Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.08.2023, RV/2100650/2021

Roamingleistungen eines Mobilfunkanbieters aus dem Drittland unterliegen der Umsatzsteuer

Rechtssätze


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Folgerechtssätze
RV/2100650/2021-RS1
wie RV/2100357/2019-RS1
Roamingleistungen von Mobilfunkbetreibern aus dem Drittland an ihre im Drittland ansässigen Kunden in Form der Ermöglichung des Telefonierens in Österreich stellen umsatzsteuerpflichtige Leistungen in Österreich dar. Die von den inländischen Providern für die Nutzung des inländischen Netzes an die Mobilfunkbetreiber verrechnete Umsatzsteuer auf das Nutzungsentgelt kann folglich nicht im Erstattungsverfahren vergütet werden.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch BDO Assurance GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, Am Belvedere 4, 1100 Wien, TADIG-Code ***1***, über
1. die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend die Erstattung von Vorsteuern für den Zeitraum 01-12/2016 und
2. über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend die Erstattung von Vorsteuern für den Zeitraum 01-12/2017,
Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerden werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf.) ist ein Telekommunikationsunternehmen mit Sitz im Drittland (***2***).
In den beschwerdegegenständlichen Zeiträumen machte die Bf. Vorsteuern aus von österreichischen Unternehmen für Roaminggebühren in Rechnung gestellter Umsatzsteuer im Erstattungsverfahren gem. VO BGBl 279/1995 in der jeweils geltenden Fassung geltend, da die Bf. der Ansicht war, keine Umsätze in Österreich zu erzielen.
Das Finanzamt wies die die Anträge ab mit folgender Begründung:
"Mangels vergleichbarer Umsatzbesteuerung im Ansässigkeitsstaat verlagert sich die Umsatzsteuerpflicht nach Österreich und ist daher das Umsatzsteuerveranlagungsverfahren und nicht das Vorsteuererstattungsverfahren anzuwenden (vgl. V0 BGBl II 383/2003 keine EU Widrigkeit/keine Berechtigung sich unmittelbar auf Unionsrecht zu berufen). Ferner wurde seitens der österr. Finanzverwaltung nunmehr bekannt, dass auf Basis von zwischen der Konzernmutter des österr. Teleunternehmers und dem Drittstaatstelekommunikationsunternehmer geschlossener Rabattvereinbarungen es zur nachträglichen Rabattierung von Roamingdienstleistungen kommt, wobei der Rabatt über die Konzernmutter verrechnet/weitergeleitet wird. Nach Minderung der Bemessungsgrundlage beim österr. Telekomunternehmer wären die Vorsteuern des Leistungsempfängers zu korrigieren. Auf die Umsatzsteuerveranlagungspflicht, dh die Abgabe von Umsatzsteuerjahreserklärungen unter Berücksichtigung eines durchschnittlichen Gewinnzuschlages sowie gewährter Rabatte wird verwiesen."

In den dagegen erhobenen Beschwerden brachte die Bf. vor, die Anwendung der VO BGBl. II Nr. 383/2003 auf den gegenständlichen Fall sei unionsrechtswidrig, es lägen keine Inlandsumsätze vor, die gewährten Rabatte würden nicht bestritten.
Die abweisenden Beschwerdevorentscheidungen vom führten begründend aus:
"Auf die VwGH-Erkenntnisse v. , Ro2016/15/0038 und Ro2016/15/0035, wonach die V0 BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009 in Art. 59a, MwStSystRL idF Art. der RL 2008/8/EG ihre unionsrechtliche Deckung findet, sowie die abweislichen BFG-Erkenntnisse GZ. RV/2101660/2015 v. und GZ. RV/2100943/2016, GZ. RV/2100365/2016 und GZ. RV/2100832/2016 v. , GZ. RV/2101050/2018 v. bzw. GZ. RV/2100831/2016 wird verwiesen.
Die Umsätze der Abgabepflichtigen sind im Inland steuerbar/steuerpflichtig zu veranlagen und ist sohin die Voraussetzung für die Erstattung der Vorsteuern nach der V0 BGBl. Nr. 279/1995 Vorsteuererstattungsverordnung) nicht gegeben
."

Im Vorlageantrag vom wurde auf die Beschwerdeausführungen verwiesen und weitere Ausführungen zur Unionsrechtswidrigkeit der angewendeten Bestimmungen der VO BGBl. II 383/2003 idgF gemacht.

I. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Nach der Aktenlage machte die Bf. mit Sitz im Drittland in den beschwerdegegenständlichen Zeiträumen Vorsteuern resultierend aus von österreichischen Mobiltelefonnetzbetreibern (Providern) für Roaminggebühren in Rechnung gestellter Umsatzsteuer im Erstattungsverfahren gem. VO BGBl 279/1995 in der jeweils geltenden Fassung geltend.
Inhalt dieser Roamingleistungen ist die Zurverfügungstellung des österreichischen Mobiltelefonnetzes des jeweiligen österreichischen Providers an die Bf. zur Nutzung durch deren Kunden.
Das Finanzamt versagte die Erstattung der Vorsteuern in den angefochtenen Bescheiden im Wesentlichen mit der Begründung, dass die Umsätze der Bf. (Roaminggebühren) nach der Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009 im Inland steuerbar seien, weil die erbrachten Telekommunikationsdienstleistungen in Österreich genutzt und ausgewertet und im Drittland keiner der inländischen Umsatzsteuer vergleichbaren Steuerbelastung unterliegen würden. Daher sei eine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Erstattungsverfahrens nicht erfüllt.
Die Bf. betonte die Unionsrechtswidrigkeit der angewendeten Bestimmungen der Verordnung und bestritt das Vorliegen von steuerbaren Inlandsumsätzen der Bf.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage.

3. Rechtliche Beurteilung

§ 323b Abs. 1 BAO: Das Finanzamt Österreich und das Finanzamt für Großbetriebe treten für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich am an die Stelle des jeweils am zuständig gewesenen Finanzamtes.

Gemäß § 21 Abs. 9 UStG 1994 kann der Bundesminister für Finanzen für Unternehmer, die im Inland weder ihren Sitz noch eine Betriebsstätte haben, durch Verordnung die Erstattung der Vorsteuer abweichend von den Abs. 1 bis 5 sowie den §§ 12 und 20 regeln.

Auf Grund des § 21 Abs. 9 UStG 1994 erging die Verordnung des Bundesministers für Finanzen, BGBl. Nr. 279/1995 in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. II Nr. 222/2009, "mit der ein eigenes Verfahren für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern an ausländische Unternehmen geschaffen wird", wenn der Unternehmer (von gegenständlich nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen) keine Umsätze iSd § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 und Art. 1 UStG 1994 ausgeführt hat.

Nach § 3a Abs. 13 UStG 1994 werden ua. Telekommunikationsdienste im Drittland ausgeführt, wenn der Empfänger ein Nichtunternehmer ist und er keinen Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Gemeinschaftsgebiet hat.

Nach § 3a Abs. 16 UStG 1994 in der angeführten Fassung kann der Bundesminister für Finanzen, um Doppelbesteuerungen, Nichtbesteuerungen oder Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, durch Verordnung festlegen, dass sich bei sonstigen Leistungen, deren Leistungsort sich u.a. nach Abs. 6, 7, 12, 13 oder bestimmt, der Ort der sonstigen Leistungen danach richtet, wo die sonstige Leistung genutzt oder ausgewertet wird.
Der Ort der sonstigen Leistung kann danach nach Z 2 statt im Drittlandsgebiet als im Inland gelegen behandelt werden.

§ 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Verlagerung des Ortes der sonstigen Leistung bei Telekommunikationsdiensten sowie Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen, BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009, bestimmt:
"Liegt bei einer in § 3a Abs. 14 Z 12 und 13 des Umsatzsteuergesetzes 1994, BGBl. Nr. 663, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 52/2009, bezeichneten Leistung der Ort der Leistung gemäß § 3a des Umsatzsteuergesetzes 1994 außerhalb des Gemeinschaftsgebietes, so wird die Leistung im Inland ausgeführt, wenn sie dort genutzt oder ausgewertet wird."

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Die Umsatzsteuerpflicht der gegenständlichen Ausgangsumsätze der Bf. ist aufgrund des zwischenzeitlich ergangenen zur Rechtssache "SK Telecom ", C-593/19, und der ständigen Rechtsprechung des VwGH mittlerweile rechtlich eindeutig geklärt.
Demnach verlagert sich die Umsatzsteuerpflicht für die Umsätze der Bf. nach Österreich und ist das Veranlagungsverfahren statt des Vorsteuererstattungsverfahrens bei der Bf. anzuwenden.

Eine Erstattung der Vorsteuern im Erstattungsverfahren ist nicht möglich.
(Vgl. dazu auch die gefestigte Rechtsprechung des ; , Ra 2019/15/0008; , Ra 2019/15/0010; , Ro 2016/15/0035; weiters die Erkenntnisse des ; , RV/2100402/2019; , RV/2100114/2020; , RV/2100386/2022 uam).

Es ist höchstgerichtlich klargestellt, dass sich die entsprechenden Umsätze der Bf. nach der mit dem Unionsrecht in Einklang stehenden Verordnung BGBl II Nr. 383/2003 idF BGBl II 221/2009 in das Inland verlagern. Somit ist die Anwendung des Erstattungsverfahrens ausgeschlossen, weil die Bf. Umsätze im Inland erzielt hat.
Die umfangreichen Ausführungen der steuerlichen Vertretung, wonach es im Beschwerdefall zu keiner Ortsverlagerung der Telekommunikationsleistungen in das Inland komme, erfolgten noch vor Ergehen der einschlägigen Erkenntnisse des VwGH und des , SK-Telecom, und sind durch diese Rechtsprechung hinlänglich abgehandelt und widerlegt. Im Übrigen hat die Bf. im Vorlageantrag vom zu den angefochtenen Umsatzsteuerjahresbescheiden 2015 bis 2017 die neue Rechtsansicht seit Ergehen des Urteils des EuGH in der Rs SK Telecom nicht mehr bestritten.

Der EuGH hat in diesem Urteil demnach für Recht erkannt: " Art. 59a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom mit Wirkung vom geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Roamingleistungen, die von einem in einem Drittland ansässigen Mobilfunkbetreiber an seine Kunden, die ebenfalls in diesem Drittland ansässig sind bzw. dort ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, erbracht werden und die es diesen Kunden ermöglichen, das nationale Mobilfunknetz des Mitgliedstaats, in dem sie sich vorübergehend aufhalten, zu nutzen, als Dienstleistungen anzusehen sind, deren "tatsächliche Nutzung oder Auswertung" im Sinne dieser Bestimmung im Gebiet dieses Mitgliedstaats erfolgt, so dass dieser den Ort der Roamingleistungen so behandeln kann, als läge er in seinem Gebiet, wenn dadurch eine Nichtbesteuerung der Roamingleistungen in der Union vermieden wird und ohne dass es hierbei darauf ankommt, welcher steuerlichen Behandlung die Roamingleistungen nach dem nationalen Steuerrecht des Drittlands unterliegen."

Die gegenständlichen Sachbescheide entsprechen der Rechtslage und der ständigen Rechtsprechung.
Gesichert ist, dass im Vorsteuererstattungsverfahren die Vorsteuer nicht zu gewähren ist.
Diese sind im folgenden Umsatzsteuerveranlagungsverfahren in voller (der Bf. tatsächlich zustehender) Höhe zu berücksichtigen bzw. berücksichtigt worden.

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Der eindeutigen Rechtsprechung des VwGH und EuGH wurde gefolgt.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise







ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.2100650.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at