Häusliches Arbeitszimmer eines Vertreters: Aufhebung unter Zurückverweisung wegen unterlassener Ermittlungen
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RV/3100208/2021-RS1 | Bei Vertretertätigkeiten kann nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass diese niemals einen Mittelpunkt der Tätigkeit im häuslichen Arbeitszimmer begründen können. Maßgeblich ist vielmehr, wo die Tätigkeit zeitlich überwiegend ausgeübt wird (). |
Entscheidungstext
Beschluss
Das Bundesfinanzgericht beschließt durch den Richter Mag. David Hell LL.B. LL.M. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, Deutschland, betreffend die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Kufstein Schwaz vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2019, Steuernummer ***BF1StNr1***:
I. Der Einkommensteuerbescheid 2019 vom und die Beschwerdevorentscheidung vom werden gemäß § 278 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde aufgehoben.
II. Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Begründung
1. Verfahrensgang und Parteienvorbringen
Am reichte der Beschwerdeführer (Bf.) via FinanzOnline seine Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2019 ein. Darin beantragte er neben dem Berufsgruppenpauschale für Vertreter 2.028,00 € an Fort-/Ausbildungs- oder Umschulungskosten. Seine berufliche Tätigkeit gab er als "Area Sales Manager" an.
Am erließ das Finanzamt Kufstein Schwaz den nunmehr angefochtenen Bescheid, in welchem sie - ohne Begründung - weder das Berufsgruppenpauschale noch die geltend gemachten Werbungskosten berücksichtigte.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Bf. vom , in welcher er an Stelle des Vertreterpauschales die Kosten für sein häusliches Arbeitszimmer, welches unmittelbarer Teil seines täglichen Jobs sei und ausschließlich für die Arbeit genutzt werde, als Werbungskosten geltend machte.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde - infolge der Finanzorganisationsreform nunmehr das Finanzamt Österreich - die Beschwerde des Bf. als unbegründet ab. Begründend führte sie aus, Werbungskosten würden nur dann vorliegen, wenn ein im Wohnungsverband gelegenes Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit des Antragstellers bilde und (nahezu) ausschließlich betrieblich oder beruflich genutzt werde. Bei einem Handelsvertreter stelle ein solches Arbeitszimmer auch dann nicht den Mittelpunkt seiner gesamten beruflichen Tätigkeit dar, wenn er angebe, keine andere Möglichkeit für die umfangreiche und zeitraubende Bürotätigkeit zu haben.
Mit rechtzeitigem Vorlageantrag vom beantragte der Bf. die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht. Darin führt er ergänzend aus, sein Arbeitgeber habe lediglich in Wien einen Standort und er habe als "Area Sales Manager" für die Region Westösterreich seinen Lebensmittelpunkt und Wohnort in Tirol wählen müssen. Das Büro seines Arbeitgebers könne er aufgrund der großen Entfernung nicht nutzen, vielmehr müsse er - abgesehen von Kundenbesuchen - dauerhaft und ausschließlich im Homeoffice arbeiten.
Am legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Akt und Vorlagebericht dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. In der im Vorlagebericht enthaltenen Stellungnahme begründete die belangte Behörde erstmalig die Nichtgewährung des Berufsgruppenpauschales und führte zu den geltend gemachten Werbungskosten für das Arbeitszimmer ergänzend zusammengefasst aus, es sei auf die Verkehrsauffassung und somit das "typische Berufsbild" abzustellen und nicht auf die Gegebenheiten im Einzelfall. Nur im Zweifel sei darauf abzustellen, ob die beruflich Tätigkeit zeitlich überwiegend im Arbeitszimmer ausgeübt werde. Im gegenständlichen Fall liege das Berufsbild des Vertreters vor, dessen Mittelpunkt der Tätigkeit im Außendienst zu verorten sei; innendienstliche Tätigkeiten überwiegend genutzt werde.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesfinanzgerichts vom wurde die gegenständliche Rechtssache der mit neu besetzten Gerichtsabteilung 4013 zugewiesen.
2. Sachverhalt und Beweiswürdigung
Der Bf. war im Jahr 2019 durchgehend bei der ***Arbeitgeberin*** mit Sitz in Wien als Area Sales Manager für Westösterreich angestellt. Er hatte seinen Hauptwohnsitz ganzjährig in ***Tirol***.
Weder der angefochtene Bescheid noch die Beschwerdevorentscheidung enthalten Feststellungen zur genauen Tätigkeit des Bf., zur Beschaffenheit seines Arbeitszimmers und seiner Ausstattung oder zum zeitlichen Umfang der Arbeit des Bf. in selbigem. Die belangte Behörde hat keinerlei diesbezügliche Ermittlungen vorgenommen. Es ist nicht möglich, aus den vorliegenden Informationen Feststellungen zu diesen Sachverhaltselementen abzuleiten.
Zu den geltend gemachten 2.028,00 € an Fort-/Ausbildungs- oder Umschulungskosten ist für das Gericht nicht erkennbar, dass die belangte Behörde vor deren Streichung irgendwelche diesbezüglichen Ermittlungsmaßnahmen gesetzt hätte. Es liegen keine Informationen darüber vor, wofür der Bf. diese Ausgaben konkret getätigt hat.
Die Feststellungen zur Arbeitgeberin und zum Wohnsitz ergeben sich widerspruchsfrei und in Übereinstimmung mit dem Vorbringen des Bf. aus dem übermittelten Lohnzettel und dem Zentralen Melderegister. Dass die belangte Behörde keinerlei Ermittlungen zu den oben genannten Sachverhaltselementen vorgenommen hat, schließt das Gericht aus dem völligen Fehlen diesbezüglicher Vorhalte oder Unterlagen im Veranlagungsakt.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu den geltend gemachten Werbungskosten
Gemäß § 20 Abs. 1 Z 2 lit d EStG 1988 sind Aufwendungen oder Ausgaben für ein im Wohungsverband gelegenes Arbeitszimmer nicht abzugsfähig, wenn es
nicht den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit bildet oder
nach der Art der Tätigkeit nicht unbedingt notwendig ist oder
das Arbeitszimmer nicht (nahezu) ausschließlich beruflich genutzt wird
(Kofler/Wurm in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG21 § 20 Tz 104/1).
Nach der Rechtsprechung kann bei Vertretertätigkeiten nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass der Mittelpunkt der Tätigkeit außerhalb des Arbeitszimmers liegt. Diese werden vielmehr zu den Tätigkeiten gezählt, deren materieller Schwerpunkt nicht eindeutig festlegbar ist, sodass stattdessen maßgeblich ist, ob die Tätigkeit zeitlich überwiegend im Arbeitszimmer ausgeübt wird (Kofler/Wurm aaO Tz 104/6; ). Um dies beurteilen zu können, sind aber entsprechende Ermittlungen und Sachverhaltsfeststellungen unerlässlich.
Die belangte Behörde hat - ohne dazu Ermittlungen anzustellen oder entsprechende Sachverhaltsfeststellungen zu treffen - angenommen, dass das Arbeitszimmer des Bf. nicht den Mittelpunkt seiner gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit bildet, und den Werbungskostenabzug daher versagt, ohne auf die übrigen Kriterien einzugehen. Beweisergebnisse, die eine solche Annahme stützen könnten, fehlen jedoch völlig, insbesondere zum zeitlichen Ausmaß der Tätigkeit des Bf. in seinem Arbeitszimmer. Gegen die Annahme der Behörde spricht unter Umständen auch, dass der Bf. keinerlei Reisekosten geltend machte.
Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren Ermittlungen zur Art der Tätigkeit des Bf., zur Beschaffenheit des Arbeitszimmers und seiner Ausstattung sowie zum zeitlichen Umfang der Tätigkeit des Bf. in selbigem durchführen und entsprechende Sachverhaltsfeststellungen treffen müssen. Dasselbe gilt auch in Bezug auf die von der belangten Behörde nicht anerkannten Fort-/Ausbildungs- oder Umschulungskosten.
Hinweis: Die belangte Behörde ist gemäß § 278 Abs. 3 BAO an die in den vorstehenden Ausführungen zum Ausdruck kommende Rechtsansicht gebunden.
3.2. Zur Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 278 Abs. 1 BAO
Gemäß § 278 Abs. 1 BAO kann das Gericht die Beschwerde durch beschlussmäßige Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anderslautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können. Eine solche Aufhebung ist unzulässig, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Im vorliegenden Fall ist offenkundig, dass bei Durchführung von Ermittlungen ein anderslautender Bescheid erlassen werden hätte können. Die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Gericht ist auch weder im Interesse der Raschheit gelegen noch mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden, zumal der Bf. zwischenzeitlich nach Deutschland verzogen ist und die Finanzverwaltung im Gegensatz zum Bundesfinanzgericht über einen gut ausgebauten Verwaltungsapparat zur Unterstützung der internationalen Amts- und Rechtshilfe verfügt.
Die Aufhebung unter Zurückverweisung ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur in Ausnahmefällen zulässig (; , Ra 2015/15/0063; , Ra 2017/13/0087). In der völligen Unterlassung jeglicher Ermittlungen, verbunden mit den Begründungsmängeln im angefochtenen Bescheid sowie der Beschwerdevorentscheidung, erblickt das Gericht einen derartigen Ausnahmefall, in welchem die Aufhebung unter Zurückverweisung zulässig ist. Unter den dem Gericht zur Verfügung stehenden Optionen (Ermittlung durch das Gericht selbst, Erteilung eines Ermittlungsauftrages an die belangte Behörde, Aufhebung unter Zurückverweisung) wählte das Gericht die Aufhebung unter Zurückverweisung neben den zuvor angeführten Gründen insbesondere deshalb, weil das Unterlassen jeglicher Ermittlungen durch die Behörde nach Ansicht des Gerichtes nicht (zum Nachteil des Bf.) zu einer faktischen Verkürzung des Instanzenzuges führen soll und es auch grundsätzlich nicht Aufgabe des Gerichtes sein sollte, die von der Behörde vernachlässigte Pflicht zur umfassenden Sachverhaltsermittlung erstmalig wahrzunehmen.
3.3. Zur Zulässigkeit der Revision
Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da der vorliegende Beschluss sowohl hinsichtlich der materiellen als auch hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Fragen der angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgt, war die Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht zuzulassen.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 20 Abs. 1 Z 2 lit. d EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 278 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100208.2021 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
SAAAC-34492