Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 16.08.2023, RV/4100139/2018

Anlagevermögen, Nutzungsdauer, Ab- und Zuschlag

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. N. N1 in der Beschwerdesache Firma GmbH, vertreten durch Stb. u.WP Gesellschaft m.b.H., Str.1, Stadt, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Stadt.1 (nunmehr: Finanzamt für Großbetriebe) vom betreffend Körperschaftsteuer Jahr zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Abgabepflichtige betreibt einen Industriebetrieb. Das Finanzamt führte im Jahr 2015 im Unternehmen der Beschwerdeführerin eine abgabenbehördliche Prüfung für die Jahre 2010 bis 2013 durch (Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung vom , ABNr. Nummer).
Unter Tz. 1 stellte der Prüfer fest, dass eine "Vielzahl von Wirtschaftsgütern", die bereits abgeschrieben sind, nach wie vor im SAP-Anlagengitter, angeführt waren.
Der Prüfer untersuchte solche Anlagegüter, deren Anschaffungswert höher als Euro 20.000,00 gewesen ist, hinsichtlich der betriebswirtschaftlichen Nutzungsdauer. Dabei stellte er fest, dass etliche Wirtschaftsgüter zum Teil länger im Unternehmen genutzt wurden, als es der Nutzungsdauer nach deutscher AfA-Tabelle entspricht. Auf die Niederschrift über die Schlussbesprechung vom wurde verwiesen.

Der Prüfer hielt fest, dass bei den im Bericht genannten Gütern des Anlagevermögens ein Anpassungsbedarf im Sinne des Abgabenänderungsgesetzes 2012, BGBl. I Nr. 112/2012, in Verbindung mit § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 besteht.

Zusätzlich wurde darauf hingewiesen, dass hinsichtlich weiterer überprüfter Wirtschaftsgüter die Einwendungen des Unternehmens anerkannt worden wären.

Rechtlich führte der Prüfer aus, dass gemäß § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 iVm § 124b Z 225 EStG die steuerwirksame Korrektur von solchen Fehlern vorgesehen ist, die ihre Wurzel in verjährten Zeiträumen haben und deren Folgewirkungen noch in nicht verjährte Veranlagungszeiträume hineinreichen. Dadurch soll eine steuerwirksame Berichtigung von Fehlern (unter Beibehaltung des Grundsatzes der Besteuerung des richtigen Totalgewinnes), die sich in mehreren Besteuerungsperioden auswirken, möglich sein.
Der Prüfer führte aus, dass die Neufassung des § 4 Abs. 2 EStG iVm § 124b 225 EStG eine periodengerechte Gewinnermittlung zum Ziel habe. Die Bestimmung greife nicht in den formellen Bilanzzusammenhang ein und führe durch ein Abschlags- und Zuschlagssystem dazu, dass im Ergebnis ein richtiger Totalgewinn ermittelt werde.
Damit werde dem Gedanken der Rechtsrichtigkeit Rechnung getragen. Ein Zu- und Abschlag ist dann möglich, wenn die steuerlichen Auswirkungen in noch nicht verjährte Veranlagungsjahre hineinreichen. Dies treffe im vorliegenden Sachverhalt in Bezug auf die Höhe der AfA bzw. die wirtschaftliche Nutzungsdauer zu.

Der Prüfer verringerte bei drei angeschafften Anlagegütern aus dem Jahr 2004 und einem Anlagegut aus dem Jahr 2005 die AfA teilweise um die Hälfte und verlängerte deren Nutzungsdauer, sodass die Wirtschaftsgüter bis 2013, 2016 und 2019 abzuschreiben waren. Aus der als Beilage zum BP-Bericht erstellten tabellarischen Aufstellung ergibt sich dazu Folgendes:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Anlagegut
Aktivierung
AHK
jährl. AfA
AfA lt.BP
Ende
lt.BP
Zuschlag
A
09.2004
105.350,00
10.535,00
7.023,00
2014
2019
Summe 1
Speich.:
12.2004
51.318,82
5.132,00
4.276,57
2014
2016
Summe 2
S.Anl
06.2005
36.181,70
7.236,70
3.618,17
2010
2014
Summe 3
S
01.2004
20.937,08
4.188,06
2.094,37
2009
2013
Summe 4
Betr. ..3...

Die Zuschläge errechneten sich aus der Differenz der jährlich geltend gemachten AfA und der durch den Prüfer festgesetzten AfA.

Durch die verhängten Zuschläge kam es zu einer Verlängerung der Nutzungsdauer. Bei zwei Anlagegüter wurde die Nutzungsdauer von 5 Jahren auf zehn Jahre erhöht. Bei einem Anlagegut wurde die Nutzungsdauer von zehn Jahren auf fünfzehn Jahre und bei einem weiteren um drei Jahre erhöht.

Bescheid:

Das Finanzamt setzte mit Bescheid vom die Körperschaftsteuer Jahr ausgehend vom nunmehr erhöhten Einkommen iHv Euro Betrag iHv Euro Betrag***1*** (bisher: Euro Betrag ***2***) fest.

Beschwerde:

Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bf.in) hielt eingangs fest, dass der Zuschlag zu Unrecht verhängt worden sei. Nach dem Erkenntnis des , gelte für das Inkraftreten der Bestimmung des § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 idF AbgÄG 2012, BGBI. 2012/112, folgendes:

Während Normen des Verfahrensrechtes auch für Verfahrensschritte Anwendung finden, die sich auf vor dem Inkrafttreten verwirklichte Sachverhalte beziehen (; Stoll, BAO Kommentar, 62), erfassen materielle Abgabengesetze grundsätzlich erst Tatbestände, die sich ab dem Inkrafttreten verwirklichen. Die Bestimmung des § 4 Abs. 2 Z 2 EStG nimmt Einfluss auf die Höhe des Betriebsgewinnes, der Einkünfte und des Einkommens. Daher handelt es sich bei dieser Norm unzweifelhaft um eine materiell-rechtliche Bestimmung. Das bedeutet:

"Erstmals wenn das Veranlagungsjahr 2013 das älteste, nicht verjährte Jahr (betreffend KÖSt) ist, können Zuschläge gemäß § 4 Abs. 2 Z2 für Zwecke der Berechnung der Körperschaftsteuer 2013 vorgenommen werden, wobei diese Zuschläge Fehler ab dem Jahr 2003(Wirtschaftsjahr 2002/2003) betreffen können. Erstmals das Einkommen 2013 kann sohin durch Zu- und Abschläge nach § 4 Abs. 2 Z 2 idF AbgÄG 2012, BGBI 112/2012 vom , erhöht/vermindert werden (Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, Kommentar zu EStG, § 4 Tz. 167)."

Der Ansatz sei nach der im Erkenntnis des BFG zum Ausdruck gebrachten Rechtsmeinung zu Unrecht vorgenommen worden.

Beschwerdevorentscheidung:

Das Finanzamt führte zum Einwand, der Zuschlag wäre zu Unrecht verhängt worden aus, dass die Bestimmung des § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2012 keinen eigenständigen materiellen Besteuerungstatbestand für im jeweiligen Veranlagungsjahr verwirklichte Sachverhalte schafft, sondern lediglich die nachträgliche Korrektur einer falschen rechtlichen Beurteilung bereits verwirklichter Sachverhalte zum Gegenstand hat. Daher sei die Bestimmung nicht als materiell-rechtliche Norm einzustufen. Die Anwendung der Bestimmung beziehe sich als Norm des Verfahrensrechts auch auf bereits abgelaufene Veranlagungsjahre. Normen des Verfahrensrechts können auch auf Sachverhalte angewendet werden, die Zeiträume vor Inkrafttreten der Norm betreffen.

Vorlageantrag:

Im Vorlageantrag führte die Bf.in aus, dass der Charakter der Bestimmung des § 4 Abs. 2 Z 2 EStG in Literatur und Judikatur umstritten sei. In der Rechtsprechung sei die Bestimmung als materiellrechtliche Norm erkannt worden, die nicht auf Sachverhalte angewendet werden könne, die vor ihrem Inkrafttreten verwirklicht worden sind. Dem Kommentar Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, Kommentar zum EStG, § 4 Tz. 167, ist zu entnehmen, dass diese Norm unzweifelhaft eine materiellrechtliche Bestimmung sei, weil sie Einfluss auf die Höhe des Bilanzgewinnes nehme.

Der VwGH hat mit Erkenntnis vom , Ra 2015/15/0062, das Erkenntnis des BFG, RV/2100388/2013, aufgehoben. Der VwGH habe keine Aussage zum Charakter der Bestimmung getätigt. Vielmehr habe das Höchstgericht festgestellt, dass die Fehleinschätzung der objektiven betriebsindividuellen Nutzungsdauer nicht in den Bereich der unrichtigen Beurteilung einer Rechtsfrage fällt und damit eine Bilanzberichtigung gemäß § 4 Abs. 2 Z 2 EStG nicht notwendig sei, da kein Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung oder zwingende Vorschriften des EStG vorliegt.

Schriftlich wurde eingewendet:
"Die Schätzung der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes beruht auf der objektiven Möglichkeit der Nutzung, die nach Maßgabe der Art des Wirtschaftsgutes und der besonderen Nutzungsform im Betrieb zu beurteilen ist. Wenn diese Schätzung nach den am Bilanzstichtag vorliegenden Verhältnissen und der bei der Bilanzerstellung bestehenden Kenntnis des Steuerpflichtigen erfolgt, liegt keine unrichtige Bilanz vor. Sollte sich später die objektive Unrichtigkeit herausstellen, führt dies nicht zu einer Bilanzberichtigung (RN 27 des zit.Erk.)."

……..
"Im gegenständlichen Fall unserer Mandantin hat die Finanzbehörde (siehe Tz 1des Berichtes über die Außenprüfung vom ) nicht festgestellt, dass unsere Mandantin die Nutzungsdauer der betreffenden Wirtschaftsgüter nicht mit zumutbarer Sorgfalt geschätzt hätte. Die Finanzbehörde hat lediglich ausgeführt, dass die Wirtschaftsgüter eine tatsächliche Nutzungsdauer aufweisen, die länger ist, als sich anhand der deutschen AfA Tabellen ergibt.

Unsere Mandantin hat die Nutzungsdauer unter Zugrundelegung der deutschen AfA -Tabellen geschätzt, soweit diese AfA-Tabellen Angaben zur Nutzungsdauer enthalten. In den anderen Fällen wurde die Nutzungsdauer anhand der voraussichtlichen technischen und wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeit im Betrieb geschätzt.
……
."

"Die Finanzbehörde hat im vorliegendem Fall nicht aufgezeigt, dass die nach dem Bilanzstichtag vorliegenden Verhältnissen und der bei der Bilanzerstellung bestehenden Kenntnis unserer Mandantin geschätzte Nutzungsdauer subjektiv unrichtig war. Sie hat damit auch keinenVerstoß gegen die Grundsätze ordnungsgemäßerBuchführung oder zwingender Vorschriften des EStG aufgezeigt. Die Finanzbehörde hat vielmehr aus einer im Nachhineingewonnenen Erkenntnis - jene der tatsächlichen längeren Nutzung - geschlossen, dass eine subjektive Unrichtigkeit der Bilanz vorgelegen wäre."

Die Schlussfolgerungen der Betriebsprüfung sind nicht begründet. Die Schätzung der Nutzungsdauer der gegenständlichen Wirtschaftsgüter sei mit der zumutbaren Sorgfalt aufgrund der Kenntnis der am Bilanzstichtag und zum Bilanzerstellungszeitpunkt vorliegenden Umstände erfolgt. Damit erweisen sich die Bilanzen ab der Anschaffung der gegenständlichen Wirtschaftsgüter als subjektiv richtig. Selbst wenn von der Finanzbehörde festgelegte Nutzungsdauer objektiv richtig ist, liegt hier keine unrichtige rechtliche Beurteilung einer Rechtsfrage vor. Nach dem o.a. Erkenntnis des VwGH ist damit keine Anwendung des § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 gegeben.

In der Niederschrift zur Schlussbesprechung vom hielt das Finanzamt fest, dass eine Vielzahl von bereits abgeschriebenen Wirtschaftsgüter nach wie vor im SAP-Anlagegitter angeführt werden. Die Prüfung untersuchte solche Anlageüter, deren Anschaffungswert höher als Euro 20.000,00 war hinsichtlich ihrer betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer.

Das Finanzamt beantragte im Vorlagebericht die Abweisung der Beschwerde.

In Beantwortung eines Vorhaltes durch das BFG teilte die Bf.in mit Schriftsatz vom mit, dass der Speich.: am ausgeschieden worden sei, während die anderen drei angeschafften Anlagegüter weiterhin im Unternehmen eingesetzt werden.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt:

Im vorliegendem Sachverhalt erkannte der Prüfer bei einer "Vielzahl von Wirtschaftsgütern", dass deren Nutzungsdauer über der ursprünglich angenommenen Nutzungsdauer liegt. Der Prüfer überprüfte solche Wirtschaftsgüter, deren Anschaffungskosten über Euro 20.000,00 lagen und stellte bei einzelnen Wirtschaftsgütern fest, dass diese erheblich länger im Betrieb genutzt werden.

Drei verfahrensgegenständliche Maschinen befanden sich während des anhängigen Beschwerdeverfahrens im November 2022 in Betrieb. Der Tank wurde im Dezember 2019 ausgeschieden.

Beweiswürdigung:

Dem Verfahren wurde der vorgelegte Akt des Finanzamtes zugrunde gelegt. Dieser besteht aus den genannten Schriftsätzen, dem Prüfungsauftrag, dem Betriebsprüfungsbericht, der Unterlagenanforderung an die Bf.in vom , dem Anlagegitter und dem Vorlagebericht.

Ausgehend von der Tatsachenfeststellung des Prüfers, dass eine Vielzahl von Wirtschaftsgütern, die bereits abgeschrieben wurden, noch immer im SAP Anlagegitter angeführt waren, wurden solche Anlagegüter überprüft, deren Anschaffungskosten den Betrag iHv Euro 20.000,00 überschritten haben. Der Prüfer stellte dabei fest, dass die verfahrensgegenständlichen Anlagegüter länger im Betrieb genützt werden, als es der deutschen AfA-Tabelle entspricht.
Die ausgewählten, verfahrensgegenständlichen Anlagegüter haben eine wesentlich längere Nutzungsdauer, als die ursprüngliche im Zeitpunkt der Anschaffung angenommene Nutzungsdauer.
Im Zuge des Verfahrens beim BFG gab die Bf.in dazu an, dass im November 2022 drei von vier angeschafften Anlagegütern noch betrieblich genutzt werden. Ein Anlagegut wurde im Dezember 2019 ausgeschieden.

Daraus ist abzuleiten, dass die Nutzungsdauer der verfahrensgegenständlichen Anlagegüter bis zu dreimal höher als ursprünglich angenommen ist. Ausgehend davon, dass die Differenz zwischen der ursprünglich angenommenen und der tatsächlichen Nutzungsdauer doch sehr deutlich ausfällt, leitet sich für den erkennenden Richter denklogisch ab, dass die ursprünglichen Bilanzen der Jahre 2004 und 2009 nicht vollständig den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entsprechen.

Die tatsächliche Nutzungsdauer liegt deutlich über der im Wege der Schätzung des Unternehmens ermittelten Nutzungsdauer.

Die Bf.in meint, die Verantwortlichen hätten im Jahr der Anschaffung die Nutzungsdauer subjektiv in Kenntnis der konkreten Umstände anhand der deutschen AfA-Tabellen richtig ermittelt. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass die verfahrensgegenständlichen Anlagegüter zum Teil eine mehr als dreimal so lange Nutzungsdauer aufweisen und insoweit die Nutzungsdauer wesentlich höher als ursprünglich angenommen ist.

Rechtslage:

§ 4 Abs. 2 in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2012 (AbgÄG 2012), BGBl. I Nr. 112/2012, lautet auszugsweise:
"(2) Die Vermögensübersicht (Jahresabschluss, Bilanz) ist nach den allgemeinen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung zu erstellen. Nach Einreichung der Vermögensübersicht beim Finanzamt gilt Folgendes:
[...]
2. Entspricht die Vermögensübersicht nicht den allgemeinen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung oder den zwingenden Vorschriften dieses Bundesgesetzes, ist sie zu berichtigen (Bilanzberichtigung). Kann ein Fehler nur auf Grund der bereits eingetretenen Verjährung nicht mehr steuerwirksam berichtigt werden, gilt Folgendes:
- Zur Erreichung des richtigen Totalgewinnes kann von Amts wegen oder auf Antrag eine Fehlerberichtigung durch Ansatz von Zu- oder Abschlägen vorgenommen werden.
- Die Fehlerberichtigung ist im ersten zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht verjährten Veranlagungszeitraum insoweit vorzunehmen, als der Fehler noch steuerliche Auswirkungen haben kann.
- Die Nichtberücksichtigung von Zu- oder Abschlägen gilt als offensichtliche Unrichtigkeit im Sinne des § 293b der Bundesabgabenordnung."

In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Abgabenänderungsgesetz 2012 (1960 BlgNR 24. GP, 18 ff) wurde zu § 4 Abs. 2 und 3 sowie § 28 Abs. 7 EStG 1988 u.a. ausgeführt:

"In § 4 Abs. 2 sollen die Grundsätze für die Bilanzberichtung und Bilanzänderung klarer dargestellt werden. Darüber hinaus soll er um eine Bestimmung erweitert werden, die dem Grundsatz der Besteuerung des richtigen Totalgewinnes in besonderem Maße Rechnung trägt: Es soll eine steuerwirksame Korrektur von Fehlern möglich werden, die ihre Wurzel in verjährten Zeiträumen haben, und deren Folgewirkungen noch in nicht verjährte Veranlagungszeiträume hineinreichen. Damit soll eine steuerwirksame Berichtigung von Fehlern, die sich in mehreren Besteuerungsperioden auswirken, auch dann möglich sein, wenn ihrer Steuerwirksamkeit ausschließlich die eingetretene Verjährung entgegensteht.

Die Neufassung des § 4 Abs. 2 ändert zunächst nichts daran, dass unrichtige Bilanzansätze wie bisher bis zur Wurzel zurückverfolgt und korrigiert werden müssen.

(...)

Die Fehlerkorrektur soll im Rahmen einer Bescheidberichtigung nach § 293b BAO erfolgen können. Das Unterbleiben der Fehlerkorrektur wirddaher als offensichtliche Unrichtigkeit iSd § 293b BAO fingiert. Eine darauf gestützte Bescheidberichtigung hat allerdings zur Voraussetzung, dassder Steuerwirksamkeit der Korrektur ausschließlich die eingetretene Verjährung entgegensteht. Dies bedeutet, dass eine auf § 4 Abs. 2 iVm§ 293b BAO gestützte Änderung eines rechtskräftigen Bescheides nur dann in Betracht kommt, wenn ein Verfahrenstitel vorliegt, der esermöglichen würde, den fehlerhaften Bescheid in Durchbrechung der Rechtskraft zu korrigieren und der Einsatz dieses Verfahrenstitels bloßdeswegen nicht möglich ist, weil dem die eingetretene Verjährung entgegensteht. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass für eine Fehlerberichtigungin Bezug auf verjährte Zeiträume dieselben verfahrensrechtlichen Anforderungen für die Durchbrechung der Rechtskraft gelten wie sie für einederartige Maßnahme in Bezug auf nicht verjährte Zeiträume besteht.

Die Fehlerkorrektur soll stets in jenem Veranlagungszeitraum vorgenommen werden, zu dem - gemessen am Zeitpunkt der Erlassung desberichtigenden Bescheides - die Richtigstellung frühestmöglich vorgenommen werden kann. Voraussetzung dafür ist, dass sich der Fehler in dem zuberichtigenden Jahr (noch) steuerlich auswirkt.

(...)

Die tatbestandsmäßige Bezugnahme auf die Verjährung bedeutet auch, dass in Fällen kein Zu- oder Abschlag möglich ist, in denen derunrichtige Bilanzansatz seine Wurzel in einem noch nicht verjährten Jahr hat. Diesbezüglich kann eine Richtigstellung (im Jahr der Fehlerwurzel)erfolgen, wenn ein Verfahrenstitel die Abänderung des rechtskräftigen Bescheides ermöglicht.

Die Berücksichtigung eines Zu- oder Abschlages unterliegt dem Ermessen ("kann") und ist somit unter dem Gesichtspunkt von Billigkeit undZweckmäßigkeit zu würdigen. Damit sollen einerseits (im Verhältnis zum Totalgewinn- oder -verlust) geringfügige steuerliche Auswirkungen nicht zueinem Zu- oder Abschlag führen, andererseits auch eine Berücksichtigung der absoluten Dauer des Zurückliegens des Fehlers ermöglicht werden. Jelänger der Fehler in die Vergangenheit zurückreicht, umso größer müssen die steuerlichen Auswirkungen sein, um im Rahmen des Ermessens einenZu- oder Abschlag festzusetzen.
………"

§ 4 Abs. 1 EStG 1988 normiert die Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich, also die Ermittlung des Unterschiedsbetrages zwischen dem steuerlichen Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem steuerlichen Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres. Die Feststellung des Standes des steuerlichen Betriebsvermögens erfolgt durch Gegenüberstellung der Aktiv- und Passivpositionen gemäß den Bestimmungen der §§ 4 bis 14 EStG 1988 (2. Teil 3. Abschnitt "Gewinn" des EStG 1988) in der Steuerbilanz. Das gilt auch für jene Steuerpflichtigen, die von § 5 Abs. 1 EStG 1988 erfasst sind, allerdings mit der Maßgabe, dass sie Wahlrechte, welche durch die Regelungen der §§ 4 bis 14 EStG 1988 eröffnet werden, unter Beachtung der unternehmensrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung auszuüben haben.

§ 5 Abs. 1 EStG 1988 erster Satz lautet:
"Für die Gewinnermittlung jener Steuerpflichtigen, die nach § 189 UGB oder anderen bundesgesetzlichen Vorschriften der Pflicht zur Rechnungslegung unterliegen und die Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 23) beziehen, sind die unternehmensrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung maßgebend, außer zwingende steuerrechtliche Vorschriften treffen abweichende Regelungen."

Die Maßgeblichkeit des § 5 Abs. 1 EStG 1988 ändert aber nichts daran, dass die steuerliche Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich ausschließlich aufgrund der Steuerbilanz erfolgt. Die Regelungen betreffend die Bilanzberichtigungen nach § 4 Abs. 2 EStG 1988 beziehen sich ausschließlich auf die Steuerbilanz (vgl. ).

Gemäß § 4 Abs. 2 EStG hat eine Berichtigung der Steuerbilanz - bis zur Wurzel - zwingend zu erfolgen, wenn der Abgabepflichtige (oder die Finanzbehörde) den Fehler, somit den Verstoß gegen die allgemeinen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung oder zwingende Vorschriften des EStG, entdeckt (vgl. ). Eine Berichtigung der Steuerbilanz des Fehlerjahres hat etwa dann zu erfolgen, wenn Bilanzposten fehlen, die zwingend aufzunehmen gewesen wären, wenn Bilanzposten unrichtig sind oder wenn sie zu Unrecht aufgenommen wurden (vgl. Doralt et al, EStG 17, § 4 Tz 127 f, 164).

Die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer kann mathematisch nicht genau ermittelt werden; es ist eine Schätzung vorzunehmen, bei der sowohl Umstände zu berücksichtigen sind, die durch die Art des Wirtschaftsgutes bedingt sind, als auch solche, die sich aus der besonderen Nutzungs-(Verwendungs-)form im Betrieb ergeben. Maßgebend ist somit die objektive betriebsindividuelle Nutzungsdauer; das ist jene Zeitspanne, innerhalb derer das Wirtschaftsgut einen wirtschaftlichen Nutzen abwerfen und im Betrieb nutzbringend einsetzbar sein wird.

Die Schätzung obliegt grundsätzlich dem Steuerpflichtigen, der in der Regel über einen besseren Einblick als die Abgabenbehörde darüber verfügt, wie lange sich das von ihm angeschaffte oder hergestellte Wirtschaftsgut nach seinen Verhältnissen nutzen lässt. Die Behörde darf davon abweichen, wenn sich die Schätzung als unzutreffend erweist. Eine Berichtigung ist vorzunehmen, wenn die Abweichung erheblich ist, d.h. die Schätzung der Nutzungsdauer durch den Steuerpflichtigen außerhalb jener Bandbreite liegt, die jeder Schätzung immanent ist (vgl. Doralt, EStG, § 7 Tz. 49, sowie die dort angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).

Der VwGH sieht eine Abweichung dann als erheblich an, wenn die Schätzung der Nutzungsdauer außerhalb jener Bandbereite liegt, die jeder Schätzung immanent ist (/ Ra 2015/15/0062). Eine erhebliche Abweichung der Nutzungsdauer liegt bei mindestens 20% vor.

1.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Im vorliegenden Sachverhalt sind bei einer Vielzahl von Wirtschaftsgütern zu niedrige Nutzungsdauern angenommen worden, sodass der Prüfer solche Anlagegüter genauer untersucht hat, deren Anschaffungskosten Euro 20.000,00 übersteigen. Die verfahrensgegenständlichen Anlagegüter weisen zum Teil eine zwei- bis dreimal höhere Nutzungsdauer als ursprünglich angenommen auf.

Damit liegen Tatsachen vor, die rückwirkend darauf schließen lassen, dass die Bf.in die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung nicht vollständig eingehalten hat. Die Feststellung, dass eine Vielzahl von Anlagegütern weiterhin im Betrieb genutzt werden, stellt ein starkes Indiz dafür dar, dass bei der Festsetzung der AfA die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung nicht vollständig eingehalten wurden.

Soweit die Bf.in wiederholt einwendet, dass es sich bei der angewendeten Bestimmung um eine materiell-rechtliche Bestimmung handelt, welche erstmals im Jahr 2013 angewendet werden darf, ist ergänzend auf die klarstellenden Erläuterungen zum Abgabenänderungsgesetz 2015, 896 BlgNR XXV.GP, 8, hinzuweisen.

Darin wird klarstellend ausgeführt, dass die "Bestimmung keinen eigenständigen materiellen Besteuerungstatbestand für im jeweils betroffenen Veranlagungsjahr verwirklichte Sachverhalte schafft, sondern - im Interesse der richtigen Gesamtbesteuerung - lediglich die nachträgliche Korrektur einer falschen rechtlichen Beurteilung in Bezug auf bereits verwirklichte Sachverhalte zum Gegenstand hat".
Daher ist diese Norm nicht als Bestimmung des materiellen Rechts einzustufen. Damit ist es zulässig, die Anwendung der Bestimmung auch auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits abgelaufene Veranlagungsjahre zu beziehen, den nach der Rechtsprechung und Lehre, können Normen des Verfahrensrechts auch auf Verfahrensschritte angewendet werden, die Zeiträume vor dem Inkrafttreten der Norm betreffen ().

Schließlich ist dem Wortlaut der Bestimmung des § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 entsprechend zu entnehmen, dass die Fehlerberichtigung im ersten zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht verjährten Veranlagungszeitraum vorzunehmen ist, als der Fehler noch steuerliche Auswirkungen haben kann (vgl. ).

Damit war die Schlussfolgerung der Abgabenbehörde und des Prüfers berechtigt, einen Zuschlag gemäß § 4 Abs. 2 Z 2 EStG zu verhängen.

Die Verhängung von Ab- und Zuschlägen ist im Wege der Ermessensübung vorzunehmen. Angesichts der beträchtlichen Abweichung der Nutzungsdauer von einer Mehrzahl von Anlagegütern und dem Bestreben des Gesetzgebers den richtigen Gewinn zu ermitteln, war im vorliegenden Sachverhalt dem Grundsatz der Rechtsrichtigkeit der Vorzug gegenüber dem Grundsatz der Rechtsbeständigkeit einzuräumen.

Schließlich wurde in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum AbgÄG 2012, 1960 BlgNR XXIV. GP, 18 ff., zu § 4 Abs. 2 und 3 EStG 1988, ausgeführt, dass die Grundsätze für die Bilanzberichtigung und Bilanzänderung klarer dargestellt werden sollen.

"In § 4 Abs.2 sollen die Grundsätze für die Bilanzberichtigung und Bilanzänderung klarer dargestellt werden. Darüber hinaus soll er um eine Bestimmung erweitert werden, die dem Grundsatz der Besteuerung des richtigen Totalgewinnes im besonderen Maße Rechnung trägt: Es soll eine steuerwirksame Korrektur von Fehlern möglich werden, die ihre Wurzeln in verjährten Zeiträumen haben, und deren Folgewirkungen noch in nicht verjährte Veranlagungszeiträume hineinreichen. Damit soll eine steuerwirksame Berichtigung von Fehlern, die sich in mehreren Besteuerungsperioden auswirken, auch dann möglich sein, wenn ihrer Steuerwirksamkeit ausschließlich die eingetreten Verjährung entgegensteht.

Die Neufassung des § 4 Abs 2 ändert zunächst nichts daran, dass unrichtige Bilanzansätze wie bisher bis zur Wurzel zurückverfolgt und korrigiert werden müssen.

….. ."

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

1.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Aus dem Gesetz ergibt sich, dass die in den verfahrensgegenständlichen Jahren vorgenommenen überhöhten Abschreibungen im Jahr 2009, dem ersten zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht verjährten Veranlagungsjahr, durch einen Gewinnzuschlag zu berichtigen sind. Das Bundesfinanzgericht stützt sich auf die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (). Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher nicht zulässig.

Klagenfurt am Wörthersee, am

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ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.4100139.2018

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