Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 14.07.2023, RV/3100007/2023

Pfändungsbescheid - Unterbrechung der Einhebungsverjährung

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/3100007/2023-RS1
Abfragen im Zentralen Melderegister, Firmenbuch, Grundbuch und beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger sind zur Unterbrechung der (Einhebungs-)Verjährung geeignete Amtshandlungen des Finanzamtes.
Folgerechtssätze
RV/3100007/2023-RS2
wie RV/7105057/2019-RS1
Bereits festgesetzte Abgaben verjähren nach den Regelungen des § 238 BAO innerhalb von 5 Jahren. Diese Frist kann – auch mehrfach - unterbrochen werden. Daher ist es möglich, dass Abgaben für lange zurückliegende Zeiträume einbringlich gemacht werden, wenn die Behörde laufend Amtshandlungen (z. B. Zahlungsaufforderungen) führt ().

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Pfändung einer Geldforderung zu Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Bescheid vom verfügte das Finanzamt die Pfändung einer dem Beschwerdeführer angeblich gegenüber der Pensionsversicherungsanstalt zustehenden beschränkt pfändbaren Forderungen aus einem Arbeitsverhältnis oder sonstigen Bezügen wegen des Gesamtbetrages von EUR 111.366,79 (Abgaben einschließlich Nebengebühren von EUR 110.258,60 zuzüglich Gebühren und Barauslagen für diese Pfändung von EUR 1.108,19). Ebenfalls mit Bescheiden vom verfügte das Finanzamt die Überweisung zur Einziehung gemäß § 71 Abgabenexekutionsordnung und erließ ein Verfügungsverbot gemäß § 65 Abs. 1 Abgabenexekutionsordnung an den Beschwerdeführer. Im an den Beschwerdeführer gerichteten Rückstandsausweis vom wies das Finanzamt folgende vollstreckbaren Abgabenschuldigkeiten in Höhe von insgesamt EUR 110.258,60 aus:

In seiner Beschwerde vom gegen den Pfändungsbescheid brachte der Beschwerdeführer vor wie folgt: "Die bescheidmäßige Feststellung der Abgabenvorschreibung ist mit einer Abgabeforderung aus dem Jahr 2000 begründet. Die Grundlage der Abgabenfestsetzung aus dem Jahr 2000 unterliegt … der absoluten Feststellungsverjährung sowie einer … Einhebungsverjährung. Ich kenne den Anlass der Abgabenschuld bisher nicht und wurde auch nicht davon unterrichtet. … Aus den angeführten Gründen erwarte ich eine Prüfung der Umstände und die Aufhebung der Pfändung meiner Pension…".

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde gegen den Pfändungsbescheid vom ab und begründete dies damit, dass durch regelmäßig unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlungen (laufende Sozialversicherungsabfragen, zentrale Melderegisterabfragen und Grundbuchsabfragen) keine Einhebungsverjährung im Sinne des § 238 BAO eingetreten sei.

Der Beschwerdeführer beantragte am die Vorlage seiner Beschwerde an das Bundesfinanzgericht und brachte weiter vor, dass die in der Beschwerdevorentscheidung genannten Amtshandlungen nicht zur Durchsetzung des Anspruches unternommen worden seien. Es sei nicht nachvollziehbar, dass trotz mehrfacher Arbeitsverhältnisse und "eines ca. 10jähringen Hauptwohnsitz[es] in Innsbruck keinerlei Zahlungsaufforderungen bzw. Bescheide an mich gerichtet wurden". Es sei auch nicht nachvollziehbar, warum sich der Abgabenbetrag laut Rückstandsausweis seit 2015 nahezu verdreifacht habe. Die Abgabenforderung resultiere seines Wissens aus einer Schätzung aufgrund eines bei der BH Innsbruck abgemeldeten Gewerbes. Es sei ihm nicht bekannt gewesen, dass eine Abmeldung beim Finanzamt erforderlich gewesen wäre.

Mit Schreiben vom ergänzte der Beschwerdeführer sein Vorbringen dahin, dass er aus dem Rückstandsausweis vom den Anlass der Abgabenschuld nicht erkennen könne. Ein Steuerbescheid sei ihm nicht zugestellt worden. Im Zeitraum bis habe es keinerlei Geschäftstätigkeit gegeben. Aufgrund eines Versehens sei der Gewerbeschein nicht zurückgelegt worden. In den Jahren 2010 und 2011 habe er keinerlei Einkünfte in Österreich erzielt. Im Zeitraum bis sei er Gesellschafter der H OG gewesen. Er habe als Gesellschafter keine Einkünfte bezogen.

Das Finanzamt legte die Beschwerde am dem Bundesfinanzgericht vor, beantragte deren Abweisung und wiederholte sein Vorbringen, dass in den Jahren 2002 bis 2022 regelmäßig diverse nach außen tretende Unterbrechungshandlungen durch Abfragen im Zentralen Melderegister und bei der Sozialversicherung zur Durchsetzung des Abgabenanspruches gesetzt worden seien. Erst seit bestehe eine pfändbare Forderung (Alterspensionsbezug). In den Vorjahren seien keine pfändbaren Ansprüche bekannt gewesen.

Im Schreiben vom brachte der Beschwerdeführer weiter vor, die behauptete Abgabenschuld sei auf Rechtswidrigkeit zu überprüfen. Einkommensteuer sei aufgrund seiner Tätigkeit für eine rumänische Firma vorgeschrieben worden, während er keinen Wohnsitz in Österreich gehabt habe. In der Anlage zu diesem Schreiben findet sich ein "Certificat Constatator" des "Ministerul Justitiei, Oficiul National al Registrului Comertului" vom , in welchem der Name des Beschwerdeführers genannt wird.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Das Finanzamt hat am eine Abfrage des Zentralen Melderegisters betreffend den Beschwerdeführer vorgenommen, nachdem ein Organ des Finanzamtes den Beschwerdeführer an diesem Tag an dessen Wohnadresse nicht angetroffen hatte.

Das Finanzamt hat am 2.1., 1.4., 25.8. und Abfragen des Zentralen Melderegisters betreffend den Beschwerdeführer vorgenommen. Das Finanzamt hat am eine Firmenbuchabfrage betreffend die R und Mitgesellschafter KEG, an welcher der Beschwerdeführer als Kommanditist beteiligt war, vorgenommen. Das Finanzamt erließ am einen an den Beschwerdeführer gerichteten Vollstreckungsauftrag wegen der im Rückstandsausweis vom bezeichneten Rückstände in Höhe von EUR 57.363,68.

Das Finanzamt hat am 4.2., 11.3. und Abfragen des Zentralen Melderegisters betreffend den Beschwerdeführer vorgenommen. Am und hat das Finanzamt Abfragen des Zentralen Melderegisters und beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger betreffend den Beschwerdeführer vorgenommen.

Das Finanzamt hat am und am Abfragen des Zentralen Melderegisters betreffend den Beschwerdeführer vorgenommen.

Das Finanzamt hat am 30.5. und am Abfragen des Kfz-Zentralregisters betreffend den Beschwerdeführer vorgenommen. Das Finanzamt veranlasste am eine Wohnsitzabfrage nach § 139b der Abgabenordnung in Deutschland.

Das Finanzamt hat am Abfragen des Zentralen Melderegisters und beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger betreffend den Beschwerdeführer vorgenommen. Ebenfalls am hat der Beschwerdeführer einem Organ des Finanzamtes ein Vermögensverzeichnis gemäß § 31a Abgabenexekutionsordnung vorgelegt.

Das Finanzamt hat am Abfragen des Zentralen Melderegisters und beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger betreffend den Beschwerdeführer vorgenommen.

Das Finanzamt hat am eine Abfrage des Firmenbuches betreffend die H OG, an welcher der Beschwerdeführer als unbeschränkt haftender Gesellschafter beteiligt war, vorgenommen. Ebenfalls am hat das Finanzamt Abfragen des Zentralen Melderegisters und beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger betreffend den Beschwerdeführer vorgenommen. Am hat das Finanzamt eine Abfrage des Zentralen Melderegisters betreffend den Beschwerdeführer vorgenommen.

Das Finanzamt hat am 31.1., 24.4. und Abfragen des Zentralen Melderegisters und beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger betreffend den Beschwerdeführer vorgenommen.

Das Finanzamt hat am eine Abfrage des Zentralen Melderegisters betreffend den Beschwerdeführer vorgenommen.

Das Finanzamt hat am eine Abfrage beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger betreffend den Beschwerdeführer vorgenommen.

Das Finanzamt hat am Abfragen des Zentralen Melderegisters und beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger betreffend den Beschwerdeführer vorgenommen.

Das Finanzamt hat am eine Abfrage beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger, eine Abfrage des Zentralen Melderegisters und beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger, am eine Abfrage beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger und am eine Suche im Personenverzeichnis des Grundbuches betreffend den Beschwerdeführer vorgenommen.

Die angeführten Abfragen und Ermittlungshandlungen sind in den vorgelegten Verwaltungsakten und im Abgabeninformationssystem des Bundes dokumentiert.

2. Rechtliche Beurteilung

2.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

"Als Grundlage für die Einbringung ist über die vollstreckbar gewordenen Abgabenschuldigkeiten ein Rückstandsausweis elektronisch oder in Papierform auszustellen…" (§ 229 BAO).

§ 4 AbgEO lautet: "Als Exekutionstitel für die Vollstreckung von Abgabenansprüchen kommen die über Abgaben ausgestellten Rückstandsausweise in Betracht.".

Nach § 12 Abs. 1 AbgEO können Einwendungen gegen den Anspruch im Zuge des abgabenbehördlichen Vollstreckungsverfahrens nur insofern erhoben werden, als diese auf den Anspruch aufhebenden oder hemmenden Tatsachen beruhen, die erst nach Entstehung des diesem Verfahren zugrunde liegenden Exekutionstitels eingetreten sind.

§ 13 AbgEO idF BGBl I 104/2019 lautete: "(1) Wenn der Abgabenschuldner bestreitet, dass die Vollstreckbarkeit eingetreten ist oder dass die Abgabenbehörde auf die Einleitung der Vollstreckung überhaupt oder für eine einstweilen noch nicht abgelaufene Frist verzichtet hat, so hat er seine bezüglichen Einwendungen bei der Abgabenbehörde (§ 12 Abs. 2) geltend zu machen.

(2) Die Bestimmungen des § 12 Abs. 3 und 4 finden sinngemäß Anwendung."

Gemäß § 65 Abs. 1 AbgEO erfolgt die Vollstreckung auf Geldforderungen des Abgabenschuldners mittels Pfändung derselben. Im Pfändungsbescheid sind die Höhe der Abgabenschuld und der Gebühren und Auslagenersätze anzugeben. Sofern nicht die Bestimmung des § 67 zur Anwendung kommt, geschieht die Pfändung dadurch, dass die Abgabenbehörde dem Drittschuldner verbietet, an den Abgabenschuldner zu bezahlen. Zugleich ist dem Abgabenschuldner selbst jede Verfügung über seine Forderung sowie über das für dieselbe etwa bestellte Pfand und insbesondere die Einziehung der Forderung zu untersagen.

Der Rückstandsausweis ist eine öffentliche Urkunde, aber kein Bescheid. Die Rechtswidrigkeit eines Rückstandsausweises - etwa wegen behaupteter Einhebungsverjährung - ist mit Einwendungen nach § 13 AbgEO bzw. mit Antrag nach § 15 Abs. 2 AbgEO geltend zu machen (Ritz/Koran, BAO, 7.A., Rz 1 und 5 zu § 229 mit Judikaturhinweisen).

Der Beschwerdeführer wendet im Wesentlichen ein, dass das Recht zur Einhebung der im Rückstandsausweis vom angeführten Abgaben gemäß § 238 BAO verjährt sei.

§ 238 BAO lautet: "(1) Das Recht eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, verjährt binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe. § 209a gilt sinngemäß.

(2) Die Verjährung fälliger Abgaben wird durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung, wie durch Mahnung, durch Vollstreckungsmaßnahmen, durch Bewilligung einer Zahlungserleichterung oder durch Erlassung eines Haftungsbescheides unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen. …"

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes genügt es für die Unterbrechungswirkung einer Amtshandlung im Sinne des § 238 Abs. 2 BAO, dass sie nach außen in Erscheinung tritt und erkennbar den Zweck verfolgt, den Anspruch gegen einen bestimmten Abgabenschuldner durchzusetzen, ohne dass es darauf ankommt, ob die Amtshandlung zur Erreichung des angestrebten Erfolges konkret geeignet war und ob der Abgabenschuldner von der Amtshandlung Kenntnis erlangte ( mwN). Eine elektronische Firmenbuchabfrage stellt ebenso wie eine Grundbuchsabfrage eine nach außen erkennbare Amtshandlung dar, die zur Unterbrechung der Verjährungsfrist geeignet ist ( mzwN). Auch eine Meldeanfrage unterbricht die Verjährungsfrist (). Nichts anderes kann für Abfragen beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger gelten.

Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass das Finanzamt jedenfalls in den Jahren 2003, 2004, 2009, 2010, 2011, 2012, 2013, 2014, 2017, 2018, 2019, 2021 und 2022 Handlungen gesetzt hat, welche die fünfjährige Verjährungsfrist bezogen auf das Recht zur Einbringung fälliger Abgaben für sämtliche im Rückstandsausweis angeführten Abgaben jeweils unterbrochen haben. Hinsichtlich keiner der im Rückstandsausweis angeführten Abgaben war zum Zeitpunkt, zu dem der angefochtene Pfändungsbescheid ergangen ist, die Einhebungsverjährung eingetreten.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers zur (behaupteten) Rechtswidrigkeit der Festsetzung der im Rückstandsausweis vom angeführten Abgaben (da er den Anlass der Abgabenschuld nicht kenne - Beschwerde; da die Abgabenschuld das Ergebnis einer Schätzung sei bzw. dass er keine Einkünfte erzielt habe - Vorlageantrag; da keine Steuerpflicht in Österreich bestanden habe bzw. er keine Bescheide erhalten habe - Schreiben vom ) ist mangels gesetzlicher Grundlage nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit des Rückstandsausweises oder Pfändungsbescheides darzutun.

Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

2.2. Zu Spruchpunkt II. (Revisionszulässigkeit)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Hinsichtlich der Qualifikation der behördlichen Handlungen als Verlängerungshandlungen im Sinne des § 238 Abs. 2 BAO folgt die gegenständliche Entscheidung der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Ob solche Maßnahmen gesetzt wurden, ist eine im Rahmen der Beweiswürdigung zu lösende Sachfrage. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wurde daher nicht aufgeworfen, weshalb eine Revision gegen dieses Erkenntnis unzulässig ist.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 65 Abs. 1 AbgEO, Abgabenexekutionsordnung, BGBl. Nr. 104/1949
§ 13 Abs. 1 AbgEO, Abgabenexekutionsordnung, BGBl. Nr. 104/1949
§ 229 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 238 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 238 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 12 Abs. 1 AbgEO, Abgabenexekutionsordnung, BGBl. Nr. 104/1949
§ 13 AbgEO, Abgabenexekutionsordnung, BGBl. Nr. 104/1949
§ 4 AbgEO, Abgabenexekutionsordnung, BGBl. Nr. 104/1949
Verweise


ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100007.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at