Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 31.08.2023, RV/2100444/2022

Verlängerungstatbestand nach Zivildienst bei Beginn des Studiums nach Vollendung des 24. Lebensjahres

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Abweisungsbescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Familienbeihilfe ab Oktober 2020, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird für die Monate Oktober 2020 bis März 2021 aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Der am xx.xx.1996 geborene Beschwerdeführer (Bf.) beantragte am Familienbeihilfe für sich selbst ab und legte die Studienzeitbestätigung der Universität ***1*** vom über die Inskription für das Bachelorstudium Soziologie ab dem Wintersemester 2020 vor. Davor war er ab dem Wintersemester 2015 bis für das Bachelorstudium Chemie gemeldet. Zusätzlich gab er an, dass er in einer Wohngemeinschaft wohne und er seine Lebenshaltungskosten von 934 € durch das Weiterbildungsgeld selbst finanziere.

Das Finanzamt wies den Antrag mit Bescheid vom ab Oktober 2020 ab und begründete unter Hinweis auf § 6 Abs. 2 lit. a FLAG 1967, § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 und der Aufzählung der Verlängerungstatbestände, dass kein Verlängerungsgrund bestehe, da der Bf. das Studium erst nach dem 24. Lebensjahr begonnen habe.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer fristgerecht die Beschwerde mit der Begründung, dass er von August 2014 bis April 2015 den Zivildienst geleistet habe und nach dem Tageskolleg an der HTL (September 2016 bis ) sein Dienstverhältnis bei der Fa. ***2*** GmbH am begonnen habe. Ab Beginn des Studiums Soziologie (WS 2020) befinde er sich in Bildungskarenz und er überschreite mit dem Bildungskarenzgeld nicht die Zuverdienstgrenze des FLAG. Somit würden alle Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe erfüllt werden.
Weder im § 2 Abs. 1 lit. b noch im § 2 Abs. 1 lit. g FLAG werde darauf Bezug genommen, dass der Antrag auf Familienbeihilfe iZm dem Studienbeginn spätestens mit dem 24. Geburtstag einzubringen sei, damit die Familienbeihilfe gewährt werde.
Die Interpretation des Gesetzes durch das Finanzamt bedeute nach Ansicht des Bf. eine Ungleichbehandlung gegenüber Personen, die keinen Präsenz- oder Zivildienst leisten müssen. Der Verlängerungstatbestand könne nur so ausgelegt werden, dass Personen, die einen Präsenz- oder Zivildienst abgeleistet haben, die Möglichkeit haben die Familienbeihilfe bis zum 25. Lebensjahr zu beziehen, unabhängig vom Antragszeitraum.

In der Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde unter Anführung des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG, der Verlängerungstatbestände bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres und des § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 abgewiesen. In der Begründung wird weiters auszugsweise ausgeführt:
"Gemäß § 2 Abs. 1 lit. i FLAG 1967 besteht für volljährige Kinder, die sich in dem Monat, in dem sie das 24. Lebensjahr vollenden in Berufsausbildung befinden Anspruch auf Familienbeihilfe.
Nach Ansicht des Finanzamtes ist die obige gesetzliche Bestimmung dahingehend auszulegen, dass der durch die Ableistung des Präsenzdienstes eintretenden zeitliche Verlust bei der beruflichen Ausbildung durch eine Verlängerung des Zeitraumes, für den FB beansprucht werden kann, auszugleichen ist. Auf Grund der regulären Dauer des Präsenzdienstes von - zumindest sechs Monaten Grundwehrdienst - ist der Gesetzgeber offenbar davon ausgegangen, dass die dadurch eintretende zeitliche Verzögerung bei der Berufsausbildung ein Jahr beträgt.
Sie sind am xx.xx.1996 geboren und haben am 5.
0ktober 2018 Ihre Diplomprüfung an der HTL in ***1*** erfolgreich abgeschlossen und somit eine Berufsausbildung absolviert. In der Zeit vom August 2014 bis April 2015 haben Sie Zivildienst geleistet. Mit Mai 2015 haben Sie an der Universität ***1*** das Studienfach Chemie belegt und dieses mit Mai 2016 abgebrochen. Mit gingen Sie ein Dienstverhältnis ein. Mit Oktober 2020 haben Sie mit Ihrem Arbeitgeber eine 12-monatige Bildungskarenzvereinbarung abgeschlossen und im sich Studienfach Soziologie inskribiert.
Das generelle Ende für den Bezug der Familienbeihilfe ist die Vollendung des 24. Lebensjahres; nur unter bestimmten Voraussetzungen auch bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres. Diese Voraussetzungen liegen bei Ihnen nicht vor. Ihre Ausbildungszeit hat sich durch die Zeiten des Präsenz- oder Zivildienstes nicht verkürzt und kann die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 1 lit. g FLAG 1967 nicht angewendet werden
."

Daraufhin stellte der Beschwerdeführer fristgerecht den Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag), wiederholte sein Beschwerdevorbringen und brachte ergänzend vor, dass in der Beschwerdevorentscheidung auf sein ausführliches Beschwerdevorbringen nicht näher eingegangen bzw. die Abweisung der Beschwerde nicht schlüssig argumentiert worden sei.

Im Zuge weiterer Ermittlungen durch das Bundesfinanzgericht wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer ab bis das Weiterbildungsgeld vom AMS in der Höhe von 36,63 € täglich bezog und lt. Bestätigung des Studienerfolges der Universität ***1*** vom im ersten Studienjahr 2020/2021 des Bachelorstudiums Soziologie 51 ECTS-Punkte erreicht hat.

Im Rahmen des Parteiengehörs stimmte das Finanzamt in der Stellungnahme vom in Hinblick auf die VwGH-Erkenntnisse vom (Ra 2021/16/0052 und Ra 2022/16/0044) der Stattgabe der Beschwerde für den Zeitraum Oktober 2020 bis März 2021 zu.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) idgF haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

§ 6 Abs. 5 FLAG 1967 bezweckt die Gleichstellung von Kindern, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten, mit Vollwaisen, für die niemand unterhaltspflichtig ist und die deshalb einen eigenen Anspruch auf Familienbeihilfe haben. Der Gesetzgeber will mit dieser Bestimmung in jenen Fällen Härten vermeiden, in denen Kinder sich weitgehend selbst erhalten müssen ().

Gemäß § 6 Abs. 1 FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

Nach § 6 Abs. 2 lit. f FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie in dem Monat, in dem sie das 24. Lebensjahr vollenden, den Präsenz- oder Ausbildungsdienst oder Zivildienst leisten oder davor geleistet haben, bis längstens zur Vollendung des 25. Lebensjahres, sofern sie nach Ableistung des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes oder Zivildienstes für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist; Vollwaisen die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannte Einrichtung besuchen, jedoch nur im Rahmen der in § 2 Abs. 1 lit. b vorgesehenen Studiendauer. Diese Regelung findet in Bezug auf jene Vollwaisen keine Anwendung, für die vor Vollendung des 24. Lebensjahres Familienbeihilfe nach lit. k gewährt wurde und die nach § 12c des Zivildienstgesetzes nicht zum Antritt des ordentlichen Zivildienstes herangezogen werden,

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. Bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, ist eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester oder die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Ausbildungsjahr überschreiten. Wird ein Studienabschnitt in der vorgesehenen Studienzeit absolviert, kann einem weiteren Studienabschnitt ein Semester zugerechnet werden. Die Studienzeit wird durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis (zB Krankheit) oder nachgewiesenes Auslandsstudium verlängert. Dabei bewirkt eine Studienbehinderung von jeweils drei Monaten eine Verlängerung der Studienzeit um ein Semester. Zeiten als Studentenvertreterin oder Studentenvertreter nach dem Hochschülerschaftsgesetz 1998, BGBl. I Nr. 22/1999, sind unter Berücksichtigung der Funktion und der zeitlichen Inanspruchnahme bis zum Höchstausmaß von vier Semestern nicht in die zur Erlangung der Familienbeihilfe vorgesehene höchstzulässige Studienzeit einzurechnen. Gleiches gilt für die Vorsitzenden und die Sprecher der Heimvertretungen nach dem Studentenheimgesetz, BGBl. Nr. 291/1986. Der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie hat durch Verordnung die näheren Voraussetzungen für diese Nichteinrechnung festzulegen. Zeiten des Mutterschutzes sowie die Pflege und Erziehung eines eigenen Kindes bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres hemmen den Ablauf der Studienzeit. Bei einem Studienwechsel gelten die in § 17 Studienförderungsgesetz 1992, BGBl. Nr. 305, angeführten Regelungen auch für den Anspruch auf Familienbeihilfe. Die Aufnahme als ordentlicher Hörer gilt als Anspruchsvoraussetzung für das erste Studienjahr. Anspruch ab dem zweiten Studienjahr besteht nur dann, wenn für ein vorhergehendes Studienjahr die Ablegung einer Teilprüfung der ersten Diplomprüfung oder des ersten Rigorosums oder von Prüfungen aus Pflicht- und Wahlfächern des betriebenen Studiums im Gesamtumfang von acht Semesterwochenstunden oder im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten nachgewiesen wird; Gleiches gilt, wenn alle Lehrveranstaltungen und Prüfungen der Studieneingangs- und Orientierungsphase nach § 66 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, erfolgreich absolviert wurden, sofern diese mit mindestens 14 ECTS-Punkten bewertet werden. Der Nachweis ist unabhängig von einem Wechsel der Einrichtung oder des Studiums durch Bestätigungen der im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannten Einrichtungen zu erbringen. Für eine Verlängerung des Nachweiszeitraumes gelten die für die Verlängerung der Studienzeit genannten Gründe sinngemäß.

§ 6 Abs. 2 lit. f FLAG 1967 verlangt für einen (weiteren) Beihilfenbezug in einem Fall wie dem gegenständlichen das Vorliegen zweier Voraussetzungen, nämlich
- dass das Kind in dem Monat, in dem es das 24. Lebensjahr vollendet, den Zivildienst (leistet oder davor) geleistet hat, und
- dass das Kind nach Ableistung des Zivildienstes für einen Beruf ausgebildet wird.

Nach der Rechtsprechung des VwGH besteht die Verlängerung der Anspruchsdauer gemäß § 2 Abs. 1 lit. g bzw. § 6 Abs. 2 lit. f FLAG 1967 unabhängig davon, ob das Kind, welches vor Absolvierung seines 24. Lebensjahres einen Präsenzdienst bzw. Zivildienst geleistet hat, die nachfolgende Berufsausbildung vor oder nach Vollendung des 24. Lebensjahres aufnimmt (vgl. und ).

Beide Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 lit. f FLAG 1967 werden hier erfüllt:
Der Beschwerdeführer hat vor Vollendung seines 24. Lebensjahres (am xx.xx.2020) den Zivildienst von August 2014 bis April 2015 geleistet und er hat im Oktober 2020 ein Studium im Sinn des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 begonnen.

Im Übrigen hat der Beschwerdeführer den Nachweis erbracht, dass er auf Grund des Bezuges des Weiterbildungsgeldes seine Unterhaltskosten (überwiegend) selbst getragen hat und dass er im ersten Studienjahr 2020/2021 des Bachelorstudiums Soziologie 51 ECTS-Punkte erreicht hat.

Daher besteht für den Beschwerdeführer ein Familienbeihilfenanspruch nach § 6 Abs. 5 iVm § 6 Abs. 2 lit. f FLAG 1967 von Oktober 2020 bis zu dem Monat, in dem er sein 25. Lebensjahr (am xx.xx.2021) vollendet hat.

Es war wie im Spruch zu entscheiden.

Zur Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da im vorliegenden Fall eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht vorliegt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abweicht, ist eine (ordentliche) Revision nicht zulässig.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise


ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.2100444.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at