Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 04.08.2023, RV/3100854/2019

Fehlende Anführung von Wiederaufnahmegründen in einem Bescheid über die Festsetzung der Forschungsprämie

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache der ***Bf***, ***Bf-Adr***, vertreten durch Vertr-Bf, Vertr-Adr, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** (jetzt Finanzamt Österreich) vom betreffend Forschungsprämie für das Jahr 2015, Steuernummer ***BFStNr***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

I.1. Mit Schreiben vom beantragte die beschwerdeführende GmbH (kurz: Bf) für 2015 eine Forschungsprämie für eigenbetriebliche Forschung und Entwicklung (§ 108c Abs. 2 Z 1 EStG 1988) im Betrag von 25.394,60 €. Vom Finanzamt wurde die Forschungsprämie am antragsgemäß auf dem Abgabenkonto der Bf gutgeschrieben.

I.2. Laut Jahresgutachten der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) vom entsprachen die im Antrag vom beschriebenen Projekte nicht zur Gänze den gesetzlichen Anforderungen gemäß § 108c Abs. 2 Z 1 EStG 1988. Die Forschungsprämie stehe (nur) für das Projekt Nr. 2 im Ausmaß von 75 % der Bemessungsgrundlage zu.

I.3. Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt die Forschungsprämie für das Kalenderjahr 2015 mit 19.045,95 € (75 % von 25.394,60 €) fest. In der Bescheidbegründung führte es lediglich aus, dass zur Höhe der Prämie auf das Jahresgutachten vom verwiesen werde.

I.4. Gegen den Bescheid vom erhob die steuerliche Vertreterin der Bf Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufzuheben. Gemäß § 108c Abs. 4 EStG 1988 sei hinsichtlich der bescheidmäßigen Festsetzung der Forschungsprämie der § 201 BAO heranzuziehen. Nach § 201 Abs. 2 Z 1 BAO hätte die Festsetzung von Amts wegen innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages erfolgen können. Zwischen der Bekanntgabe des Betrages am und der bescheidmäßigen Festsetzung vom lägen jedoch fast 15 Monate. Gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO könne die Festsetzung erfolgen, wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen. Bei einer Wiederaufnahme von Amts wegen seien die Wiederaufnahmegründe, die durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zu bestimmen. Im Festsetzungsbescheid habe das Finanzamt keinen Wiederaufnahmegrund angeführt. Der Bescheid sei daher ersatzlos aufzuheben.
In der Sache selbst wurde zum Jahresgutachten der FFG Stellung genommen.

Über Ersuchen des Finanzamts vom legte die Bf mit Schreiben vom nochmals dar, aus welchen Gründen alle im Antrag angeführten Projekte die Voraussetzungen für die Gewährung der Forschungsprämie erfüllen würden.

I.5. Mit Beschwerdevorentscheidung vom , zugestellt am , wies das Finanzamt die Beschwerde ab. In der Bescheidbegründung führte es aus, die Stellungnahme der Bf vom sei der FFG vorgelegt worden. Zur Anfrage des Finanzamts habe die FFG die Stellungnahme vom (mit unverändertem Ergebnis - Anmerkung des Gerichtes) erstattet. Unstrittig sei, dass der Bescheid vom mangelhaft begründet worden sei.
Die Begründung werde wie folgt nachgeholt:
Die Festsetzung sei "nach Maßgabe des § 201 Abs. 2 Z 2 BAO bei sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO" erfolgt. Als neu hervorgekommene Tatsache bzw. Beweismittel gemäß § 303 Abs. 2 lit. b BAO gelte das Jahresgutachten vom .
Die steuerliche Auswirkung sei nicht als geringfügig anzusehen.

I.6. Mit Eingabe vom beantragte die steuerliche Vertreterin der Bf die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Zur Beschwerdevorentscheidung des Finanzamts merkte sie an, ein Antrag auf Festsetzung sei nie gestellt worden, weshalb § 201 Abs. 2 Z 2 BAO nicht anwendbar sei. Aus dem Gutachten der FFG vom gehe nicht hervor, welche Tatsachen neu hervorgekommen sein sollten.

I.7. Das Finanzamt legte die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor (Vorlagebericht vom ).

Der Antrag auf mündliche Verhandlung wurde am zurückgezogen.

II. Rechtslage

II.1. Nach § 108 c Abs. 1 erster Teilstrich EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 112/2012 können Steuerpflichtige, soweit sie nicht Mitunternehmer sind, und Gesellschaften, bei denen die Gesellschafter als Mitunternehmer anzusehen sind, Prämien für eigenbetriebliche Forschung und Auftragsforschung in Höhe von jeweils 10% der prämienbegünstigten Forschungs-aufwendungen (-ausgaben) geltend machen.

Gemäß § 108c Abs. 4 erster Satz EStG 1988 sind die Prämien auf dem Abgabenkonto gutzuschreiben, es sei denn, es ist ein Bescheid gemäß § 201 BAO zu erlassen.

II.2. § 201 BAO idF BGBl. I Nr. 70/2013 lautet:

(1) Ordnen die Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen an oder gestatten sie dies, so kann nach Maßgabe des Abs. 2 und muss nach Maßgabe des Abs. 3 auf Antrag des Abgabepflichtigen oder von Amts wegen eine erstmalige Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid erfolgen, wenn der Abgabepflichtige, obwohl er dazu verpflichtet ist, keinen selbst berechneten Betrag der Abgabenbehörde bekannt gibt oder wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist.

(2) Die Festsetzung kann erfolgen,

1. von Amts wegen innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages,
2. wenn der Antrag auf Festsetzung spätestens ein Jahr ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages eingebracht ist,
3. wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wird oder wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden,
(Anm.: Z 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 20/2009)
5. wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 293b oder des § 295a die Voraussetzungen für eine Abänderung vorliegen würden.


(3) Die Festsetzung hat zu erfolgen,

1. wenn der Antrag auf Festsetzung binnen einer Frist von einem Monat ab Bekanntgabe des selbst berechneten Betrages eingebracht ist,
(Anm.: Z 2 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 70/2013)
3. wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 295 die Voraussetzungen für eine Änderung vorliegen würden.

II.3. Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO (in der Fassung des FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 14/2013) kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

III. Erwägungen

III.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist bei einer Beschwerde gegen die Wiederaufnahme eines Verfahrens von Amts wegen die "Sache", über die das Bundesfinanzgericht gemäß § 279 BAO zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen. Die Identität der Sache, über die abgesprochen wurde, wird durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zur Unterstellung unter den von ihr gebrauchten Wiederaufnahmetatbestand herangezogen wurde. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, muss das Bundesfinanzgericht den vor ihm bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben (, mit Hinweis auf die Vorjudikatur).

III.2. Nach § 201 Abs. 2 Z 3 BAO kann die Festsetzung einer Selbstbemessungsabgabe u.a. dann erfolgen, wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden (siehe dazu etwa Ritz/Koran, BAO, 7. Auflage, Rz 37 ff zu § 201).

Ein auf § 201 Abs. 2 Z 3 BAO gestützter Festsetzungsbescheid hat somit die Gründe darzulegen, die "bei sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO" eine Wiederaufnahme von Amts wegen rechtfertigen würden. Dies gilt auch für die bescheidmäßige Festsetzung der Forschungsprämie (§ 108c Abs. 4 EStG 1988).

III.3. Zu Recht wurde in der Beschwerde vorgebracht, dass im Festsetzungsbescheid vom keine Wiederaufnahmegründe angeführt wurden. Dieser Mangel konnte weder in der Beschwerdevorentscheidung des Finanzamtes noch im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes saniert werden.

Der angefochtene Festsetzungsbescheid war daher (ersatzlos) aufzuheben.

IV. Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Zum notwendigen Inhalt eines Wiederaufnahmebescheides liegt umfangreiche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor, die sinngemäß auch für den "Neuerungstatbestand" des § 201 Abs. 2 Z 3 BAO gilt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellte sich daher nicht.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 201 Abs. 2 Z 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100854.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at