Eintritt der Unfähigkeit sich den Unterhalt zu verschaffen vor dem 21. Lebensjahr?
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Siegfried Fenz in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Nikolsdorfer Gasse 7-11 Tür 15, 1050 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Familienbeihilfe ab August 2017, SVNR: ***Nr.***, zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Der vom Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers (Bf.) eingebrachte Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung enthält u.a. folgende Eintragungen:
Bei dem Kind besteht folgende erhebliche Behinderung bzw. Erkrankung
psych. Erkrankung, SchizophrenieIch beantrage den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung
ab 08/2017
Beigelegt war der Beschwerde eine Verständigung der Pensionsversicherungsanstalt vom Jänner 2022 an den Erwachsenenvertreter des Bf. betreffend den Bf. über die Leistungshöhe zum .
Der beschwerdegegenständliche Bescheid wurde erlassen wie folgt:
Abweisungsbescheid
Ihr Antrag auf Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung vom wird abgewiesen für:
Name des Kindes VNR/Geb.dat. Zeitraum
(Nach- und Vorname des Bf.) … 04 73 ab Aug. 2017
Begründung
Da Sie It. Information vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zu den vorgegebenen Untersuchungsterminen nicht erschienen sind, konnte weder ein Anspruch auf die Familienbeihilfe noch auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe festgestellt werden.
Daher war wie im Spruch zu entscheiden.
Der Erwachsenenvertreter des Bf. erhob Beschwerde wie folgt:
Das BFG möge den abweisenden Bescheid dahingehend abändern, dass die beantragte erhöhte Familienbeihilfe zuerkannt wird.
Weder der gerichtliche Erwachsenenvertreter noch (der Bf.) selbst, haben eine Einladung zur medizinischen Untersuchung erhalten. Es wird ersucht, sämtliche Zustellungen an den Erwachsenenvertreter an dessen Kanzleiadresse (zuletzt wurde die Privatadresse verwendet!) zu übermitteln.
Der Beschwerdeführer erfüllt auf Grund seiner Erkrankungen sämtliche Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe samt dem Erhöhungsbetrag.
Das Finanzamt erließ eine abweisende Beschwerdevorentscheidung, dies mit folgender Begründung:
Für volljährige Kinder steht Familienbeihilfe nur unter bestimmten, im § 2 Abs. 1 lit. b bis e Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der ab gültigen Fassung genannten Voraussetzungen zu.
- Zeiten einer Berufsausbildung bzw. -fortbildung
- Zeiten zwischen dem Abschluss einer Schulausbildung und dem frühestmöglichen Beginn bzw. der frühestmöglichen Fortsetzung der Berufsausbildung
- Zeiten zwischen der Beendigung des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes und dem Beginn bzw. der frühestmöglichen Fortsetzung der Berufsausbildung
- das dauernde Unvermögen, sich selbst wegen einer Behinderung Unterhalt zu
verschaffen.
Gemäß § 8 Abs. 5 ff FLAG 1967 in der derzeit gültigen Fassung gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem nicht nur eine vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht.
Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als sechs Monaten.
Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 % betragen, soweit es sich nicht um ein
Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit ist gem. § 8
Abs. 6 FLAG 1967 durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr Sozialministeriumservice) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Aus § 8 Abs. 5 und 6 FLAG ergibt sich, dass der Grad der Behinderung zwingend durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice unter der Würdigung ärztlicher Sachverständigengutachten nachzuweisen ist.
Laut ärztlichem Sachverständigengutachten vom liegt eine erhebliche Behinderung bzw. eine dauernde Erwerbsunfähigkeit ab vor und wurde somit nicht vor dem 21. bzw. 25. Lebensjahr bescheinigt, daher war spruchgemäß zu entscheiden.
Im Vorlageantrag wurde vom Erwachsenenvertreter des Bf. auf die bisherigen Ausführungen in der Beschwerde verwiesen und vorgebracht:
Nach Ansicht des Beschwerdeführers [des Erwachsenenvertreter des Bf.] liegen sowohl die Voraussetzungen für die Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe vor, da der Beschwerdeführer noch nie wirklich arbeitstätig war und bereits seit Jahren eine Invaliditätspension bezieht und somit auch vor dem 21. Lebensjahr bereits nicht erwerbsfähig war.
Die Beschwerdevorlage erfolgte mit nachstehendem Sachverhalt und Anträgen:
Sachverhalt:
Am beantragte die Erwachsenenvertretung des Beschwerdeführers (geboren am … .04.1973) die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ab August 2017. Mit Bescheinigung vom wurde in der Stellungnahme des Sozialministeriumservice vermerkt, dass der Beschwerdeführer nicht zum Untersuchungstermin erschienen ist. Da somit kein Gutachten erstellt werden konnte, wurde der Antrag am abgewiesen.
In der Beschwerde vom gab die Erwachsenenvertretung bekannt, dass der Bf./der Erwachsenenvertreter keine Einladung zur Untersuchung erhalten hätten. Nach einer erneuten Anforderung wurde am das Gutachten des Sozialministeriumservice übermittelt, in dem ein Grad der Behinderung von 50% und eine dauernde Erwerbsunfähigkeit ab Juli 2002 bescheinigt wurde.
Da der Zeitpunkt des Eintritts der dauernden Erwerbsunfähigkeit im Alter von 29 Jahren bzw. im 30. Lebensjahr und somit nach dem 21. bzw. 25. Lebensjahr bescheinigt wurde, wurde die Beschwerde am abgewiesen.
Am langte der Vorlageantrag ein.
Beweismittel:
Beihilfenakt bestehend aus:
- Antrag vom ,
- Bescheinigung des Sozialministeriumservice vom ,
- Abweisungsbescheid vom ,
- RSb-Rückschein vom ,
- Beschwerde vom ,
- Sachverständigengutachten vom ,
- Beschwerdevorentscheidung vom ,
- RSb-Rückschein vom ,
- Vorlageantrag vom
Stellungnahme:
Das für eine solche Gutachtenerstellung ausschließlich zuständige Sozialministeriumservice (SMS; früher Bundessozialamt "BSA") hat festgestellt, dass beim Beschwerdeführer ein Grad der Behinderung von 50% vorliegt und dass der Beschwerdeführer voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selber den Unterhalt zu verschaffen. Der Grad der Behinderung und das voraussichtliche Außer-Stande-sein, sich selber den Unterhalt zu verschaffen, wurde rückwirkend beginnend mit Juli 2002 bescheinigt.
Da der Beschwerdeführer zu dieser Zeit 29 Jahre alt bzw. im 30. Lebensjahr gewesen ist und daher die Altersgrenzen gemäß § 2 Abs. 1 lit. c FLAG (i.V.m. § 8 Abs. 5, 6 und 6a FLAG) bis zu denen eine erhebliche körperliche oder geistige Behinderung spätestens hätte attestiert werden müssen, bereits überschritten hatte, erfolgte die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung von Familienbeihilfe zuzüglich des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe zu Recht.
Das Finanzamt beantragt daher, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Der im April 1973 geborene Bf. war am Beginn des Beschwerdezeitraumes 44 Jahre alt, im Zeitpunkt der Antragstellung im August 2022 49-jährig und bei seiner fachärztlichen Sachverständigenbegutachtung im Mai 2023 50-jährig (Antrag, Bescheid und Sachverständigengutachten).
Der Bf. bezieht seit Juni 2002 - er war somit 29-jährig - von der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter ununterbrochen Pensionseinkünfte (ASVG-Pensionist, Abgabeninformationssystemabfragen).
Davor, im Jahr 2001, waren die Bezüge des Bf. Folgende:
Art Zeitraum Arbeitgeber/Auftraggeber Betrag / €
3(2) 2002-0605 ARBEITSMARKTSERVICE ÖSTERRE NH 259,01
3(2) 0705-1605 ARBEITSMARKTSERVICE ÖSTERRE 34,08
3(2) 1705-0107 WIENER GEBIETSKRANKENKASSE 156,79
3(2) 0207-0808 ARBEITSMARKTSERVICE ÖSTERRE NH 129,50
84(1) 0908-3009 MANPOWER AUSTRIA TEMPORAER 838,43
3(2) 1210-3112 ARBEITSMARKTSERVICE ÖSTERRE NH 276,08
Anmerkung zu NH: Notstandshilfe
Zum betrug der Anweisungsbetrag der Berufsunfähigkeitspension des Bf. EUR 849,64 (Verständigung der PVA, Landesstelle Wien, vom ).
Die am von Dr. S., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, durchgeführte Begutachtung ergab Folgendes:
Anamnese:
Seit 1988 habe er psychische Beschwerden (1. stat. Aufenthalt 1997, kein Befund), bisher
20 stat. Aufnahmen im OWS zuletzt 2014, jetzt stehe er 1/ Woche im PSD 12 in
Behandlung
Derzeitige Beschwerden:
Schwindel, Desorientierung Reizüberflutung
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Leponex 125mg /d
Sozialanamnese:
lebt teilbetreute WG (ProMente), I Pension, kein Pflegegeld, keine Erwachsenvertretung
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
1.7.- OWS: Paranoide Schizophrenie
PSD 12: paranoide Schizophrenie
Gutachten Dr. Be…: paranoide Schizophrenie
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
Ernährungszustand:
Größe: cm Gewicht: kg Blutdruck:
Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus:
Die Hirnnerven sind unauffällig, die Optomotorik ist intakt.
An den oberen Extremitäten bestehen rechtsseitig keine Paresen, linksseitig bestehen
keine Paresen. Die Muskeleigenreflexe sind seitengleich mittellebhaft auslösbar.
Die Koordination ist intakt.
An den unteren Extremitäten bestehen rechtsseitig keine Paresen, linksseitig bestehen
keine Paresen,
Fersen/ Zehenspitzen/ Einbeinstand bds. möglich,
die Muskeleigenreflexe sind seitengleich mittellebhaft auslösbar.
Die Koordination ist intakt.
Die Pyramidenzeichen sind an den oberen und unteren Extremitäten negativ.
Die Sensibilität wird allseits als intakt angegeben.
Das Gangbild ist ohne Hilfsmittel unauffällig
Gesamtmobilität-Gangbild:
Psycho(patho)logischer Status:
Zeitlich, örtlich zur Person ausreichend orientiert, Auffassung regelrecht, Antrieb
vermindert, subjektiv kognitive Einschränkungen, Stimmung dysthym, Ein- und
Durchschlafstörung, nicht produktiv, nicht suizidal eingeengt
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Rahmensätze: | Pos.Nr. | Gdb % |
Paranoide Schizophrenie Unterer Rahmensatz, da unter Dauertherapie Teilselbständigkeit gegeben, I Pension | 50 |
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
[blank]
Stellungnahme zu Vorgutachten:
[blank]
GdB liegt vor seit: 07/2002
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Befund OWS stat. Aufenthalt
(Der Bf.) ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu
verschaffen: JA
Dies besteht seit: 07/2002
Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Die Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist gegeben, da höher gradige psychische Beeinträchtigungen vorhanden sind welche eine Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt gegenwärtig nicht möglich machen.x Dauerzustand
2. Beweiswürdigung
Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den jeweils angeführten und unbedenklichen Grundlagen; weiterer Ausführungen zur Beweiswürdigung bedarf es daher nicht.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung/Abänderung/Stattgabe)
§ 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) bestimmt:
Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
…
c) für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
§ 8 FLAG bestimmt:
Abs. 5:
Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
Abs. 6:
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen.
Die Abgabenbehörde hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrensnach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO).
Die Feststellung, ob auf Grund einer körperlichen oder geistigen Behinderung die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit vorliegt, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, hat nach den Bestimmungen des zitierten § 8 Abs. 6 FLAG auf dem Wege der Würdigung ärztlicher Sachverständigengutachten zu erfolgen (ohne dass bloßen Bekundungen des anspruchswerbenden Elternteiles oder der untersuchten Person dabei entscheidende Bedeutsamkeit zukäme; vgl. ).
Was ein ärztliches Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung im Sinne des FLAG anlangt, so hat ein solches - nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - Feststellungen über Art und Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten ().
Bei der Beurteilung der Frage, ob die Bf. voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig ist (§ 6 Abs. 2 lit d FLAG 1967), ist die Behörde bzw. das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und im Fall mehrerer Gutachten nicht einander widersprechend sind (vgl. ; ; ; , vgl. auch Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG2, § 8 Rz 29 und die dort zitierte Rechtsprechung).
Der Eintrittszeitpunkt einer Krankheit führt nicht automatisch dazu, dass mit Beginn einer Krankheit eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit einhergeht ().
Liegen keine Befunde vor einem bestimmten Zeitraum vor, ist es einem Gutachter nicht möglich, bereits davor eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, festzustellen, sofern kein Leidenszustand vorliegt, der eindeutig eine Erwerbsfähigkeit bereits von vorneherein ausschließt (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2 § 8 Rz 20 unter Hinweis auf ).
Das Bundesfinanzgericht erwog im Erkenntnis vom , RV/6100100/2021:
Dass die Krankheit der Tochter des Bf angeboren ist, erstmals mit etwa 14 Jahren ausbrach und schleichend verlauft, steht ohne Zweifel fest. Krankheiten können seit der Geburt vorliegen, auch wenn sie sich erst später manifestieren. Maßgebend ist aber der Zeitpunkt, zu dem Behinderungen (als Folge der bestehenden Krankheit) jenes Ausmaß erreichen, das eine Erwerbsunfähigkeit bewirkt. Dieser Zeitpunkt wurde im schlüssigen und vollständigen Letztgutachten (welches auch nicht im Widerspruch zu den Vorgutachten steht) mit Beginn des Monats Februar 2012 festgelegt.
Im Erkenntnis vom , RV/7106245/2019, erwog das Bundesfinanzgericht:
Liegen keine Befunde vor einem bestimmten Zeitraum vor, ist es einem Gutachter nicht möglich, bereits davor eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, festzustellen, sofern kein Leidenszustand vorliegt, der eindeutig eine Erwerbsfähigkeit bereits von vorneherein ausschließt (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2 § 8 Rz 20 unter Hinweis auf ).
Kann eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice, dass eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist, nicht vorgelegt werden und kann daher der Eintritt einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres nicht festgestellt werden, trifft die Beweislast denjenigen, zu dessen Gunsten die entsprechende Tatsache wirken würde:
Das Finanzamt hat die Beweislast für Tatsachen zu tragen, die einem Anspruch auf Familienbeihilfe und/oder den Erhöhungsbetrag entgegenstehen oder einschränken, der Antragsteller für Tatsachen, die den Anspruch auf Familienbeihilfe und/oder den Erhöhungsbetrag begründen oder ausweiten bzw. eine (ihn treffende) gesetzliche Vermutung widerlegen (vgl. mutatis mutandis Ehrke-Rabel in Doralt/Ruppe, Grundriss des österreichischen Steuerrechts, II7, Tz. 1301).
Bescheinigt das Sozialministeriumservice lege artis das Vorliegen einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit im Beschwerdezeitraum nicht, geht dies zu Lasten des Antragstellers (vgl. ).
Der Nachweis einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres des Bf eingetretenen voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit konnte von der Bf nicht erbracht werden.
Im Erkenntnis vom , RV/7100679/2020, führt das Bundesfinanzgericht (iZm einer paranoider Schizophrenie) aus:
Diagnoseerstellung durch die sachverständigen Ärzte des Sozialministeriumservice
Die sachverständigen Ärzte des Sozialministeriumservice ziehen für ihre zu treffenden Feststellungen, wie hoch der Grad der Behinderung bzw. wann die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, neben der durchgeführten Anamnese und Untersuchung des Antragstellers die Kenntnisse der Medizin und ihr eigenes Fachwissen heran. Unerlässlich für die Feststellungen sind auch Befunde und besonders hilfreich "alte" Befunde und Arztbriefe oder sonstige Unterlagen, die darauf schließen lassen, dass die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit auf Grund der Erkrankung (Behinderung bereits vor dem 21. Lebensjahr (bzw. wenn sich der Antragsteller noch in schulischer Ausbildung befand, das 25. Lebensjahr) eingetreten ist (vgl. , , , Ro 2017/16/0009).
Die Feststellungen, zu welchem Zeitpunkt eine Erkrankung bzw. Behinderung zu einer Erwerbsunfähigkeit geführt hat, können naturgemäß immer nur mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit, aber nie mit Sicherheit getroffen werden, da die Gutachter bei ihrer Untersuchung nur das Ausmaß der Erkrankung zum Untersuchungszeitpunkt feststellen können. Die vom Gesetzgeber geforderte Feststellung des tatsächlichen Eintrittes der Erwerbsunfähigkeit eines Antragstellers kann naturgemäß immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen ().
Der Antragsteller hat die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl. ).
Bindung an die Gutachten des Sozialministeriumservice
Die Beihilfenbehörden (Finanzamt), und auch das Gericht, haben bei ihrer Entscheidung von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und sind an die Gutachten des SMS gebunden. Ein Abweichen ist nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung möglich (, ).
Die Beihilfenbehörden und das Gericht dürfen die Gutachten nur insoweit prüfen, ob diese vollständig, nachvollziehbar und schlüssig sind und im Fall mehrerer Gutachten oder einer Gutachtensergänzung nicht einander widersprechen (vgl. ; ; Erkenntnisse VwGH jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310). Erforderlichenfalls ist für deren Ergänzung zu sorgen (; ; ).
Ein Gutachten ist
• vollständig, wenn es die von der Behörde oder dem Gericht gestellten Fragen beantwortet (sofern diese zulässig waren)
• nachvollziehbar, wenn das Gutachten von der Beihilfenstelle und vom Gericht verstanden werden kann und diese die Gedankengänge des Gutachters, die vom Befund zum Gutachten führten, prüfen und beurteilen kann und
• schlüssig, wenn es nach der Prüfung auf Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit immer noch überzeugend und widerspruchsfrei erscheint.
Im Erkenntnis vom , RV/3100776/2020, führt das Bundesfinanzgericht aus:
Nach der Judikatur des VwGH bestehen ua bei Begünstigungsvorschriften und in Fällen, in denen die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde eingeschränkt sind, erhöhte Mitwirkungspflichten der Partei. Die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde sind dann massiv eingeschränkt, wenn Sachverhalte zu beurteilen sind, die teilweise Jahrzehnte zurückliegen. Auch der Sachverständige kann aufgrund seines medizinischen Fachwissens ohne Probleme grundsätzlich nur den aktuellen Gesundheitszustand des Erkrankten beurteilen. Hierauf kommt es aber nur an, wenn der derzeitige Behinderungsgrad oder eine dauernde Erwerbsunfähigkeit zeitnah zum relevanten Zeitpunkt festzustellen ist. In allen übrigen Fällen kann der Sachverständige nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine Behinderung oder dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist. Dies ist insbesondere zB bei psychischen Krankheiten problematisch, da diese häufig einen schleichenden Verlauf nehmen. Somit ist es primär an den Berufungswerbern, allenfalls den vertretenden Sachwaltern, gelegen, den behaupteten Sachverhalt, nämlich ihre bereits vor der Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen (zB ; siehe in: Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, Rz 32 zu § 8 mit weiterer UFS-Judikatur).
Das Bundesfinanzgericht entschied wiederholt: In die Richtung, dass jemand vor dem 21. Lebensjahr nicht dauernd unfähig gewesen wäre, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, weisen die Umstände, dass er Arbeitslosengeld bezog und es gelungen ist, eine Berufsunfähigkeitspension zu erwerben (; ).
Im Erkenntnis vom , RV/3100671/2020, erwog das Bundesfinanzgericht iZm den o.a. Bestimmungen des AlVG:
Es ist nicht davon auszugehen, dass die zuständigen Stellen in völliger Missachtung der gesetzlichen Vorgaben Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder Rehabilitationsgeld gewähren würden, wenn zu den damaligen (nach Vollendung des 21. Lebensjahres gelegenen) Zeitpunkten tatsächlich (schon) eine voraussichtlich dauernde Arbeitsunfähigkeit bestanden hätte.
Um Arbeitslosengeld und in der Folge Notstandshilfe beziehen zu dürfen, muss der Anspruchswerbende (unter anderem) der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen, das heißt insbesondere auch, überhaupt arbeitsfähig zu sein (vgl. §§ 7 und 8 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes - AlVG -, BGBl. Nr. 609/1977 idF BGBl. I Nr. 3/2013).
Entscheidend ist ausschließlich, ob der Bf. bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres voraussichtlich dauernd außer Stande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die vorliegende Behinderung muss kausal für das geforderte "außer Stande sein" sein und muss dieser Umstand bereits vor Vollendung des - gegenständlich - 21. Lebensjahres gegeben sein (vgl Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG2, § 8 Tz 20). Andere als behinderungskausale Gründe (wie zB mangelnde oder nicht spezifische Ausbildung, die Arbeitsplatzsituation, Arbeitswilligkeit oÄ - siehe zu einer vergleichbaren Rechtslage im Bereich der Invaliditätspension ) dürfen für die Beurteilung ebensowenig herangezogen werden, wie eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes (etwa auch durch eine Verschlimmerung des Leidens oder durch Folgeschäden) nach Vollendung des 21. Lebensjahres (vgl Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG2 aaO).
Daraus folgt ua auch, dass es im Ergebnis weder darauf ankommt, ob die betroffene Person über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt oder die Grunderkrankung zu einem späteren Zeitpunkt (nach Vollendung des 21. Lebensjahres) dazu führt, dass eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen eintritt.
Im gegenständlichen Beschwerdefall ist daher zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe erfüllt sind, somit, ob die dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, spätestens im April 1994 eingetreten ist.
Der Umstand, dass es dem Bf. gelungen ist, eine Berufsunfähigkeitspension zu erwerben, lässt nicht darauf schließen, der Bf. wäre - bezogen auf den Zeitraum bis April 1994 - dauernd unfähig gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Der erste Befund, auf den Bezug genommen werden konnte, wurde im Juli 2002 - somit in einem Zeitpunkt als der Bf. das 29. Lebensjahr überschritten hatte -erstellt.
Auf Grund dieses Befundes gelangte der Sachverständigen zu der Beurteilung, dass der GdB (Grad der Behinderung) iHv 50% seit: "07/2002" vorliegt.
Das weitere Ergebnis lautet:
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Befund OWS stat. Aufenthalt
(Der Bf.) ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu
verschaffen: JA
Dies besteht seit: 07/2002
Die Beurteilung bzw. Einstufung der Erkrankung konnte vom ärztlichen Sachverständigen auf Grund des angeführten Befundes vom Juli 2002 mit diesem Monat bestätigt werden.
Eine weiter zurückliegende Evaluierung des GdB bzw. der Einschätzung der dauernden Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen konnte auf Grund fehlender weiter zurückliegender Befunde nicht erfolgen.
Dem Vorbringen, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe lägen vor, "da der Beschwerdeführer noch nie wirklich arbeitstätig war", kann gemäß den obigen Rechtsausführungen eine entscheidungswesentliche Bedeutung nicht beigemessen werden; davon abgesehen geht das Vorbringen über die bloße Behauptungsebene nicht hinaus und weist das Gelingen des Erwerbens einer Berufsunfähigkeitspension auf vorangegangene Arbeitstätigkeiten des Bf. hin.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden auf der Sachverhaltsebene zu lösenden Fall nicht gegeben.
Wien, am
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.7102935.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at