnisse und Fertigkeiten verfügt und nicht bestimmte Tätigkeiten besonders qualifizierten (Fach-)Ärzten vorbehalten sind.

Ein Arzt für Allgemeinmedizin ist daher grundsätzlich zur Erstattung des Gutachtens befugt ().

Der Beweisantrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde durch das Bundesfinanzgericht wird daher und weil diesem gem. § 8 Abs.6 FLAG 1967 keine Beweiskraft zukommt, abzuweisen sein. Im Übrigen erfolgte die Untersuchung beim Sozialministeriumservice am durch einen Facharzt für Hals-Nasen-und Ohrenheilkunde.

Der Antragsteller hat die Möglichkeit, mögliche Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl. ).

Die entscheidungsrelevanten Gutachten vom und vom lassen eine derartige Unschlüssigkeit derzeit nicht erkennen. Die Verschlechterung des Hörvermögens ist daraus nachvollziehbar, wenn der Gutachter dies aber nicht als Grund für eine Erwerbsunfähigkeit sieht, macht dies das Gutachten noch nicht unschlüssig.

Dies gilt im Übrigen auch für subjektive Einschätzungen oder Bekundungen Dritter () hinsichtlich Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit.

Die von Ihnen beantragte "Parteienvernehmung" wird daher die aus derzeitiger Sicht schlüssigen Sachverständigengutachten nicht entkräften können.

In ihrer Stellungnahme vom replizierte die Bf. darauf wie folgt:

Gemäß § 8 Abs 5 FLAG1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehrals drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht umein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs 6 FLAG1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtesfür Sozialesund Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Selbsterhaltungsfähigkeit ist gegeben, wenn das Kind sämtliche Unterhaltsbedürfnisse im Rahmender bestimmten konkreten Lebensverhältnisse aus eigenen Kräften zu finanzieren imstandeist, undzwar auch außerhalb des elterlichen Haushalts. Selbsterhaltungsfähig ist ein Kind nur dann, wenn es -auf sich allein gestellt - mit seinen Einkünften alle Lebensbedürfnisse, also auch den (allenfallsfiktiven) Geldaufwand zur Erlangung notwendiger Pflege- und Erziehungsleistungen, decken könnte (vgl.).

"Sich selbst den Unterhalt zu verschaffen" bedeutet, dass das Kind grundsätzlich mittel- oder langfristig auf dem "Ersten Arbeitsmarkt", also dem regulären Arbeitsmarkt, vermittelbar ist und so imstandeist, sich selbst ohne Zuwendungen anderer und ohne staatliche Zuschüsse zu erhalten (vgl.).

Der Nachweis der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit ist gemäß § 8 Abs. 6 FLAG1967durch eine Bescheinigung des Bundesamtesfür Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens zu führen (vgl. ).

Das vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zu erstattende Gutachten hat den Befund unddie daraus abgeleiteten fachlichen Schlüsse in nachvollziehbarer Weise darzustellen (vgl. etwa VwGH,96/14/0043).

Es besteht nach der Rechtsprechung beider Gerichtshöfe öffentlichen Rechts zu § 8 Abs. 6 FLAG1967jedoch keine unbedingte Bindung an die Bescheinigungen des Bundesamtesfür Soziales und Behindertenwesen.

Der Nachweis der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit ist gemäß § 8 Abs. 6 FLAG1967durch eine Bescheinigung des Bundesamtesfür Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens zu führen (vgl. ).

Das vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zu erstattende Gutachten hat den Befund unddie daraus abgeleiteten fachlichen Schlüsse in nachvollziehbarer Weise darzustellen (vgl. etwa VwGH,96/14/0043).

Es besteht nach der Rechtsprechung beider Gerichtshöfe öffentlichen Rechts zu § 8 Abs. 6 FLAG1967jedoch keine unbedingte Bindung an die Bescheinigungen des Bundesamtesfür Soziales und Behindertenwesen.

Nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfGH10. 12. 2007, B700/07, kann von solchenGutachten nach "entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung" auch abgegangen werden.

Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa , m. w. N.)muss einSachverständigengutachten, das von einer Behörde - oder einem Verwaltungsgericht (vgl.VwGH 17.11. 2015, Ra 2015/03/0058, m. w. N.)- der jeweiligen Entscheidung zu Grunde gelegt wird, einen Befund und das Gutachten im engeren Sinn enthalten sowie ausreichend begründet sein (vgl.VwGH 28.6. 2017, Ra 2017/09/0015).

Ein Gutachten ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektivfeststellbaren Sachverhalts durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabeifundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungenund Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachenverbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen stützen (vgl.für viele ).

Die Behörde hat - im Rahmen ihrer Pflicht zur amtswegigen Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes (§115 BAO)- ein Gutachten eines Sachverständigen auf seine Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit hin zu prüfen und ist dabei auch gehalten, sich im Rahmen der Begründung des Bescheides mit dem Gutachten auseinander zu setzen und es entsprechend zu würdigen (vgl.etwa oder , m. w. N)

Auch die Gutachten der Ärzte des Sozialministeriumservice haben den an ärztliche Sachverständigengutachten zu stellenden Anforderungen an ihre Nachvollziehbarkeit zu entsprechen. Sie dürfen sichdaher insbesondere nicht widersprechen oder in bloßen Behauptungen erschöpfen (vgl. etwa VwGH 8.8. 1996, 96/14/0043)

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat ein ärztliches Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung im Sinne des FLAG Feststellungen über Art und Ausmaß des Leidens, sowieauch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damitnachvollziehbarer Weise zu enthalten (vgl zBVwGH , 92/15/0215; 96/14/0139).

Das sehr schlechte Hören der Beschwerdeführerin ist schon seit Geburt vorgelegen und ist die Krankheit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres in einer solchen Intensität vorgelegen, dass von einervoraussichtlichen dauernden Erwerbsunfähigkeit gesprochen werden kann. Die gesundheitliche Beeinträchtigung der Beschwerdeführerin ist so gravierend, dass das Vorliegen einer voraussichtlichendauernden Erwerbsunfähigkeit zumindest bereits im Jahr 2014, das bedeutet vor Vollendung des 21.Lebensjahres gegeben war.

Aufgrund des Grades der Behinderung von 70% bereits im Jahr 2014 und der weiter dauernden Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes der Beschwerdeführerin (90%seit ) ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin dauernd erwerbsunfähig war und daher der Anspruch aufFamilienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag besteht.

In den beiden Sachverständigengutachten vom und wird die Frage betreffendeinem voraussichtlich dauernd außerstande sein,sich selbst den Unterhalt zu verschaffen verneint.

Mit Sachverständigengutachten vom wurde der Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von70% festgesellt und als Begründung für die Fähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen festgehalten, dass aus den vorliegenden Unterlagen keine kognitive Funktionseinschränkung ableitbar sei.

Im Sachverständigengutachten vom wurde der Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von90% festgestellt und als Begründung für die Fähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen festgehalten, dass eine Gehörlosigkeit eine spätere Erwerbsfähigkeit nicht ausschließe.Sowohl das Sachverständigengutachten vom als auch das Sachverständigengutachten vom enthalten keine ausreichenden Feststellungen über die konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und somit nachvollziehbarerer Weise.

In beiden Gutachten wird in einem kurzen allgemeinen Satz abgetan, warum voraussichtlich keinedauernde Erwerbsfähigkeit vorläge. Diese Einzelsätze sind weder schlüssig noch in irgendeiner Formnachvollziehbar, sondern handelt es sich lediglich um Standardsätze ohne ausreichende Beschäftigungmit der individuellen Beschwerdeführerin und ohne konkrete Aussagen. So sind auch die fachlichenSchlüsse nicht nachvollziehbar und erschöpfen sich die Begründungen in bloßen Behauptungen inForm von Stehsätzen.

Des Weiteren hat sich die Behörde nicht ausreichend mit dem Gutachten auseinandergesetzt und dieses auch nicht entsprechend gewürdigt.

Die vorliegenden ärztlichen Sachverständigengutachten sind mangelhaft, da sie unschlüssig, unvollständig und unlogisch sind.

Die Beschwerdeführerin ist auf Grund einer vor Vollendung des 21. Lebensjahrs eingetretenen körperlichen Behinderung (die körperliche Behinderung besteht gravierend seit Geburt) dauernd außer Stande sich den Unterhalt zu verschaffen. Selbsterhaltungsfähig wäre die Beschwerdeführerin nur dann,

wenn sie - auf sich allein gestellt - mit ihren Einkünften alle Lebensbedürfnisse, also auch den (allenfallsfiktiven) Geldaufwand zur Erlangung notweniger Pflege- und Erziehungsleistungen, decken könnte. "Sich selbst den Unterhalt zu verschaffen" würde bedeutet, dass die Beschwerdeführerin grundsätzlich mittel- oder langfristig auf dem "Ersten Arbeitsmarkt", also dem regulären Arbeitsmarkt, vermittelbar ist und so imstande ist, sich selbst ohne Zuwendungen anderer und ohne staatliche Zuschüssezu erhalten (vgl. ). Das liegt bei der Beschwerdeführerin nicht vor.

Die Behinderung ist kausal für das geforderte "außer Stande sein" und war der Umstand bereits vorVollendung des 21. Lebensjahres gegeben. Es besteht daher Anspruch auf Familienbeihilfe und auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen dauernder Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Das Bundesfinanzgericht möge unter Beibringung eines (Ergänzungs- )gutachtens des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen von einem medizinischen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Hals-Nasen-und Ohrenheilkunde von den unschlüssigen und unvollständigen Gutachten angehen und feststellen, dass die Beschwerdeführerin aufgrund einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen körperlichen Behinderung dauernd außerstande ist, sich den Unterhalt zu verschaffen und den Anträgen auf Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe stattgeben."

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Bf. wurde am tt.mm.1994 geboren. Sie vollendete am tt.mm. das 18. Lebensjahr und am tt.mm.2015 das 21. Lebensjahr.

Zu Beginn des Antragszeitraumes, September 2015, war sie 20 Jahre alt.

Die Bf. war lt. Abfrage aus dem Zentralen Melderegister von bis an der gleichen Adresse wie ihre Pflegemutter gemeldet.

Die Tante der Bf. hat als Pflegemutter im familienbeihilfenrechtlichen Sinn bis Juni 2016 die Familienbeihilfe, den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe und die Kinderabsetzbeträge bezogen.

Die Bf. besuchte von bis den Vorbereitungslehrgang für Assistenzpädagogik (im Kindergarten).

Lt. Sozialversicherungsdatenauszug war die Bf. von bis und von bis als Arbeiterin gemeldet.

Im Gutachten vom wurde Taubheit rechts und an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit links mit Resthörvermögen festgestellt.

In den Gutachten vom und vom wurde Gehörlosigkeit beidseits festgestellt.

In allen drei Gutachten wurde die dauernde Erwerbsunfähigkeit verneint.

2. Beweiswürdigung

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt, insbesondere die in den Entscheidungsgründen dargestellten Gutachten des Sozialministeriumservice.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

§ 2 Abs. 1 lit b FLAG 1967 lautet:

Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet werden………

§ 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) lautet:

Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind hat die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

§ 2 Abs. 5 FLAG 1967 lautet auszugsweise:

Zum Haushalt einer Person gehört ein Kind dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt.

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 in der ab gültigen Fassung besteht für volljährige Kinder, die "wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen", Anspruch auf Familienbeihilfe.

Gem. lit. h leg. cit. besteht Anspruch für volljährige Kinder, die erheblich behindert sind (§ 8 Abs. 5), das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.

Die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe kann nur für höchstens fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt werden (§ 10 Abs. 3 FLAG 1967).

§ 6 FLAG 1967 lautet:

(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn

a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und

c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie

a) das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. § 2 Abs. 1 lit. b zweiter bis letzter Satz sind anzuwenden; oder

b) das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, oder erheblich behindert sind (§ 8 Abs. 5) und das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für vier Monate nach Abschluss der Schulausbildung; im Anschluss daran, wenn sie das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, oder erheblich behindert sind (§ 8 Abs. 5) und das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, bis zum Beginn einer weiteren Berufsausbildung, wenn die weitere Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Abschluss der Schulausbildung begonnen wird, oder

Die hier maßgeblichen Absätze des § 8 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) lauten:

……………..

(4) Die Familienbeihilfe erhöht sich monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist,

…………………………

(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

(6) Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen.

(7) Die Abs. 4 bis 6 gelten sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.

Die Anwendung dieser gesetzlichen Bestimmungen auf den gegenständlichen Sachverhalt führt zu folgendem Ergebnis:

Hinsichtlich der von der Bf. beantragten rückwirkenden Gewährung ab September 2015 steht zweifelsfrei fest, dass die Bf. zu diesem Zeitpunkt volljährig war, das 25. Lebensjahr aber noch nicht vollendet hatte, bis Juni 2016 in Berufsausbildung stand und von bis im Haushalt ihrer Tante bzw. Pflegemutter wohnte. Es ist nach dem gegebenen Sachverhalt auch davon auszugehen, dass die Pflegemutter für ihren Unterhalt aufkam.

Diese war daher grundsätzlich anspruchsberechtigt nach § 2 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 FLAG 1967 und es wurde ihr, wie sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ergibt, die Familienbeihilfe und der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe ausbezahlt.

Ein Eigenanspruch der Bf. bestand nicht.

Wenn die Bf. im Vorlageantrag vorbringt, sie hätte jedenfalls Anspruch auf Familienbeihilfe vier Monate nach Ende ihrer Berufsausbildung ab Juli 2016 gem. § 6 Abs 2 lit b FLAG 1967 so ist darauf zu verweisen, dass diese Bestimmung erst mit in Kraft trat.

Ob der Bf. der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe zusteht, richtet sich nach § 8 Abs. 4 ff. FLAG 1967. Dies bedeutet bei volljährigen Kindern, dass der Grad der Behinderung ohne Bedeutung ist, würde er auch 100 % betragen bzw. dass es auch bei einer Behinderung von 100% nicht ausgeschlossen ist, dass der od. die Betreffende imstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ( und bezügl. eines zu 100% Erblindeten).

Die Bf. brachte dazu im Verfahren vor, dass sie schon ab Geburt schlecht hörte und als Kind ein Hörgerät getragen habe. Die gesundheitliche Beeinträchtigung sei so gravierend bzw. in einer solchen Intensität bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres vorgelegen, dass sie zumindest seit 2014, also noch vor dem 21. Lebensjahr, erwerbsunfähig gewesen sei.

Auf Grund des Grades der Behinderung von 70% bereits im Jahr 2014 und der weiteren dauernden Verschlechterung des Gesundheitszustandes (90% im Jahr 2021), sei davon auszugehen, dass sie dauernd erwerbsunfähig gewesen sei.

Auch subjektiv empfand und empfinde die Beschwerdeführerin, dass sie nicht in der Lage sei, einer Beschäftigung nachzugehen und bereits seinerzeit erwerbsunfähig gewesen sei. Unter Hinweis auf das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7101860/2018 verwies die Bf. darauf, dass sie sich nicht selbst den Unterhalt in der Weise verschaffen könne, dass sie mittel-oder langfristig auf dem "ersten Arbeitsmarkt" vermittelbar sei.

Demgegenüber attestieren die vorliegenden Gutachtender der Bf. zwar einen Grad der Behinderung von 70 bzw. 90% ab April 2014 bzw. Juli 2021 (im Gutachten vom wird erstmals ein Hörverlust beidseits von 100% festgestellt), jedoch keine dauernde Erwerbsunfähigkeit.

Die Bf. wurde bereits im Vorhalt des Bundesfinanzgerichtes vom unter Hinweis auf zahlreiche Judikatur darauf hingewiesen, dass die Verwaltungsberhörden und das Bundesfinanzgericht auf Grund der ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 grundsätzlich an die von Sachverständigen des Sozialministeriumservice erstellten Gutachten gebunden sind und eine andere Art der Nachweisführung hinsichtlich der Frage der Erwerbsunfähigkeit nicht zulässig ist. Insbesondere kommt daher auch Bekundungen Dritter (hier der Rechtsvertretung) über die Intensität der Erkrankung, deren Eintritt und die Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit keine Bedeutung zu.

Gleiches muss auch für subjektive Einschätzungen gelten.

Weiters wurde der Bf. auch bereits mitgeteilt (siehe wiederum den Vorhalt vom ), dass auf die Untersuchung durch einen Arzt einer bestimmten Fachrichtung kein Rechtsanspruch besteht. Es ist daher nicht rechtswidrig, wenn das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen sich bei der Erstattung von Bescheinigungen gem. § 8 Abs. 6 zur Berufsausübung berechtigter Ärzte, die in die bei dieser Behörde zu führende Sachverständigenliste eingetragen sind, als Amtssachverständige bedient. Weder das Behinderteneinstellungsgesetz noch das FLAG enthalten eine Regelung, aus der erschlossen werden kann, dass ein Anspruch auf die Beiziehung von Fachärzten bestimmter Richtung bestünde. Es besteht demnach kein Anspruch auf die Zuziehung eines Facharztes eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt vielmehr auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an ( (siehe dazu auch Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, 2. Aufl., Rz 29 zu § 8). Im übrigen wurden die Gutachten vom und vom von einem Facharzt für Hals-Nasen-und Ohrenerkrankungen erstellt.

Wenn die Bf. darauf verweist, sie höre seit Geburt schlecht sowie auf die Verminderung des Hörvermögens ab April 2014 hinweist, so ist ihr zuzustimmen, dass eine Behinderung durchaus die Folge einer Krankheit sein kann, die schon seit längerem vorliegt, sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 6 Abs. 2 lit. d erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt; die vom Gesetzgeber geforderte Feststellung des tatsächlichen Eintritts der Erwerbsunfähigkeit eines Antragstellers kann immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen (; , und ). Liegen keine Befunde vor einem bestimmten Zeitraum vor, ist es einem Gutachter nicht möglich, bereits davor eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, festzustellen, sofern kein Leidenszustand vorliegt, der eindeutig eine Erwerbsfähigkeit bereits von vorneherein ausschließt (, siehe auch Lenneis in Lenneis/Wanke FLAG, Komm., 2. Aufl. Rz 20 zu § 8).

Die Tätigkeit der Behörden hat sich nach dem zuvor Gesagten im Wesentlichen auf die Frage zu beschränken, ob die Gutachten die über den Zeitpunkt des Eintritts einer Erkrankung und die dauernde Erwerbsunfähigkeit absprechen als schlüssig und vollständig anzusehen sind (vgl. ; und 2009/16/0310; , mwN).

Auf weitere bezughabende Judikatur, wie im Vorhalt vom angeführt, wird verwiesen.

Die im Sinne dieser Rechtsprechung vorgenommene Prüfung der vorliegenden Gutachten durch das Bundesfinanzgericht führt zu folgendem Ergebnis:

Im gegenständlichen Fall liegen drei Gutachten vor, die die dauernde Erwerbsunfähigkeit verneinen. Die Bf. vermeint, die Gutachten vom und vom enthielten keine ausreichenden Feststellungen über die konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und nachvollziebarer Weise. Abgesehen davon, dass, wie bereits ausgeführt die Selbsteinschätzung bzw. Einschätzung Dritter ob bzw. ab wann eine Behinderung vorgelegen sei, keine Bedeutung zukommt, verweist das Aktengutachten vom auf ein beigebrachtes Gutachten von 4/2014, dass eine Hörbehinderung feststellt, aber keine Angaben zum Eintritt der Behinderung macht. Es ist daher davon auszugehen, dass der Gutachterin des Sozialministeriumservice kein älterer Befund vorlag. Es ist daher nicht unschlüssig, wenn diese den Eintritt des festgestellten Grades der Behinderung von 70% mit April 2014 annahm.

Sämtliche von der Bf. vorgelegten Unterlagen und Vorbefunde wurden ihm Rahmen der Untersuchungen gewürdigt und berücksichtigt.

Sowohl in der Anamnese als auch in der Sozialanamnese wird jeweils auf die Entwicklung der Hörbeeinträchtigung, Therapien, Ausbildungen (Gebärdensprache), Hör-und Sprechvermögen und Berufstätigkeit, in den Gutachten vom und vom durch Befragung der Bf. und Untersuchung eingegangen.

Die drei Gutachten reihen die Erkrankung unter die Pos.Nr. der Einschätzungsverordnung ein und kommen übereinstimmend zu der Feststellung, dass der Gesamtgrad der Behinderung von 70% ab April 2014 vorliege. Die Gutachten vom und vom stellen den Grad der Behinderung übereinstimmend mit 90% ab Juli 2021 fest wobei jeweils der Richtsatz wegen auditiver Sprachstörung um 10% erhöht wird.

Übereinstimmung besteht auch darin, dass bei S. keine Erwerbsunfähigkeit vorliegt.

Das Gutachten vom begründet dies damit, dass keine kognitive Beeinträchtigung vorliege, die weiteren Gutachten sehen im Hörverlust der Bf. keinen Grund für eine Erwerbsunfähigkeit. Dass diese die Formulierung wählen "eine Gehörlosigkeit schließt eine spätere Erwerbsfähigkeit nicht aus", macht die Gutachten nach Auffassung des Bundesfinanzgerichtes nicht unschlüssig, da die Gutachter auf Grund ihres persönlichen Eindruckes von der Bf., Kenntnis aller Vorgutachten und darüber hinaus spezifischer Fachkenntnis entschieden.

Das Gericht geht daher in freier Beweiswürdigung von der Richtigkeit der in den Gutachten getroffenen Feststellungen aus.

Seitens des Gerichtes bestehen in Gesamtbetrachtung der übereinstimmenden Feststellungen, dass bei der Bf. keine Erwerbsunfähigkeit festgestellt werden konnte, keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit der Sachverständigengutachten. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen und auch begründet, warum eine Erwerbsunfähigkeit nicht vorliegt.

In den Gutachten sind diverse Umstände angeführt, die die letztlich getätigte Schlussfolgerung nicht unschlüssig erscheinen lassen:

Es liegen keine kognitiven Beeinträchtigungen vor.

Die Bf. hat die Gebärdensprache gelernt.

Hinsichtlich bisheriger Berufstätigkeiten spricht die immerhin vierjährige durchgehende Berufstätigkeit von bis bei McDonalds dafür, dass die Bf. am "ersten Arbeitsmarkt" Fuß fassen kann. Wie aus der Sozialanamnese im Gutachten vom hervorgeht, war der Kündigungsgrund durch den Arbeitgeber offenbar nicht mangelnde Arbeitsfähigkeit.

Zugegebenermaßen sind die Ausbildungs-und Beschäftigungsmöglichkeiten gehörloser Personen gegenüber jenen mit vollem Hörvermögen eingeschränkt, wie auch in einer allgemein zugänglichen Studie aufgezeigt wird (vgl. "Gehörlose junge Frauen am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft, Eine empirische Studie im Auftrag des Bundessozialamtes des Institutes für Translationswissenschaften der Uni Graz, 2009, www.translationswissenschaft.uni-graz.at und www.static.uni-graz.at).

Aus dieser Studie geht jedoch eindeutig hervor, dass für gehörlose Personen (insbes. hier "junge Frauen") grundsätzlich Arbeitsmöglichkeiten auf dem sog. "ersten" Arbeitsmarkt bestehen.

Die vorliegenden-vollständigen- Gutachten zeigen keine Umstände auf, die an der dort festgestellten Erwerbsfähigkeit der Bf. zweifeln lassen.

Das Bundesfinanzgericht sieht daher keinen Grund, ein weiteres Gutachten beim Sozialministeriumservice anzufordern oder von den als vollständig und schlüssig erkannten Gutachten abzugehen.

Da die Bf. nicht dauernd erwerbsunfähig ist, steht der Erhöhungsbetrag gem. § 8 Abs. 4 FLAG 1967 nicht zu.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Mit den Anforderungen, die an ein Gutachten des Sozialministeriumservice gem. § 8 Abs. 6 FLAG 1967 zu stellen sind und inwiefern diese Gutachten einer Überprüfung durch die Verwaltungsbehörden bzw. das Bundesfinanzgericht zugänglich sind, hat sich der Verwaltungsgerichtshof bereits in zahlreichen Erkenntnissen auseinandergesetzt, sodass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht vorliegt und die ordentliche Revision daher auszuschließen war. Ob die gegenständlichen Gutachten den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien entsprechen, war eine der Revision nicht zugängliche Frage der Beweiswürdigung.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7100921.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at