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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 16.08.2023, RV/3100033/2022

Außergewöhnliche Belastungen wegen eigener Behinderung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2020, Steuernummer ***BF1StNr1***,
zu Recht erkannt:

I. Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

1. Der Beschwerdeführer (BF) erkrankte an Krebs (multiples Myelom).
Mit Bescheid des Sozialministeriumservice vom wurde festgestellt, dass der BF ab dem Kreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behindertenanstellungsgesetzes angehört. Der Grad der Behinderung beträgt 50%.
Der BF hatte sich Chemotherapien und einer Stammzellentransplantation zu unterziehen und litt im streitgegenständlichen Jahr 2020 an den Folgeerscheinungen und Folgeerkrankungen, darunter auch eine Zahnerkrankung.

2. Der BF machte in der Arbeitnehmerveranlagung 2020 außergewöhnliche Belastungen aufgrund eigener Behinderung gem. § 35 Abs 3 EStG 1988 iHv. 2.461,94 Euro geltend.

3. Der BF wurde mit Vorhalt vom aufgefordert die geltend gemachten Kosten nachzuweisen. Am übermittelte der BF einige Rechnungen und den Bescheid des Sozialministeriumservice.

4. Im Einkommensteuerbescheid 2020 vom anerkannte das Finanzamt nur 2.224,39 Euro an nachgewiesenen Kosten aus eigener Behinderung, weil nur ärztlich verordnete Medikamente aus diesem Titel Berücksichtigung finden.
Es wurde ein Freibetrag iHv. 401 Euro wegen eigener Behinderung anerkannt.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF am Beschwerde mit der Begründung, dass behinderungsbedingte Krankheitskosten zu berücksichtigen seien.

6. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde der Bescheid vom abgeändert. Krankheitskosten mit Selbstbehalt iHv. 60,50 Euro wurden anerkannt, die sich wegen des Selbstbehalts allerdings nicht auswirken. Begründend wurde ausgeführt:
"Für die Anerkennung von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung ist erforderlich, dass nachweislich eine Krankheit vorliegt, die Behandlung in direktem Zusammenhang mit dieser Krankheit steht und eine taugliche Maßnahme zur Linderung oder Heilung der Krankheit darstellt.
Unter Krankheit ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung zu verstehen, die eine Heilbehandlung bzw. Heilbetreuung erfordert. Nicht abzugsfähig sind daher Aufwendungen für die Vorbeugung vor Krankheiten sowie für die Erhaltung der Gesundheit. Impfungen dienen der Vorbeugung und sind daher nicht steuerlich absetzbar.
Auch Bücher, Crocs, Socken, Sitzkissen, Fußmatten und Schutzmasken sowie Wohlfühlöle sind keine Krankheitskosten im Sinne des Einkommensteuergesetzes.
Von den Kurkosten wurde eine Haushaltsersparnis von € 5,23 pro Tag abgezogen.
Krankheitskosten können nur ohne Selbstbehalt anerkannt werden, wenn ein direkter Zusammenhang mit der Behinderung besteht. Die geltend gemachten Zahnarztkosten konnten daher nicht ohne Selbstbehalt berücksichtigt werden.
Die Beschwerde war insgesamt mit Verböserung zu erledigen.
Die Aufwendungen für außergewöhnliche Belastungen haben wir nicht berücksichtigt.
Der Grund: Die Aufwendungen sind niedriger als der für Sie gültige Selbstbehalt in Höhe von 3.310,76 Euro."

7. Mit Schriftsatz vom , der in verständiger Beurteilung vom Finanzamt als Vorlageantrag gewertet wurde, brachte der BF vor, dass seine 50%-ige Behinderung nicht berücksichtigt worden sei. Die Folgeerscheinungen der Erkrankung würden diverse Hilfsmittel (Sitzkissen, Massagematte, Crocs-Schuhe) erforderlich machen. Die Füße würden innerhalb einer halben Stunde um drei Nummern anschwellen, daher seien Crocs-Schuhe die einzige Alternative. Von der Reha-Anstalt wurden zur Linderung der Beschwerden Sitzkissen und eine Massagematte nahegelegt worden. Einige weitere Hilfsmittel seien steuerlich gar nicht geltend gemacht worden. Die Chemotherapie habe auch zu einem Verlust der Zähne geführt.
Infolge der Therapie sei es nötig gewesen sämtliche Impfungen aufzufrischen.
Der Selbstbehalt sei zu hoch angesetzt.
Bei der gegenständlichen Behinderung sei ein Freibetrag zu berücksichtigen. Haushaltskosten bei Kuraufenthalt würden entfallen.

8. Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vor und beantragte die Abweisung aus den in der Beschwerdevorentscheidung genannten Gründen.

II. Beweiswürdigung

Der Grad der Behinderung von 50% wurde durch den Bescheid des Sozialministeriumservice vom nachgewiesen.
Die geltend gemachten Ausgaben wurden belegmäßig nachgewiesen.
Im Übrigen ergibt sich der festgestellte Sachverhalt aus den vom Finanzamt mit dem Vorlagebericht vorgelegten Akten.

III. Rechtliche Beurteilung

a. Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)

§ 35 Abs. 1 EStG 1988, soweit im Beschwerdefall relevant, lautet:
Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung (…), und erhält der Steuerpflichtige keine pflegebedingte Geldleistung, so steht ihm jeweils ein Freibetrag gem. Abs. 3 leg. cit. zu.

Gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 wird bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 45 % bis 54 % jährlich ein Freibetrag von 401 Euro gewährt.
Dieser Freibetrag wurde vom Finanzamt auch berücksichtigt und somit wurde dem Beschwerdebegehren in diesem Punkt bereits entsprochen.

Behinderungsbedingte Mehraufwendungen im Sinne des § 35 EStG 1988 können gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988 ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden.
Der Bundesminister für Finanzen kann mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind.

Gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl 303/1996, sind die in den §§ 2 bis 4 dieser Verordnung genannten Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige Aufwendungen durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung hat.

Gemäß § 4 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen sind nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (z.B. Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.

Strittig war im Beschwerdeverfahren, ob die gem. § 4 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen geltend gemachten Aufwendungen tatsächlich unter diese Bestimmung zu subsumieren, somit ohne Selbstbehalt zu berücksichtigen waren.


Aufgrund der Krebserkrankung und daraus folgender Funktionseinschränkungen liegt beim BF eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50% vor. Die Behinderung wurde durch den vom Sozialministeriumservice ausgestellten Bescheid nachgewiesen.
Auf die Erkrankung rückführbare Kosten können daher gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988 als behinderungsbedingte Mehraufwendungen ohne Anrechnung auf den Selbstbehalt abgezogen werden.
Unter Krankheit ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung zu verstehen, die eine Heilbehandlung erfordert. Liegt eine Krankheit vor, so sind diejenigen Kosten abzugsfähig, die der Heilung, Besserung oder dem Erträglichmachen der Krankheit dienen.
Der durch die Behinderung bedingte Mehraufwand, ist jener Aufwand, der über die typischen Kosten der Lebensführung hinausgeht ().


Zahnarztkosten

Der BF macht die Kosten für eine Zahnbehandlung iHv. 60,50 Euro geltend und bringt vor, dass die Chemotherapie zum Verlust der Zähne führe.
Eine Recherche auf der Webseite der Deutschen Krebsgesellschaft bestätigt, dass die Medikamente, die bei der Chemotherapie eingesetzt werden, zu Zahnproblemen führen (siehe auch : "eine notwendige Behandlung der durch die Chemotherapie geschädigten Zahnsubstanz"). Gerade bei der gegenständlichen Krebsart (Myelom) sollen Zahnextraktionen verhindert werden und zahnerhaltend vorgegangen werden, um weitere Komplikationen zu vermeiden.
Es handelt sich bei den gegenständlichen Zahnarztkosten daher um auf die Erkrankung rückführbare Kosten, die ohne Anrechnung auf den Selbstbehalt abgezogen werden können.

Haushaltsersparnis

Ausgaben für Verpflegung im Rahmen eines Aufenthalts in einem Spital oder in einer Rehabilitationseinrichtung stellen gemäß § 34 Abs. 2 EStG 1988 keine außergewöhnliche Belastung dar, wenn sie nicht höher sind als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwachsen (, ).

Bei einem Krankenhausaufenthalt und ebenso bei einem Rehabilitationsaufenthalt ist eine Haushaltsersparnis in Abzug zu bringen. Der BF erspart sich dadurch, dass er bei einem Spitals- oder Rehabilitationsaufenthalt die volle Verpflegung beigestellt erhält, derartige Aufwendungen, die ansonsten bei der Verpflegung zu Hause (oder in Gaststätten) anfallen würden. Diese so genannte "Haushaltsersparnis" ist daher von den diesbezüglichen Aufwendungen abzuziehen, damit der BF nicht bessergestellt wird als jemand, der sich außerhalb eines Spitals oder einer Rehabilitationsanstalt verpflegen muss.

Von den angefallenen Aufwendungen für den Rehabilitationsaufenthalt ist eine Haushaltsersparnis abzuziehen. Für die Berechnung der Haushaltsersparnis wird vom Wert der vollen Station gemäß der Verordnung über die Bewertung bestimmter Sachbezüge, BGBl. II Nr. 2001/416 idgF ausgegangen, die in § 1 den Wert der vollen freien Station mit 196,20 € monatlich bemisst. Bei einem Rehabilitationsaufenthalt beträgt die monatliche Haushaltsersparnis nach Ausscheiden der Kostenanteile für Wohnung mit 1/10, Beleuchtung und Strom mit 1/10, 156,96 € (= 8/10 von 196,20 €). Pro Tag ergibt sich somit eine Haushaltsersparnis von 5,23 € (= 156,96 € / 2 Tage).

Das Finanzamt hat deshalb im bekämpften Bescheid zu Recht für zu Hause ersparte Verpflegungskosten eine Haushaltsersparnis von 109,83 € ausgeschieden (5,23 € x 21 Tage).

FSME Impfung

Keine außergewöhnlichen Belastungen sind Aufwendungen für die Erhaltung der Gesundheit und prophylaktische Schutzimpfungen ().
Die Kosten iHv. 35,80 Euro für die FSME-Impfung sind daher keine außergewöhnlichen Belastungen.

Crocs-Schuhe, Socken und Schutzmasken

Nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel iSd § 4 sind Aufwendungen für Gegenstände oder Vorrichtungen, die geeignet sind, die Funktion fehlender oder unzulänglicher Körperteile zu übernehmen oder die mit einer Behinderung verbundenen Beeinträchtigungen zu beseitigen bzw zu mildern (zB die Hebebühne oder die Rampe für einen Rollstuhl, Krücken, Orthesen, orthopädische Behelfe, Prothesen)
Um kein Hilfsmittel handelt es sich idR bei einem Gut, das sich von einem handelsüblichen Gebrauchsgegenstand nicht unterscheidet und für jedermann nutzbar ist, es sei denn, dass es behinderungsspezifisch einsetzbar ist.
Keine Kosten der Heilbehandlung bilden Aufwendungen für Körperpflege, die auch bei gesunden Personen anfallen ().
In diesem Sinn stellen die Ausgaben für die Crocs-Schuhe, den Fußabstreifer, die Schutzmasken und die Socken nicht durch die Behinderung bedingten Mehraufwand dar, sondern sind typische Kosten der Lebensführung und daher keine außergewöhnlichen Belastungen.

Shop-Apotheke und CBD-Öl

Die Ausgaben iHv. 33,39 Euro betreffen verschiedene Produkte zur Linderung der behinderungsbedingten Beschwerden und werden anerkannt; ebenso die Ausgaben iHv. 75,38 Euro für das schmerzlindernde CBD-Öl.

Reinigung Bademantel

Die Kosten iHv. 8 Euro für die Reinigung des Bademantels betreffen den Rehabilitationsaufenthalt und stellen behinderungsbedingten Mehraufwand dar.

b. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Es waren keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären, daher war eine ordentlichen Revision für unzulässig zu erklären.

Innsbruck, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at