Abstandnahme von der Abgabenfestsetzung nach § 206 BAO
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Andrea Ebner in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Fehlmann Wirtschaftsinformationen, Steuerberatungsgesellschaft mbH, Griechengasse 2/2/13, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 1/23 vom betreffend Umsatzsteuer 2005, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht:
I. Von der Festsetzung der Umsatzsteuer 2005 wird gemäß § 206 Abs 1 lit b BAO Abstand genommen.
II. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
In der Umsatzsteuererklärung über das Wirtschaftsjahr 2004/2005 machte die beschwerdeführende GmbH einen Vorsteuerbetrag iHv insgesamt EUR 2.075.702,28 geltend.
Mit Bescheid vom setzte die belangte Behörde die Umsatzsteuer für das Jahr 2005 mit EUR -569.404,01 fest und berücksichtige dabei jene im Rahmen von den Prüfern im Nachschauzeitraum 7/2004-6/2005 nicht anerkannten Vorsteuerbeträge aus den Rechnungen des Unternehmens ***A GmbH*** iHv EUR 1.409.088,01 nicht.
Dagegen erhob die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin am fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung (nunmehr als Beschwerde zu bezeichnen) und beantragte darin die Aussetzung in Höhe der im Rahmen der Festsetzung der Umsatzsteuer für das Jahr 2005 nicht anerkannten Vorsteuerbeträge, somit iHv EUR 1.409.088,01.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab. Zudem wurde mit Bescheid vom selben Tag die Aussetzung für beendet erklärt.
Am beantragte die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht. Weiters wurde mit Schreiben vom selben Tag die Aussetzung des angeführten Aussetzungsbetrages iHv EUR 1.409.088,01 zuzüglich einer zwischenzeitlichen Belastung durch Aussetzungszinsen 2015 iHv EUR 33.485,57 bis zum Ergehen der Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes beantragt.
Am legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. Im Vorlagebericht vom selben Tag wurde die Abweisung der Beschwerde beantragt und darauf hingewiesen, dass der Vorlageantrag infolge von Pensionierungen längere Zeit nicht behandelt worden sei und eine im Jahr 2020 beantragte Akteneinsicht aufgrund der COVID-19-Pademie mehrfach verschoben habe werden müssen.
Mit Beschluss vom stellte das Bundesfinanzgericht den Verfahrensparteien die Rechtlage des § 206 Abs 1 lit b BAO hinsichtlich der Abstandnahme von der Festsetzung von Abgaben bei nicht durchsetzbaren Abgabeansprüchen dar und forderte die Verfahrensparteien dahingehend zur Stellungnahme und Beibringung allfälliger Unterlagen auf.
In der Stellungnahme vom teilte die belangte Behörde dem Bundesfinanzgericht mit, dass nach Rücksprache mit dem Team Abgabensicherung ihrerseits keine Bedenken bestehen würden, gemäß § 206 Abs 1 lit b BAO von der Festsetzung der streitgegenständlichen Abgaben iHv EUR 1.409.088,01 Abstand zu nehmen, weil weder ein Vermögen der Beschwerdeführerin noch des als Haftenden in Betracht kommenden Geschäftsführer ***X*** ersichtlich sei.
Mit Beschluss vom übermittelte das Bundesfinanzgericht die Stellungnahme der belangten Behörde vom selben Tag der Beschwerdeführerin.
In der mit E-Mail vom übermittelten Stellungnahme bestätigte die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin, dass weder die Beschwerdeführerin noch der als Haftender in Betracht kommende Geschäftsführer über Vermögen verfügen würden. Den Ausführungen der belangten Behörde in der Stellungnahme vom werde daher zugestimmt.
Die Stellungnahme der Beschwerdeführerin wurde der belangten Behörde mit Beschluss vom zur Kenntnis gebracht. Diese verzichtete mit E-Mail vom auf eine weitere Stellungnahme.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Zum (Abfragedatum des Abgabenkontos der Beschwerdeführerin) war ein Betrag iHv EUR 1.442.573,58 am Abgabenkonto der Beschwerdeführerin ausgesetzt; in Vollstreckung befand sich weiters ein Betrag iHv EUR 226.765,23. Der Betrag iHv EUR 1.442.573,58 setzt sich aktenkundig zusammen aus den streitgegenständlichen nicht anerkannten Vorsteuerbeträgen iHv EUR 1.409.088,01 zuzüglich der Aussetzungszinsen 2015 iHv EUR 33.485,57. Die streitgegenständlichen Abgaben iHv EUR 1.409.088,01 wurden unstrittig nicht entrichtet.
Die Beschwerdeführerin verfügt über kein Vermögen und hat keinen Geschäftsbetrieb. Ebenso wenig verfügt der Geschäftsführer ***X***, über Vermögen. Die strittigen Abgabenschulden iHv EUR 1.409.088,01 sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei der Beschwerdeführerin uneinbringlich.
2. Beweiswürdigung
Die getroffenen Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt.
Dass zum ein Betrag iHv EUR 1.442.573,58 am Abgabenkonto der Beschwerdeführerin ausgesetzt war, ergibt sich einerseits aus der Abfrage des Abgabenkontos der Beschwerdeführerin zu diesem Datum. Anderseits wurde dieser Sachverhalt den Verfahrensparteien mit Beschluss vom zur Kenntnis gebracht und blieb unwidersprochen. Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich, dass der streitgegenständliche Vorsteuerbetrag iHv EUR 1.409.088,01 nicht entrichtet wurde. Dies wurde von den Verfahrensparteien insbesondere nach Aufforderung zur Stellungnahme dazu mit Beschluss vom nicht bestritten.
Aus dem am an das Firmenbuchgericht übermittelten Jahresabschluss zum ist ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin über keinerlei Aktivvermögen verfügt. Sämtliche Posten der Aktivseite sind mit EUR 0,00 ausgewiesen (Anlagevermögen samt Untergliederung, Umlaufvermögen samt Untergliederung, Rechnungsabgrenzungsposten, Aktive latente Steuern). Die Passivseite weist ein negatives Eigenkapital iHv EUR -1.663.342,22 (gegliedert in eingefordertes Stammkapital iHv EUR 329.934,67, Kapitalrücklagen iHv EUR 0,00, Gewinnrücklagen iHv EUR 2.901,80 sowie Bilanzverlust (als Verlustvortrag) iHv EUR -1.996.178,69), Rückstellungen iHv EUR 26.490,00, Verbindlichkeiten iHv EUR 1.636.852,22 sowie Rechnungsabgrenzungsposten iHv EUR 0,00 aus.
Zur Erläuterung des negativen Eigenkapitals wird im Anhang zum Jahresabschluss wie folgt ausgeführt:
"Unter den sonstigen Verbindlichkeiten wird eine Verbindlichkeit aus Steuern in Höhe von EUR 1.636.852,22 ausgewiesen. Darin enthalten sind zu unrecht vorgeschriebene Umsatzsteuern in Höhe von EUR 1.409.088,01 aufgrund einer Betriebsprüfung für das Jahr 2005. Das gegen die Festsetzung eingebrachte Rechtsmittel ist noch nicht erledigt, da die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt wurde. Nach positiver Erledigung werden die Abgaben samt Nebengebühren und vorgeschriebener Aussetzungszinsen voraussichtlich zum Wegfall kommen. Aus diesen Gründen liegt keine Überschuldung im Sinne des Insolvenzrechtes vor."
Aus dem Jahresabschluss der Beschwerdeführerin zum sowie den Ausführungen der Verfahrensparteien ergibt sich somit unstrittig, dass die Beschwerdeführerin hoch verschuldet ist und zudem über keinen Geschäftsbetrieb (kein vorhandenes Aktivvermögen) verfügt. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wäre die streitgegenständliche Abgabenschuld iHv EUR 1.409.088,01 bei der Beschwerdeführerin selbst nicht einbringlich.
Als möglicher Haftungspflichtiger kommt der am tt.mm. 1939 geborene Geschäftsführer der Beschwerdeführerin, ***X***, in Betracht. Dieser verfügt nach Ermittlungen der belangten Behörde weder über ein Kraftfahrzeug noch über Grundvermögen. Er hatte unstrittig am **. November 2016 mehrere Schlaganfälle erlitten und ist seither ganzkörperlich gelähmt und kann nicht mehr sprechen. Nach unbestrittenen Angaben der steuerlichen Vertretung der Beschwerdeführerin gehen die seit von ***X*** bezogenen Pensionseinkünfte in der Unterhaltung seiner (medizinischen) Betreuung auf.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I.
Nach § 206 Abs 1 lit b BAO kann die Abgabenbehörde von der Festsetzung von Abgaben ganz oder teilweise Abstand nehmen, soweit im Einzelfall auf Grund der der Abgabenbehörde zur Verfügung stehenden Unterlagen und der durchgeführten Erhebungen mit Bestimmtheit anzunehmen ist, dass der Abgabenanspruch gegenüber dem Abgabenschuldner nicht durchsetzbar sein wird.
Abstandnahmen von der Abgabenfestsetzung nach § 206 BAO können nicht nur von Abgabenbehörden, sondern auch von Verwaltungsgerichten getroffen werden (vgl Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren I3 § 206 BAO Rz 2).
Maßnahmen gemäß § 206 BAO verdrängen die aus § 114 Abs 1 BAO ableitbare grundsätzliche Verpflichtung der Abgabenbehörde bzw des Bundesfinanzgerichtes gemäß § 114 Abs 1 BAO iVm § 269 Abs 1 BAO, hinsichtlich aller in abgabenpflichtigen Fällen entstandener Abgabenansprüche jedenfalls entsprechende Abgabenfestsetzungen vorzunehmen. Maßnahmen gemäß § 206 BAO erfolgen stets von Amts wegen (vgl ).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Abstandnahme von der Festsetzung von Abgaben Erhebungen der Abgabenbehörde bzw des Verwaltungsgerichts voraus, woraus sich eindeutig ergibt, dass die Abgaben uneinbringlich sind (vgl ).
Nach § 206 Abs 1 lit b BAO kann eine Abstandnahme von der Abgabenfestsetzung gegenüber dem Abgabepflichtigen unabhängig davon erfolgen, ob für die betroffenen Abgaben persönliche Haftungen in Betracht kommen. Dies gilt auch für in Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte vorgenommene Abstandnahmen. Solche Abstandnahmen sprechen nicht über die Höhe des Abgabenanspruches ab (vgl ErlRV 2007 BlgNR XXIV. GP, 16).
Aufgrund der vorgenommenen Aussetzung der Einhebung nach § 212a BAO wurde die streitgegenständliche Abgabennachforderung bisher nicht entrichtet, sodass sich bei stattgebender Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes kein Aktivvermögen in Form eines abgabenrechtlichen Rückzahlungsanspruches des Beschwerdeführers ergeben würde (vgl etwa , mwN).
Wie vor dem rechtlichen Hintergrund in freier Beweiswürdigung festgestellt, verfügt die Beschwerdeführerin über keinerlei Vermögen und die streitgegenständlichen Vorsteuerbeträge iHv EUR 1.409.088,01 sind als uneinbringlich anzusehen. Weder die Stellungnahme der belangten Behörde vom noch jene der steuerlichen Vertretung der Beschwerdeführerin vom haben Zweifel an der Uneinbringlichkeit des Abgabenanspruches aufkommen lassen.
Die Maßnahme nach § 206 BAO liegt im Ermessen der für die Abgabenfestsetzung zuständigen Abgabenbehörde bzw des Bundesfinanzgerichtes. Entscheidungen, die nach dem Ermessen zu treffen sind, müssen sich nach § 20 BAO in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Angesichts der Unwahrscheinlichkeit der Einbringlichkeit der Abgabenschuld bei der Beschwerdeführerin, war es nach dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit geboten, mit der Abstandnahme von der Festsetzung vorzugehen, weil die Leistung weiteren Verwaltungsaufwandes nicht mehr verhältnismäßig erscheint. Darüber hinaus erscheint - wie in freier Beweiswürdigung festgestellt - auch eine Einbringlichkeit im Haftungsverfahren nach § 9 BAO beim Geschäftsführer als unwahrscheinlich, sodass aus Sicht der Verfahrensökonomie eine Entscheidung über den Abgabenanspruch der Beschwerdeführerin im gegenständlichen Beschwerdeverfahren im Hinblick auf ein allfälliges Haftungsverfahren nicht als zweckdienlich erscheint. Zudem steht die Abstandnahme der Abgabenfestsetzung im Beschwerdeverfahren der Inanspruchnahme persönlich Haftender dem Grunde nach nicht entgegen.
Der Abgabenanspruch wird als solches nicht beseitigt, es wird nur wegen Uneinbringlichkeit auf seine Durchsetzung verzichtet.
Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen war von einer Festsetzung der Abgaben entsprechend der Bestimmung des § 206 Abs 1 lit b BAO Abstand zu nehmen.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Dass von der Festsetzung von Abgaben ganz oder teilweise Abstand genommen werden kann, soweit im Einzelfall auf Grund der zur Verfügung stehenden Unterlagen und der durchgeführten Erhebungen mit Bestimmtheit anzunehmen ist, dass der Abgabenanspruch gegenüber dem Abgabenschuldner nicht durchsetzbar sein wird, ergibt sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut des § 206 Abs 1 lit b BAO. Zudem weicht die Entscheidung nicht von der oben angeführten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt daher nicht vor.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 206 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 206 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.7101982.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at