Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 16.08.2023, RV/5100407/2022

Übersehen einer elektronischen Zustellung in die Databox

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom zu Steuernummer ***BF1StNr1***, mit dem von der Grunderwerbsteuer 03/2022 ein erster Säumniszuschlag in Höhe von 149,89 € festgesetzt wurde, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der Säumniszuschlag wird auf 0,00 € herabgesetzt.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt

Das Veranlagungsverfahren der Beschwerdeführerin wird beim Finanzamt Österreich - Dienststelle ***3*** (vormals Finanzamt ***3***) unter der Steuernummer ***2*** geführt.

Die Beschwerdeführerin bezieht eine Alterspension und hat sich am erstmalig in FinanzOnline angemeldet, dieses Verfahren in weiterer Folge aber nicht verwendet. Es wurden sowohl die Einkommensteuererklärungen bis einschließlich betreffend das Veranlagungsjahr 2022 im Postweg eingebracht, und ergingen auch die Einkommensteuerbescheide bis einschließlich jenen für das Jahr 2020 vom im Postweg.

Erst im Jahr 2022 hat sich die Beschwerdeführerin am um 13:53 Uhr in FinanzOnline wieder angemeldet und dabei gleichzeitig die elektronische Zustellung aktiviert.

Ihre E-Mail-Adresse hat die Beschwerdeführerin erst am bekannt gegeben und dabei gleichzeitig die E-Mail-Verständigung bei behördlichen Zustellungen in die Nachrichten (Databox) beantragt.

Zur elektronischen Zustellung finden sich in der Hilfefunktion in FinanzOnline auszugsweise folgende Informationen des Bundesministeriums für Finanzen:

Elektronische Zustellung

Zustellung
Sie können die elektronische Zustellung von behördlichen Zustellungen aktivieren oder auf die elektronische Zustellung verzichten. Auf Grund einer gesetzlichen Änderung ist seit die elektronische Zustellung standardmäßig aktiviert.

Hinweis: Trotz Auswahl der elektronischen Zustellung können nicht alle behördlichen Schriftstücke auf diesem Weg zugestellt werden. Es liegen noch nicht in allen Bereichen die technischen Möglichkeiten vor, sodass solche Bescheide nach wie vor auf postalischen Weg versendet werden.


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Elektronische Zustellung
Teilnehmer
Info
Eigene Steuerangelegenheiten
Alle Teilnehmer
Info 1
Benachrichtigungsservice
Zustimmung zur Email-Verständigung bei behördlichen Zustellungen in die Nachrichten
Alle Teilnehmer
Info 5

Info 1 - Elektronische Zustellung in Steuerangelegenheiten ausgenommen meiner Klienten

Durch Aktivierung des Optionsschalters aktivieren Sie die elektronische Zustellung gemäß § 97 Abs. 3 Bundesabgabenordnung (BAO) in ihren Steuerangelegenheiten oder verzichten Sie auf die elektronische Zustellung. Diese Auswahl bezieht sich nicht nur auf Ihre eigenen Steuerangelegenheiten sondern auch auf jene, in denen Sie auf Grund einer gesetzlichen Vertretungsbefugnis Zustellungsempfänger sind.

Gesetzliche Grundlage für die elektronische Bescheidzustellung:

Gemäß § 97 Abs. 3 Bundesabgabenordnung (BAO) kann durch Verordnung des Bundesministers für Finanzen der Inhalt einer behördlichen Erledigung auch im Wege automationsunterstützter Datenübertragung mitgeteilt werden. Mit der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Einreichung von Anbringen, die Akteneinsicht und die Zustellung von Erledigungen in automationsunterstützter Form (FinanzOnline-Verordnung 2006 - FOnV 2006) wurde dies ermöglicht.

Info 5 - E-Mail-Verständigung bei behördlichen Zustellungen in die Nachrichten

Durch Aktivierung des Optionsschalters beantragen Sie die Verständigung mittels E-Mail im Falle einer behördlichen Zustellung in die Nachrichten. Eine E-Mail-Verständigung erfolgt jedoch nur, wenn auch eine Email-Adresse in den Grunddaten gespeichert ist.

Die Beschwerdeführerin hat am mit der ***1*** einen grunderwerbsteuerpflichtigen Anwartschaftsvertrag abgeschlossen.

Mit Grunderwerbsteuerbescheid vom setzte das Finanzamt Österreich - Dienststelle Sonderzuständigkeiten (vormals Finanzamt für Gebühren, Verkehrssteuern und Glücksspiel) unter der Steuernummer ***BF1StNr1*** die Grunderwerbsteuer mit 7.494,31 € fest und wies darauf hin, dass dieser Betrag am fällig sei. Der Bescheid wurde aufgrund der am aktivierten elektronischen Zustellung in die Databox (Nachrichten) der Beschwerdeführerin zugestellt.

Da die Grunderwerbsteuer bis zum Fälligkeitstermin nicht entrichtet wurde, setzte das Finanzamt mit Bescheid vom von dieser Abgabe einen ersten Säumniszuschlag in Höhe von 149,89 € fest.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die über FinanzOnline eingebrachte Beschwerde vom . Darin brachte die Beschwerdeführerin vor, dass sie seit ca. 10 Jahren nicht mehr mit FinanzOnline gearbeitet habe, da sie keinen Zugang mehr gehabt hätte. Ihre Einkommensteuererklärungen habe sie immer auf postalischem Wege beim Finanzamt ***3*** abgegeben und die Einkommensteuerbescheide von diesem auch immer auf postalischem Wege erhalten. Im Jahr 2002 sei das anscheinend geändert worden, ohne ihr das jedoch mitzuteilen und sie erhalte offensichtlich keine postalischen Mitteilungen mehr. Darum habe sie auch den Bescheid über die Grunderwerbsteuer nicht rechtzeitig erhalten. Den Bescheid über den Säumniszuschlag habe sie eigenartigerweise aber schon wieder postalisch erhalten. Daraufhin habe sie die Grunderwerbsteuer sofort eingezahlt und sie sei auch sonst nie mit ihren Zahlungen im Verzug. Daher ersuche sie um Stornierung des Säumniszuschlages, da es nicht ihr Verschulden sei, dass sie den Bescheid nicht rechtzeitig erhalten habe. Es sei ihr nicht mitgeteilt worden, dass sie keine postalische Nachricht mehr erhalte.

Das Finanzamt wies diese Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom ab. In der Beschwerde sei sinngemäß ein Antrag auf Nichtfestsetzung des Säumniszuschlages gemäß § 217 Abs. 7 BAO gestellt worden. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Gründe seien nicht geeignet, das Fehlens eines groben Verschuldens an der Säumnis aufzuzeigen. Der Bescheid sei ordnungsgemäß über FinanzOnline in die Databox zugestellt worden und es wären die erforderlichen Dispositionen zu treffen gewesen, um die rechtzeitige Entrichtung sicherzustellen. Es liege in der Sphäre der FinanzOnline-Teilnehmer dafür Sorge zu tragen, dass sie rechtzeitig Kenntnis von Zustellungen in der Databox erlangen, wie etwa durch Einrichtung einer E-Mail-Verständigung oder durch regelmäßiges Abrufen der Databox. Die Teilnahme an FinanzOnline sei freiwillig und erfolge nur nach vorheriger Einwilligung. Die Motive für die Einwilligung seien für die Folgewirkungen unerheblich. Gerade im Zuge eines kürzlich durchgeführten Grunderwerbes hätte es eines erhöhten Ausmaßes an Sorgfalt bei der Überwachung von Terminen sowie einer regelmäßigen Prüfung der Databox auf Eingänge bedurft. Da die Abgabe erst am entrichtet worden sei, bestehe der Säumniszuschlag zu Recht.

Dagegen richtet sich der Vorlageantrag vom . Die Beschwerdeführerin führte aus, dass sie kein grobes Verschulden an der verspäteten Abfuhr der Grunderwerbsteuer treffe, da sie bis jetzt ausnahmslos alle Bescheide des Finanzamtes postalisch erhalten habe, und das seit mehr als 13 Jahren. Über die Änderung, dass dies ab diesem Jahr nicht mehr der Fall wäre, sei sie nicht verständigt worden. Daher sei sie zu 100 % davon ausgegangen, dass sie auch den Bescheid über die Grunderwerbsteuer postalisch erhalten werde. Per Post habe sie aber dann leider nur den Bescheid über den Säumniszuschlag erhalten. Wenn sie vorher wenigstens ein Mahnschreiben per Post erhalten hätte, hätte sie natürlich umgehend einbezahlt. Sie sei weder zahlungsunwillig gewesen, noch habe sie die Zahlung absichtlich verzögert, sondern sei davon ausgegangen, dass sie den Bescheid per Post erhalten werde, so wie in den letzten Jahren auch. Niemand habe sie darüber informiert, dass anscheinend jetzt alles nur mehr über FinanzOnline erfolge. Sie ersuche daher um Kulanz und Verständnis für die verspätete Zahlung, es sei keinerlei Absicht gewesen und werde auch nicht mehr vorkommen. Bis jetzt habe sie alle ihre Steuerschulden pünktlich bezahlt. Sie ersuche daher um Erlass des Säumniszuschlages. Sie erhalte eine Pension von 1400 Euro monatlich, daher wäre der Säumniszuschlag von 150 Euro für sie nicht wenig.

Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte eine Abweisung derselben.

Über Anfrage des Bundesfinanzgerichtes teilte das Bundesministerium für Finanzen (Sektion I, Abteilung I/10 - IT Steuer) die eingangs angeführten Daten zur Teilnahme der Beschwerdeführerin an FinanzOnline mit.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Rechtliche Beurteilung

1.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

§ 5b der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Einreichung von Anbringen, die Akteneinsicht und die Zustellung von Erledigungen in automationsunterstützter Form (FinanzOnline-Verordnung 2006 - FOnV 2006) normiert auszugsweise:

(1) Die Abgabenbehörden haben nach Maßgabe ihrer technischen Möglichkeiten Zustellungen an Empfänger, die Teilnehmer von FinanzOnline sind, elektronisch vorzunehmen.

(2) Jeder Teilnehmer, der an der elektronischen Form der Zustellung über FinanzOnline teilnimmt, hat in FinanzOnline eine E-Mailadresse anzugeben, wenn er über die elektronische Zustellung informiert werden möchte. Die Wirksamkeit der Zustellung der Erledigung selbst wird durch die Nichtangabe, durch die Angabe einer nicht dem Teilnehmer zuzurechnenden oder durch die Angabe einer unrichtigen oder ungültigen E-Mailadresse nicht gehindert.

(3) Teilnehmer, die Unternehmer im Sinne des § 3 Z 20 des Bundesstatistikgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 163/1999, sind und die wegen Überschreiten der Umsatzgrenze zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen verpflichtet sind, haben an der elektronischen Zustellung über FinanzOnline teilzunehmen und können auf diese nicht verzichten. Andere Teilnehmer können in FinanzOnline auf die elektronische Form der Zustellung verzichten. Zu diesem Zweck ist ihnen bei ihrem ersten nach dem erfolgenden Einstieg in das System unmittelbar nach erfolgreichem Login die Verzichtsmöglichkeit aktiv anzubieten. Die Möglichkeit zum Verzicht ist auch nach diesem Zeitpunkt jederzeit zu gewährleisten. Wenn sie nicht zur Teilnahme an der elektronischen Zustellung verpflichtet sind, können die in § 2 Abs. 2 genannten Parteienvertreter den Verzicht für die Zustellungen in ihren eigenen Angelegenheiten und davon getrennt für die Zustellungen in den Angelegenheiten als Parteienvertreter erklären.

Gemäß § 98 Abs. 2 BAO gelten elektronisch zugestellte Dokumente als zugestellt, sobald sie in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt sind. Im Zweifel hat die Behörde die Tatsache und den Zeitpunkt des Einlangens von Amts wegen festzustellen. Die Zustellung gilt als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.

Wird eine Abgabe, ausgenommen Nebengebühren (§ 3 Abs. 2 lit. d), nicht spätestens am Fälligkeitstag entrichtet, so sind nach Maßgabe des § 217 BAO Säumniszuschläge zu entrichten.

Der erste Säumniszuschlag beträgt 2% des nicht zeitgerecht entrichteten Abgabenbetrages (§ 217 Abs. 2 BAO).

Der Grunderwerbsteuerbescheid vom wurde unbestritten wirksam in die Databox (Nachrichten) der Beschwerdeführerin zugestellt. Damit ist der Bescheid in den elektronischen Verfügungsbereich der Beschwerdeführerin gelangt und gilt mit diesem Zeitpunkt als zugestellt. Auf das tatsächliche Einsehen der Databox durch den FinanzOnline-Teilnehmer kommt es nicht an (Ritz, BAO7, § 98 Tz 4 mit zahlreichen Judikaturnachweisen).

Da die laut Grunderwerbsteuerbescheid am fällig gewesene Grunderwerbsteuer in Höhe von 7.494,31 € bis zu diesem Zeitpunkt nicht entrichtet wurde, lagen die Voraussetzungen für die Festsetzung eines ersten Säumniszuschlages in Höhe von 2% des nicht zeitgerecht entrichteten Abgabenbetrages, gegenständlich somit 149,89 €, vor.

Auf Antrag des Abgabepflichtigen sind Säumniszuschläge insoweit herabzusetzen bzw. nicht festzusetzen, als ihn an der Säumnis kein grobes Verschulden trifft, insbesondere insoweit bei nach Abgabenvorschriften selbst zu berechnenden Abgaben kein grobes Verschulden an der Unrichtigkeit der Selbstberechnung vorliegt (§ 217 Abs. 7 BAO).

Anträge gemäß § 217 Abs. 7 BAO können auch in einem Rechtsmittel gegen den Säumniszuschlagsbescheid gestellt werden (Ritz, BAO7, § 217 Tz 65 mwN), wobei es für die Beurteilung von Anbringen nicht auf die zufälligen verbalen Formen, sondern auf den Inhalt, das erkennbare und zu erschließende Ziel des Parteischrittes ankommt. Ist aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu erschließen, dass ihn seiner Ansicht nach aus den von ihm ins Treffen geführten Gründen an der Säumnis kein (grobes) Verschulden treffe, ist in der Beschwerdeentscheidung das Vorliegen der Voraussetzungen des § 217 Abs. 7 BAO zu prüfen.

Die Bestimmung des § 217 Abs. 7 BAO normiert einen Begünstigungstatbestand, wonach auf Antrag des Steuerpflichtigen von der Anlastung eines Säumniszuschlages ganz oder teilweise Abstand zu nehmen ist, wenn ihn an der Säumnis kein grobes Verschulden trifft. Ein derartiges Verfahren, das auf die Erlangung einer abgabenrechtlichen Begünstigung gerichtet ist, wird vom Antragsprinzip beherrscht. Dies bedeutet, dass der Grundsatz der strikten Amtswegigkeit der Sachverhaltsermittlung gegenüber der Offenlegungspflicht des Begünstigungswerbers in den Hintergrund tritt. Dieser hat also selbst einwandfrei und unter Ausschluss jeden Zweifels das Vorliegen all jener Umstände darzulegen, auf die die abgabenrechtliche Begünstigung gestützt werden kann (z.B. ).

Für die Herabsetzung oder Unterlassung der Festsetzung eines Säumniszuschlages kommt es auf die Umstände der konkreten Säumnis an. Grobes Verschulden fehlt, wenn überhaupt kein Verschulden oder nur leichte Fahrlässigkeit vorliegt. Leichte Fahrlässigkeit liegt vor, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nicht an einem bestimmten Verfahren beteiligte Personen. Keine nur leichte Fahrlässigkeit liegt erst dann vor, wenn jemand auffallend sorglos handelt. Als auffallend sorglos gilt jemand, wenn er die im Verkehr mit Behörden und die für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach den persönlichen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt.

Das Bundesfinanzgericht hat in diesem Zusammenhang bereits mehrfach entschieden, dass kein minderer Grad des Verschuldens vorliegt, wenn die Databox nicht kontrolliert wird (; ), genausowenig wie im Fall der Nichtbeachtung einer Bescheidzustellung in die Databox (; ). In der Entscheidung , folgerte das Bundesfinanzgericht, wenn sich die Beschwerdeführerin als Teilnehmerin von FinanzOnline registriere und Kenntnis vom Bestehen einer FinanzOnline-DataBox habe, aber weder auf die elektronische Zustellung gemäß § 5b Abs. 3 FOnV 2006 verzichte, noch ausreichende Maßnahmen setze, dass sie zeitgerecht Kenntnis über elektronische Zustellungen erlange, handle sie nicht nur schuldhaft, sondern gehe dieses Verschulden über einen minderen Grad des Versehens hinaus.

Eine gegen die letztgenannte Entscheidung eingebrachte Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , Ra 2022/16/0112, zurück, da die Frage, ob das Verwaltungsgericht fallbezogen zu Recht das Vorliegen eines minderen Grades des Versehens verneint hat, grundsätzlich keine Rechtsfrage sei, der über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zukomme. Eine solche Rechtsfrage läge nur dann vor, wenn die Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (Rn 15) oder das Verwaltungsgericht von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre, etwa weil das Bundesfinanzgericht entgegen der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden angenommen habe (Rn 16).

Es ist damit stets einzelfallbezogen der Grad des Verschuldens zu prüfen und steht der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom der Annahme eines bloß minderen Grades des Versehens im konkreten Einzelfall nicht entgegen ().

Bei der Prüfung des Verschuldensgrades ist nicht nur auf die erforderliche und dem Teilnehmer in FinanzOnline nach den persönlichen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt Bedacht zu nehmen, sondern auch auf die konkrete Ausgestaltung dieser EDV-Anwendung. Gemäß § 5b Abs. 1 FOnV haben die Abgabenbehörden nach Maßgabe ihrer technischen Möglichkeiten Zustellungen an Empfänger, die Teilnehmer von FinanzOnline sind, elektronisch vorzunehmen, und können "andere Teilnehmer" im Sinne des § 5b Abs. 2 FOnV auf die elektronische Form der Zustellung lediglich verzichten. Auch nach den Informationen des Bundesministeriums für Finanzen in der Hilfefunktion in FinanzOnline ist die elektronische Zustellung standardmäßig "aktiviert". Die Verzichtsmöglichkeit wird gemäß § 5b Abs. 3 dritter Satz FOnV nur beim ersten nach dem erfolgten Einstieg in das System "aktiv angeboten". Bei jedem weiteren Einstieg kommt nur mehr eine allgemeine Information zur elektronischen Zustellung, die entweder aktiviert werden kann oder an die sich der Anwendung "später erinnern" lassen kann. Ein ausdrücklicher Verzicht auf die elektronische Zustellung ist in diesem Verfahrensstadium nicht mehr vorgesehen. Ein Verzicht auf die elektronische Zustellung wird faktisch nur dadurch erreicht, dass man den Button "Später erinnern" anklickt.

Im gegenständlichen Fall wurde die elektronische Zustellung am aktiviert. Ob dies unbeabsichtigt oder unbewusst durch Anklicken des entsprechenden Buttons erfolgte, sei dahingestellt. Die Entscheidung für oder gegen die elektronische Zustellung muss jedenfalls aktiv getroffen werden, da man ansonsten in die Anwendung FinanzOnline nicht weiter einsteigen kann. Der Beschwerdeführerin war die von ihr selbst vorgenommene Aktivierung der elektronischen Zustellung aber offensichtlich nicht bewusst, da sie in der Beschwerde und im Vorlageantrag vorgebracht hatte, die Zustellart sei "anscheinend geändert" worden, "ohne ihr das mitzuteilen". Eine solche Verständigung ist weder in der FOnV noch in den Hinweisen der Hilfefunktion vorgesehen, da die Aktivierung der elektronischen Zustellung durch den Anwender selbst erfolgt. Die Beschwerdeführerin mag zwar zum Zeitpunkt der elektronischen Zustellung des Grunderwerbsteuerbescheides subjektiv keine Kenntnis davon gehabt haben, dass Zustellungen des Finanzamtes elektronisch erfolgen können. Diese Unkenntnis kann aber ein mangelndes Verschulden nicht begründen, da sie objektiv bei Anwendung der gehörigen Aufmerksamkeit und entsprechender Information durch Kenntnisnahme der oben zitierten Hinweise in der Hilfefunktion vermeidbar gewesen wäre.

Eine Verständigung über erfolgte elektronische Zustellungen per E-Mail hat die Beschwerdeführerin erst am beantragt. Zuvor konnte sie von Zustellungen in die Nachrichten (Databox) nur durch regelmäßiges Abrufen derselben Kenntnis erlangen (vgl. dazu die Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung). Derartiges von der Bezieherin einer Alterspension, die in ihrem Veranlagungsverfahren lediglich einmal im Jahr im Postweg eine Steuererklärung abgibt, zu erwarten, ist realitätsfern. Dass die Beschwerdeführerin eine solche regelmäßige Abfrage unterlassen hat, stellt somit zwar eine Sorgfaltswidrigkeit dar, die aber beim erstmaligen und einmaligen Übersehen einer elektronischen Zustellung nicht über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, da ein solcher Fehler auch einem sorgfältigen Anwender des FinanzOnline einmal passieren kann, der dieses System erstmals (oder nach mehr als zehn Jahren erstmals wieder) verwendet.

Ferner ist im gegenständlichen Fall zu beachten, dass der durchschnittliche Anwender des FinanzOnline regelmäßig nicht damit rechnet, vom Finanzamt auch Abgabenbescheide elektronisch zu erhalten, die zum einen mit seinem Veranlagungsverfahren in keinem erkennbaren Zusammenhang stehen und zum anderen auch nicht unter "seiner" Steuernummer ergehen und auch nicht von "seinem" Finanzamt (nunmehr der für ihn zuständigen Dienststelle) erlassen werden. Während das Veranlagungsverfahren der Beschwerdeführerin vom Finanzamt Österreich - Dienststelle ***3*** (vormals Finanzamt ***3***) unter der Steuernummer ***2*** geführt wird, erging der Grunderwerbsteuerbescheid vom Finanzamt Österreich - Dienststelle Sonderzuständigkeiten (vormals Finanzamt für Gebühren, Verkehrssteuern und Glücksspiel) unter der Steuernummer ***BF1StNr1***. Es ist zwar allgemein bekannt, dass im Veranlagungsverfahren die Jahresbescheide in die Nachrichten (Databox) zugestellt werden können, der durchschnittliche Anwender des FinanzOnline hat aber keine Kenntnis davon, für welche Bescheide - innerhalb und außerhalb seines Veranlagungsverfahrens - dies noch gilt. Dies ergibt sich schon daraus, dass sich diesbezüglich auch in den oben zitierten Informationen des Bundesministeriums für Finanzen keine konkreten Angaben finden, sondern nur der allgemein gehaltene Hinweis, dass noch nicht in allen Bereichen die technischen Möglichkeiten zur elektronischen Zustellung vorlägen, sodass Bescheide nach wie vor auch auf postalischem Weg versendet würden. Welche Bescheide konkret daher elektronisch zugestellt werden und welche im Postweg, ist für den Anwender nicht feststellbar. Welche "technischen" Voraussetzungen etwa für die elektronische Zustellung des rein automationsunterstützt erstellten verfahrensgegenständlichen Säumniszuschlagsbescheides gefehlt hätten, ist nicht ersichtlich.

Wenn bei dieser Sachlage unter Berücksichtigung aller Umstände die Beschwerdeführerin mit einer Zustellung des Grunderwerbsteuerbescheides im Postweg gerechnet und darauf gewartet hat, und daher den Posteingang in den Nachrichten (Databox) nicht kontrolliert hat, liegt zwar insoweit eine Sorgfaltswidrigkeit vor, die aber nicht über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, da ein solcher Fehler jedem sorgfältigen Anwender des FinanzOnline einmal passieren kann (vgl. hilfsweise : die einmalige Versäumung einer Frist lässt für sich allein noch nicht den Schluss zu, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Wahrnehmung von Fristen nicht sichergestellt ist, wenn im Übrigen die Abgaben über Jahre hinweg rechtzeitig zum Fälligkeitszeitpunkt abgeführt wurden). Am Abgabenkonto der Beschwerdeführerin kam es seit dem Jahr 2011 nie zu einer Festsetzung von Säumniszuschlägen und wurden festgesetzte Einkommensteuervorauszahlungen ebenso termingerecht entrichtet wie allfällige Nachforderungen aus Einkommensteuerjahresbescheiden (lediglich die am fällig gewesene Einkommensteuervorauszahlung für das zweite Quartal 2022 in Höhe von 90 € war verspätet entrichtet worden, wobei allerdings zu berücksichtigten ist, dass die Vorauszahlungen mit Bescheid vom auf Null gesetzt wurden).

Die tatbestandmäßigen Voraussetzungen des § 217 Abs. 7 BAO liegen damit im gegenständlichen Fall vor, sodass spruchgemäß zu entscheiden war.

1.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Der Verwaltungsgerichtshof hat Fragen des Vorliegens groben Verschuldens der Partei der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts zugeordnet und eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann anerkannt, wenn die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre. Diese Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch bei der Prüfung der Frage des groben Verschuldens im Zusammenhang mit einem Antrag auf Nichtfestsetzung von Säumniszuschlägen nach § 217 Abs. 7 BAO angewendet ( mit Hinweis auf ). Eine ordentliche Revision ist daher nicht zulässig.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 217 Abs. 7 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 98 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 5b FOnV 2006, FinanzOnline-Verordnung 2006, BGBl. II Nr. 97/2006
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.5100407.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at